Finsterau/Passau/Mauth. Dampfmaschinen, zahnradgetriebene Mechanik, viktorianische Kleider, messingbeschlagene Taschenuhren und metallene Schutzbrillen. Die beiden Passauer Leni (26) und Christian Hertel (38) haben ein Faible für alles, was mit Steampunk zu tun hat. Steampunk? Was war das gleich nochmal? Ein Phänomen, das in den 1980ern erstmals in Erscheinung trat und sich nach und nach zu einer Subkultur entwickelte. Eine besondere Rolle spielt dabei das äußere Erscheinungsbild ihrer Anhänger, die sich meist im schwarz-gekleideten Retro-Look unter ihresgleichen tummeln. So geschehen auch bei der wohl allerersten Steampunk-Hochzeit, die im Bayerischen Wald, genauer gesagt im Freilichtmuseum Finsterau, am vergangenen Wochenende stattfand. Leni und Christian feierten gemeinsam mit 120 geladenen Gästen im Steampunk-Outfit und allem, was das Herz eines Steampunkers höher schlagen lässt, dort ihre Vermählung. Black (and white) is beautiful!
„Alle waren sie ausnahmslos im Steampunk-Outfit gekommen“, zeigt sich Braut Leni nur wenige Tage nach der Hochzeit immer noch ganz aus dem Häuschen. Neben den Familienangehörigen waren auch Freunde und Bekannte aus Berlin, Frankfurt, Kassel und Thüringen angereist, um bei dem extravaganten Ehezeremoniell mit dabei zu sein. Sogar Lenis Oma aus Waldkirchen schmiss sich in Steampunk-Schale – und zog neben den Blicken der Hochzeitsgesellschaft auch die aller weiteren Museumsbesucher auf sich. „Sie hatte sich zunächst a bisserl geziert“, berichtet die gelernte Physiotherapeutin mit einem Schmunzeln. Doch dann sei sie total begeistert gewesen von ihrem Kostüm, das aus einem engen, schwarzen Rock und einer Spitzenbluse bestand. „Sie sah total elegant aus – wie eine richtige Dame“, erinnert sich Leni verzückt.
„Keiner kam sich irgendwie doof in den Klamotten vor. Im Gegenteil: Jeder konnte sich chic anziehen und in ein außergewöhnliches Outfit seiner Wahl schlüpfen.“ Ob nur mit einem schwarzen Zylinder auf dem Kopf, ob nur mit einem viktorianischen Rock ausgestattet oder in Voll-Montur mit selbstgebauter Steampunk-Knarre am Halfter – jeder Hochzeitsgast konnte selbst entscheiden, wie viel Steampunk er für angebracht hielt oder nicht.
Keine Spur von Schweinelendchen mit Spätzle
„Wir hatten im Vorfeld eine auf alt gemachte Zeitung erstellt. 28 Seiten groß – das war gleichzeitig unsere Hochzeitseinaldung an unsere Gäste, in der wir ihnen das Phänomen Steampunk nochmal anhand vieler Bilder erklärt haben. Die Klamotten selbst gab’s u.a. im Internet zu kaufen oder direkt im Gothic-Shop eines befreundeten Pärchens aus Eisenbernreuth bei Perlesreut. „Einige haben ihr Outfit auch selbst aus eigenem Bestand zusammengestellt.“ Ebenso veranstalteten die Hertels ein paar Wochen vor der Hochzeit ein Come-Together, bei dem Schweißerbrillen im Steampunk-Look für das Event in Finsterau gebastelt werden konnten.
Von einer klassischen Hochzeit mit Brautstehlen, Schweinelendchen mit Spätzle und „bräutigämlichem“ Holzscheidl-Knien waren die Hertels, die in Passau eine gemeinsame Naturheilpraxis betreiben, dann auch ziemlich weit entfernt. Der Tag begann – anstelle des Kirchgangs – mit einem schamanischen Naturritual, bei dem die Hochzeitsgesellschaft inmitten des Freilichtmuseums kreisförmig um das Brautpaar aufgreiht stand, dessen Hände nach altem Brauch mit einem Band umwickelt wurden. Als Zeichen tiefer Verbundenheit. Anschließend wurden die Ringe getauscht, begleitet von viel Gesang, Geraschel und Getrommel. Zum Schluss gab’s ein Baumritual mit einem Ginkgo-Baum, an dessen Zweigen die Wünsche fürs Brautpaar mit bunten Seidenbänder angebracht wurden.
„Danach wurden wir standesamtlich getraut“, erzählt Leni mit glänzenden Augen. Mauths Bürgermeister Ernst Kandlbinder übernahm dabei die Rolle des Steampunk-Standesbeamten – mit Gehrock und Zylinder. „Er hat darin sehr gut ausgesehen und super zu uns gepasst.“
Nachmittags folgte ein Art Spiel, bei dem sich jeder Teilnehmer den für sich schönsten Platz im Museumsdorf aussuchen durfte. „Von dort sollte er von sich ein Foto machen und uns schicken. Daher haben wir auch so viele schöne Bilder von all den Menschen in ihren Kostümen bekommen.“ Nach dem abendlichen Festessen im Salettl des Freilichtmuseums – das Brautpaar hatte auf eigenen Wunsch vegetarische Kost kredenzt – beglückten einige der Hochzeitsgäste die frisch Vermählten mit musikalischen Darbietungen. „Im Open-Stage-Modus waren dann irgendwann viele Freunde und Bekannte auf der Bühne und machten gemeinsam Musik in den unterschiedlichsten Stilen.“
„Die Stimmung, die Leute, das Ambiente – alles war bestens“
Das Salettl entpuppte sich dabei als optimale Location, denn: Die ehemalige Trinkhalle bei der Gastwirtschaft des Mathias Späth in der Gemeinde Beiderwies bei Passau, die 2010 abgetragen und 2013 im Freilichtmuseum wieder aufgebaut wurde, stammt aus den 1880er Jahren. „Damit fällt das Salettl ins viktorianische Zeitalter, an die sich der Steampunk anlehnt“, sagt Leni Hertel. „Das hat super gepasst.“ Die generelle Entscheidung fürs Freilichtmuseum Finsterau als Hochzeitslocation fiel ohnehin ganz bewusst. Die 26-jährige Physiotherapeutin hatte bei einem Arbeitseinsatz in Hohenau einige Patienten kennengelernt, die selbst im Museum schon einige Häuser wieder aufgebaut hatten. „So bin ich drauf gekommen.“
Den krönenden Abschluss bildete eine spektakuläre Feuershow, bei der Braut Leni im Mittelpunkt stand. Die 26-Jährige wirbelte dabei mit brennenden Stäben, Kugeln und Seilen umher, sodass sich einzigartige Muster und Formen im Dunkel der Nacht abzeichneten. Über Lenis Feuerkünste kam auch der Kontakt zu Hog’n-Fotograf Georg Knaus zustande, der sie und ihre Mitstreiter der Feuershow-Truppe „Avalon Fire“ schon häufiger im Rahmen des alljährlichen Freyunger Schlossfests abgelichtet hatte. Über die gemeinsame Begeisterung für die Steampunk- und Gothic-Szene ist mittlerweile eine Freundschaft entstanden, die letztlich zum Engagement des bekannten Freyunger Naturfotografen für Lenis und Christians Hochzeit führte.
„Sind uns vorgekommen wie in einer anderen Welt“
„Die Vorfreude auf das Fest war riesengroß“, berichtet Georg Knaus, der freilich auch im Steampunk-Outfit antanzte. Tags zuvor weilte dieser noch auf einer Hochzeit in Polen und musste sich somit beeilen, um rechtzeitig nach Finsterau zu gelangen. „Der Aufwand hat sich doppelt und dreifach gelohnt. Die Stimmung, die Leute, das Ambiente, die Kleidung, das Essen, die Musik, die Gespräche – alles war bestens.“
Dem können die Hertels nur beipflichten. „Alle Leute habe sich an die Kleiderordnung gehalten und ich hab’s so schön gefunden, als wir nachmittags durchs Museumsdorf gegangen sind, als wir mit unserer Hochzeitsgesellschaft nahezu allein waren. Wir sind uns vorgekommen wie in einer anderen Welt“, schwärmt Leni.
Text: Stephan Hörhammer
Fotos: Georg Knaus / Hertel