Rund 90.000 Menschen, Angehörige der ethnischen Minderheit der Rohingya, mussten seit Anfang August 2017 ihre „Heimat“ in Myanmar verlassen. Zuvor fielen bereits viele Tausende den ethnischen „Säuberungsaktionen“ der buddhistischen Mehrheit im Land zum Opfer. Zur selben Zeit lassen Abertausende ihr Leben bei dem Versuch das Mittelmeer in Richtung Europa zu überqueren. Und ebenso leben nach einer (mit Vorsicht zu genießenden!) Schätzung der australischen Walk Free Foundation rund 46 Millionen Menschen weltweit in der Sklaverei gefangen, die meisten davon in Indien und Südostasien, aber auch rund 14.500 davon in Deutschland – mitten unter uns.
Am 10. Dezember 1948 unterzeichnete die Generalversammlung der Vereinten Nationen im Palais de Chaillot in Paris die UN-Menschenrechtscharta. Einen Genozid, einen Holocaust – darüber war man sich damals einig – dürfe es nie wieder geben. Jeder Mensch sei frei und gleich geboren und in seiner Würde unantastbar, unabhängig von Herkunft, Religion oder Ethnie. Ein Blick in eine beliebige Tageszeitung verrät, wie viel davon übrig geblieben ist. Es wäre gut daran getan, eine solche Deklaration für nichtig zu erklären. Das Problem liegt ganz woanders…
„Was Du nicht willst, dass man Dir tu…“
Unser Verständnis von Menschen und deren Rechten beruht seit Jahrhunderten darauf, dass derjenige, der innerhalb der Grenzen eines Staates geboren ist, auch Bürger dieses Staates ist. Wer Bürger dieses Staates ist, genießt demnach umfassenden Schutz und die Garantie seiner Rechte. Der deutsche Staat ist für die deutschen Staatsbürger zuständig, der österreichische für die österreichischen und so fort. Diese Staatsbürgerrechte gründen auf den hypothetischen Überlegungen, dass alle Mitglieder innerhalb dieser Gesellschaft dieselben Rechte und Pflichten als ihre eigenen anerkennen.
Diese Form eines Gesellschaftsvertrages kodifiziert in gewissem Sinne das, was wir im Alltag salopp mit der Goldenen Regel „Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg‘ auch keinem andern zu “ umschreiben. Der „Andere“ ist dabei der jeweilige Mitbürger, die jeweilige Mitbürgerin. Wir gestehen uns also gegenseitig politische Rechte zu, halten uns an die Spielregeln von Verfassung und Gesetz in der Annahme, dass mein Mitbürger dies auch tut. Tut er das nicht, kann ich davon ausgehen, dass er entsprechend sanktioniert wird.
Soweit, so logisch. Die Deklaration der Menschenrechte stellt nun einen Versuch dar, diese auf nationalstaatlicher Ebene seit Jahrhunderten praktizierte Form des Gesellschaftsvertrages auf eine globale, universelle Ebene auszudehnen. Nicht zuletzt die Ereignisse in Myanmar zeigen jedoch, dass dieser Versuch kläglich gescheitert ist…
Vertriebene, Flüchtende, displaced persons
„Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu„ trägt schon im Namen, dass wir von Geburt an eben nicht gleich sind. Nur durch das gegenseitige Zugeständnis von Rechten – das heißt: von politischen Rechten – kann gewährleistet werden, dass gesellschaftliches Leben ohne größere Unterbrechungen vonstattengehen kann. An Rechten und Pflichten gleich sind wir nur, weil sich jeder Bürger, jede Bürgerin innerhalb eines Staates zu Recht und Verfassung bekennt – nicht, weil die Natur, ein Gott oder irgendein anderer metaphysischer Legitimationsversuch, dies so vorgesehen hat. Was es de facto gibt ist eine Gleichheit an politischen Rechten, nicht aber an natürlichen.
Es liegt in der Natur der Sache, dass solche politischen Rechte nur von einem (funktionierenden) Staatenwesen garantiert und auch nur von Staatsbürgern innerhalb dieses Wesens eingeklagt werden können.
Zu gravierenden Verletzungen von Menschenrechten kommt es immer dann, sobald Individuen das Terrain ihres (demokratischen) Heimatstaates verlassen. Der Schutz vor Verfolgung, Folter und Mord endet dort, wo ein Staat aufhört für einen Menschen zuständig zu sein. Vertriebene, Flüchtende, displaced persons können zwar um Hilfe schreien – nur: Es hört dann keiner mehr zu. Sie können sich zwar auf ihre Menschenrechte berufen – ist jedoch kein Staat, keine Institution da, die sich für diese Menschen zuständig fühlt, verpufft dieses Klagelied ganz einfach…
Die abstrakte Nacktheit des Menschseins
Und hierin besteht auch die tödliche Schwäche eines solchen Gesellschafsvertrages, der zwar von vernünftigen, gleichen und freien Bürgern und Bürgerinnen beschlossen worden sein mag, die sich in einer wie auch immer gearteten Genesis auf diesen geeinigt haben und einander umfassende Rechte garantieren; der jedoch nur für jene Menschen greift, die auch Teil dieses Kollektivs sind.
Was passiert, wenn Menschen plötzlich nicht mehr Teil dieser Gemeinschaft sind (oder noch nie gewesen sind), nicht nur heimat- sondern auch staatenlos sind, sich keine Regierung mehr für diese displaced persons zuständig fühlt, diese Menschen also auf die bloße „abstrakte Nacktheit des Menschseins“ (Hannah Arendt) reduziert werden? Dafür gibt es unzählige grausame Beispiele…
Ein dem nationalen Recht vorgeordnetes natürliches Recht, ein Recht auf welches ich mich berufen kann, wenn ich in die Abgründe der Staatenlosigkeit verfalle, also ein Arendt’sches „Recht, Rechte zu haben“, gibt es schlichtweg nicht. Der Entrechtete ist zwar frei zu denken und zu sprechen, nur finden diese Gedanken, diese Worte eben keinen Adressaten mehr.
Und mit dem Verlust der Gedanken und der Sprache endet auch das Vorhandensein des Politischen; das politische Wesen hört auf zu existieren, der Mensch verliert seine wesentlichste Eigenschaft. Denn, so wie oben angeführt, sind Rechte, die sich Menschen gegenseitig garantieren können, ihrem Ursprung nach immer politisch und niemals natürlich; mit dem Verlust des Politischen geht auch der Verlust des Rechts, mit dem Verlust des Rechts der Verlust einer Daseinsberechtigung einher.
Der Raub der Heimat
Unsere Welt, wie wir sie heute kennen, ist bereits vollständig in Nationalstaaten oder politische Einheiten aufgeteilt. Verlasse ich das Gebiet des einen Staates, betrete ich automatisch das eines anderen. Diese Tatsache zieht unweigerlich nach sich, dass der Verlust der Heimat mit dem Verlust des politischen Status identisch wird.
Nicht wenig verwunderlich ist also der Raub der Heimat, der in der Liste der Verbrechen ganz oben anzusiedeln ist. Und kein noch so großes Konglomerat an Menschenrechten kann garantieren, dass sich eine Gemeinschaft in „übergreifendem Konsens“ dazu entschließt eine andere Gemeinschaft, die nicht unter dem Schutze einer Nation und dessen Rechten steht, ihrer Heimat zu berauben, auszurotten, zu vernichten. Ein Blick in die deutschen Geschichtsbücher verdeutlicht und belegt diese These auf grausame Art und Weise.
Diesem obersten Verbrechen gegen die Menschheit, dem Raub der Heimat, gilt es ein einziges Menschrecht gegenüberzustellen: Nämlich jenes Recht, dass es unter keinen irgendwie erdenklichen Umständen möglich ist, in den Abgrund der Staatenlosigkeit zu fallen. Die Überflüssigkeit einer ganzen Deklaration an Menschenrechten zeigt sich doch schon darin, dass nur jene sich auf derlei abstrakte Rechte berufen, welche auf keinerlei nationale Rechte zurückgreifen können.
Staatenlos im eigenen Staat
Was passiert, wenn eine Mehrheit in einem Staat – aus welchen Gründen auch immer – beschließen mag, dass eine Minderheit nicht mehr Teil dieser Gemeinschaft sein soll (als überflüssig, störend deklariert wird), lässt sich aktuell in Myanmar beobachten. Rund eine Million muslimische Arakanesen, die Rohingya, leben in Rakhine, einer Provinz im Westen Myanmars – seit mehreren Generationen.
Im Zuge von immer wieder aufkeimenden Unruhen erklärte die buddhistische Mehrheit im Land die Rohingya zu illegalen, staatenlosen Immigranten und entzog ihnen in weiterer Folge die Staatsbürgerschaft. Seitdem fliehen täglich tausende Rohingya aus ihrer Heimat, nach UN-Angaben warten 20.000 an der Grenze zu Bangladesch. Seitdem häufen sich Berichte über buddhistische Soldaten, die junge muslimische Mädchen vergewaltigen, Babys zermetzeln und eine ekelhafte Hetzjagd auf muslimische Arakanesen betreiben.
Und auch ein Blick vor die eigene Haustür (respektive vor den eigenen Grenzzaun) reicht, um zu sehen, dass eine Deklaration der Menschenrechte eben nicht mehr als ein abstrakter Beschluss auf einem Blatt Papier ist – sofern diese nicht an eine Staatsbürgerschaft gekoppelt ist. Täglich riskieren Menschen auf der Flucht vor Hunger, Krieg und Gewalt auf der Fahrt übers Mittelmeer ihr Leben. Mehr als 3.600 von ihnen schafften es alleine in diesem Jahr nicht.
Auch, wenn die Deklaration der Menschenrechte von 1948 von einem Großteil der gegenwärtigen Staaten anerkannt wird, zeugen Vorfälle wie in Syrien, im Mittelmeer oder an vielen anderen Orten der Welt, wie brüchig dieses Vertragswerk doch ist. „Ein Recht, Rechte zu haben“ scheint – wenn überhaupt – nur für eine kleine, privilegierte Zahl an Menschen zu existieren.
Der Verlust der Relevanz
Dass europäische Staaten mehr und mehr dazu übergehen ihre Türen zu verriegeln, beweist wie zahnlos eine solche Deklaration im Ernstfall ist. Menschen, die tagtäglich im Mittelmeer ertrinken, konnten in die Sphäre des Politischen bis vor einem Jahr zumindest noch eindringen, indem sie medial von Relevanz waren – wenn auch nur durch ihren Tod.
Der „Verlust der Relevanz“, also die vollständige Verwehrung des Politischen, ist spätestens dann eingetreten, als derart tragische Vorfälle auch in der tagesaktuellen Berichterstattung kaum mehr von Belang waren. Spätestens hiermit ging auch das letzte leise Piepen der Stimmen der Entrechteten verloren…
Und auch die eingangs erwähnten rund 14.500 Menschen, die in Deutschland in der Sklaverei gefangen sind (meist in Form von Sexarbeit), legen Zeugnis davon ab, dass wir von Geburt an eben nicht gleich sind, dies erst durch einen politischen Beschluss, ein – wenn auch hypothetisches – Vertragswerk werden.
Wenn auch von ihren Eigentümern nicht als solche behandelt, handelt es sich bei diesen 14.500 Personen um Menschen, deren Würde es, geht es nach Artikel 1 der Menschenrechtsdeklaration, ebenso zu schützen gilt, wie jene der 7,4 Milliarden Mitmenschen auf dieser Erde. Als Staatenlose, als Entrechtete können sie sich zwar auf diesen Artikel berufen – nur kein Richter, kein Anwalt, keine Institution ist für diesen Fall zuständig.
Es scheint als lasse uns eine Deklaration der Menschenrechte, „dieser Schmelztiegel höchst heterogener Art und Herkunft“ vor allem eines übersehen, nämlich „dieses eine Recht, ohne das keines von all den anderen Rechten realisierbar ist, das Recht, einem politischen Gemeinwesen zuzugehören“ (Arendt). Es scheint, als liegt die Deklaration der Menschenrechte als eine Art Schleier vor unseren Augen, als eine Art „phantasmatischer Schirm“, der uns den Blick auf das Tatsächliche verwehrt.
So wie im Zeitalter der Post-Politik eine Vielzahl von Experten und Sozialarbeitern für Sorgen und Probleme aller Art bereit steht und somit jedoch die eigentliche „metaphorische Universalisierung partikularer Forderungen“, das eigentliche Vordringen zur Wurzel des Problems verhindert, verblendet auch ein Katalog an als universal geltenden Menschenrechten den Blick auf deren Vielzahl an Verletzungen.
Kommentar: Johannes Greß
So so… wer schützt bitterschön dann unsere Menschenrechte???
Die BRD Politik hat sich schon lange von den eigenen Bürgern abgewandt…. Unsere Deutsche Gesellschaft löst sich langsam auf und verkommt durch den massiven multikulturellen Einfluss, denn dieser wird (aus Berlin) uns immer stärker aufs Auge gedrückt. Das geht übrigens schon seit dem 1990ern so.
Hatte uns vorher jemand gefragt ob wir das überhaupt wollen???
Und auch jetzt…hatte uns jemand überhaupt gefragt, ob wir für die 400.000 Flüchtlinge den Familiennachzug um den Faktor 4 bis 5 überhaupt akzeptieren? Schließlich müssen WIR STEUERZAHLER das alles Bezahlen!!! Ich will das alles aber nicht und ich lehne auch dieses „WIR SCHAFFEN DAS“ Gesülze konsequent ab.
Sorry, ich werde “meine“ Menschenrechte mit allen politisch und gesellschaftlichen mitteln die mir zu Verfügung stehen lieber selbst verteidigen!
Danke für den perfekten Steilpass Frau Grüber! Ach ab den 1990en merken sie, dass sich etwas verändert, na was war denn bis dahin: Es gab den Ostblock und das „Kapital“ musste mit ihren Lohnsklaven in den westlichen Gesellschaften etwas rücksichtsvoller umgehen. So konnten im Westen Bewegungen entstehen, die sich für Umweltverbesserungen oder Arbeitsverbesserungen einsetzten (wir knapperten mal an der 35 Stunden Woche, erinnern sie sich noch?), oder glauben sie, die sogenannte bürgerliche Mitte, die ordnungsgemäß ihre Steuern zahlt, war für solche Verbesserungen verantwortlich? Natürlich: Auch viele Menschen aus der Mitte haben sich in Sport/Kultur Vereinen gesellschaftlich engagiert.
Nun brauch es diese Zurückhaltung nicht mehr. Ganz offen kann auch in Deutschland ein riesiger Billiglohnsektor entstehen, mit der Bezeichnung Dienstleistung und Zeitarbeit. Das Kapital, kann die einzelnen westlichen Regierungen gegeneinander ausspielen in dem dessen Vertreter sagen: Also wenn es keine Gesetzesänderungen/lücken gibt, die uns zu sagen, gehen wir halt woanders hin. Noch viel gnadenloser ging das Kapital schon seit Jahrzehnten mit den Ländern der sogenannten zweiten und dritten Welt um, was den meisten Bürger bei uns egal war-aber nun setzen sich die Menschen von dort halt in Bewegung.
Sorry, ich werde “meine“ Menschenrechte mit allen politisch und gesellschaftlichen mitteln die mir zu Verfügung stehen lieber selbst verteidigen!
Sie sind wütend und trotzdem wählen sie ihre Worte noch aus, schimpfen nicht einfach nur herum, oder drohen plump. Wir mögen anderer Meinung sein, aber dafür achte ich sie!