Regen/Freyung-Grafenau. Nachdem bereits Hog’n-Mitarbeiter Johannes Greß die Frage zu klären versuchte, warum gerade im Woid so viele Bürger die AfD gewählt haben, geht es nun ins direkte Gespräch mit einem AfD-Wähler aus der Region: Sein Name ist Michael, er ist 31 Jahre alt, verheiratet und Angestellter mit Hochschulabschluss. Beheimatet ist er in Zachenberg im Landkreis Regen. Michael hat bei der jüngsten Bundestagswahl seine Stimme der Alternative für Deutschland (AfD) gegeben. Warum er sich für die umstrittene Partei entschieden hat und somit wie ein Fünftel der Wähler in den Wahlkreisen Deggendorf-FRG und Straubing-Regen handelte, darüber spricht er im folgenden Hog’n-Interview.
Michael: Warum hast Du Dich bei der Bundestagswahl 2017 für die AfD entschieden?
Ich wollte eine wirkliche Oppositionspartei, die dem Abnicken der Groko etwas entgegensetzt und die geltendes Recht und Gesetz umsetzt. Meine Gründe, die AfD zu wählen: vor allem das Auseinanderdriften der Arm-Reich-Schere und eine subjektiv-kritische Asylpolitik.
„Bei der AfD hatte ich die höchste Deckungsgleichheit“
Denkst Du, dass viele Bürger die AfD aus denselben Gründen gewählt haben?
Vermutlich hat ein gewisser Protest stattgefunden. Wenn man sich die Wählerwanderung ansieht, sind ja größtenteils Unions- und Nichtwähler für die AfD an die Urnen gegangen.
Hast Du das AfD-Wahlprogamm vor Deiner Stimmenabgabe gelesen? Wie intensiv hast Du Dich damit auseinandergesetzt?
Ich habe mir das Programm von drei für mich relevanten Parteien angesehen und auch Veranstaltungen in der Region besucht, bei denen ich mich mit den entsprechenden Spitzenkandidaten ausgetauscht habe. Da ich ohnehin sehr politisch interessiert bin, waren jetzt keine gravierenden Neuerungen feststellbar. Ich muss dazu sagen, dass ich bei keiner Partei das entsprechende Programm eins zu eins gutheißen kann – bei der AfD etwa die Umweltpolitik. Aber bei der AfD hatte ich die höchste Deckungsgleichheit.
Was denkst Du: Wie intensiv haben sich die AfD-Wähler generell mit dem Parteiprogramm beschäftigt?
Ich denke, dass sich die Wähler tatsächlich nicht allzu sehr mit Wahlprogrammen auseinandersetzen – also in dem Sinne, dass sie die Programme wirklich durcharbeiten. Mehr als ein kurzes Durchblättern, wobei sie Positionen für sich entdecken bzw. ablehnen, werden die meisten leider nicht machen. Hier sehe ich aber keinen Unterschied zu anderen Parteien.
„Würde mich nicht mal als besonders rechts kategorisieren“
Bist Du AfD-Erstwähler?
Auf kommunaler Ebene habe ich SPD gewählt, was allerdings der entsprechenden Person geschuldet ist. Auf Bundestagsebene bin ich quasi „Wiederholungstäter“: Ich habe auch 2013 schon AfD gewählt, wobei damals natürlich eher ein EU-kritischerer Kurs im Fokus des Programmes stand.
Als was würdest Du Dich bezeichnen: Als Protestwähler? Als Heimatbeschützer? Als Rechtspopulist?
Eine Kategorisierung halte ich hier für problematisch. Ich sehe mich als aufmerksamen Demokraten, der versteht, dass es sowohl linke als auch rechte Strömungen in den Parlamenten braucht, um die Form des politischen Protests nicht auf außerparlamentarische Bewegungen zu verlagern – man denke nur an die Zeit der Studentenbewegung, als sich die äußerste Linke in RAF-Nähe bewegt hatte. Ich würde mich nicht mal als besonders rechts kategorisieren, ich bin weltoffen, sehe eine Chance im Waren- und Dienstleistungsaustausch, möchte aber schon auch, dass meine Kinder ebenso wie ich in einer Welt aufwachsen können, in denen keine Problemzonen und No-Go-Areas aufgrund einer meiner Meinung nach falschen Einwanderungs- und Integrationspolitik entstehen.
Auf einer Skala von 1 bis 10 – als wie rechts würdest Du Dich selbst einschätzen?
Das ist aus meiner Sicht eine leider tendenziöse Fragestellung. Wie links ordnen sich Grünenwähler ein? Gibt es ein „ultimatives Böses“, das bei 8 beginnt und bis 5 noch tolerabel ist? Ich denke eher, dass der Begriff „rechts“ wieder als wertneutrale Formulierung für nationale und konservative Ansichten Einzug in den politischen und journalistischen Diskurs finden sollte. Da ich also „rechts“ nicht negativ konnotiert betrachte, kann ich mit einer Skala leider nicht dienen.
„Blindwütige Berichterstattung, die gerne nach Skandalen sucht“
Kannst Du’s nachvollziehen, warum sich so viele Leute nun angesichts des AfD-Wahlergebnisses entrüsten?
Ich denke, dass das leider auch den Medien geschuldet ist und sich nach zwölf Jahren Angela Merkel so äußern musste. Die CDU hat einen Linksruck vollzogen – was taktisch klug war. Dadurch hat sie die klassische Klientel der SPD an sich gebunden. Durch die Groko wurde natürlich Platz an den Rändern – auch die Linkspartei hatte davon profitiert – geschaffen, was wiederum dazu geführt hat, dass diese als problematisch wahrgenommen werden. Nur leider scheint hier eine teils blindwütige Berichterstattung, die gerne nach Skandalen sucht, stattgefunden zu haben, die nun ihre Entrüstung in den (sozialen) Medien findet.
Den größten strategischen Fehler hat man mit der Dämonisierung der AfD gemacht – genau das treibt ja auch die Wähler dorthin. Man müsste stattdessen in einer Demokratie das Ergebnis des Wählers akzeptieren und einen inhaltlichen Diskurs führen. Demokratie lebt vom Schlagabtausch.
Wie beurteilst Du den „Faktor Angst“? Wie ausschlaggebend war er für Deine Entscheidung, die AfD zu wählen? Wie ausschlaggebend war er Deiner Ansicht nach beim Rest der AfD-Wählerschaft?
Für mich selbst hat das eine untergeordnete Rolle gespielt. Man ist ja realistisch genug, um zu wissen, dass selbst eine Opposition keine zu starke Einflußnahme auf das politische Gestalten der Regierung nehmen kann. Aber ich kann nachvollziehen, dass bei manchen Wählern solche Ängste vorherrschen. Leider sprechen ja die Polizeistatistiken eine deutliche Sprache. Zum Glück sind uns in Ostbayern solche Delikte größtenteils erspart geblieben – was dann allerdings auch gegen eine so hohe Stimmenzahl für die AfD bei dieser Thematik spricht…
Was glaubst Du: Wie sehr ist das Versagen der sog. Altparteien verantwortlich für den Erfolg der AfD?
Ich würde es nicht als „Versagen“ bezeichnen, das halte ich ebenso für zu tendenziös. Es ist allerdings festzustellen, dass die Parteien – ich würde hier explizit die Linke ausnehmen wollen – einen fast deckungsgleichen Kurs bei vielen Themen fahren. Eine echte Profilschärfe ist leider weniger denn je erkennbar. Die juristische Frage, wie die eigenmächtige Asylaufnahme 2015 von Frau Merkel zu bewerten ist, überlasse ich den Staatsrechtlern.
„Dämonisierung der AfD wird deren Gegnern nicht helfen“
Welche Rolle hat die Flüchtlingsfrage beim AfD-Wahlerfolg gespielt?
Vermutlich eine sehr große. Gerade dieses Thema war ja dauerpräsent in der Berichterstattung und wurde größtenteils von allen Parteien deckungsgleich behandelt. Lediglich Herr Lindner hat auf der Zielgeraden der Wahl mit einem deutlich kritischerem Diskurs über die Flüchtlingsfrage noch ein paar Stimmen „von rechts“ gut gemacht.
Welche Rolle hat die gescheiterte Ost-Politik gespielt?
Wenn Du die fehlende Angleichung der Lebensbedingungen in Ost- und West-Deutschland meinst, dann mit Sicherheit eine große Rolle. Das erklärt im Umkehrschluss ja auch den Erfolg der Linkspartei. Was man allerdings nicht unterschätzen sollte, ist, dass die Menschen der ehemaligen DDR noch ihren eigenen Erfolg beim Sturz des damaligen Machtapparates im kollektiven Bewusstsein gespeichert haben. Man mag Bewegungen wie Pegida ja als ungut beurteilen – aber die Vergleiche zu den Protesten der DDR drängen sich hier durchaus auf.
Was möchtest Du abschließend noch mitteilen?
Ich würde Euch und allen anderen Medien raten, weniger verbissen an das Thema AfD ranzugehen. Es ist eine „normale“, politische Entwicklung, dass an den Rändern eine stärkere Anhängerschaft entsteht, wenn die Mitte zu sehr zusammenrückt. Eine Dämonisierung der AfD wird den Gegnern dieser Partei sicher nicht helfen, vermute ich. Ich rate zu einer neutralen und kritischen Berichterstattung, wo es nötig ist – das würde ich mir bei allen Parteien und Medien wünschen.
Was denkst Du: Wie repräsentativ bist Du für die AfD-Wählerschaft im Woid?
Ja, das ist in der Tat für mich schwer zu beantworten. Ich kann wirklich nur eine Facette in dem Spektrum darstellen.
Vielen Dank, dass Du Dir Zeit genommen hast, unsere Fragen zu beantworten.
(schriftliches) Interview: da Hog’n
__________________
Ich werde die AfD niemals als normale, demokratische Partei akzeptieren!
Wer bewusst eine offen rassistische Partei wählt, der ist nun mal ein Rassist. Und die AfD wurde nicht „dämonisiert“, sie hat bewusst provoziert, um die Grenzen des „das wird man doch wohl noch sagen dürfen“ immer mehr zu erweitern. Eine lang bekannte Strategie der Neuen Rechten in Europa. Also verkauft uns nicht für dumm!
Gerne kann Michael länger arbeiten, wenn er denn möchte und so faktisch eine Rentenkürzung in Kauf nehmen. Aber hört doch bitte damit auf, Euch als „Partei des kleinen Mannes“ verkaufen zu wollen.
Abschaffung der Erbschaftssteuer, Bürokratieabbau im Mindestlohnbereich, wem nützt das? Oder sagen wir mal, wer profitiert denn von der Wiederherstellung des Bank- und Steuergeheimnisses? Sicher nicht die kleinen Leute.
Ich hab ja so ne Theorie
Vielen niederbayrischrischen AFD Wählern geht es mitnichten hauptsächlich um rechte Themen, sondern hauptsächlich um ihre Angst abgehängt zu werden, ihren (geplanten und erwarteten und auch für die Kinder gewollten) Lebenstandart zu verlieren.
Die Leute hier oben in meiner neuen norddeutschen Heimat sagen wenn ich die Theorie bringe: das versteh ich nicht, Bayern ist das reichste Bundesland.
Ja ist es!
Aber ich glaube, genau darum sind/ waren die Lebenspläne hier anders (als zb in neuen Ländern, Berlin und den norddeutschen Grossstädten)
Hier in Niederbayern war es bis vor ca 15 Jahren praktisch selbstverständlich, dass der Mann (oder seltener die Frau, sagen wir einfach „der Hauptverdiener“) eine Familie allein gut ernähren konnte.
Gut ernähren bedeutete:
Miete für ne nette Wohnung, oder Raten für was eigenes, einmal Sommerurlaub, 1 bis 2 mal verlängertes WE zum Skifahren, ein Auto für den Hauptverdiener, ein Kleinwagen für den Partner, Hobbys für die Kinder.
Das war niederbayrische Norm.
Und zwar nicht nur für die mit akademischen Abschluss (oder Fachschulabschluss/Techniker/Meister) oder reichen Vorfahren …
Sondern auch für den (und gerade auch den) Industriehandwerker oder kaufmännischen Angestellten aber auch realisierbar für fast jeden Handwerksgesellen und festen Angestellten.
Die Menschen unserer Generation (der jetzt 40 bis 50jhrg) haben noch mit dem Gedanken zb bei der Zahnrad die Lehre begonnen, diesen Job bis zur Verrentung zu tun, sich dabei eben den oben erwähnten Wohlstand zu erarbeiten und „da Bua“ soll gefälligst das gleiche machen (oder studieren gehn)
Für diese Menschen (und die Generation nach ihnen), die vor 25 Jahren mit diesen absolut sicher geglaubten Erwartungen ins Berufsleben gestartet sind …
Für diese Menschen ist jetzt alles andes:
Kein Job mehr sicher (Kurzarbeit, Entlassungen, Betriebssschließungen wie bei Loher)
Niedrigere Löhne
Zeitarbeit
Ein Gehalt reicht nicht mehr
Der Partner muss mindestens Teilzeit mit ran, eher mehr.
Und das Eigengeim in weiter Ferne.
Diese Menschen fühlen sich um ihre Lebenspläne, Träume, sichergeglaubten Lebenswege betrogen und verstehen nicht, warum sie nicht so leben können wie die Generation vor ihnen.
Sie fühlen sich hilflos und suchen nach Schuldigen und Alternativen … und da tritt wortwörtlich die AFD auf den Plan
(und ja, der niederbayrische/bayerwald Industriearbeiter/Bauarbeiter/Handwerker/normale Angestellte ist sicherlich nicht der klassische Typ „reflektierter und hinterfragender politischer Beobachter“
und nein, das soll keine Entschuldigung sein, aber ein Versuch, das „warum“ zu erklären)
Das Flüchtlingsthema macht interessanterweise oft gerade dort besonders Angst, wo es wenige bis gar keine Flüchtlinge gibt, z.B. in Dresden oder im Woid. In diesem Interview wird es wieder deutlich: der AfD Wähler hat Angst, irgendwann wegen der Flüchtlinge Bereiche seiner Heimat nicht mehr betreten zu können. Die Ignoranz dieser und anderer diffuser Existenzängsten führt offensichtlich auch bei so klugen Wählern, wie bei diesem Interviewten, zu irrationalen Kurzschlusshandlungen, hier: Kreuzchen bei der AfD!
Immer wieder ist von Seiten der Neuen Rechten zu hören, ihre Meinungsfreiheit werde unterdrückt, sie wähnen sich in einer „Meinungsdiktatur“, viele bezweifeln, dass sie noch in einem Rechtsstaat leben.
Wenn dem so ist, wieso zitiert dann die AfD so häufig Bild und andere, wenn diese wieder mal dem rechten Geist entsprechende headliner liefern?
Wie kommt es dann, dass J. Elsässer sein bundesweit vertriebenes Heft „Compact“ mit einem Titelbild von Frau Merkel hinter Gittern veröffentlichen kann, versehen mit der Aufforderung, sie zu verhaften?
Zu Herrn Elsässers Glück leben wir in einem liberalen, offenen Land, welches sogar Menschen wie ihn und seine Hetze duldet.
Damit dies so bleibt, darf eine Partei wie die AfD niemals an die Macht kommen!
Demokratieverständnis definiert sich über den Umgang mit dem Andersdenkenden – hierzu gibt es genug Beispiele von AfD – Parlamentariern, die zeigen, dass diese eben dies nicht sind: demokratisch.