Freyung. Der selbsternannte „Facebook-Deife“ Rupert Wick (auch „Chaos“ genannt) ist genau das, was man landläufig unter einem „bunten Hund“ versteht. Der 51-jährige Ausnahme-Athlet hat als Gewichtheber bereits einige internationale Titel sammeln können. Als Sportler ist der Röhrnbacher eher ein „harter Hund“, der sich selbst alles abverlangt. Die berühmten 130 Prozent fordert Wick aber auch von denjenigen, die mit ihm trainieren. Das kann Anita Riedl nur bestätigen. Seit einiger Zeit stemmt die 53-Jährige gemeinsam mit Chaos Gewichte. Und scheinbar ist Erfolg ansteckend. Denn die Freyungerin darf sich seit Ende Oktober WUAP-Weltmeisterin im Kraftdreikampf nennen. Ein mit vielen Schmerzen verbundener Titelgewinn – und das buchstäblich.

Ein weltmeisterlich eingespieltes wie positiv-verrücktes Team: Rupert „Chaos“ Wick und seine „Ziehtochter“ Anita Riedl.
Der Erfolg bei den internationalen Wettkämpfen in Prag ist das hart erkämpfte Ergebnis einer radikalen Lebensumstellung. Denn „Sport“ war für Anita Riedl zuvor immer nur ein Fremdwort. Dass sie irgendwann einmal wöchentlich drei Trainingseinheiten absolvieren, sie Gewichte stemmen und am Ende in dieser Disziplin zu den weltbesten Frauen zählen wird, das war für die 53-Jährige vor vier Jahren noch undenkbar. Ein Bandscheibenvorfall im Halswirbelbereich stellte das Leben der Freyungerin damals auf den Kopf. „Ich bin vor der Wahl gestanden – entweder Reha-Sport oder Operation“, erinnert sie sich. Sie entschied sich letztlich – etwas widerwillig – für die konservative, aber aufwendigere Methode.
Wie Anita Riedl zum „alten Mistvieh“ wurde
Ohne größeren Elan suchte Anita Riedl in der Folgezeit ein Freyunger Fitnessstudio auf. Sport – ein Thema, das ihr weiterhin nicht so recht behagte. Bis sie während einer Übungseinheit zufällig auf Rupert Wick traf. Der Schlüsselmoment. „Chaos hat mir ein paar Übungen gezeigt und mich motiviert. Er war von Anfang an überzeugt, dass ich Potenzial habe – und hat mich deshalb gefördert“, erklärt die Raumpflegerin rückblickend. Etwas emotionaler und – in der für ihn typischen Art – etwas derber wird da schon Rupert Wick: Er bezeichnet Anita Riedl liebevoll als „altes Mistvieh“ – und versucht sie auf diese Weise stets zu Topleistungen anzustacheln. „Bei uns wird es manchmal etwas lauter – aber das braucht die Anita. Ich bin der Chefe“, sagt Wick mit überzeugtem Brustton und schmunzelt überlegen.

„Irgendwann packt einem der Ehrgeiz. Und dann kann man aus seinem Körper mehr rausholen, als man glaubt.“
Doch es blieb nicht nur bei „charmanten“ Worten des Bankdrück-Mehrfachweltmeisters – dieser erstellte für Anita Riedl auch Trainings- und Ernährungspläne, unterstützte sie bei der Vorbereitung auf Turniere, brachte sie zum KSC Frauenau, für den die verheiratete Familienmutter inzwischen Wettkämpfe bestreitet. Und der Weg ging weiter steil nach oben.
Wie im Fluge wurden die Gewichte, die die 53-Jährige in die Lufte stemmte, immer schwerer. Titel auf nationaler Ebene folgten. Es schien rund alles rund zu laufen. Doch kurz vor den Weltmeisterschaften im tschechischen Prag dann der Schock: Anita Riedl verletzte sich in ihrer Freizeit an der Schulter, musste Anfang August des Jahres operiert werden. „Zunächst ist eine Welt für mich zusammengebrochen“, blickt sie heute zurück. „Doch schon im nächsten Moment ist mir klar geworden, dass ich kämpfen muss.“
Dank ihres Ehrgeizes und der physiotherapeutischen Unterstützung durch Sonja Schmid erfüllte sich Anita Riedl letztlich doch noch den weltmeisterlichen Traum. Sie holte sich, zwei Monate nach ihrer OP, den Titel im Kraftdreikampf – bestehend aus den Disziplinen Kniebeugen, Bankdrücken und Kreuzheben. Die Freyungerin toppte beim Wettkampf sogar ihre besten Trainingsleitungen, war auf den Punkt fit. „Man braucht in dieser Sportart schon einen Vogel“, berichtet die Weltmeisterin, die von ihrem Trainer und Mentor „Chaos“ als „nett, hilfsbereit und verlässlich“ beschrieben wird. „Irgendwann packt einen der Ehrgeiz. Und dann kann man aus seinem Körper mehr rausholen, als man glaubt.“
Rupert Wicks Lob: „Ich bin stolz auf sie“
Trotz ihres – für eine Sportlerin – doch bereits fortgeschrittenen Alters sieht die 53-Jährige weiteres Verbesserungspotenzial. An ein Karriere-Ende nach dem WM-Höhepunk denkt sie jedenfalls noch lange nicht – zumal die Familie völlig hinter ihrer „neuen“ Ehefrau und Mutter steht. „Es gibt auch 80-Jährige, die noch aktiv sind“, sagt Anita Riedl mit bestimmten Unterton. Ehrgeizigen Worte – zweifelsohne das Ergebnis des Einflusses von Rupert Wick. Aufgrund der Leidenschaft und des großen Kämpferherzens seiner „Ziehtochter“ lässt sich auch der 51-Jährige zu einem seltenen Lob hinreißen: „Ich bin stolz auf sie.“
Helmut Weigerstorfer