Passau. In der Region Aachen werden derzeit kostenlose Jodtabletten verteilt. Der Grund: Im Dreiländereck (D/NL/B) geht die Angst vor einem Atom-Unfall um. Die Gefahr dafür geht von den weniger als 100 Kilometer entfernt gelegenen, belgischen Atomreaktoren in Doel bei Antwerpen und Thiange bei Lüttich aus. „An beiden Standorten waren in zwei etwa 40 Jahre alten Reaktoren tausende Haarrisse im Stahlmantel der Druckbehälter gefunden worden, deren Ursache bis heute unklar ist“, berichtete jüngst das ZDF-Politmagazin „Frontal 21“. Die Jodtabletten sollen im Falle eines Unfalls verhindern, dass die Schilddrüse radioaktives Jod aufnimmt und somit Krebs verursachen könnte.
Zwischen dem tschechischen Atomkraftwerk Temelin und der bayerisch-tschechischen Grenze bei Philippsreut liegen rund 80 Kilometer. Von Bayerisch Eisenstein aus sind es rund 100 Kilometer nach Temelin.
Auch die Passauer Kreisrätin und ehemalige Bundestagsabgeordnete Halo Saibold setzt sich schon seit Längerem dafür ein, eine landkreisübergreifende atomare Katastrophenschutzübung durchzuführen – aufgrund der Nähe zum tschechischen Reaktor Temelin, der Kritikern zufolge ebenfalls gewisse Sicherheitsmängel vorweist. Bei der Übung sollen Kaliumjodidtabletten im großen Stil verteilt werden. Ein Vorhaben, das bislang jedoch scheitert.
„Erheblicher Planungsumfang und Abstimmungsaufwand“
Passaus Landrat Franz Meyer unterstütze den Wunsch Saibolds nach einer überregionalen atomaren Katastrophenschutzübung, wie er im Juli dieses Jahres informierte.
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Passaus Landrat Franz Meyer. Foto: LRA PA
Diese konnte jedoch laut eines Schreibens von Regierungspräsident Rainer Haselbeck bis dato deshalb nicht durchgeführt werden, da die dafür zuständige Regierung von Niederbayern die Überarbeitung der nuklearen Katastrophenschutzplanung sowie des bundesweiten Konzepts zur „Verteilung von Kaliumjodtabletten zur Jodblockade der Schilddrüse bei kerntechnischen Unfällen“ noch nicht abschließen konnte. Meyers Bitte nach einer Durchführung der Übung „werden wir selbstverständlich gerne nachkommen“, betont Haselbeck. Dies ist seiner Ansicht nach jedoch erst nach Abschluss aller Planungsarbeiten sinnvoll und zielführend, weshalb er keinen konkreten Zeitpunkt nennen könne.
Dies wird seitens der Regierung von Niederbayern im Rahmen einer aktuellen Anfrage durch das Onlinemagazin da Hog’n bestätigt. Katharina Kellnberger, Leiterin des Sachgebiets Öffentlichkeitsarbeit, teilt mit:
Hintergrund: Planungsumfang und Abstimmungsaufwand sind erheblich. Sie lassen sich etwa anhand der Evakuierung der Bevölkerung im unmittelbaren Umkreis des Kernkraftwerks veranschaulichen, die für bestimmte Zonen bereits im Vorfeld konkret vorzuplanen ist:
Nach den bisherigen Planungszonen waren dies eine Zentralzone von zwei Kilometern im Umkreis des Kernkraftwerks, die rund 3.000 Einwohner umfasste, dazu eine Mittelzone von zehn Kilometern, die zusätzlich rund 35.000 Einwohner umfasste. Als neue Planungsgebiete sind vorgesehen eine Zentralzone von fünf Kilometern mit rund 12.000 Einwohnern und eine Mittelzone von 20 Kilometern mit rund 230.000 Einwohnern. Die konkreten Planungen für Evakuierungen sind also in einem erheblichen Umfang auszuweiten. Dies reicht angefangen von Sammelstellen, Verteilstellen und Transportmöglichkeiten über die Planung von Notfallstationen bis hin zu Anlaufstellen und Unterkünften in den aufnehmenden Gebieten.
Nach Abschluss dieser Überarbeitung sollen in Niederbayern verschiedene Szenarien geübt werden – auch die Verteilung von Kaliumjodtabletten.
Beitrag des Politmagazins Frontal 21 vom 18. März 2016:
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https://www.youtube.com/watch?v=jivmTpHMIuw
„Aufgrund der unmittelbaren Nähe des Landkreises Passau zum tschechischen Kernkraftwerk Temelin hat für die Bevölkerung ein effektiv funktionierender nuklearer Katastrophenschutz auf modernstem Standart hohe Priorität. Deshalb unterstütze ich das Anliegen von Halo Saibold ausdrücklich“, sagt Landrat Meyer. Er sei davon überzeugt, dass eine derartige Übung auf große Akzeptanz in der Bevölkerung stoßen würde.
Ministerium: „Sicherheit und Gesundheit haben oberste Priorität“
Meyer hatte sich Anfang August ebenso mit einem Schreiben an Bundesumweltministerin Barbara Hendricks gerichtet, in der er auf die Beteiligung der Bundesregierung am Verfahren zur Aktualisierung des Konzepts zur Entsorgung radioaktiver Abfälle in Tschechien einging (da Hog’n berichtete). Er gehe davon aus, dass die Bundesregierung im Rahmen der Atommüll-Endlagersuche beteiligt werde und Tschechien durch die Bundesbehörden zur strikten Einhaltung der internationalen Sicherheitsvorschriften aufgeforer werde.
Ende August erhielt Meyer nun Antwort aus Berlin, namentlich von Rita Schwarzelühr-Sutter, parlamentarische Staatssekretärin:
„Deutschland wurde im Rahmen einer sogenannten Strategischen Umweltprüfung (SUP) der tschechischen Regierung zur Aktualisierung des Konzepts zur Behandlung radioaktiver Abfälle und abgebrannter Brennelemente notifiziert. Für das Bundesumweltministerium ist die sichere Entsorgung der radioaktiven Abfälle sowohl im Inland als auch im angrenzenden Ausland von besonderer Bedeutung. Daher hat sich Deutschland für eine Beteiligung am tschechischen SUP-Verfahren zur Entsorgung radioaktiver Abfälle entschieden und auch der Öffentlichkeit die Möglichkeit eröffnet, sich mit Einwendungen direkt an die tschechischen Behörden zu wenden.
Bundesumweltministerin Barbara Hendricks. Foto: BMUB
Die Sicherheit und die Gesundheit der Bevölkerung haben für das Bundesumweltministerium oberste Priorität. Daher wird sich das BMUB auch gegenüber den Nachbarländern für die Einhaltung der internationalen Anforderungen an den sicheren Betrieb und die Langzeitsicherheit von Endlagern einsetzen.
Deutschland hat sich mit einer – unter Beteiligung der zuständigen Behörden erstellten – Stellungnahme am SUP-Verfahren beteiligt und darin auf die Beachtung international etablierter Vorgehensweisen hingewiesen. Der darin gegenüber dem tschechischen Umweltministerium geäußerte Wunsch nach einer weiterhin engen Beteiligung und Information der deutschen Seite für zukünftige Verfahrensschritte dürfte auch in ihrem Interesse liegen.“
50.000 Menschen setzen Zeichen gegen atomare Bedrohung
Im Aachener Dreiländereck hatten Ende Juni rund 50.000 Menschen mit einer 90 Kilometer langen Menschenkette zwischen Aachen, den Niederlanden und Thiange ein Zeichen gegen die atomare Bedrohung gesetzt.
Die dortigen Grenzland-Kommunen haben gegen den Betrieb der belgischen Pannenreaktoren Doel und Thiange Klage eingereicht, wie „Frontal 21“ berichtet. Zudem werden im Raum Aachen Broschüren mit dem Titel „Information für die Bevölkerung in der Umgebung des Kernkraftwerkes Thiange (B)“ verteilt.
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