Viechtach. Beinahe im Stundentakt erreichen die Hog’n-Redaktion E-Mails aus Viechtach – Freitagabend, Samstagnachmittag, Sonntagvormittag, Sonntagnacht. Allein die Frequenz der Mitteilungen macht deutlich, dass der Inhalt eine gewisse Brisanz birgt: Es geht um das Semmlerhaus im Ortskern der Stadt. Das historische Gebäude soll abgerissen werden, wogegen sich Stadtplaner Peter Haimerl mit aller Vehemenz wehrt – und gar mit seinem Rücktritt droht, sollte das frühere „Stadttor-Haus“ verschwinden. Im Interview mit dem Onlinemagazin da Hog’n erklärt der 55-Jährige, der als freiberuflicher Architekt seit zwei Jahren an der Wiederbelebung der Stadt Viechtach arbeitet, warum dem Semmlerhaus in seinen Planungen eine Schlüsselrolle zukommt. Er spricht außerdem über die hitzige Diskussion rund um das 200 Jahre alte Gemäuer und warum es bei diesem Projekt „um jede Sekunde geht“.
Herr Haimerl, wie verlief die von Ihnen einberufene Pressekonferenz zum geplanten Abriss des Semmlerhauses am Montagvormittag?
Hervorragend. Ich bin nach Viechtach gekommen und dachte, die Geschichte mit KDK und Heimatloft sei vorbei. Es hat jedoch eine erstaunliche Wendung gegeben, sodass momentan weiterhin eine Basis für eine Zusammenarbeit besteht.
Warum liegt Ihnen dieser alte, zerfallene Bau so am Herzen?
Viechtach ist eine sehr attraktive Stadt – vor allem aufgrund ihrer historischen Struktur. Viechtach hat aber – wie wohl keine andere Stadt im Bayerischen Wald – ihre historische Substanz zerstört. Um jedoch einen Ort zu entwickeln, in dem man gerne lebt und sich wohlfühlt, braucht es mehr als nur neue, moderne Gebäude. Deswegen ist es wichtig, dass gewisse Atmosphärengeber – wie jene alten Häuser – erhalten bleiben.
„Ein Parkplatz! Das muss man sich erst einmal vorstellen“
Viel entscheidender ist jedoch unser gemeinsames Ziel: Mit dem Landesamt für Denkmalpflege haben wir ein deutschlandweit einzigartiges Projekt ins Leben gerufen – das Kommunale Denkmal-Konzept (KDK). Die Stadtentwicklung wird dabei auf der Grundlage historischer Daten und Gegebenheiten vorangetrieben. Hinzu kommt das zweite Werkzeug, das sogenannte Heimatloft. Bauwerke, die unter diesem Namen laufen, sollen junge Leute nach Viechtach locken. Und gleichzeitig in den unteren Stockwerken, in den Läden, frische Unternehmen beherbergen. Hier kommt es vor allem auf eine gesunde Mischung aus alten und neuen Gebäuden an.
Um dies alles umsetzen zu können, braucht man historische Substanz. Eine Schlüsselposition nimmt hierbei das Semmlerhaus direkt an der Einfahrt zum Stadtplatz ein. Dieser Bau aus dem 18. Jahrhundert ist aufgrund seiner Vergangenheit und seiner Lage besonders wertvoll. Es beinhaltet ein Tonnengewölbe sowie eine Werkstatt aus der Barockzeit. Ein Prototyp eines Gebäudes, das man modern gestalten und somit für junge Leute attraktiv machen könnte.
Nach einem Jahr Bestandsaufnahme ist das Semmlerhaus das erste Projekt, das in Angriff genommen werden sollte. Und diesen Startpunkt unserer Zusammenarbeit setzen wir dann sogleich mit dem Abriss eines der wichtigsten Häuser und den Bau eines Parkplatzes an gleicher Stelle um? Ein Parkplatz! Das muss man sich erst einmal vorstellen. Wir stellen also gleich zu Beginn unser gemeinsam ausgearbeitetes Grundkonzept in Frage…
Sie sprechen in ihren Mails an die Medien von einer Finte der Viechtacher Stadtverwaltung, die eine Straßensperrung nicht bekannt geben könne, um den Abriss ungestört durchzuführen. Ist das nicht ein Vertrauensbruch Ihres Arbeitgebers?
Nein, ich habe mittlerweile erfahren, dass der ursprünglich geplante Abrissbeginn von Montag auf Mittwoch verschoben wurde. Da es bei diesem Projekt um jede Sekunde geht, liegen die Nerven bei allen Beteiligten blank. Inzwischen habe ich wieder den Eindruck, dass die Stadtverwaltung im Sinne der Erhaltung des Semmlerhauses agiert. Ich würde mir wünschen, dass die Zusammenarbeit mit der Stadt noch enger ist als bisher. Das, was wir hier in Viechtach vorhaben, kann man nur umsetzen, wenn maximales Vertrauen besteht. Wenn ich in alle Maßnahmen miteinbezogen werde. Unser Konzept muss von allen mitgetragen werden. Das ist ganz wichtig.
„Auf solche Kinkerlitzchen lasse ich mich gar nicht ein“
Sie stehen deshalb auch nach wie vor zu Ihrer Aussage, dass sie als Stadtplaner zurücktreten, sollte das Semmlerhaus abgerissen werden?
Sollte ich den Eindruck gewinnen, dass die Bedeutung der Erhaltung wichtiger historischer Stadtbausteine nicht den nötigen Stellenwert einnimmt, ist eine Fortführung meiner Tätigkeit schwer vorstellbar. Momentan agiert die Stadtspitze allerdings in diesem Sinne, sodass ich hier abschließend noch keine Aussage machen kann.
Der Besitzer des Semmlerhauses, Bernhard Degen, kritisiert in einem Schreiben an die Medien, dass Sie in einem entsprechenden Bericht gegenüber der Tageszeitung behauptet haben, es gebe Interessenten für das Gebäude. Er schreibt, dass es sich dabei um eine Lüge handelt und behält sich rechtliche Schritte vor. Ihre Meinung dazu?
Diese Aussage hat mich schon sehr verwundert. Denn ist es wirklich so, müsste er auch Bürgermeister Wittmann, der dasselbe gesagt hatte, der Lüge bezichtigen. Ich habe keine Ahnung, warum Herr Degen das geäußert hat. Aber ich will mich auf solche Kinkerlitzchen gar nicht einlassen. Das ist nicht mein Niveau.
Die BR-Abendschau berichtete über den „letzten Rettungsversuch“ des Semmlerhauses:
Mit Dr. Stefan Brücklmayr glaubt ein weiterer Mail-Verfasser, dass Ihr Kampf um das Semmlerhaus eine PR-Aktion ist, die „populistisch-manipulativ wirkt, um Einzelpersonen, Gruppen und Institutionen anzuprangern“. Was entgegnen Sie ihm?
Wir befassen uns hier mit einem Stadt-Projekt. Es geht also nicht, wie oft kolportiert, um reine Privatinteressen. Ein Haus in einer derartig exponierten Lage betrifft die Allgemeinheit. Auf diese Tatsachen muss man ausdrücklich hinweisen. Denn das ausschließliche Verfolgen von Einzelinteressen hat in der Vergangenheit verhindert, dass eine gemeinschaftliche Stadtentwicklung unter Berücksichtigung der Interessen aller Bürger stattfinden konnte.
Zur Seite springt Ihnen Kulturjournalistin Ines Kohl aus Viechtach, die in einem offenen Brief an Bürgermeister Wittmann ebenfalls den Erhalt des Semmlerhauses fordert. Wie nehmen Sie generell die Diskussion rund um den geplanten Abriss wahr?
Ehrlich gesagt lese ich grundsätzlich keine Zeitungen und schau mir auch keine TV-Berichte zu diesen Themen an, weil ich mich nicht beeinflussen lassen will. Ich bin nun seit mehr als 20 Jahren in diesem Geschäft aktiv – eine derart stressige Zeit wie in den vergangenen Tagen hatte ich jedoch bis dato nicht erlebt.
„… hätte ich dieses Interview gar nicht mehr geführt“
Sie haben in Aussicht gestellt, Kameras installieren zu lassen, um den möglichen Abriss des Semmlerhauses zu dokumentieren. Welchen Hintergrund hat diese Vorgehensweise?
Es sind und werden keine Kameras installiert. Aber natürlich ist uns daran gelegen, dass der Abbruch dokumentiert wird. Wir leben in einer medialen Gesellschaft, die Bilder sehen will. Wenn man einen möglichen Abriss auf diese Art und Weise dokumentiert, kann man auch in etlichen Jahren nachvollziehen, was geschehen ist. Außerdem haben die Bürger ein Recht darauf zu erfahren, was mit dem Haus passiert. Man wird dann irgendwann vielleicht einmal sehen, was man verloren hat, wenn dort dann ein Parkplatz steht.
Letzte Frage: Wird das Semmlerhaus abgerissen – oder nicht?
Wenn ich glauben würde, dass das Haus abgerissen wird, hätte ich dieses Interview gar nicht mehr geführt. Als Viechtacher wird Herr Degen es der Stadt nicht antun und dieses Gebäude verschwinden zu lassen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Interview: Helmut Weigerstorfer
Wenn ich lese „der ursprünglich geplante Abrissbeginn ist von Montag auf Mittwoch verschoben worden“ und man möchte „dort einen Parkplatz bauen“, dann erinnert mich das sehr an fast die gleiche Situation (die nur wenige Jahre zurückliegt) in Freyung.
Da stand mal ein wunderschönes Haus am Waldvereinsweg am jetzigen Rosenium.
Es sollte für den bau des Rosenium abgerissen werden doch viele Bürger sind gegen den Abriss gewesen so das man überlegte das Haus unter Denkmalschutz stellen zu lassen.
Als aber der Freyunger Rathauschef davon erfuhr, wurde das unverzüglich zur Chefsache gemacht und das schöne alte Haus in einem mehr oder minder hauruckverfahren über Nacht dem Erdboden gleich gemacht worden.
Man wollte eben nicht zulassen, dass das Haus unter Denkmalschutz kommt, so hätte nämlich die Gemeine es nicht mehr abreißen dürfen.
Einfach Unglaublich wie die Führenden Köpfe sich ihrer Verantwortung entziehen wollen, indem man meint, altes einfach abreisen zu können…
SCHÄMT EUCH!
Meine Mutter war eine Semmler und ist dort aufgewachsen.Ich habe einen Teil meiner Kindheit dort drinnen verbracht. Aber aus heutiger Sicht kann man in dem Haus unmöglich noch wohnen. Es ist zu wenig hoch, finster und die Toiletten sind im ersten Stock aussen. Wer gegen den Abriss ist soll doch da drinnen wohnen.
@Alexandra Gruber:
Wieso hat sich seit Jahrzehnte niemand um das Haus gekümmert?
Warum hat keiner investiert und es „geschützt“?
Wenn es so erhaltenswert ist, warum investieren Sie nicht zusammen mit anderen Befürwortern in den Erhalt, bzw. den Kauf dieses Anwesens?
Sollte es heutzutage üblich sein, daß man als Aussenstehender sich das Recht nimmt, über die Verwendung von Privateigentum eines anderen zu entscheiden?
@Otto Fischl
FALSCH!
Es ist eben keine Aussenstehender Einmischung über die Verwendung von Privateigentum.
Das Semmlerhaus ist eben ein historisches Haus in einer derartig exponierten Lage und besonders hier betrifft es die Allgemeinheit, die darüber entscheiden sollte ob das Haus abgerissen oder erhalten bleibt!
Es wäre eben auch nicht der erste Fall wo bei uns historische Substanz zerstört wird.
Und ja… natürlich kostet der Umbau und Erhalt von solchen historischen Gebäuden auch Geld, doch Geld ist nicht alles was eine/n Stadt/Ort ausmacht.
(Ist übrigens damals in Freyung nicht viel anders gewesen)
Ein altes Indianersprichwort sagt: „irgendwann werden auch diese Menschen begreifen das man Geld nicht essen kann“.
@Alexandra Gruber: Aber es ist doch nicht die Schuld des Käufers, dass das Haus nicht unter Denkmalschutz steht, bzw. von der Stadt Jahre zuvor nicht als Erhaltenswert erachtet wurde oder? Und jetzt wird auf ihn eine Hexenjagd eröffnet, weil er es für seine Zwecke nutzen möchte.