Marktredwitz/Berlin. Die eine Seite fordert die Herausgabe von Unterlagen zur Untersuchung von mutmaßlich unzulänglich verarbeiteten Schweißnähten am Atommeiler Temelin I, da sie um die Sicherheit der im größeren Umkreis lebenden Menschen fürchtet. Die andere Seite sieht „keine belastbaren Anzeichen für materielle sicherheitstechnische Mängel“ bei den Schweißnähten – und schließt die Frage nach deren Sicherheit im Primärkreislauf somit offiziell ab, „solange sich kein relevanter neuer Sachverhalt ergibt“.
Im Landratsamt Wunsiedel habe man im Jahr 2012 vom Temelin-Betreiber CEZ und von der tschechischen Atomaufsichtsbehörde SÚJB (State Office for Nuclear Safety) die Zusage bekommen, „mit einer Atomaufsicht die Aktenlage prüfen zu dürfen“, teilt Brigitte Artmann, Wunsiedler Grünen-Kreisrätin und Sprecherin der Bürgerinitiative „Stoppt Temelin“, im Rahmen einer Pressemeldung mit. Nun, so Artmann weiter, habe SÚJB bei einem bilateralen Treffen der Deutsch-Teschischen Kommission im Oktober gegenüber dem Bundesumweltministerium (BMUB) die geforderte Aktenuntersuchung abgelehnt – mit der Begründung, „dass diese Unterlagen nicht Eigentum der Aufsichtsbehörde seien“, wie der akutelle Leiter der technischen Abteilung der deutschen Atomaufsicht, Ministerialdirigent Thomas Elsner, in einem Schreiben die BI-Sprecherin informiert.
„Wenn eine der vier Rohrleitungen abreißt, dann…“
Es sei damals um die Schweißnaht 1-4-5 am Atomreatkor Temelin I und die von Greenpeace gewünschte Akte 15/2001/SUJB gegangen, die Tschechien nach wie vor unter Verschluss halte. „Heute wollen unabhängige Experten alle Schweißnähte im atomaren Kreislauf des Atommeilers Temelin I untersucht wissen“, sagt Brigitte Artmann – und betont: „Wenn eine der vier Rohrleitungen mit 80 Zentimeter Durchmesser im Primärkühlkreislauf des Reaktors abreißt, dann kommt es zum Äußersten.“
Die jetzige Aktivität des BMUB sei der Grünen-Kreisrätin zufolge aufgrund einer von ihr initiierten Petition, mit der 80.000 Unterzeichner diese Aktenuntersuchung einfordern, geschehen. Das BMUB erhielt im Juli zusammen mit den Unterschriften auch nochmals die Stellungnahme eines anerkannten Materialexperten, der laut Artmann neue Unregelmäßigkeiten entdeckt hatte. „Ein anderes der vier Rohre im Primärkühlkreislauf wurde laut den einzigen beiden öffentlich vorliegenden Dokumenten am selben Tag an den Reaktordruckkessel von Temelin I angeschweißt und das andere Ende zeitgleich weit entfernt in einer anderen Halle an ein zweites Rohr. Aber auch das wischte das BMUB zur Seite“, kommentiert Artmann verbittert.
Aufsichten: „Wachhunde, keine Schoßhündchen der Betreiber“
Während die tschechische Atomaufsicht SÚJB auf ihrer Website im Bericht über das jüngste Zusammentreffen der Deutsch-Tschechischen Kommission am 9. und 10. Oktober 2017 kein Wort über die Thematik der Sicherheit der Schweißnähte im Reaktor Temelín I und die Herausgabe der entsprechenden Unterlagen verliert, schreibt das BMUB an Brigitte Artmann: „Diese Ablehnung der tschechischen Seite ist aus unserer Sicht abschließend und rechtlich nicht zu beanstanden. Entgegen der von Ihnen (Artmann) vorgetragenen Auffassung ergibt sich weder aus Artikel 3 Absatz 1 des deutsch-tschechischen Abkommens zur kerntechnischen Sicherheit noch aus seinen sonstigen Vorschriften ein rechtlicher Anspruch auf Herausgabe von Unterlagen.“
Artmanns Kommentar dazu: „Atomaufsichten sollen Wachhunde sein, nicht die Schoßhündchen der Betreiber. Sie können die Akten von Atomkraftwerksbetreibern anfordern, wenn Gefahr im Verzug ist. Beide Atomaufsichten können auch entsprechend dem bilateralen Vertrag anordnen, dass eine gegenseitige Überprüfung von Isar II und Temelin I stattfindet. Wenn dazu auch unabhängige Experten zugezogen werden, so erhöht das die Sicherheit beiderseits der Grenze ungemein.“
Saibold: „Etwas mehr Phantasie wäre im BMUB schon gefragt“
Auch Halo Saibold, Kreisrätin aus Passau, sehe dringenden Handlungsbedarf: „Die Sorgen der niederbayerischen Bevölkerung werden einfach nicht ernst genommen. Alle Landräte in Niederbayern stehen hinter der Forderung des Passauer Landrats Franz Meyer, die Schweißnähte überprüfen zu lassen, da von Temelin enorme Gefahren für das ganze Gebiet ausgehen. Dem kann sich die Bundesregierung doch nicht verschließen. Etwas mehr Phantasie wäre im BMUB schon gefragt. Deshalb sollte zumindest der Vorschlag von Frau Artmann – gegenseitige Schweißnahtkontrollen in bayrischen und tschechischen AKWs – aufgegriffen werden. Es ist nicht im Sinne unserer Bevölkerung, die Sache einfach für erledigt zu erklären.“
Auch Hilde Lindner-Hausner von der Bürgerinitiative gegen atomare Anlagen Weiden-Neustadt „BI WAA NAA“ habe Landrat Andreas Meier ebenfalls um Unterstützung gebeten. Sie sagt: „Wir sind enttäuscht, dass das BMUB anscheinend kein wirkliches Interesse daran hat, diese Angelegenheit zu untersuchen und nicht die Chance nutzt, einen Austausch anzubieten. Stattdessen aber akzeptiert, dass der Schutz der Daten des Betreibers höher geschätzt wird, als der Schutz der Bevölkerung.“
Brigtte Artmann: „Die Tschechen haben das BMUB damals total verarscht“
Bereits 2015 war Artmann mit dem Bundesumweltministerium (BMUB) und externen Experten bei einem bilateralen Treffen in Prag dabei, das unabhängige Experten dazu gebracht habe, Alarm zu schlagen. „Die Tschechen haben das BMUB damals total verarscht“, erklärt Artmann mit drastischen Worten. Selbst der Sachverständige des BMUB habe im Nachgang schriftlich attestiert, dass 30 Minuten und ein Aktenkarton nicht für eine sachgerechte Prüfung reichen würden.
Thomas Elsner in seinem aktuellen Schreiben an Artmann:
„Das Bundesumweltministerium (BMUB) sieht keine belastbaren Anzeichen für materielle sicherheitstechnische Mängel bei den Schweißnähten im AKW Temelin oder für ein diesbezüglich unzulängliches Verhalten der für die nukleare Sicherheit der Anlage zuständigen Aufsichtsbehörde SÚJB, die weitere Aktivitäten des BMUB rechtfertigen könnten. Diese konnte und kann das BMUB nicht erkennen.“ (…) Auch bei Würdigung – und insbesondere auch nach eingehender Prüfung der technichen Notiz durch den hinzugezogenen Sachverständigen des BMUB – konnte das BMUB keine neuen Erkenntnisse gewinnen, die eine abweichende Sachlage ergeben würden.“
da Hog’n