Lalling. Die bairische Sprache ist vom Aussterben bedroht – vor rund acht Jahren versetzte die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) mit dieser Meldung die Bewahrer und Behüter des Bairischen in arge Alarmbereitschaft. „Auch vor Ort lässt sich diese Tendenz beobachten“, wie der Lallinger Thomas Pfeffer berichtet. In den Kindergärten in Deggendorf und Plattling genießt der bairische Dialekt dem 27-Jährigen zufolge bereits Exoten-Status – „selbst im Landkreis Freyung-Grafenau greift der sprachliche Tod bereits um sich“. Seiner Meinung nach ist jetzt der richtige Zeitpunkt für eine Reaktivierung der bairischen Sprache. Ein Gastkommentar.
Der „schleichende Tod“ des Bairischen in der Fläche
Der Niedergang des Bairischen – bis vor einigen Jahren noch wurde er als „Münchner Problem“ abgetan, spätestens seit 2009 beweist uns die UNESCO das Gegenteil: Das Bairische wurde in die Liste der „bedrohten Sprachen“ aufgenommen. Jeweils 25 Kindergärten in den Landkreisen Deggendorf und Freyung-Grafenau habe ich in einer nicht-repräsentativen Telefonumfrage um eine grobe Einschätzung gebeten. Die Ergebnisse waren mehr als erschreckend: In den Städten Deggendorf und Plattling lag der Anteil der Bairisch-Sprecher fast ausnahmslos zwischen fünf und 30 Prozent.
In den Städten Freyung, Grafenau und Waldkirchen habe ich insgesamt sieben städtische Kindergärten angerufen. Die Einrichtung mit der niedrigsten Bairisch-Quote kam dabei auf gerade einmal 35 Prozent. In der Regel bewegte sich die Dialektquote in den anderen Kindergärten im Bereich von 50 bis 60 Prozent – meiner Meinung nach ein ebenfalls sehr bedenklicher Wert. Einen positiven Ausreißer nach oben gab es jedoch: Einen Kindergarten mit immerhin noch 80 Prozent Bairisch-Sprechern – doch auch hier ist laut den Erzieherinnen der Anteil bereits zurückgegangenen. Möglicherweise liege dies am Einzugsgebiet der Kinder.
In den kleineren Gemeinden befinden sich die Bairisch-Sprecher noch in der Mehrzahl. Jedoch sinkt auch hier in einigen Kommunen der Anteil der Bairisch-Sprecher langsam aber kontinuierlich, wie das Aufsichtspersonal mitteilt. Fazit: Der „schleichende Tod“ des Bairischen beginnt sich in der Fläche auszubreiten.
Bairischsterben als Zusammenspiel mehrerer Faktoren
Die Ursachen für das Bairischsterben sind meiner Meinung nach vielfältig, jedoch nicht unumkehrbar. Es gibt nicht den einen Grund dafür – häufig ist es ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren:
- Es überlebt grundsätzlich immer die Sprache, welche über den höheren sozialen Status („das bessere Image“) bei den Sprechern verfügt: Hochdeutsch wird fälschlicherweise mit einer höheren Bildung assoziiert als die vermeintlich bildungsfernen Dialekte
- Dialektsprecher werden in Kindergärten und Schulen nach wie vor häufig von den Pädagogen diskriminiert. Dies reicht vom bloßen Suggerieren des Hochdeutschen als überlegene Sprachform gegenüber dem Dialekt bis hin zu unmittelbarer verbaler und leistungsbewertender Diskriminierung
- Eltern, die ihren Kindern anstelle des Dialekts Hochdeutsch beibringen (meist in dem Irrglauben, ihren Kindern damit einen Gefallen zu tun)
- Die nach wie vor in Teilen der Bevölkerung vorhandene Fehlmeinung, dass Dialektsprecher Probleme beim Erlernen von anderen Sprachen besitzen (das Gegenteil ist der Fall!)
- Dialekte haben einen zu geringen Anteil in unseren Medien, insbesondere in Hörfunkmedien und dem Fernsehen
- Schlechte Vorbilder in Politik und Gesellschaft: Personen, die statt ihren Dialekt zu sprechen auf Hochdeutsch zurückgreifen oder die Dialekte direkt durch negative Äußerungen abwerten
- Massive Migration aus anderen Bundesländern und dem Ausland nach Bayern durch Personen, die meist entweder keinen Dialekt oder (seltener) einen fremden Dialekt beherrschen
- Migration innerhalb Bayerns zwischen verschiedenen Dialektregionen (etwa von Altbayern nach Franken)
- Fehlender staatlicher Schutz der Dialekte
- Bisher fehlende staatliche Einteilung in Standardsprache, Regionalsprache und Ortsdialekte
- Nicht vorhandenes Wissen in großen Teilen der Bevölkerung über Definition, Verbreitung und historische Bedeutung der verschiedenen Dialekte
Auffallend ist, dass die Gründe für den Dialektrückgang in den kleineren Kommunen in der Regel nicht so ausgeprägt sind als in verstädterten Gegenden. Das heißt, dass beispielsweise die Migration weniger stark ist (aber teilweise dennoch vorhanden) und auch der soziale Status der Dialekte etwas höher ist (aber dennoch unter dem des Hochdeutschen steht). Dies erklärt auch, weshalb das Dialektsterben auf dem Land nicht ganz so schnell voranschreitet – und dennoch (langsam aber kontiniuerlich) passiert. In einigen Kommunen schlagen Faktoren wie Migration stärker zu Buche, daher ist hier das Bairischsterben bereits weiter fortgeschritten. Vor allem in Landkreis Deggendorf fällt auf, dass in kleineren Kommunen am Rande von größeren Städten das Bairischsterben schneller von statten geht.
Bairisch – eine Sprache oder „nur“ ein Dialekt?
Dem Bairischen, einer Sprache mit mehr als 1.500-jähriger Geschichte, droht also das unwiederbringliche Aussterben. Aber halt: Eine Sprache? Gerne wird ja Bairisch als einer von vielen deutschen Dialekten beschrieben. Seine Bedeutung daher oft als vernachlässigbar dargestellt. Der „Dialekttod“ sozusagen als unwichtige Folge der Globalisierung gedeutet.
Was aber die wenigsten wissen: Viele Sprachwissenschaftler und die UNESCO stufen Bairisch nicht als Dialekt ein, sondern als eigene Sprache, denn: „Von den grammatischen Besonderheiten her ist das Eigengepräge des Bairischen gegenüber dem Schriftdeutschen so stark, dass allein diese Tatsache genügt, dem Bairischen den Status einer eigenen Sprache zu verleihen“, wie Sprachwissenschaftler Robert Hinderling richtig anmerkt.
Interessant ist auch der Blick über den bayerischen Tellerrand hinaus: Der Abstand zwischen Schwedisch und Norwegisch oder Tschechisch und Slowakisch ist viel geringer als der Abstand zwischen Bairisch und dem Schriftdeutschen – dennoch sind erstgenannte als eigene Sprachen anerkannt. Viele afrikanische Stammes-Sprachen werden als „Sprachen“ bezeichnet, obwohl diese noch nicht einmal verschriftlicht und teilweise sehr eng miteinander verwandt sind.
Die Einteilung in Sprache oder Dialekt erfolgt in Europa also häufig nach dem überholten Nationalstaatsprinzip des 19./20. Jahrhunderts: Eine Nation – eine Sprache. Eine Region – allenfalls: ein Dialektgebiet. Heutzutage kommen oft noch wirtschaftliche Gründe dazu: Wieso sollte man eine Regionalsprache konservieren, wo doch die Globalisierung radikal voranschreitet? Das Denken der Menschen huldigt dem Kapitalismus – und begünstigt somit das Aussterben nicht nur von Pflanzen und Tieren, sondern auch von Kulturen und Sprachen.
Sind wir einmal ehrlich zu uns selbst: War bisher vom bairischen Dialekt die Rede, ordnete man diesen automatisch der Bedeutung des „Hochdeutschen“ unter. Und genau darin liegt der Tod des Bairischen begründet! Die Auswirkungen von Medien und Migration beschleunigen allenfalls den Sprachentod – ursächlich ist aber unsere Haltung.
Bairisch sollte dem Deutschen oder Englischen gleichwertig sein
Bairisch und seine Ortsdialekte werden zwar von weit weniger Menschen gesprochen als etwa Englisch oder Deutsch: etwa 16 Millionen Leute zwischen der nördlichen Oberpfalz und Südtirol sprechen noch Bairisch. Doch wer sagt, dass Bairisch deshalb weniger wert sein sollte? Einem Tschechen oder einem Niederländer würde man ja auch nicht empfehlen, seine Sprache abzulegen, nur weil Deutsch oder Englisch weiter verbreitet sind…
Die Wissenschaft bestätigt: Die Sprache (und/oder der Dialekt) mit dem niedrigeren rechtlichen und sozialen Rang stirbt immer zugunsten der als höherwertiger empfundenen Sprache aus – in unserem Fall Hochdeutsch. Nur noch Bairisch zu sprechen und das Hochdeutsche abzuschaffen, kann in Zeiten der Globalisierung aber auch nicht das Ziel sein. Bayern liegt ja nicht isoliert auf einer Insel der Glückseligen.
Daher die Grundidee: Bairisch und Deutsch müssen gleichberechtigt werden – mit allen Konsequenzen. Nur so können beide Sprachen überleben und logischerweise auch von unseren Kindern erlernt und beherrscht werden.
Andere Regionen und Staaten erweisen sich weitaus mutiger
Wie das Überleben der bairischen Sprache gelingen kann, zeigt ein Blick ins Ausland: Es gibt verschiedene Wege eine Regionalsprache zu erhalten und diese sogar weiterzuentwickeln. Die Schweiz ging erfolgreich den Weg, die Schweizer „Dialekte“ im Vorschulbereich massiv zu fördern bzw. zu vermitteln. In der Schule werden sie respektiert. Außerdem wurde das Schwyzerdütsch – trotz fehlender Verschriftlichung – rechtlich teilweise dem Hochdeutschen gleichgestellt. In Norwegen sorgt bereits seit mehr als einhundert Jahren ein Gesetz immerhin dafür, dass die Diskriminierung von „Dialektsprechern“ verboten ist. Einem Kind aufgrund des Dialektes eine schlechtere Note verpassen? Zumindest in Norwegen: undenkbar.
Einen anderen Weg beschritt Luxemburg, der kleine europäische Binnenstaat. Große Sorgen hatte man dort, dass die luxemburgische Identität zugunsten der deutschen oder französischen verloren geht, da der nicht-verschriftlichte moselfränkische Dialekt Luxemburgs immer mehr zum Vorteil der deutschen wie auch der französischen Schriftsprache in den Hintergrund rückte. Die logische Konsequenz: Moselfränkisch wurde verschriftlicht, als Amtssprache neben Deutsch und Französisch eingeführt – und offiziell in den Bildungseinrichtungen gelehrt. Luxemburgisch, einst aus dem moselfränkischen Dialekt entwickelt, gewinnt immer mehr an Bedeutung im europäischen Großherzogtum.
Allen drei Beispielen ist eines gemein: Egal, ob Regionalsprache oder Dialekt, sind sie der Amtssprache rechtlich relativ bzw. ganz gleichgestellt und daher als gleichwertig zu betrachten. Studien beweisen, dass in allen drei Staaten die Regionalsprachen blühen – ganz im Gegensatz zum konservativen Bayern. Der Weg Luxemburgs erscheint als der bisher nachhaltigste, da der Dialekt gleich zur (weiteren) Amtssprache erhoben wurde.
Bayern setzt auf Folklore statt auf moderne Konzepte
Wenn überhaupt, gibt es im Freistaat ein paar Dialektprojekte. Der Effekt hat eher symbolischen Charakter. Es werden ein paar Unterrichtsstunden lang bairische Lieder gesungen und die Bedeutung des Dialekts beschwört. Kurzum: Viel Folklore, wenig Substanz. Davor und danach ist nichts davon zu spüren, dass Bairisch gezielt in Kindergärten und Schulen verbreitet wird. Im Alltag der Bildungseinrichtungen haben sich lediglich ein paar Idealisten dem Thema wirklich angenommen. Bairisch fristet insgesamt allenfalls ein Nischendasein – neben dem omnipräsenten Schuldeutsch.
Es wäre falsch, die Schuld ausschließlich bei Kindergärten und Schulen zu suchen. Das Problem beginnt viel weiter oben: Die bayerische Politik hat es verschlafen, die bairische/fränkische/schwäbische Sprache in den vergangenen Jahrzehnten zu fördern. Bis heute fehlt ein schlüssiges Gesamtkonzept. Dem Thema wurde zu wenig Beachtung geschenkt, lange Zeit die Diskriminierung von Dialektsprechern sogar toleriert und im Einzelfall staatlich gefördert…
Warum sollten wir eigentlich Bairisch erhalten?
Bayern ist ein Kulturstaat, wie es in der bayerischen Verfassung niedergeschrieben wurde. Uns selbst sollte zudem bewusst sein, dass sowohl Bairisch als auch Fränkisch und Schwäbisch fest zur bayerischen Kultur und Identität gehören. Das Aussterben wäre also ein deutliches Zeichen des kulturellen Niedergangs. Gerade in Zeiten der europäischen Existenzkrise und der Suche nach der eigenen Herkunft gibt Bairisch einen festen Halt. Bairisch – eine Sprache, die wesentlich vom Lateinischen, Griechischen und Französischen beeinflusst wurde. Ein Beispiel erfolgreicher europäischer Kulturgeschichte.
Es wäre ewig schade eine Sprache mit 1.500-jähriger Geschichte aufzugeben. Viele von uns reden von einer bunten Gesellschaft. Geradezu paradox, dass Bairisch für manche darin keinen Platz hat. Was die sprachlichen Entwicklungen betrifft, scheinen viele die Einfalt vorzuziehen: Deutsch als Nationalsprache und Englisch als Weltsprache – um jeden Preis. Bairisch und andere Regionalsprachen werden dagegen zum Aussterben verdammt, obwohl gerade in den vergangenen Jahrzehnten die Mehrsprachigkeit so stark propagiert wurde.
Im Übrigen hatte vor mehr als 80 Jahren auch schon Hitler den Dialekten – oder, wie er es nannte: „Mundarten“ – den Kampf angesagt, was historisch belegt wurde: Wie konnte es denn sein, dass die Deutschen sprachlich nicht gleichgeschaltet wurden? Man wollte doch so gerne „Ein Volk“ mit „Einer Sprache“ sein… Ich hoffe er behält nicht recht. Europa lebt gerade von der Diversität – und nicht von einer künstlich herbeigeführten, langweiligen, sprachlichen Einfalt.
Gastkommentar: Thomas Pfeffer
Es ist nun fast 8 Jahre her, dass ich zusammen mit meinem damals 14 jährigen Kind nach Bayern zog. Mein Kind zog es inzwischen vor, nach der Ausbildung seinen Job außerhalb Bayerns zu suchen. Mein jüngstes Kind besucht den Kindergarten. Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn sie bayrisch gelernt hätten. Mein großes Kind wollte nicht mehr, nachdem es in der Schule ein paar blöde Sprüche bezüglich falsch interpretierter Wörter zu hören bekam und mein kleines Kind, könnte es im Kindergarten lernen, aber da wird es leider kaum gesprochen. Da wäre noch die Verwandtschaft, aber auch da machten beide Kinder und ich nicht die Erfahrungen, die einen dazu bewegen die Sprache zu mögen und zu lernen. Es liegt bestimmt nicht daran, dass wir sprachfaul wären. Mein großes Kind und ich beherrschen 3 Fremdsprachen, nicht alle perfekt, aber jede gut genug, um eine Unterhaltung führen zu können.