Ein vor Freude strahlender, elegant und jung aussehender Mann betritt die Bühne. Beide Hände nach oben, Scheinwerferlicht, die Europahymne, Lächeln. Emmanuel Macron, Frankreichs Präsident. Der 39-Jährige ist nicht nur der jüngste Präsident der „Grande Nation“ – schon jetzt gilt er als der Retter Europas, als der Messias der Union. Nachdem sowohl Österreich als auch die Niederlande ein klares Bekenntnis zur EU ablegten, der Schock eines Brexit zumindest medial einigermaßen verdaut worden ist und die französische Variation à la Le Pen doch noch einmal abgewehrt werden konnte, scheint die Stimmung im Hause EU zumindest weit weniger getrübt als noch vor ein paar Monaten. Alles halb so wild, also!? Mitnichten. Mit Macron hat man bestehende Herausforderungen bestenfalls ein paar Jahre Richtung Zukunft geschubst.
Der „Verteidiger des europäischen Projekts“, Emmanuel Macron, mag zwar glühender Pro-Europäer sein; und Staatschefs quer durch Europa – allen voran Angela Merkel – mögen dessen fulminante Wahlsiege beklatschen. Grund zu überschwänglichem Optimismus bietet der ehemalige französische Wirtschaftsminister trotzdem nicht. Zum einen stimmten bei den Präsidentschaftswahlen viele der Wähler nicht für Macron, sondern schlichtweg gegen Le Pen. Zum anderen war die Wahlbeteiligung bei den im Juni abgehaltenen Parlamentswahlen mit 48,7 Prozent bezeichnend niedrig, im zweiten Wahlgang mit rund 43 Prozent sogar noch niedriger – gar die niedrigste Wahlbeteiligung seit Gründung der fünften Republik 1958. Macron und seine von einer Bewegung zur Partei umgemünzten „La République en Marche“ (zu deutsch: Die Republik in Bewegung) wurde zwar von der Mehrheit der Wähler gewählt – nicht aber von der Mehrheit der Franzosen.
Gewerkschaften im Land kündigten bereits unmittelbar nach den Wahlen Streiks an, sollte der 39-Jährige die Reformierung des Arbeitsmarktes (wie angekündigt) umsetzen. Und Bruno Cautrès, Politologe an der Universität SciencesPo in Paris, sprach bereits kurz nach Amtsantritt vom „Risiko einer potenziellen außerparlamentarischen Opposition, zum Beispiel auf der Straße“. Von Friede-Freude-Eierkuchen ist man in Frankreich auch unter Macron noch ein Stück weit entfernt.
Populismus ist keine „Krise“
Emmanuel Macron ist im Vergleich zu seiner rechtspopulistischen Gegenkandidatin Marine Le Pen ganz klar die bessere Alternative. Es war wichtig und richtig, dass die Franzosen zu gegebener Zeit ein deutliches Zeichen gegen die Politik des Front National gesetzt haben. Aber Macron deshalb zu huldigen, wäre falsch, wäre fatal – für Frankreich und für Europa. Der ehemalige Wirtschaftsminister ist nicht mehr und nicht weniger als das geringere Übel.
Bei all den „Krisen“ der Europäischen Union – und all jenen Herausforderungen, die als solche betitelt werden – gilt es eines zu verstehen: Der seit Jahren wieder verstärkt aufkeimende Rechtspopulismus ist keine dieser Krisen. Populismus ist ein bloßes Symptom dieser Krisen. Und für jede Stimme, die an einen Macron abgegeben wurde, wandert in fünf Jahren eine Stimme an eine Le Pen. Eine Lockerung des Kündigungsschutzes, Privatisierungen und Entlastungen für Unternehmen – kurzum: eine Politik, die den stabilitätspolitischen Göttern huldigt und vor allem Aktionären ein Lächeln ins Gesicht zaubert, war noch äußerst selten ein probates Mittel gegen eine populistische Rechte, die sich für die Interessen des „kleinen Mannes“ einsetzen.
Rechtspopulismus ist keine „Krise“, keine „Gefahr“, die, obwohl vorher nie dagewesen, plötzlich auftaucht und Europa zu zerschmettern droht. Populistische Parteien greifen Themen, die latent in einer Gesellschaft vorhanden sind – Ängste, Sorgen um Arbeit, Einkommen, Familie, Sicherheit und dergleichen – geschickt auf und projizieren diese auf einen „bedrohlichen Anderen“. Dieser „bedrohliche Andere“ kann mal Ausländer, mal Angehöriger einer wie auch immer definierten „Elite“ sein. Mal ist es die „Schickeria“ im eigenen Land, mal quasi-genetisch sozialschmarotzende Nordafrikaner, welche „dem Volk“ wahlweise Arbeitsplätze, Frauen oder Sozialleistungen wegstibitzen. Die „Lügenpresse“ tut dann alles Menschenmögliche, um diese Skandale zu vertuschen…
Brexit, Öxit, Nexit, Frexit
Diese Projektion auf den „bedrohlichen Anderen“ ist aktuell gerade deshalb so erfolgversprechend, weil diese vormals schlummernden gesellschaftlichen Ängste eben spätestens mit dem Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 aufgehört haben, latent zu sein. Auch in unserer wohlbehüteten „westlichen“ Gesellschaft sind Armut, Ausgrenzung und sozialer Abstieg wieder zu ernstzunehmenden Themen geworden. Der Einkommensunterschied innerhalb OECD-Ländern hat erst kürzlich die seit 50 Jahren bestehende Rekordmarke geknackt. Bei all dem Trubel um einen Sieg des „sozialliberalen“ Macron sollte nicht vergessen werden, dass sein „Sozialliberalismus“ genau der Untergrund ist, auf dem die populistische Rechte am besten gedeiht.
Schon vor dem Erfolg des ehemaligen französischen Wirtschaftsministers gesellten sich der österreichische Bundespräsident Alexander van der Bellen und der Niederländer Mark Rutte zu den „Pro-Europäern“. Nach der Horrorvision „Brexit, Öxit, Nexit, Frexit“ scheint zumindest die Rückkehr zu einem Europa der Nationalstaaten fürs erste vom Tisch.
Was bleibt, ist ein schwer wirtschaftlich gebeuteltes Griechenland (das der deutsche Finanzminister Schäuble unlängst das Tragen eines Fiskalkorsetts bis zum Jahre 2060 nahelegte), ein sich zunehmend schwieriger gestaltendes Verhältnis zur Türkei. Dann bleiben da noch die nach wie vor existierende Uneinigkeit darüber, wie man mit Migrationsbewegungen in Richtung eigenem Kontinent umgehen soll – und neben einigen weiteren Wehwehchen vor allem Uneinigkeit darüber, wohin man mit diesem Staatenverbund überhaupt hin will.
Quo vadis, Europäische Union?
Was der Europäischen Union fehlt, ist eine Vision. Eine Vision in Zeiten eines globalen Kapitalismus, in dem ein in dieser Form von der EU praktizierter, ideologieloser „liberal-demokratischer Universalismus“ nicht mehr ausreicht und – wie zu beobachten – unweigerlich demokratiefeindliche Bewegungen nach sich ziehen muss.
Wer seine eigene, europäische Universalität auf das bloße Ausüben von Toleranz reduziert und die bloße wirtschaftliche Integration eines Landes über alles andere stellt, erntet unweigerlich das, was sich einem derzeit in Persona von Orban, Le Pen, Wilders, Strache und Co. offenbart. Dass man sich auf einstige Verbündete nicht mehr in dem Maße verlassen kann, wie das über Jahrzehnte hinweg der Fall war , und dass sich im Osten mit China nicht nur ein ökonomisches, sondern auch politisches und kulturelles Schwergewicht immer mehr in den Vordergrund drängt, erhöht den globalen Druck auf Europa. Auf einen Kontinent, dem es derzeit an Selbstbewusstsein mangelt. Dieses Selbstbewusstsein aber ist überlebenswichtig. Oder mit den Worten des belgischen Europaparlamentariers Guy Verhofstadt gesprochen: „Mit Trump und seinem eher nebulösen Bekenntnis zur EU ist es höchste Zeit, dass Europa sich neu erfindet, enger zusammenrückt. Wenn wir diesen Schritt nicht schaffen, werden wir die EU verlieren.“
Im permanenten Krisenmodus
Europa ist der Kontinent mit den weltweit funktionstüchtigsten Sozialsystemen, den weltweit größten Vermögen – weit vor den USA, Japan und China. Zurecht werfen einige die Frage auf, wie sich diese Union – trotz so günstiger Vorzeichen – in einem Zustand der permanenten Krise befinden kann. Das liegt zum einen an einer grundlegenden Fehlkonzeption der Europäischen Union, die bereits in den Römischen Verträgen manifestiert wurden. In den meisten Gremien der EU sind die Hürden zur Konsensfindung enorm hoch, in vielen Fällen ist zur Beschlussfassung sogar Einstimmigkeit der (noch) 28 Mitgliedsstaaten notwendig. Dass sich der Europäische Rat – bestehend aus den einzelnen Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten, welche nicht öfter als fünf oder sechsmal jährlich zusammentreffen und dabei, wenn möglich, auch noch eine einstimmige Beschlussfassung anpeilen – immer wieder nationale Interessen in den Vordergrund stellt, statt eine gemeinsame, europäische Richtung festzulegen, ist wenig verwunderlich.
Es geht – wenn’s brennt
Dass die EU durchaus handlungsfähig ist, zeigt sich am Beispiel der Banken-Union. Vormals nationale Kompetenzen einer Bankenaufsicht auf eine europäische Institution zu übertragen, galt lange Zeit als unsag- und undenkbar. Dass die Banken-Union im Mai 2014 dann doch Realität wurde, hatte einen ganz einfachen Grund: Das Fortleben des gesamten Euro-Raums stand auf dem Spiel. Dass die Europäische Union immer nur dann in die Gänge kommt, wenn eine Krise ins Haus steht, belegt eine Studie des Instituts für europäische Integrationsforschung der Universität Wien. Diese Studie attestiert der EU ein „Konglomerat an Krisen, die miteinander funktional und zeitlich verbunden“ sind. Demnach ist die ansonsten eher träge Union vor allem dann zu Reformen bereit, wenn drei Bedingungen erfüllt sind:
- „Bedrohliche Verschlechterung des Zustandes im Politikfeld,
- mit negativen Konsequenzen für (fast) alle Mitgliedsstaaten, und
- enge zeitliche Limits, um ein mögliches Kippen des (mindestens sektoralen) Systems noch zu verhindern“
Kurzum: Ein bisschen lodern reicht nicht – nur dann, wenn’s wirklich brennt, kommt auch die Feuerwehr.
„Europa ist allein, ja, aber allein Europa kann uns retten“
Wie also könnte eine Union in Zukunft aussehen? Eine handlungsfähige Union? Eine Union mit Vision? Eine EU, die auch weiterhin sowohl ökonomisch als auch politisch und kulturell im geopolitischen Sandwich zwischen USA und China Bestand haben will. Eine Union, die eine attraktive Alternative zum populistischen Phrasengedresche bieten möchte, muss eine positive Vision entwerfen, die über das Verwalten von bloßen Wirtschaftsinteressen hinausgeht.
Eine Entwicklung hin zu einer politischen, föderal-parlamentarischen Union darf nicht länger Tabuthema sein. Auch über eine Vergemeinschaftung von Schulden auf europäischer Ebene muss gesprochen werden. Was nützt eine gemeinsame Währung, wenn Kredite an einzelne Mitgliedsländer weiterhin zu grundverschiedenen Konditionen vergeben werden? Um zu vermeiden, dass sich Großunternehmen immer dort niederlassen, wo der Steuerlimbo gerade am weitesten fortgeschritten ist, muss in diesem Rahmen ebenso über eine einheitliche Körperschaftsteuer diskutiert werden. Auch eine europäische Vermögenssteuer, wie diese etwa der französische Ökonom Thomas Piketty ins Spiel brachte, muss Teil einer solchen politischen Union sein.
Last but not least muss die Handlungsfähigkeit der EU mittels einer grundlegenden Umstrukturierung der einzelnen Gremien und Institutionen ganz oben auf der Agenda stehen. Eine Union, die sich durch Vetos und fehlenden Mehrheiten selbst auf den Füßen steht, schaufelt sich ihr eigenes Grab. „Europa ist allein, ja, aber allein Europa kann uns retten“, bekundete unlängst der französische Soziologe und Philosoph Bruno Latour.
Kommentar: Johannes Greß
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Jubel, Trubel, Eitelkeit: Die EU-Kolumne von Johannes Greß
„Offene Grenzen, krumme Gurken, Wohlstand für Alle: Wohin, und wenn ja, wie viele?“ Hog’n-Mitarbeiter Johannes Greß wirft einmal im Monat einen Blick nach Brüssel, analysiert das Geschehen aus EU-Perspektive und gibt seine eigene Sicht auf den Lauf der Dinge wieder. (Dieser Artikel erschien in leicht veränderten Form auch auf www.2seitig.at)
Bezüglich Populismus:
Wer tatsächlich glaubt dass Emmanuel Macron der Rettungsengel der Franzosen jetzt ist, der wird sich schon in einigen Jahren über seine Reformen und der#en Auswirkungen sehr wundern.
Längere Arbeitszeiten und erst deutlich später in Rentenbezug marschieren sind dort mit Sicherheit nicht so leicht umzusetzen.
Lt. seinen aussagen, bewundert er ja auch das Harz4 Gesetz der BRD und das möchte er auch in seinem Land so schnell wie möglich einführen.
Ich prophezeie heute schon… es werden dann in Frankreich die Strassen brennen und die gesamte Infrastruktur wird ebenfalls zum erliegen kommen. Die sind eben nicht die dummen Deutschlandbürger die alles was Berlin diktiert über sich ergehen lassen und bei allem JA & AMEN sagen.
Sie sind ein Revolutionsvolk und das werden sie auch in aller Öffentlichkeit der Welt bald beweisen.
Und sorry, wer Marine Le Pen jetzt als eine reine Populistin abstempelt der hat, die Probleme die Frankreich besitzt, nicht verstanden bzw. ignoriert sie weiterhin! Sie ist in meinen Augen auch die einzige in Frankreich, die die Problematik (nicht wie all die anderen) in ungeschönter Realität offen ausspricht. In den Augen der Presse ist man dann natürlich Populist. Doch mir ist lieber wenn man offen und ungeschönt die Missstände anspricht und nicht alles gleich kleinredet bzw. relativiert und bezogen auf die übermäßige und absolut ungezügelte Einwanderungspolitik nicht gleich mit den französischen Kolonien als Vorwand argumentiert. Da ist mir persönlich so manch bezeichneter Populist viel sympathischer als die dauernden wischi-waschi Relativierungsanstrengungen vieler Politpäpste.
das zu allem JA & AMEN sagen, zu dem was Politiker die sich selbst bei jeder Gelegenheit fett und feist stopfen diktieren, ist vielen und wird vielen Deutschen schlecht bekommen hier einige Beispiele:
kürzlich auf HartzIV org zu lesen:
Hartz IV Sanktionen gnadenlos – auch gegen Familien mit Kindern
oder
Kein Hartz IV Schonvermögen: Eltern müssen Haus verkaufen
oder
Laut einer Meldung (basierend auf einer Berechnung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsfoschung) verzichten 3,1 – 4,9 Millionen Antragsberechtigte auf Hartz IV und leben so in verdeckter Armut. Herrscht doch in diesen Ämter ein unhöflicher und oft menschenunwürdiger Ton. Hinzu kommt das Drohzenario, das in diesen Ämtern aufgebaut wird und so manchen Anspruchsberechtigten davon abhält, zum JobCenter zu gehen.
oder
In Deutschland gibt es immer mehr Menschen, die in Armut leben. Dabei sind nicht nur Erwerbslose stark von Armut betroffen, sondern auch immer mehr Alleinerziehende.
kürzlich war zu lesen:
„Ein Fünftel der Bevölkerung in Deutschland – und damit rund 16,1 Millionen Menschen – waren einer Statistik zufolge im vergangenen Jahr von Armut oder sozialer Ausgrenzung konfrontiert.“
während man sich in Deutschland über Erdogan in der Türkei oder über die Justizreform in Polen empört,
führt Bayern still und leise die Unendlichkeitshaft ein.
In Bayern gibt es künftig eine Haft, die es nirgendwo sonst in Deutschland gibt. Sie heißt hier offiziell, wie in anderen Bundesländern auch, Gewahrsam; auch Vorbeugehaft wird sie genannt. In Wahrheit ist sie Unendlichkeitshaft.
In Bayern kann man künftig, ohne dass eine Straftat vorliegt, schon wegen „drohender Gefahr“, unbefristet in Haft genommen werden. Da nimmt sich vergleichsweise das schludrige Prozedere, mit dem einst Gustl Mollath in der Psychiatrie festgehalten wurde, schon fast vorbildlich aus.
Bisher konnte die Vorbeugehaft in Bayern bis zu 14 Tage dauern, länger als anderswo. Künftig aber, nach der Reform des Polizeiaufgabengesetzes, können diese 14 Tage ewig dauern; es gibt keine Höchstfrist mehr und die richterliche Kontrolle ist sehr unzureichend.
Auch wenn die CSU im Zusammenhang mit dem Gefährder-Gesetz immer wieder über Terroristen oder Extremisten spricht, tauchen diese Begriffe in den konkreten Gesetzesänderungen nicht auf. Das Gefährder-Gesetz kann somit auf jede beliebige Person im Freistaat angewendet werden. Dass sich angesichts dessen, wozu die Polizei so ermächtigt wurde, bei der Opposition kaum Protest regte, ist bemerkenswert.
Jede Diktatur wird wohl jetzt vor Neid erblassen, ob der Möglichkeiten die Bürger wegzusperren und zu terrorisieren wie es jetzt in Bayern möglich ist!