Lukumgau. Entwicklung kann einem Land nicht von außen aufgezwungen werden, denn die Menschen vor Ort müssen die Möglichkeit bekommen, sich mit zu entwickeln. Zwei Jahre nach dem schweren Erdbeben in Nepal, das mehr als 9.000 Menschen das Leben kostete, sind mit Hilfe ausländischer Investoren riesige Wasserkraftwerke mit bis zu 300 Meter hohen Staudämmen geplant. Dem Land selber würden bei solchen Projekten nur zwölf Prozent des gewonnenen Stroms kostenlos zur Verfügung gestellt. Dabei zeigt im Distrikt Rukum eine Gemeinschaft von Bürgern, die vom Energieminister bis zum Dorflehrer reicht, wie Nepals Wasserkraft den Menschen in der Region zugutekommen könnte. Eine Reportage von Hog’n-Korrespondent Gilbert Kolonko.
„Einer von denen macht mir gerade schon wieder Probleme“
„Ich bin hier geboren, und noch immer ist der Westen Nepals weit hinter dem Rest des Landes zurück“, sagt Nepals Energieminister Janardhan Sharma. Wir sitzen am Lehmofen im Dorf Lukumgau. „Um diesen Rückstand zu ändern, reicht Geld alleine nicht aus. Es braucht kontinuierliche, mühselige Arbeit und es geht nur zusammen mit den Menschen vor Ort.“
Dass Sharma auch schnell kann, hat er in Zusammenarbeit mit Kul Man Ghising (Geschäftsführer der nepalesischen Elektrizitätsbehörde) gezeigt, kurz nach seinem Amtsantritt vor ein paar Monaten. Nachdem seine maoistische Partei („CPU-M-Centre“) als Juniorpartner ins Regierungslager gewechselt war, sorgte er für das „Wunder von Kathmandu„: In der nepalesischen Hauptstadt und den anderen großen Ortschaften des Landes gibt es plötzlich kaum noch Stromausfälle. Sharma und Ghising haben auf diese Weise aufgedeckt, dass die politische Elite den Strom in Nepal über Jahre hinweg künstlich knapp hielt und ihn unter der Hand verkauft hatte. „Die Namen werde ich erst nennen, wenn ich unser Stromproblem gelöst habe. Ich kann jetzt nicht noch mehr Nebenkampfplätze gebrauchen. Einer von denen macht mir gerade schon wieder Probleme“, antwortet Sharma.
Das Holz im Lehmofen knackt. Hinter uns kocht das Gemüse. Neben uns sitzt der 85-jährige Vater des Hausherrn im Bett. Unser Gastgeber, der 62-jährige Lehrer Rujidhan, lädt schnaufend einen Arm voll Holz ab. Vor vier Jahren war es vor allem ihm zu verdanken, dass Lukumgau ein eigenes 85-KW-Wasserkraftwerk erhielt. Doch schnell lernten viele der 2.800 neuen Strombesitzer, wie man den Stromzähler manipuliert. Dazu wurden staatliche Fördermittel nicht ausgezahlt. Rechnungen konnten nicht beglichen werden. Die Baufirma des Kraftwerks lieferte die Blitzableiter nicht – dann schlug der Blitz ein.
Ständig laufen Polizisten, Leibwächter oder Dorfbewohner durchs Bild – auf dem Hof wird unter hörbar reger Teilnahme die Ziege geschlachtet. Dann sitzt Laxmi, die Frau des Ministers, neben mir, während ich Zwiebeln hacke. „2003 habe ich dort wochenlang jeden Tag Wäsche für die Kameraden gewaschen“, sagt sie und zeigt mit melancholischem Gesichtsausdruck auf ein nahes Bergplateau.
Damals wurden sie und ihr Mann Terroristen genannt – und Sharma trainierte eine maoistische Rebellen-Einheit für den Überfall auf das Polizeiausbildungslager in Bhaluwang. Eine Aktion, bei der 42 Polizisten getötet wurden. Drei Jahre später trat König Gyanendra zurück und Nepal wurde eine reine Demokratie – mit den typischen Geburtswehen, die bis heute andauern. Auch wenn am Ende die Zivilbevölkerung Nepals mit einem 23-tägigen Generalstreik das Ende des weltweit letzten hinduistischen Königreichs besiegelte, waren es die maoistischen Rebellen, die in einem zehnjährigen Guerillakrieg das alte System mürbe gemacht hatten. Der Preis: mehr als 17.000 Tote.
„Wenn ihr mir nicht helft, wird hier gar nichts vorangehen“
Später sitzen Einheimische mit Roksi (selbstgemachter Schnaps) gefüllten Gläsern neben dem Lehmofen und diskutieren so eifrig wie laut. Alle zehn Minuten kommt der Sicherheitschef des Ministers zu ihnen und bittet mit Engelsgeduld um etwas Ruhe – wobei er so tut, als sehe er die Schnapsgläser nicht. Im Gegenzug versucht die fröhliche Gemeinde so zu tun, als trinke man nur Wasser. Sie erinnern sich der Zeit des maoistischen Aufstands und haben das damalige Alkoholverbot noch im Hinterkopf. Als die Ruhe gegen 2 Uhr morgens einkehrt, verschaffen sich die bellenden Hunde Gehör – wie in Nepals Dörfern üblich.
Ein paar Stunden später sitzt der Minister mit den Dorfältesten auf der Terrasse und hört zu. Zahlreiche Probleme kommen zur Sprache. Lehrer Rujidhan erwähnt die umgerechnet 40.000 Euro Schulden, auf denen das Dorf wegen des Wasserkraftwerks sitzt. Doch er erinnert auch daran, wie wichtig es sei, dass die 500 Familien nun dauerhaft ihre monatlichen 100 Rupien (etwa 90 Cent) für den Strom bezahlten. Als der Minister das Wort ergreift, macht er keine der üblichen Versprechungen, alle Probleme schnell aus der Welt zu schaffen. Vielmehr erklärt Sharma, er sei kein Zauberer, und dass auch seine finanziellen Mittel begrenzt seien. Dann wird er plötzlich emotional: „Wenn ihr mir nicht helft, wird hier gar nichts vorangehen.“
Einhundert Meter unterhalb des Dorfes, am Kraftwerk, spreche ich mit Surendra Mohad, einem jungen Ingenieur. „Ich habe damals für die Firma gearbeitet, die hier im Rukum-Distrikt 18 Wasserkraftwerke aufgestellt hat“, erzählt er, „aber schon nach zwei Monaten wurde mir klar, das hier nichts mehr zu retten war.“ Sein Chef, Herr Pant, sei kein schlechter Mensch, beteuert Surendra, doch dieser komme vom Straßenbau. „Von Wasserkraftwerken hat er keine Ahnung.“ Genauso die Dorfbewohner: Sie wollten nicht verstehen, dass es nicht damit getan war, ein Wasserkraftwerk zu besitzen. „Es muss gepflegt und gewartet werden, finanzielle Reserven müssen angelegt und Ersatzteile gekauft werden, damit sie da sind, wenn Unvermeidliches passiert.“ Der junge Ingenieur seufzt: „Also habe ich gekündigt.“
„Später werden auch die Dorfbewohner mehr Strom benötigen“
Doch dann bekam er einen Anruf von Minister Sharma, der ihm einen Plan eröffnete, mit dem die Wasserkraftwerke doch noch zu retten seien. „Nein, Sharma hat mich nicht eingestellt“, sagt der junge Ingenieur augenzwinkernd. „Das wenige Geld, das der Minister zur Verfügung hat, wurde benötigt, um finanzielle Löcher zu stopfen. Ich arbeite seit ein eineinhalb Jahren ehrenamtlich. Immer, wenn etwas Geld herein kommt, fragt mich Herr Pant, ob ich etwas brauche…“
Dann wird Surendra ernster. Er habe das getan, weil er das Prinzip von Sharma verstanden habe. So habe er auch ein paar fähige Menschen aufgetrieben und die Dorfbewohner mit Hilfe von Rujidhan überredet, diese monatlich zu bezahlen, damit sie die Kraftwerke instand hielten. „Rujidhan hat weitsichtig auf 85 KW gesetzt, obwohl man aktuell nur 20 KW verbraucht. Der Mittel-Hill-Highway unterhalb des Dorfes wird bald ausgebaut und der restliche Strom kann an die Straßenbaufirmen verkauft werden. Später werden auch die Dorfbewohner mehr Strom benötigen“, meint Surendra. „Im Juli werde ich meine Arbeit beendet haben – wie es aussieht, können wir den Weiterbetrieb von 17 der 18 Wasserkraftwerke sichern.“
Eine Stunde später feiert Lukumgau die Eröffnung des Kraftwerks: ein Dorf wie im Mittelalter, jedoch mit eigenem Strom. Die Feier ist in vollem Gange. Und so lange die hiesigen Ärzte, die Schamanen, vor der Ehrenloge tanzen, ist die Stimmung prächtig – vor allem, wenn einer von ihnen wegen zu großem Roksi-Konsum das Gleichgewicht verliert. Kurzzeitig tanzt das halbe Dorf, inklusive Minister samt Anhang. Doch als Sharma ans Mikrofon tritt, lässt Unternehmer Pant die Hubschraubermotoren anlaufen. Tapfer bringt der Minister trotz des Lärms seine Rede zu Ende – vor ein paar Dutzend Dorfbewohnern, die entweder zu höflich sind oder einfach zu alt, um sich davonzumachen…
„Erst einmal die Teepflanzen, dann sehen wir weiter“
In der Dämmerung stehen Rujidhan und ich auf einem Feld abseits des Dorfes, inmitten von 100 kleinen Apfelbäumen. „Fünf Kilometer oberhalb des Dorfes habe ich 250 weitere gepflanzt.“ Das Gesicht des 62-jährigen Lehrers strahlt jugendlich, wie vor zehn Jahren, als er mir kurz nach Ende des Bürgerkriegs seine Vision eröffnete, dass Lukumgau einmal Strom haben würde. „Jeder zweite männliche Dorfbewohner ist der Arbeit wegen im Ausland. Die Menschen brauchen jedoch eine Perspektive vor Ort. Für ein Kilo Kartoffeln gibt es 20 Rupien (etwa 22 Cent), für ein Kilo Äpfel 200.“
Dann zeigt er auf den kahlen Hang oberhalb des Dorfes. „Dort haben wir 10.000 kleine Bäume gepflanzt, um das Gelände gegen Erdrutsche zu sichern. Als nächstes plane ich, Teepflanzen aus Ilam einzukaufen“. Ich unterbreche ihn begeistert: „Später könnte eine Mini-Teefabrik gebaut werden, in der die Bauern der ganzen Gegend ihren Tee verarbeiten. Jetzt, wo ihr Strom habt.“ Der Lehrer schaut mich leicht tadelnd an und sagt trocken: „Erst einmal die Teepflanzen, dann sehen wir weiter…“
Gilbert Kolonko
Sehr geeherter Herr Kolonko,
vielen Dank für diesen sehr schönen Artikel. Ich war vor 6 Jahren in Westnepal und kann Ihnen nur Zustimmen. Die Leute dort unten haben auch ein Recht auf Strom und etwas Luxus. Zwar habe ich selten so liebevolle Menschen gesehen, aber die Bedingungen sind wirklich sehr hart.
Vielleicht mache ich mich nächstes Jahr mal wieder selber auf den Weg nach Westnepal und überzeuge mich selber von den Fortschritt und schaue ob die Probleme langsam gelöst werden.
Grüße aus Wien
Markus
Ja es gibt sie, Menschen die sich für andere Menschen einsetzen, obwohl es weder Ruhm noch Geld zu ernten gibt-auch in der Politik.
Erinnern sie sich noch an José Mujica, den „ärmsten“ Präsidenten der Welt? http://www.deutschlandfunk.de/uruguay-der-aermste-praesident-der-welt-tritt-ab.799.de.html?dram:article_id=312900
Ja es gibt sie, so vielen Dank an Da Hog’n und Kolonko, dass sie daran erinnern!