Freyung. Die Zahl der Drogentoten steigt. Im Jahr 2015 ließen in den 28 Mitgliedsstaaten der EU (plus Türkei und Norwegen) 8.441 Menschen in Folge einer Überdosis ihr Leben. Dies teilte jüngst die Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht der Europäischen Union (EMCDDA) mit und verweist darauf, dass diese Zahl im Vergleich zu 2014 um sechs Prozent höher liegt. Doch nicht nur innerhalb der EU fallen immer mehr Menschen aufgrund ihres übermäßigen Konsums von Heroin, Crystal Meth, Kokain & Co ihrer Sucht zum Opfer. Auch in der Kreisstadt Freyung gab es zuletzt drei Drogentote zu beklagen: Ein 38-Jähriger, ein 42-Jähriger sowie dessen 29-jährige Freundin starben in Folge ihres langjährigen Rauschgiftmissbrauchs – und dies innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums von nicht einmal drei Monaten.
„Ich werd dich vermissen alter Freund! Du warst wenigstens noch ein Mensch, der wusste, was es heißt Herz zu besitzen, Respekt zu zeigen, zu teilen und ein revolutionäres Dasein führen wollte! Die Guten gehen leider oft zu jung!“ – diese Botschaft hat ein Bekannter des 38-Jährigen auf dessen öffentlich zugänglichem Facebook-Profil hinterlassen. Hog’n-Informationen zufolge war der Freyunger – in der Kreisstadt ein durchaus bekanntes Gesicht – bereits seit einiger Zeit drogenabhängig. Am 24. März nahm sein Leben ein Ende. Dass es sich bei dem Verstorbenen nicht um einen zurückgezogen lebenden Junkie handelte, der sein Dasein im gesellschaftlichen Abseits fristete, zeigen die zahlreichen Kondolenzeinträge auf seinem Facebook-Profil.
Im Landkreis Freyung-Grafenau nehmen Drogendelikte zu
Doch warum hat es in Freyung in letzter Zeit verhältnismäßig viele Drogentote gegeben? Wer kümmert sich eigentlich um die Süchtigen – egal, ob drogen- oder alkoholabhängig? Und: Wie kann diesen Menschen rechtzeitig geholfen werden? Wie kann es verhindert werden, dass sie sich selbst ins Nirvana befördern? Zunächst einmal lässt sich feststellen, dass die Rauschgiftkriminalität im Landkreis Freyung-Grafenau zugenommen hat. Im Sicherheitsbericht des Polizeipräsidiums Niederbayern wird aufgezeigt, dass Delikte in diesem Bereich 2016 im Vergleich zum Vorjahr von 125 auf 158 gestiegen sind. Während die Verbreitung von Cannabis rückläufig sei, gewinne vor allem die „Modedroge“ Crystal immer mehr an Bedeutung.
Eine Entwicklung, die auch die Polizeiinspektion Freyung beobachtet. Auf Hog’n-Nachfrage erklärt Pressesprecher Walter Hoffmann: „Die Bekämpfung der Drogenkriminalität gehört zu den grundlegenden Aufgaben jedes Polizeibeamten. Bei Kontrollen wird daher prinzipiell von jedem Beamten auch der Drogensektor miteinbezogen.“ Obwohl jeder Polizist dazu angehalten sei, möglichen Rauschgiftdelikten nachzugehen, gebe es innerhalb der Inspektion auch einige Beamte, die eine Affinität zur Aufklärung jener Delikte entwickelt hätten, informiert Hoffmann. Entdecken die Beamten Drogen jedweder Art, erstatten sie gegen die Besitzer Anzeige, sichern Beweise und leiten alles Nötige an die Staatsanwaltschaft weiter. Dort werden die sichergestellten Aservaten nach dem Ende des Verfahrens vernichtet, weiß Hoffmann.
Wer kümmert sich um die „kleinen Abhängigen“?
So also gestaltet sich die polizeilich-juristische Vorgehensweise bei Drogendelikten. Doch gibt es auch öffentliche Stellen, die sich um Abhängige kümmern, welche mit Rauschgift nicht das große Geld verdienen möchten, sondern in erster Linie deshalb Drogen konsumieren, um ihrer Sucht nachzukommen? Nachgefragt beim Landratsamt Freyung-Grafenau berichtet Sprecher Karl Matschiner, dass seine Einrichtung hinsichtlich der Anzahl von Drogentoten keine Angaben machen könne. Auch eine Wertung der dem Hog’n vorliegenden Zahlenmaterial möchte die Behörde nicht abgeben. „Das Gesundheitsamt am Landratsamt Freyung-Grafenau übernimmt vor allem den Anteil der Drogenprävention. Es besteht ein breites, niederschwelliges Informations- und Aufklärungsangebot für Schüler und Jugendliche in Form von Workshops, Vorträgen, Ausstellungen an Schulen und sonstigen Gemeinschaftseinrichtungen.“
Drogenabhängige würden durch das am Landratsamt ansässige Gesundheitsamt nicht aktiv ausfindig gemacht und gelistet. Dies falle nicht in den Aufgabenbereich der Behörde, macht Matschiner deutlich und verweist auf die Caritas Freyung-Grafenau, die in Sachen „psychosoziale Suchtberatung“ aktiv sei. Was man unter diesem Begriff verstehen darf, erklärt Caritas-Pressebeauftrage Claudia Grimsmann gegenüber dem Onlinemagazin da Hog’n anhand eines Flyers. Darin heißt es unter anderem: „Die Psychosoziale Suchtberatung ist eine Anlaufstelle für Menschen mit eigener Suchtproblematik und deren Angehörige sowie alle, die mit dieser Thematik konfrontiert sind.“
Offene Gespräche und Gruppenarbeit sollen bei der Bewältigung von Problemen helfen. Genaue Angaben hinsichtlich der Zahl der Drogenabhängigen im Landkreis Freyung-Grafenau könne die Caritas nach eigener Aussage nicht machen. Nur so viel: Rund 300 Personen nehmen jährlich an der Caritas-Suchtberartung teil – dazu zählen jedoch nicht nur die Abhängigen selbst, sondern auch deren Angehörige. Streetworker, die aktiv auf offensichtlich Süchtige zugehen, sie ansprechen und versuchen, sie in eine entsprechende Richtung zu lenken, gebe es in der Region keine.
Was bleibt: Traurige Kondolenz-Worte bei Facebook
Zusammenfassend lässt sich feststellen: Süchtige – egal ob Drogen, Alkohol oder ähnliche Suchtmittel – müssen in erster Linie von sich aus ihre Problematik erkennen und sich bewusst für eine Hilfestellung von außen entscheiden. Abhängige, die sich in einem Dauerdelirium befinden und meist längst ihr Alltagsbewusstsein verloren haben, bleiben sich selbst überlassen. So wie die drei Menschen aus Freyung, die in Folge ihres Drogenkonsums gestorben sind. Die Dunkelziffer dürfte sowohl bei den Drogentoten als auch bei denjenigen, die aufgrund ihrer Alkoholsucht ums Leben kommen, hoch sein. „Einzelschicksale“, die das Ausmaß der Sucht-Problematik schonungslos offenlegen. Problemfälle, bei denen die Gesellschaft – oftmals bewusst – wegschaut. Zurück bleiben hilflose Angehörige und Freunde. Auf dem Facebook-Profil der 29-Jährigen, die Ende Februar verstorben ist, schreibt ein fassungsloser Bekannter: „Ich kanns irgentwie nicht wirklich glauben. Das mir schon wieder ein Mensch der mir viel bedeutet aus dem leben gerissen wurde!!“
Helmut Weigerstorfer
Kommentar zum Thema:
„Das Problem sind nicht die Kranken, sondern die Gesunden“ sagt Psychiater Dr. Lütz aus Köln.