Passau. „Wie können Menschen nur sowas tun?“ Eine Frage, die man sich bei der Lektüre unserer Serie „Mord verjährt nie“ wohl unweigerlich stellt. Gleichzeitig ist diese Frage der Titel des Buches von Franz Hartl, in dem dieser die spektakulärsten Kriminalfälle in der Dreiflüssestadt Passau recherchiert und niedergeschrieben hat. In unregelmäßigen Abständen veröffentlicht das Onlinemagazin da Hog’n einen jener Mordfälle, die zu ihrer Tatzeit für großes öffentliches Aufsehen sorgten – Teil 6: Bluttat in der Heiliggeistgasse…
„Es geschah im Nachkriegsjahr 1947, in der Zeit der Lebensmittelrationierung und der Nährmittelbezugsscheine. Wer Verwandte oder Bekannte auf dem Lande hatte, ging ‚hamstern‘ oder machte nicht erlaubte Tauschgeschäfte auf dem ‚Schwarzen Markt‘. Das Schlachten von Haustieren durch Privatpersonen war bei schwerer Strafe verboten.
‚Not kennt kein Gebot‘ dachten sich wohl die sudetendeutschen Brüder Wenzel (29) und Heinrich (22) Schacherl, als sie am Abend des 6. November 1947 in das Anwesen des Landwirtes Johann Neiß in Fatting bei Tiefenbach eindrangen. Sie waren mit einem Beil und einem Schlachtmesser bewaffnet und schlachteten als gelernte Metzger ein 40 Kilogramm schweres Schwein in der Nähe des Bauernhofes. Auf dem Rückweg nach Passau trug Heinrich Schacherl das Beil in seinem Rucksack, während sein Bruder das Metzgermesser in seiner Brusttasche barg.
„Ma’me se bra’nit?“ (Wehren wir uns?)
Beim Passieren der damaligen Maxbrücke, die auf der rechten Uferseite der Donau in die Wittgasse mündete, wurden die beiden um 0.30 Uhr von einer Polizeistreife kontrolliert. Beim Vorzeigen der Ausweise fielen den zwei Stadtpolizisten Josef Fruth (35) und Josef Franz (35) die blutbefleckten Hände der nächtlichen Passanten und das frisch geschlachtete Fleisch im Rucksack auf. Sie wurden aufgefordert, ihnen in das Polizeirevier Hl.-Geist-Gasse 10 (heute Staatl. Fachoberschule) zu folgen und widersetzten sich dem auch nicht.
Unterwegs führten sie eine Unterhaltung in tschechischer Sprache und wurden darauf von den Polizeibeamten getrennt. Fruth ging in kurzem Abstand hinter Wenzel Schacherl her, während der Polizist Josef Franz sich mit dem anderen Bruder befasste. Beim Einbiegen in die verdunkelte Gasse rief Wenzel, der ältere der beiden, seinem Bruder auf Tschechisch zu: ‚Ma’me se bra’nit?‘ (Wehren wir uns?) – was Heinrich nicht verstanden haben will.
Kurz vor Erreichen der Polizeiwache machte Wenzel Schacherl plötzlich kehrt und versetzte dem kurz hinter ihm gehenden Fruth mit voller Wucht einen Stich in die rechte Wange zwischen Ober- und Unterkiefer in den Hals. Durch die 11,5 Zentimeter tiefe Stichwunde wurde die Halsschlagader des Angegriffenen durchtrennt. Der Tod trat bald darauf durch Verbluten ein. Heinrich Schacherl ergriff in Folge der Tat panikartig die Flucht. Er konnte gegen 4 Uhr morgens in seiner Wohnung in der Neuburgerstraße 62 aufgestöbert und verhaftet werden. Er hatte sich dort schlafend gestellt.
Wenzel Schacherl erhängte sich am 12. August 1954
Als der Polizist Josef Franz seinem Kameraden zu Hilfe eilen wollte, versetzte ihm Wenzel Schacherl außer diversen Messerstichen ins Gesicht denselben Metzgerstich, der jedoch am Oberkiefer abglitt und nur eine Vene, zwei Millimeter von der Schlagader entfernt, verletzte. Der Täter flüchtete anschließend in die Jägergasse (heute Dietrich-Bonhoeffer-Platz), verfolgt von Josef Franz, der ihn mit einem Schuss in den Oberschenkel kampfunfähig machen konnte.
Vor der Strafkammer des Landgerichtes Passau wurde nach eintägiger Verhandlung das Urteil gegen die Brüder Schacherl gesprochen. Wenzel erhielt eine Zuchthausstrafe von 13 Jahren, sein Bruder kam mit zehn Jahren Gefängnis davon. Der allgemein als ordentlich und gutmütig bekannte Wenzel Schacherl, so das Gericht, wurde durch den Anblick der Polizeiampel vor dem Revier II so erregt, dass er seinen unliebsamen Begleiter schnell kampfunfähig machen wollte, um ungehindert flüchten zu können. Messerstecherei, sagte der Staatsanwalt, sei dagegen heimtückisch, wobei noch strafverschärfend ins Gewicht falle, dass der Angeklagte durch seine Handlung eine andere Straftat verdecken wollte.
In der Urteilsbegründung wurde unter anderem ausgeführt, dass Wenzel Schacherl in unglaublich roher Weise zugestochen habe und seinem Gegner eine schwere Verletzung zufügen wollte, da er sonst den Messerstich nicht gegen den Kopf gerichtet hätte. Das Gericht teilte die Auffassung des Verteidigers, dass die Persönlichkeit des Angeklagten nicht der eines Mörders entspreche. Bei der Urteilsbildung habe das Gericht jedoch besonders berücksichtigt, dass sich die Tat gegen einen Polizeibeamten gerichtet habe, der pflichtgetreu bis zum Tode gewesen sei. Schutzleute müssten des besonderen Schutzes des Gerichtes sicher sein. Ein Verbrechen dieser Art könne nie hoch genug bestraft werden.
Es gab damals nach dieser Bluttat ziemlich Aufruhr in Passau – und als an der Hauswand vor dem damals noch bestehenden Molkereigeschäft Vornlocher eine simple Erinnerungstafel angebracht werden sollte, hat die US-Militärregierung es verboten, wie der Redakteur a.D. Volker Stutzer zu berichten weiß. Der am 4. April 1948 zu 13 Jahren Zuchthaus verurteilte Wenzel Schacherl hat sein Strafende nicht mehr erlebt. Er setzte am 12. August 1954 seinem Leben in der Strafanstalt Straubing durch Erhängen ein Ende.“
Franz Hartl/ da Hog’n
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Niemand weiß, wieviele Menschen in unbeobachteten Momenten von Schmetterlingen eine Klippe heruntergestoßen werden, da es keine Zeugen gibt und die Opfer nicht mehr aussagen können. (Mobbing ist Mord)