Furth im Wald. Was passiert, wenn ich mit meinem Auto einen Unfall im bayerisch-tschechischen Grenzgebiet habe? Welcher Rettungsdienst wird bei einem Notruf alarmiert? In welches Krankenhaus werde ich gebracht? Mit Fragen wie diesen und vielen weiteren setzt sich Robert Konrad, Projektleiter des grenzüberschreitender Rettungsdienstes, und sein Team seit Oktober auseinander. Der 41-Jährige, der mehr als ein Vierteljahrhundert an Erfahrung im Rettungswesen mitbringt, zeichnet dafür verantwortlich, dass die Notfall-Koordination zwischen Tschechien und Bayern weiter optimiert und verbessert wird. „Es ist ziemlich viel geregelt, aber es gibt trotzdem noch einige Punkte, die es zu klären gilt“, wie Konrad im Hog’n-Interview schildert.

Übung macht den Meister: Hier wird die Patientenübergabe an tschechisches Krankenhauspersonal durch den BRK-Rettungsdienst geprobt. Fotos: Bayerisches Rotes Kreuz

Herr Konrad: Wann und warum wurde der grenzüberschreitende Rettungsdienst ins Leben gerufen?

Den grenzüberschreitenden Rettungsdienst gab es ja bereits die vergangenen 15 Jahre. Da lief das Ganze auf kleinem Wege ab, indem sich die verschiedenen Landkreise und BRK-Organisationen selbst mit den tschechischen Kollegen in Kontakt gesetzt haben. Die Problematik hat sich in den vergangenen Jahren natürlich wieder etwas verschärft, gerade im Bereich Weiden/Waldsassen/Eger. Im Bäderdreieck Marienbad, Franzensbad und Karlsbad hatte es bis 2011 pro Jahr ca. 200 Transporte gegeben, bei denen direkt in Tschechien Einsätze gefahren worden sind, die also an Tschechien „vorbeigingen“, weil der Notruf direkt nach Bayern an die Rettungsleitstelle abgesandt worden war. Dies wurde dann jedoch politisch unterbunden, weil es an und für sich illegal ist.

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Ziel: einheitliche Lösungen für den gesamten Grenzbereich

Daher hat man sich auf die Suche nach einem alternativen Weg gemacht. Das heißt: Entweder geht der Notruf in einer tschechischen Leitstelle ein – wenn dort jedoch kein Fahrzeug vor Ort zur Verfügung steht, wird der Notruf an eine angrenzende bayerische Rettungsleitstelle weitergeben. Dann führt der bayerische Rettungswagen, der dem Einsatzort in Tschechien am nächsten ist, den Einsatz durch – quasi als Aushilfe im Rahmen eines Hilfe-Ersuchens. 2013 hat man ein Rahmenabkommen zwischen Bayern und Tschechien getroffen, bei dem grundlegende Richtlinien hinsichtlich der Frage, wie so ein Einsatz ablaufen und wie dieser geregelt werden kann, festgelegt wurden.

Die erste grenzüberschreitende Konferenz für die Bereiche Rettungsdienst, Bevölkerungsschutz und Katastrophenschutz fand am 19. April in Pilsen statt.

Aufgrund dieses Rahmenabkommens ist im Oktober 2016 eine Vereinbarung unterzeichnet worden, bei der all das, was 2013 grob gefasst war, noch einmal detaillierter festgeschrieben wurde. Bayern hat mit den Bezirken Karlsbad, Südböhmen und Pilsen diesen Vertrag unterzeichnet, in dem u.a. steht, dass bayerische und tschechische Rettungsdienste im Falle eines Hilfeersuchens jenseits der jeweiligen Staatsgrenze eingesetzt werden dürfen. Somit ist auch die Rechtslage weitestgehend geklärt. Ein paar Punkte sind jedoch noch offen.

Der BRK-Kreisverband Cham war der Meinung, dass ein gesamt-einheitliches Konzept für die gemeinsame Grenze von Hof bis nach Freyung-Grafenau zielführend wäre. Daraufhin wurde von vier Projektpartnern – das ist der Rettungsdienst Pilsen und die Universität Pilsen auf tschechischer Seite sowie das BRK und die Technische Hochschule Deggendorf auf bayerischer – ein Projektantrag gestellt, bei dem festgelegt wurde, welche Analysen und Lösungsentwürfe für den grenzüberschreitenden Rettungsdienst gemacht werden müssen, welche gemeinsamen Übungen ablaufen und welche grenzübergreifenden Praktika abgehalten werden sollen. Es geht zudem um gemeinsame Schulungen und Konferenzen, wobei die erste vergangene Woche in Pilsen stattgefunden hat. Des Weiteren gibt es Meetings zu speziellen Fachthemen, die ebenfalls gemeinsam bearbeitet werden.

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Einer von vier Projektpartnern ist die Technische Hochschule Deggendorf. Foto: THD

Ein weiteres großes Thema ist das Kompetenz- und Koordinierungszentrum in Furth im Wald, das demnächst als zentrale Anlaufstelle für Fragestellungen und Problematiken im grenzüberschreitenden Rettungsdienst eröffnet wird. Dies ist kein Zentrum mit vorgehaltenen Rettungswagen und Notärzten für grenzüberschreitende Einsätze, sondern es handelt sich dabei um ein Büro mit Fachleuten, die sich mit der grenzüberschreitenden Thematik beschäftigen – wie zum Beispiel meine Person. Wenn auf bayerischer Seite in den acht Landkreisen und ca. 28 Rettungswachen im Grenzbereich Fragen zu Einsätzen auf tschechischem Gebiet auftreten, werden diese bei uns gesammelt und bearbeitet – mit dem Ziel, einheitliche Lösungen für den gesamten Grenzbereich zu finden. Die tschechischen Kollegen, mit denen wir uns regelmäßig austauschen, machen sich wiederum darüber Gedanken, wie ein Einsatz in Bayern auszusehen hat.

Nach Bayern oder nach Tschechien: Wohin mit dem Patienten?

Das heißt: Es geht etwas vorwärts, aber vieles befindet sich noch im Entwicklungsstadium, richtig?

Gestartet wurde das Projekt offiziell zum 1. September 2016. Genehmigt wurde es von der EU schon Mitte Juni 2016. Danach erfolgte zunächst die Personalsuche. Wir sind nun aktuell zu dritt im Team. Wir mussten mehr oder weniger bei Null starten und eine Grunderhebung machen: Was ist überhaupt der aktuelle Sachstand, was ist schon gemacht worden?

Robert Konrad, Projektleiter des grenzüberschreitenden Rettundsdienstes.

Teilweise laufen die Auswertungen der Einsatz-Daten noch. Die erste Fachkonferenz fand, wie gesagt, jüngst in Pilsen statt; die ersten Planübungen mit den tschechischen Kollegen zur Fragestellung der Kommunikation im Rettungsdiensteinsatz vor zwei Wochen in Karlsbad. Das Projekt ist genehmigt bis 30. Juni 2019. Bis dahin werden derartige Übungen noch mehrere Male umgesetzt.

Bis Mitte Juli dieses Jahres wird das Rettungszentrum in Furth im Wald, das sich aktuell noch im Bau befindet, fertig sein. Dann wird dort der Rettungsdienst mit einer Rettungswache und Rettungsdienstfahrzeugen einziehen – wir werden ebenfalls  unsere Büros der Koordinierungsstelle dort integrieren. Ein paar Wochen später wird auch die Feuerwehr ihren Standort dort haben. Der mit im Gebäude befindliche große Lehrsaal soll gemeinsam durch das BRK und die Feuerwehr genutzt werden. Dort haben wir dann auch die Möglichkeit grenzüberschreitende Konferenzen und Schulungen abzuhalten, da auch eine Simultan-Übersetzungsanlage installiert wird.

Folgendes Szenario: Eine Familie aus Bayern macht einen Tagesausflug nach Tschechien, genauer gesagt nach Budweis oder Krumau. Ein paar Kilometer hinter der Grenze kommt es zu einem Unfall, nach dem ein Familienmitglied ärztliche Hilfe benötigt. Wie kann der grenzüberschreitende Rettungsdienst hierbei aktiv werden?

Zunächst wird ein ganz normaler Notruf abgesetzt. Hinter der Grenze kommt es freilich darauf an, ob sich das Telefon ins deutsche oder ins tschechische Netz einloggt. Im tschechischen Netz geht der Notruf beispielsweise bei der Rettungsleitstellte in Pilsen ein. Die dortigen Mitarbeiter schauen dann, ob ein reguläres Einsatzfahrzeug aus ihrem Abdeckungsgebiet gerade zur Verfügung steht. Sollte dies der Fall sein, wird das tschechische Fahrzeug zum Unfallort fahren und den Einsatz ganz normal als Verkehrsunfall oder benötigte Hilfeleistung abhandeln – so, wie das auch in Bayern bei einem Anruf passieren würde.

„Papierübung“: Großschadensereignis im Dezember 2016 in Pilsen mit einem gemischten Team aus bayerischen und tschechischen Rettungskräften in der Einsatzleitung.

Wenn kein Fahrzeug frei ist, dann wird – aktuell noch per Fax – ein sog. Hilfe-Ersuchen in Form einer Anfrage nach Bayern gesandt: Wir haben hier einen Verkehrsunfall, könnt ihr uns aushelfen, wir benötigen einen Notarzt und einen Rettungswagen. Dann meldet beispielsweise die Leitstelle in Regensburg, dass der Rettungswagen Furth im Wald frei sei, der Notarzt wird ebenfalls geschickt. Danach läuft die Koordination jedoch nicht mehr über Pilsen, sondern über die Leistelle in Bayern. Wir haben derzeit keinerlei Möglichkeiten, mit der Rettungsleitstelle in Tschechien per Funk in Kontakt zu treten. Das sind zwei verschiedene Funksysteme. Das wird eine weitere Aufgabe des Kompetenz- und Koordinierungszentrums sein, mögliche gemeinsame Kommunikationswege für die Praxis zu finden.

Die Fragestellung vor Ort ist dann: Was ist das nächstgelegene, geeignete Krankenhaus für den Patienten? Wenn es ein tschechischer Bürger ist, wird der natürlich bevorrechtigt ins tschechische Krankenhaus transportiert. Wenn es von der Strecke und vom Versorgungsaufwand her möglich ist, könnte man den Patienten auch über die Grenze nach Bayern fahren.

Generell gilt die Regel: ins nächste geeignete Krankenhaus

Kann es sich der Patient aussuchen, in welchem Krankenhaus er gerne behandelt werden möchte, sofern er noch ansprechbar und bei Bewusstsein ist?

Er kann seinen Wunsch äußern, ja. Es hängt aber natürlich von der medizinischen Einschätzung der Lage ab, wohin er transportiert wird. Generell gilt die Regel: ins nächste geeignete Krankenhaus. Mit einer ganz normalen Beinfraktur kann man auch mal ein paar Kilometer mehr in ein heimatnahes Krankenhaus fahren, das ist klar. Bei schwerwiegenderen Verletzungen wird dies nicht der Fall sein.

Und die Kommunikation im Falle eines Hilfe-Ersuchens erfolgt aktuell tatsächlich noch per Fax?

Projektvorstellung des grenzüberschreitenden Rettungsdienstes am FH-Campus Wels in Oberösterreich im Rahmen des neunten Workshops der Wissensplattform Hochschulkooperationen.

Richtig. Aktuell ist es aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht möglich, eine andere Kommunikation zwischen einer bayerischen und einer tschechischen Leitstelle zu legitimieren. Es geht um personenbezogene Einsatzdaten, die nicht ohne Weiteres weitergereicht werden dürfen. Es gibt derzeit ein zweisprachiges Formular, das die Leitstellen mit den Koordinaten oder der Adresse ausfüllen und dann an die jeweilige bayerische bzw. tschechische Leitstelle schicken. Dann erfolgt ein Kontrollanruf, dass das Fax auch angekommen ist.

Geht da nicht wertvolle Zeit verloren?

Die geht natürlich verloren. Wir sind gerade dabei für dieses Problem eine Lösung zu finden. Es existiert eine Schnittstelle, die jedoch angeglichen werden muss. Technisch ist dies alles möglich, aber es müssen die Datenschutzrichtlinien eingehalten werden. Dafür benötigen wir das Ok des Innenministeriums.

„Es ist aktuell noch kein Regelrettungsdienst vorhanden“

Wie hoch ist die sprachliche Hürde, die es im Rahmen des grenzüberschreitenden Rettungsdienstes zu nehmen gilt?

Übersetzungsprogramme gibt es genügend. Doch die sind von der Qualität her teilweise so schlecht, dass man sich nicht auf diese verlassen kann. Es muss zudem ein zertifiziertes Programm sein. Wir sind gerade dabei, Möglichkeiten zu finden, wie Alarmierungen von der tschechischen Leitstelle nach Bayern und auch umgekehrt mittels eines passenden Programms übersetzt werden können.

Blick auf das Trainingsgelände „Welt der Rettungsgeräte“ in Karlsbad.

Derzeit kann noch über eine Kombinationsschaltung zu anderen Leitstellen ein deutschsprachiger Mitarbeiter hinzugerufen werden. Oder, was die letzten Jahre über auch ein oft genutzter Weg war: Die Notrufübermittlung erfolgt über das gemeinsame Zentrum der Grenzpolizei in Schwandorf. Dort sitzt täglich 24 Stunden ein deutscher und ein tschechischer Kollege. Diese können alle Informationen an die entsprechende Leitstelle weiterleiten. Das ist aktuell die offizielle Verbindungsstelle zwischen Bayern und Tschechien.

Wie weit darf denn ein Rettungsdienst ins jeweils andere Land „hineinfahren“? Kommt es da zu Konkurrenzsituationen?

Im jüngsten Vertrag war die Rede von fünf Kilometern links und rechts der Grenze. Das ist sehr unrealistisch, was man auch zum Zeitpunkt der Vertragsausarbeitung bereits wusste. Sollten jetzt 20 Kilometer erforderlich sein, dann werden sicherlich auch 20 Kilometer ins jeweilige Landesinnere hineingefahren. Man wird sich demnächst nochmals an einen Tisch setzen, den Vertrag hinterfragen und entsprechend optimieren. Inwiefern sich das u.a. auf die Kilometeranzahl auswirkt, muss dann die Politik entscheiden.

Zu Konkurrenzsituationen zwischen Rettungsdiensten sollte es eigentlich nicht kommen, denn aktuell läuft das System noch unter der Prämisse des Hilfe-Ersuchens. Das heißt, wie bereits erklärt: Wenn kein Fahrzeug zur Verfügung steht, wird die entsprechende Leitstelle auf der gegenüberliegenden Seite der Grenze angerufen und nach einem Fahrzeug gefragt. Es ist also aktuell noch kein Regelrettungsdienst vorhanden, der besagt, dass grundsätzlich das nächstgelegene Fahrzeug zum Unfall fährt. Das wäre der Wunsch – doch da sind wir noch nicht.

„Es gibt trotzdem noch viele Punkte, die es zu klären gilt“

Seit 2013 ist es so, dass der Patient an der Grenze übergeben wird. Das heißt: Der Patient wird von den tschechischen Kollegen an die Grenze gefahren und dann an die bayerischen Kollegen am Grenzbaum von einem Fahrzeug in das andere umgeladen.

„Nach dem Rahmenvertrag 2013 gab es einen Einbruch der Einsatzzahlen.“ Foto: BRK Freyung-Grafenau

Nach dem Rahmenvertrag 2013 gab es einen Einbruch der Einsatzzahlen, die bis heute wieder – wie z.B. im Bäderdreieck auf ca. 300 Einsätze pro Jahr – angestiegen sind, sich jedoch aber nach wie vor auf Patientenübergaben am Grenzbaum begrenzen. Viele Transporte nach Bayern bzw. Übergaben an der Grenze sind Kurgäste aus den Kurkliniken, die in ein deutsches Krankenhaus wollen. Es gibt ein paar Gebiete, wo auch der Krankenwagen regelmäßig über die Grenze fährt – das hat aber nichts mit dem Vertrag über die Notfallrettung zu tun.

Was natürlich auch eine Rolle spielt: Dass in diesem Vertrag der gegenseitige Kostenverzicht aufgenommen wurde. Sprich: Diejenigen Transporte, die im jeweils anderen Land durchgeführt werden, können nicht abgerechnet werden. Das bedeutet, dass der jeweilige Rettungsdienst die entsprechenden Kosten selbst zu tragen hat. Es wird sich deshalb in regelmäßigen Abständen an einen Tisch gesetzt und ausgewertet, wie viel Kosten der jeweiligen Seite entstanden sind. Im Anschluss erfolgt eine Ausgleichszahlung oder eine Angleichung. Es ist ziemlich viel geregelt, aber es gibt trotzdem noch einige Punkte, die es zu klären gilt.

Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg.

Interview: Stephan Hörhammer


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