München/Temelín. Die Grünen im Fichtelgebirge bezweifeln, dass die Schweißnähte im Atomkraftwerk Temelín im Fall einer ernsthaften Reaktorstörung sicher genug sind. Auf ihren Konferenzen fordern die Atomkraft-Gegner beharrlich, das rund 60 Kilometer hinter der bayerisch-tschechischen Grenze gelegene Kraftwerk abzuschalten und warnen vor katastrophalen Folgen für Ostbayern, sollte der „Fall X“ eintreten – so auch auf der jüngsten Temelín-Konferenz in der bayerischen Landeshauptstadt.
Über die Besucherzahl mochte sich Brigitte Artmann anfangs schon ein wenig ärgern. Einmal habe sie eine ihrer Temelín-Konferenzen in München machen wollen statt wie bisher in Tschechien, sagte die Kreisvorsitzende der Grünen im Fichtelgebirge, in der Hoffnung auf große Resonanz. „Aber der Widerstand hat heute anderes zu tun“, musste sie feststellen. Die rund 30 Menschen, die zur siebten Ausgabe der Konferenz ins Eine-Welt-Haus im Münchner Westen gekommen waren, hätte sie alle persönlich begrüßen können – was sie dann in ihrer Eröffnungsrede auch nahezu tat, zumal es sich zum größten Teil um gute Bekannte aus der Anti-Atomkraft-Bewegung handelte.
„Aber beweisen muss sich die Qualität bei einem Störfall“
An breiter öffentlicher Unterstützung, wie sie die Gegner des in die Jahre gekommenen, belgischen Atommeilers Tihange im Westen Deutschlands genießen, fehlt es ihren Kollegen in Ostbayern bisher. Dabei haben auch die ein Sorgenkind direkt vor der Haustür. „Bei Tihange weiß man wenigstens weitgehend, was los ist. Bei Temelín wird gelogen und betrogen, die legen die Fakten nicht auf den Tisch“, sagt Artmann. Sie und ihre Mitstreiter stören sich vor allem an den Schweißnähten an den Rohren im Reaktordruckbehälter – also direkt im Herz von Block 1 des AKW. Besonders stören sie sich an der Naht mit der Nummer 1-4-5. Die gehört nämlich zu einem Rohr, bei dem beim Bau ordentlich etwas daneben gegangen ist: Es wurde – da mache auch der Betreiber keinen Hehl daraus – um 180-Grad falsch herum eingesetzt und angeschweißt. Das Rohr – nicht irgendeines, sondern eins aus dem primären Kühlkreislauf, das noch mindestens bis zum Jahr 2042 einen permanenten Druck von 160 bar und einer Temperatur von 320 Grad aushalten muss – sei kurzerhand wieder ausgebaut, umgedreht und neu montiert worden.
„Kein Problem“, sagt die tschechische Atomaufsicht. Die AKW-Gegner haben allerdings so ihre Zweifel daran, dass da alles mit der nötigen Sorgfalt geschehen ist. Und die notwendigen Dokumentationsunterlagen können oder wollen der Betreiber und die tschechischen Behörden bis heute nicht umfangreich vorlegen. „Ich habe größte sicherheitstechnische Bedenken. Wenn es zu einem Leck oder einem Bruch kommt, haben wir einen nicht beherrschbares Problem im Reaktordruckbehälter“, warnt Dieter Majer, ehemaliger technischer Leiter der Atomaufsicht beim Bundesumweltministerium. Er glaube nach jetzigem Wissensstand, dass auch die anderen Schweißnähte nicht den Qualitätsanforderungen entsprächen. Und: „Unter normalen Bedingungen wird die Naht ihren Dienst tun. Aber beweisen muss sich die Qualität bei einem Störfall.“
Sollte dann etwas schief gehen, wäre das wohl auch mindestens für Oberfranken, die Oberpfalz und Niederbayern ein größeres Problem. 59 Kilometer Luftlinie sind es vom Kraftwerk bis Haidmühle, bis Passau etwas mehr als 90. Für die Dreiflüssestadt sähe sie dann schwarz, sagt Artmann, bei ungünstiger Windrichtung bekäme wahrscheinlich auch München die Auswirkungen noch deutlich zu spüren. „Und Temelín läuft ja erst seit 17 Jahren. Je älter es wird, desto maroder wird es und desto wahrscheinlicher wird der Super-Gau“, sagt Artmann.
„Werden alles tun, damit Aktenlage auf den Tisch kommt“
Deshalb wollen die Grünen endlich ausführlich in die Akten schauen, die ihre Zweifel widerlegen könnten – und fordern dabei mehr Engagement vom Umweltministerium. Laut Atom-Abkommen mit Tschechien könne der Bund durchaus mehr Informationen verlangen, sagt die atompolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Sylvia Kotting-Uhl, die zur Unterstützung nach München gereist ist. „Da steht drin, dass sich beide Seiten Unterlagen zugänglich machen.“ Das große Problem blieben aber die fehlenden Mitspracherechte in den Nachbarländern.
Deshalb nutzt Kotting-Uhl die Konferenz auch, um 60 Jahre nach ihrer Gründung an der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom)zu rütteln. Der Euratom-Vertrag regelt die Zusammenarbeit der EU-Länder zur Förderung von Atomkraft. „Nach Tschernobyl und Fukushima noch auf der Basis eines Vertrags zu agieren, in dem steht, dass Kernenergie zu Wohlstand und Gesundheit beiträgt, halte ich für zynisch“, sagt Kotting-Uhl. Bei allem Bedauern um den EU-Austritt Großbritanniens: Ein kleiner Trost sei zumindest, dass sich mit dem Ausscheiden des Atomkraftbefürworters die Chance biete, das Abkommen neu zu verhandeln. „Wenn eine Reform nicht machbar ist, sollte Deutschland das Kreuz haben, aus dem Vertrag auszusteigen. Euratom ist von gestern, wir sollten uns aber dringend für morgen aufstellen“, sagt die Bundestagsabgeordnete.
Temelín vom Netz zu nehmen – das erklärte Ziel der Grünen – wäre damit aber noch nicht erreicht. „Wir können Temelín nur abschalten, wenn wir nachweisen können: Da passt was nicht. Deshalb wollen wir alles tun, damit die Aktenlage auf den Tisch der deutschen Atomaufsicht kommt“, sagt Artmann. Also heißt es, weiter kämpfen und auf öffentlichen Zuspruch hoffen: Das nächste mal bei „Trommeln gegen Temelín“ am 17. April in Waidhaus.
Fabian Herrmann
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Umsonst gibt’s nett so viel Krebserkrankungen bei uns! Und Wildschweine sind nur begrenzt essbar!
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Zum Atomstrom diesseits der Grenze
E.ON Energie Deutschland ist ein großer und recht aktiver Stromanbieter im Landkreis FRG. Auch er bezieht Strom aus Kernkraftwerken. Und neben ihm tummeln sich jede Menge sogenannter „Ökostromanbieter“ auf dem Markt. Die allermeisten dieser Anbieter aber beziehen einen Anteil ebenso aus Kernkraftwerken. Dem Kunden (und offensichtlich gibt es dafür eine große Nachfrage) aber verkauft man „grünen Strom“ gerne durch einen Rechentrick: Wenn diese Anbieter X Prozent aus umweltbewusster und regenerativer Energie „erzeugen“ (=Ökostrom), dann rechnen sie einfach so: Wir können eben genau diese X Prozent unseres Kundenstammes „reinen“ Gewissens mit „reinem“ Ökostrom versorgen, denn den (Anteil) Atomstrom verkaufen wir ja an unsere „konventionellen“ Kunden. Das muss man wissen.
Was beim Strom aber von vielen Kunden nicht hinterfragt wird, würde beim Bier so nie funktionieren. Oder würden sich die Sportler und „Abstinenzler“ tatsächlich von Brauereien ganz normales Helles mit dem gleichen Argument als „Alkoholfrei“ andrehen lassen? Auch da könnte die Brauerei sagen: unser Bier beinhaltet lediglich ca. 5 Prozent Alkohol. Also könnten wir 95 Prozent unserer Kunden das gleiche Produkt als „Alkoholfreies“ verkaufen.
Gut, ich weiß: Vergleiche hinken immer, irgendwie…, und ums vorwegzunehmen: Der Strom aus der Steckdose ist immer der „selbe“, doch wenn sich jemand bewusst gegen Atomstrom entscheiden möchte, dann bleiben lediglich vier Anbieter:
Naturstrom AG (55,1% Wasser, 30,7% EEG, 13,3% Wind, 0,9% PV)
Greenpeace Energy (88,0% Wasser, 12% Wind)
EWS Schönau (100% Wasser- und Windkraft, 74% aus Neuanlagen (37,7% gefördert nach EEG, 62,3% sonstige erneuerbare Energien))
und
Lichtblick (100% Ökostrom, darunter 37% gefördert nach EEG)
Klar ist, dass nun der Wechsel zu einem dieser vier Anbieter die Einnahmen der Atomstrom-Produzenten größtmöglich reduziert, weil diese Unternehmen tatsächlich überhaupt keinen(!) Atomstrom im Mix haben. Wenn man also voraussetzt, dass Atomstrom keine Alternative ist/sein soll, dann führt an dieser Konsequenz kein Weg vorbei. Der Preisvergleich lohnt sich auch mit diesen vier Anbietern. Und Zuverlässig sind sie allemal. Ich selber habe seit beinahe zehn Jahren keine schlechten Erfahrungen mit einem der vier gemacht.