Bad Füssing. Sorge für die Seele tragen – das hat sich Norbert Stapfer zur (Lebens-)Aufgabe gemacht. In Bad Füssing, Europas größtem Kurort, zeichnet er seit vielen Jahren für die Seelsorge der Kurgäste mitverantwortlich. Dabei geht es in erster Linie um eins: ums Zuhören. Eine Fertigkeit, die in schnelllebigen Zeiten wie diesen immer seltener – jedoch auch immer wertvoller wird. „Ich gebe den Leuten keinen Rat – das bringt nichts. Sie müssen selber drauf kommen“, antwortet Pfarrer Norbert Stapfer von der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde auf die Frage, wie er den Menschen, die mit ihren Problemen zu ihm kommen, im Gespräch gegenübertritt.
Bevor er nach Bad Füssing kam, war Norbert Stapfer als „ganz normaler Landpfarrer“ in Hengersberg tätig. Der gebürtige Nürnberger hat eine pastoralpsychologische Ausbildung gemacht – „sonst hätte ich die Stelle nicht bekommen“, erinnert sich der 55-Jährige an seine Anfänge in der Füssinger Kurseelsorge. Zwei Jahre dauerte der dafür notwendige Gesprächsführungskurs, den Stapfer berfusbegleitend absolvierte. Im Rahmen seines Theologie-Studiums musste er lediglich ein Semester lang das Fach Psychologie (zwei Wochenstunden) belegen – „das ist wirklich nicht allzu viel“, gibt er zu und lacht. Währenddessen hatte er in Wien die Ehre, eines der letzten Seminare des angesehenen österreichischen Psychiaters und Neurologen Viktor Frankl zu besuchen, an dessen „Lippen ich gebannt hing“.
Hauptanliegen: Beziehungs- und Generationsprobleme
„Ich bin wie eine Hebamme – ich muss das Kind nicht auf die Welt bringen“, betont Pfarrer Stapfer, der sich seit fast 15 Jahren um die teils existenziellen Sorgen und Nöte der Kurgäste kümmert. Er sagt weiter: „Ich muss das Problem nicht lösen. Ich kann nur eine kleine Hilfestellung geben, dass das Kind gut zur Welt gebracht wird. Sprich: Dass das Problem zu einer Lösung kommt.“ Im gemeinsamen Gespräch versucht er diese herauszuarbeiten. Dabei müsse man nicht nur das beobachten, was die Leute sagen, sondern auch deren Körpersprache.
Die Stelle des Kurseelsorgers wurde in den 70er Jahren – also in einer Zeit, in der der Kurtourismus in Bad Füssing erblühte – von der evangelischen Landeskirche eigens als Projektstelle ins Leben gerufen. „Von München aus am Schreibtisch kreiert“, wie es Norbert Stapfer bezeichnet. Seitdem gehören regelmäßige Gottesdienste und seelsorgerische Tätigkeiten zu den Hauptaufgaben der geistlichen Mitglieder der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde. „Dass jemand da ist, der Zeit hat und zu dem die Leute kommen, um über ihre Sorgen reden zu können.“
Vier bis fünf Stunden wendet Stapfer durchschnittlich pro Woche für seine kurseelsorgerische Tätigkeit auf. Die Leute kommen dann zum Gespräch in sein Arbeitszimmer, wo er sich eine Stunde Zeit nimmt, um die jeweiligen Anliegen zu hören. „Ein großes Feld nehmen dabei Ehe- und Beziehungsprobleme ein“, berichtet der 55-Jährige. Eheleute, die bereits seit Jahren nebeneinander her leben, gehören dabei zu Stapfers Hauptklienten. Thematisiert werden auch Probleme, die sich zwischen Eltern und deren Nachwuchs auftun, wenn der Alterunterschied etwa zu groß ist oder ein „gestörtes, abgerissenes Verhältnis“ zwischen beiden Parteien herrscht. „Beziehungsprobleme zwischen den Generationen sowie zwischen Mann und Frau“, fasst es Stapfer, der selbst nicht verheiratet ist, zusammen. Unbewältigte Trauer spielt ebenso eine immer wiederkehrende Rolle. Und – vor allem bei Frauen: „Sie stellen im höheren Alter fest, dass sie einst missbraucht wurden. Das kommt häufiger vor, als man gemeinhin annimmt.“
„Über seine Probleme zu reden – da ist eine gewisse Scham“
Danach gefragt, ob sich die Probleme im Laufe der Jahre verändert haben, antwortet Pfarrer Stapfer: „Nein. Die sind gleich geblieben. So schnell ändern sich die Menschen nicht.“ Die Rückmeldungen nach den Gesprächen seien sehr unterschiedlich. „Manche kommen nur einmal und ich höre nie mehr etwas von ihnen. Meistens kommen sie – und das ist seltsam – bevor sie Füssing verlassen und wieder heimfahren.“
Warum das so ist? „Über sich und seine Probleme zu reden – da ist eine gewisse Scham“, antwortet der Geistliche. „Man schaut sich den anderen, etwa im Gottesdienst, erst einmal an und fragt sich: Trau ich dem zu, dass ich mich ihm gegenüber öffnen kann?“ Stapfer werde dabei – ähnlich wie im Tierreich – seitens der Kurgäste auch erstmal „beschnuppert und geprüft“. Manche kommen immer wieder zu ihm. Manche rufen ihn an oder schreiben eine E-Mail. „Ich hatte auch schon Mail-Anfragen nach dem Motto: Bitte rufen Sie meine Frau an, ihr geht es sehr schlecht.“ Es gibt nichts, was es nicht gibt…
Das Schönste für Stapfer an der Kurseelsorge: „Wenn ich dann höre, dass es funktioniert und sich etwas zum Besseren gewendet hat. Wobei ich, wie gesagt, die Probleme der Menschen nicht lösen kann – ich bin kein Psychotherapeut. Ich kann mir die Sorgen anhören, kann gemeinsam mit den Leuten nach Lösungen suchen – nicht mehr und nicht weniger.“ Auch er komme immer wieder an seine Grenzen, wie er offen zugibt: Manche seiner Gäste müsse er in professionelle, psychiatrische Hände übergeben, da die Probleme zu tiefgehend und ausgeprägt sind.
„Glücksmomente, die ich in meinem Beruf erfahren darf“
Stapfer ist Kurseelsorger „mit Leib und Seele“, wie er sagt. „Ich freue mich, wenn die Menschen zu mir kommen und ich merke, dass ich bei ihnen a bissl was lösen kann. Dann weiß ich, ich bin nicht umsonst da. Das Lächeln meiner Besucher – das sind die Glücksmomente, die ich in meinem Beruf erfahren darf.“
Stephan Hörhammer
–> Im zweiten Teil unserer Kurzserie über die Kurseelsorge Bad Füssing haben wir uns mit Pfarrer Andreas Rembeck und Gemeindereferentin Sonya Lorenz vom katholischen Pfarrverband Bad Füssing unterhalten.