Ludwigsthal. Die Diskussion um die in der Nacht auf Freitag aus dem Tier-Freigelände im Nationalparkzentrum Falkenstein entlaufenen Wölfe (da Hog’n berichtete) hat mittlerweile hoch-emotionale, teils hysterische Züge angenommen: Die Nationalparkverwaltung sieht sich insbesondere nach der Entscheidung, einen von sechs aus dem Gegehege entkommenen Wölfen zum Abschuss freizugeben, vor allem im Social-Web heftiger Kritik ausgesetzt. Es ist von „Mördern“ die Rede, die nach der Tötung des Wolfs wider dem obersten Nationalpark-Gebot „Natur Natur sein lassen“ gehandelt hätten. Aus Protest gegen dieses Vorgehen hat BR-Informationen zufolge bereits ein Nationalpark-Waldführer die Konsequenzen gezogen und seinen Dienst quittiert – eine Online-Petition mit dem Titel „Tötet nicht die entlaufenen Wölfe – jede Minute zählt“ wurde ins Leben gerufen.
Gerade die Frage, weshalb die Tiere bis dato nicht durch den Einsatz eines Betäubungsgewehrs wieder eingefangen werden konnten, sie in der Folge jedoch zum Abschuss freigegeben wurden, beschäftigt offenbar viele Menschen inner- und außerhalb der Ferienregion Nationalpark Bayerischer Wald. Die Nationalparkverwaltung um Dr. Franz Leibl hat heute mit auf ihrer Facebook-Seite mit folgendem Statement reagiert:
„Liebe Facebook-Fans. Wir freuen uns immer wieder, wenn ihr uns Feedback gebt, egal mit welchem Tenor. Die kritischen Stimmen zum Wolfsausbruch können wir verstehen. Auch wir bedauern, dass eines der Tiere von einem Zug erfasst wurde und wir ein zweites Tier erschießen mussten. Zwei bereits aufgetretene kritische Situationen mit Menschen drängen uns jedoch dazu, schnellstmöglich zu handeln. Mit höchsten Personal- und Zeiteinsatz bemühen wir uns darum, die Tiere lebend zu fangen – mit Fallen und mit Narkosegewehren. Leider haben wir mit der Betäubungsmunition einen im Vergleich zur scharfen Munition nur sehr geringen Aktionsradius und bisher keinen Erfolg. In ungünstigen Situationen kann es also passieren, dass nur die Schusswaffe Erfolg verspricht. Ein Verbleib der Tiere in freier Wildbahn ist ausgeschlossen. Die entlaufenen Wölfe haben ihr ganzes Leben im Gehege verbracht, zeigen nicht die natürliche Vorsicht vor Menschen, was zu Konflikten mit diesen führen kann, und haben daher in Freiheit nichts verloren. Schon allein, um ein Übertragen dieses Verhalten auf die im Nationalpark lebenden wilden Wölfe zu verhindern.“
Dieses Video zeigt die entlaufenen Wölfe in freier Wildbahn:
Wichtige Fragen und Antworten zum Wolfsausbruch
Die Nationalparkverwaltung versucht im Rahmen einer am 9. Oktober veröffentlichten Pressemitteilung auf weitere drängende Fragen einzugehen:
Warum ist ein schneller Zugriff erforderlich?
Umgehendes Handeln ist deshalb zwingend erforderlich, ….
- … um Konflikte mit Menschen zu vermeiden.
- … weil die Gehege-Wölfe je nach körperlicher Verfassung mit zunehmender Dauer in Freiheit durchaus lernen können zu überleben und effektiv zu jagen. Die Tiere verlernen aber nicht, dass der Mensch mit Nahrung verbunden ist. In Ortsnähe, wo sie nach menschlichen Abfällen suchen, oder an Wildfütterungen, wo leichte Beute zu finden ist, könnte es dabei etwa zu einer für den Menschen gefährlichen Beuteverteidigung kommen. Die Wahrscheinlichkeit für derartige Verhaltensmuster ist bei Gehege-Wölfen signifikant höher als bei wilden Wölfen.
- … weil man verhindern muss, dass sich die Gehege-Wölfe mit den wilden freilebenden Wölfen vermischen und unerwünschte Verhaltensweise, wie die fehlende Vorsicht vor dem Menschen, weitergeben. Nicht alle entlaufenen männlichen Tiere sind kastriert.
- … weil es angesichts der derzeitigen bayernweiten Diskussion über die Rückkehr der wilden Wölfe gilt, mögliche Konfliktsituationen zu vermeiden, um den wilden Wölfen ein Leben in unseren Wäldern nicht von vornherein unmöglich zu machen. Im Nationalparkgebiet gibt es bereits ein wild lebendes Rudel.
Was ist der Unterschied zwischen den wilden Wölfen und den Gehege-Wölfen?
Wilde Wölfe zeigen eine natürliche Vorsicht vor Menschen und meiden sie. Gehege-Wölfe dagegen sind Menschen gewohnt und zeigen weniger Fluchtverhalten.
Gehege-Wölfe vergessen nicht die Verbindung zwischen Mensch und Futter, sie haben den Kontakt mit Menschen gelernt und zeigen kaum natürliche Zurückhaltung. Daher kann es im Vergleich zu wilden Wölfen viel wahrscheinlicher zu Konfliktsituationen kommen, etwa wenn Beute verteidigt wird.
Welche Schwierigkeiten gibt’s beim Einsatz von Narkosegewehren?
Ein mit Druckluft betriebenes Betäubungsgewehr funktioniert nur auf kurze Distanzen. Zuverlässig treffen solche Waffen bei Wölfen, die über ein schnelles Reaktionsvermögen und eine geringe Körpergröße verfügen, nur auf etwa 20 Meter Entfernung. Selbst geringste Windgeschwindigkeiten beeinflussen die Geschosse signifikant in der Flugbahn. Im Vergleich dazu ist ein Treffer mit scharfer Munition auch auf Entfernungen von 100 bis 150 Metern noch relativ einfach möglich. Mit dem Abschuss des Pfeils ist darüber hinaus ein Geräusch verbunden, auf welches das beschossene Tier reagiert und je nach Distanz dem Pfeil somit ausweichen kann.
Wildtierexperte Dr. Marco Heurich erklärt die Schwierigkeit des Narkosegewehr-Einsatzes:
Würde man den Druck beim Schuss erhöhen, um den Pfeil zu beschleunigen, könnte der Pfeil abprallen oder die Wirkung des Narkosemittels könnte durch einen zu starken Aufprall vermindert werden, im Extremfall kann es zu schweren Verletzungen des beschossenen Tiers kommen. Aufgrund der Lernfähigkeit der Wölfe werden diese zudem bei jedem missglückten Betäubungsversuch misstrauischer, so dass ein schneller Erfolg unabdingbar ist. Um Narkosegewehre überhaupt einsetzen zu können, bedarf es einer speziellen Schulung und fundierter veterinärmedizinischer Kenntnisse. Schließlich muss die Betäubungsdosis richtig gewählt werden, um effektiv zu sein. Ist sie zu stark, stirbt das Tier. Der Einsatz ist also sehr schwierig.
An der Diskussion zum aktuellen Facebook-Statement kann man sich hier beteiligen:
https://www.facebook.com/nationalpark.bayerischer.wald/posts/10155138506832901
Polizei bittet weiter um Zeugenhinweise
Die Meldung des Polizeipräsidiums Niederbayern vom 9. Oktober im Wortlaut:
„Wölfe fliehen durch offenes Gatter aus dem Wolfsgehege – Verursacher bisher unbekannt, polizeiliches Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Am Freitag, 06.10.17, wurde die Polizei um 06:25 Uhr darüber informiert, dass aus dem Wolfsgehege des Nationalparks Bayer. Wald, Haus zur Wildnis, sechs Wölfe entwichen sind. Vor Ort wurde durch eine Streife der Polizeiinspektion Zwiesel festgestellt, dass das Gatter des Geheges offen stand. Das zugehörige Vorhängeschloss war entfernt worden.
Bei der Aufnahme am Freitag wurde durch die Beamten eine Spurensicherung am Gatter und im näheren Umfeld durchgeführt. Die weiteren Ermittlungen wegen eines möglichen Vergehens nach dem Tierschutzgesetz werden durch die Polizeiinspektion Zwiesel in enger Absprache mit der Staatsanwaltschaft Deggendorf geführt. Die Auswertung der gesicherten Spuren dauert an.
Nach derzeitigem Ermittlungsstand wurde das Gatter im Zeitraum von Donnerstag, 05.10.17, ca. 18:00 Uhr, bis Freitag, 06.10.17, 06:00 Uhr, von einem oder mehreren bislang unbekannten Täter(n) geöffnet. Sachdienliche Hinweise nimmt die Polizeiinspektion Zwiesel unter T. 09922/8406-0 entgegen.“
da Hog’n