Freyung. Gut ein Jahr nach dem Verbrechen in Freyung ist ein Urteil gesprochen – darüber, dass Dominik R. (23) die „Frau meines Lebens“ Lisa H. (20), die Mutter des gemeinsamen Sohnes (heute zweieinhalb Jahre alt), getötet hat. Das Landgericht Passau betont, dass es nur die Tat selbst zu bewerten hatte, nicht das Verhalten des Täters danach. Denn das wirkt kaltblütig und berechnend: Dominik R. verpackte und versteckte den Leichnam in der einst gemeinsamen Wohnung, säuberte den Schlafzimmer-Tatort relativ gründlich, räumte die Konten der Getöteten leer. Zehn Tage blieb er noch mit dem Baby dort. Dann setzte er sich – ohne Führerschein – in Lisa H.s Auto mit dem Kind nach Spanien ab, tat über Facebook und WhatsApp so, als wäre „seine“ Lisa noch am Leben, die kleine Familie im Urlaub.
Was wirklich geschehen ist, die Wahrheit, weiß Dominik R. allein
Das Fazit der Schwurgerichtskammer: zwölf Jahre Gefängnis wegen Totschlags. Der Staatsanwalt hatte für Mord und lebenslange Haft plädiert – und will nun, dass der Bundesgerichtshof (BGH) dieses Urteil überprüft. Auch zwei der drei Opferanwälte haben für die Nebenkläger (Lisa H.s Eltern) Revision eingelegt. Rechtzeitig zog die Verteidigung nach (um sich keine Untätigkeit nachsagen lassen zu müssen?), obwohl das Gericht punktgenau ihrem Antrag gefolgt war. Bis zu einer BGH-Entscheidung können nun sehr viele Monate vergehen…
Zehn Prozesstage lang hatte das Landgericht die Person des spielsüchtigen Angeklagten beleuchtet, ebenso die konfliktreiche On-Off-Beziehung der jungen Eltern, deren Gewohnheiten und Freundeskreise. Am elften Tag sprach die Kammer das Urteil. Vieles vom zu Grunde gelegten Ablauf der Tatnacht basiert auf Angaben der Verteidigung. Vieles davon ist nicht widerlegbar. Zweifel müssen immer zu Gunsten des Angeklagten gehen. Was wirklich geschehen ist, die Wahrheit, weiß Dominik R. allein.
Elf Prozesstage war Lisa H.s Vater schweigend dem Mann gegenüber gesessen, der ihm die Tochter für immer genommen hat. Lisas Mutter – ebenfalls wie erstarrt und oft den Tränen nahe -, die die Verbindung des Pärchens nie gutgeheißen hatte, setzte sich jenem Anblick nach der eigenen Zeugenaussage (am fünften Tag) aus. Das mit dem gegenseitigen Stützen ist passé: Lisa H’s. Eltern sind geschieden, beide haben neue Partner.
Geschwister, weitere Angehörige und Freunde sitzen, von ihnen getrennt durch eine Sperre aus Holz, regelmäßig im Zuschauerraum. Dessen erste Reihe ist für die Journalisten reserviert, die seit einem Jahr, seit Bekanntwerden der Gewalttat, mehr oder weniger seriös, manchmal gnadenlos und dabei in gnadenloser Konkurrenz untereinander schillernd berichten. Selbst dann, wenn es gar nichts zu berichten gibt. Und die nun die Angehörigen beäugen, fotografieren. Was nun mal ihr Job ist.
Er reagiere mit „Mama Aua“, sobald er ein großes Messer sehe
Lisa H.s Sohn lebt seit der Rückkehr aus Spanien bei Lisas Mutter, seiner Oma. Was muss in den Eltern vorgegangen sein in all diesen Prozessstunden, in denen auch ihre Tochter nicht bloß gut wegkam? Lisa H. selbst hatte im Sommer, wenige Monate vor ihrem Tod, noch dazugeholfen, dass Dominik R. am Tattag, dem 27. Oktober 2016, überhaupt auf freiem Fuß war. Das Freyunger Amtsgericht hätte ihn für eine Einbruchsserie eingesperrt. Die Berufungskammer des Landgerichts setzte die Haftstrafe zur Bewährung aus – auch, weil Lisa H. das Bild einer intakten jungen Familie nach außen hin bestätigte, das Gericht somit eine günstige, straffreie Zukunftsprognose stellte. Konnten die Eltern nun überhaupt irgendetwas anderes als ein Pluspunkte scheffelndes Lippenbekenntnis erwarten, als Dominik R. sein Bedauern ausdrückte, seine und Lisas Familie um Vergebung bat?
Was ging an den Prozesstagen in dem Angeklagten vor, der auf Anraten seiner Verteidiger lange schwieg – zwar selten reglos, aber eben wortlos blieb? Er hat’s verkackt. Das mit Lisa H. Das mit der Vaterrolle für das geliebte Söhnchen. Sollte das Urteil rechtskräftig werden, sitzt er viele Jahre hinter Gittern. Gerade darin jedoch sieht mancher die große Chance für Dominik R. Vielleicht bringt er es ja im strammen Korsett des Knast-Alltags fertig, endlich eine Lehre abzuschließen, das Zocken sein zu lassen, eine Perspektive für einen legalen Alltag zu entwickeln. Seinen Sohn sieht er draußen erst wieder, wenn dieser ein Teenager ist. Falls das Kind dem Vater überhaupt noch jemals begegnen will, der ihm die Mutter nahm. Mit einem Messer. Auf eine Weise, die Juristen als „klassische Beziehungstat“ und mit „Übertöten“ beschreiben.
Nicht nur das Interesse der Medien, auch das der Öffentlichkeit war (und ist immer noch) groß. Entsprechend klangen die vielen vorverurteilenden Kommentare, vor allem in den sog. Sozialen Medien. Irgendwann – vielleicht schon im Kindergarten, vielleicht gleich in der Grundschule – wird der Bub irgendwem begegnen, der ihn auf die Eltern anspricht. Nur der Angeklagte weiß, wo das Kind zum Tatzeitpunkt war, was es mitbekommen hatte. Die Oma beschreibt den kleinen Buben als traumatisiert, er reagiere mit „Mama Aua“, sobald er ein großes Messer sehe. Ein Kinderpsychologe wurde eingeschaltet. Er befand das Kind als noch zu klein für irgendeine Aussage.
Von Elvira*, Hans-Peter*, Dominik Rs. Bruder und Yvonne*
Der Angeklagte hatte sich schließlich doch geäußert. Am neunten Tag durch seinen Verteidiger Prof. Dr. Holm Putzke, der eine Erklärung verlas. Und am zehnten Tag persönlich, im sogenannten letzten Wort. Da wäre vermutlich mehr aus ihm herausgebrochen, hätten Putzke und dessen Kollege Dr. Thomas Krimmel nicht noch eine Pinkelpause zu nutzen gewusst, an Dominik R.s Fassung zu arbeiten.
Die Journalisten und die Zuschauer saugen jedes Wort auf. Im Publikum sitzt auch Elvira*. Elvira ist die junge Frau, der Dominik R. sich in einer Getrennt-von-Lisa-Phase zuwandte. Die Frau, deren (irrtümlich) vermutete Schwangerschaft womöglich Auslöser des tödlichen Streits war. Dominik R. ließ erklären, dass er die Liebe zu Lisa überwunden gehabt hätte, es ihm nur noch um den Umgang mit seinem Sohn gegangen wäre. Er wollte doch wieder zurück zu Elvira. Davon habe diese jedoch nichts gewusst. Sie erfährt es im Gerichtssaal. Von Verteidiger Putzke.
Elvira weint viel in diesen Tagen. Und sie nutzt Zigarettenpausen am Polizeiauto, um mit Dominik R. zu sprechen. Das macht auch ein junger Mann, an nahezu jedem Prozesstag. Er firmiert unter dem Namen Hans-Peter*, deutet eine homoerotische Beziehung an, verteidigt den Angeklagten mit Zähnen und Krallen in sozialen Medien, beschimpft und beleidigt unreif auch Menschen, mit denen er im echten Leben, im Gericht, kein einziges Wort wechselt. Dominik R.s Eltern und sein Bruder, mit dessen Pass er damals auf der Flucht war, haben die Aussage verweigert. Der Bruder kommt mehrfach zum Prozess, sucht ebenfalls den Kontakt zum Angeklagten.
Und im Publikum sitzt, nach ihrer Zeugenaussage, auch immer mal Yvonne*. Sie hatte mit dem eigenen Kind bei Lisa H. während der letzten Off-Phase der Beziehung gewohnt. Auf Bitten Lisa H.s. Denn diese hätte Angst gehabt, dass der Ex sich des Söhnchens bemächtigt. Nach dem Urteil folgt Yvonne dem Angeklagten zum Polizeiauto. „Sprich mit mir“, ruft sie ihm zu. Dominik R. eilt mit eingezogenem Kopf weiter. „Du hast mein Leben zerstört! Ist dir das klar?!“ schleudert sie ihm unter Tränen hinterher.
(*richtige Namen der Redaktion bekannt; Änderung erfolgte aufgrund der Androhung einer Anzeige von zweier Betroffener)
Holm Putzke: „Ich betreibe Strafverteidigung aus Leidenschaft“
Und dann sind da noch die Verteidiger. Jura-Professor Putzke hatte sich gleich nach Bekanntwerden der Bluttat via Facebook als Verteidiger angeboten (da Hog’n berichtete). Generell haben Juristen es in der Öffentlichkeit nie leicht, sobald sie sich an die Seite von Kinderschändern und Gewaltverbrechern stellen.
Putzke – auch politisch aktiv, seit Mai Passauer CSU-Kreisvorsitzender – bot dabei besonders viel Angriffsfläche. Für Anwälte. Für die Öffentlichkeit. Er erklärte und erklärt sich sachlich in Interviews, zitierte das Rechtsstaatsprinzip, wies weit von sich, diesen medienträchtigen Fall aus Popularitätsgründen übernommen zu haben. Wie aber sah und sieht es in dem Rechtsgelehrten wirklich aus? Was bekam er, als Verteidiger eines Mannes, der seine Freundin getötet hat und ein kleines Kind mindestens zum Halbwaisen machte, von seiner konservativen und die Familie hochhaltenden Partei zu hören? „Ich betreibe Strafverteidigung aus Leidenschaft“, setzt Putzke allen Anwürfen entgegen.
Bis zu einer BGH-Entscheidung können nun sehr viele Monate vergehen. Die Wahrheit kennt Dominik R. allein…
da Hog’n
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Spendenkonto „Familie Haselberger“:
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Die Sparkasse Freyung hat ein Spendenkonto für die Familie von Lisa H., insbesondere für den kleinen Sohn (2) eingerichtet. Bisher sind dort etwa 2.000 Euro an Spendengeldern eingegangen. Die Kontodaten lauten:
Zahlungsempfänger: Freyung hilft e.V. „Familie Haselberger“
IBAN: DE53 7405 1230 0060 2430 60
BIC: BYLADEM1FRG