Langdorf. Der Weizriegel befindet sich zwischen den Dörfern Schöneck (Gde. Langdorf) und Neusohl (Stadt Regen). Der 696 Meter hohe Berg ist von einem großen, zusammenhängenden Waldgebiet umgeben. Ein Sammelsurium an zerklüfteten Felsen charakterisiert den Weizriegel, dessen Name auch in verschiedenen Karten über den Bayerischen Wald zu finden ist. Er setzt sich zusammen aus den Begriffen „Weiz“ (bairisch für: Geist/Spuk) und „Riegel“ (bairisch für: felsiger Berg) – und hat somit die Bedeutung von „Geisterberg“. Buch-Autor Sepp Probst, der sich schon über viele Jahre hinweg mit Mythen und Sagen rund um den Bayerischen Wald beschäfitgt, meint: „Die Einwohner der Dörfer Katzenbach, Schöneck und Neusohl meiden seit jeher diesen Berg, besonders nach Einbruch der Nacht durchqueren sie ihn nur ungern.“
Mit Uhuuu“-Rufen erschreck
Am Weizriegel seien früher viele Waldohreulen und Kauze beheimatet gewesen, die die Passanten immerzu mit ihren „Uhuuu“-Rufen erschreckt hatten, weiß Probst. „So meinten diese, dass die Geister sie verfolgen.“ Ihm zufolge gibt es jede Menge unheimlicher Sagen über jenen Berg, von denen vier hier im Folgenden nachzulesen sind. Probst bekam die Geschichten von den Anwohnern erzählt – eine davon ist ihm gar selbst widerfahren…
Irrwurz am Weizriegel
Ein Holzarbeiter, der in der Gegend um den Weizriegel schon seit Geburt an beheimatet war, ging an einem Sonntag nach Schöneck ins Wirtshaus zum Kartenspielen. Als er dann nach Hause gehen wollte, musste er über den Weizriegel nach Neusohl gehen. Dieser Weg war ihm von Kindesbeinen an wohl bekannt. Als er durch den Wald rund um den Weizriegel ging, verlor er – ohne ersichtlichen Grund – die Orientierung. Er irrte stundenlang durch zwischen den Bäumen umher, die ihm zuvor noch allzu bekannt erschienen. Doch nun kamen sie ihm fremd und seltsam vor – er konnte sich an nichts mehr in diesem Wald erinnern: An keinen Weg, an keine Weggabelung. Erst spät in der Nacht fand er die Orientierung wieder und konnte seinen Weg nach Neusohl fortsetzen.
Am nächsten Tag erzählte der Holzhauer seiner Familie, was ihm am Tag zuvor geschehen sei – er war fest davon überzeugt, dass er auf eine Irrwurz getreten ist und so die Orientierung verloren hatte…
Seltsame Begleitung
Eine Frau arbeitete in Schöneck in einem Gasthaus als Bedienung. Eines Tages bekam sie eine Nachricht, dass ihre Mutter im Sterben liege und sie nach Hause kommen solle. Die Frau ging sofort los, um noch rechtzeitig daheim anzukommen, ihr Weg führte sie aber durch ein großes Waldgebiet (Weizriegel), vor dem sie große Angst hatte und über das sie schon viele schreckliche Geschichten gehört hatte.
Als die Frau an jenem Waldstück angekommen war, erschien ihr ein kleines, weißes, fast durchsichtiges Männlein, das von da an neben ihr her lief. Sie hatte keine Angst vor dem kleinen Männlein, denn es strahlte irgendetwas Beschützendes aus – was genau, konnte sich die Frau nicht erklären, aber sie wusste, dass sie nichts zu befürchten hatte. Egal, wie schnell oder langsam sie durch den Wald lief – das Männlein verharrte immer an ihrer Seite. Erst als sie den Wald wieder verließ, löste sich das weiße Männlein in Luft auf.
Als sie schließlich zu Hause angekommen war, hatte ihre Mutter bereits das Zeitliche gesegnet. Die Frau glaubte von da an, dass die Seele ihrer Mutter sie noch durch jenen unheimlichen Wald begleitet hatte…
Vom Teufel verfolgt
Einige Leute wollten von Neusohl nach Schöneck während der Abenddämmerung ins Wirtshaus gehen. Da es noch recht hell war, wählten sie den direkten Weg durch den Weizriegel. Dort angekommen, hörten sie plötzlich Schritte hinter sich. Sie drehten sich um – und sahen einen Mann, der etwa 50 Meter hinter ihnen ging. Erleichtert, dass es kein Geist war, marschierten sie weiter voran. Doch fiel ihnen auf, dass jener Mann bei jedem Schritt ein Geräusch verursachte, als würde eine Geiß mit ihren Hufen auftreten. Da wandten sie sich erneut um und sahen sich ihren ominösen Verfolger etwas genauer an: Er hatte tatsächlich nebst seinem normalen Fuß einen Fuß ähnlich dem Huf einer Geiß. Nun bekamen es alle tatsächlich mit der Angst zu tun und rannten, so schnell sie konnten, bis zum Waldrand. Dort angekommen, war von dem geißfüßigen Mann nichts mehr zu sehen…
Als sie dann im Wirtshaus waren, erzählten sie dort sogleich von diesem Vorfall. Ein älterer Schönecker berichtete ihnen darauf, dass Derartiges schon häufiger vorgekommen sei. Es gebe viele Berichte über Menschen, die durch diesen Wald spazierten und vom Geißfüßigen verfolgt worden sind. Es sei der Teufel selber, der den Menschen dort auflauere und ihnen hinterher steige…
Das Böse will nicht weg
Eine Frau, die sich auf das Schamanistische festgelegt hatte, bat mich, ihr den Keltenstein bei Igleinsberg zu zeigen, da sie den Weg dorthin nicht kenne. Ich fuhr also mit ihr nach Igleinsberg. Während der Fahrt unterhielten wir uns angeregt über mystische Orte. So fragte ich sie, ob sie nicht auch den Weizriegel sehen wolle. Sie war begeistert und wir änderten unseren ursprünglichen Plan. Das Auto am Waldrand abgestellt, spazierten wir auf den Weizriegel zu.
Als wir an einem etwas größeren, vor dem Gipfel gelegenen Felsen vorbeikamen, sagte sie plötzlich, dass sie etwas spüre – und sich den Felsen einmal genauer ansehen wolle. Dort angekommen, kam sie schnell zur Erkenntnis, es müsse hier etwas Schlimmes passiert sein. Im Gestein würden sich Gesichter zeigen – ihrer Deutung nach ein schlechtes Omen…
Jener Felsen ließ auch meiner Ansicht nach mehrere schmerzverzerrte Gesichter erkennen. An dessen Rückseite, die einen kleinen Überhang hatte, war alles schwarz – so, als ob dort einmal ein Feuer brannte. Die Frau erklärte mir, hier müsse gerade ein Geist anwesend sein, da sie einen Druck auf der Brust verspüre und sie nicht mehr richtig ein- und ausatmen könne. Sie fragte mich, ob sie an dem Ort räuchern dürfe. Sie könne das Böse zwar nicht vertreiben, jedoch mit dem Rauch das Gute anlocken, um so den Platz zu neutralisieren.
Die Frau vermengte sogleich auf einer Muschelschale ein paar Kräuter mit Weihrauch und begann den Rauch mit einigen mir unverständlichen Worten in Richtung des Felsens zu wedeln. Auf einmal sagte sie: „Aha“, ging einen Schritt beiseite und wedelte dann weiter. Plötzlich sprang sie einen Meter zurück, packte mich am Arm und sagte: „Wir müssen weg, schnell, ich erkläre es Dir gleich.“ Wir rannten etwa 30 Meter weit; die Frau beendete sogleich ihre Zeremonie, opferte dem Wesen fünf Kristallsteine, die sie wie eine Fünf auf einem Würfel anordnete. Als sie damit fertig war, berichtete sie mir, dass dieses Negative von hier nicht weg wolle und auch nichts Positives an seiner Seite dulde. Es sei sehr verärgert über den Neutralisierungsversuch gewesen…
Um Schlimmeres zu vermeiden, beschlossen wir zu gehen. Sie sagte, dass vorher schon einmal jemand versucht hätte, das Böse mit einer Räucherung zu vertreiben, weshalb das Wesen auf diese Weise reagiert habe. Es wäre nicht verwunderlich, wenn etwa ein Priester diesen Versuch unternommen hätte – bei all den Mythen, die sich um diesen Ort ranken.
Nach jenen Geschehnissen unternahem ich einige Führungen auf den Weizriegel und erklärte den Teilnehmern, was wir dort erlebt hatten. Die Kristalle liegen auch heute noch, zwei Jahre später, unberührt auf dem Stein, auf dem wir sie hinterlassen hatten. Ein Umstand, der sehr seltsam anmutet, da dies ein vielbesuchter Platz für Pilzsammler ist…
Was mir nach einiger Zeit auffiel: Es wachsen die schönsten Pilze dort, die – verwunderlichweise – jedoch nie geerntet werden. Es scheint fast so, als fühlten sich die Menschen an jenem Ort nicht wohl; als würden sie ihn (vielleicht unbewusst) meiden und daran vorbeigehen…
Einmal wanderte ich wieder mit meiner Familie dorthin, um Pilze zu sammeln. Als wir kurz vor dem Felsen angelangt waren, stand plötzlich mein ältester Sohn (7 Jahre) still – und schaute wie angewurzelt auf den Stein. Ich fragte ihn, was los sei, woraufhin er antwortete: „Nichts“ – und schritt voran. Nur ein paar Meter weiter die gleiche Reaktion: Er stand da und starrte auf den Felsen, als wenn er dort etwas sehen oder spüren würde. Auf nochmaliges Fragen hin erwiderte er erneut, es sei nichts. Mir war sofort klar, dass er mit seiner kindlichen Unschuld die Anwesenheit von irgendetwas Ungreifbarem vernahm, er sich dies alles jedoch nicht erklären konnte…
Wir wandelten in einem gewissen Abstand an dem Felsen vorbei – meine Frau aber steuerte direkt auf ihn zu. Wir warteten – und als sie hinterher kam, klagte sie über plötzliche Kopfschmerzen und Atemnot. Sie kannte jene Stelle des Felsens, an der sie gerade vorbeigegangen war, vorher nicht. Ein paar Meter weiter ließen die Kopfschmerzen und der Druck auf ihrer Brust wieder nach…
Immer wieder mal kam es in der Folgezeit vor, dass Teilnehmer an meinen Führungen an jener Stelle einen Druck auf der Brust verspürten und Atemnot bekamen – ohne, dass ich ihnen vorher darüber berichtet hatte, was ich über den Felsen wusste.
Einige Zeit später baten mich zwei Frauen, ob ich ihnen den Weizriegel zeigen könnte. Wir gingen zu der Stelle, wo sich der Felsen mit den Gesichtern befand. Auch eine dieser beiden Frauen verspürte, dass hier etwas Schlimmes passiert sein musste. Gleich oberhalb des Felsens war alles mit sehr viel Moos bedeckt. Hier, so sagte sie, müsse es geschehen sein. Sie spürte, dass eine Frau verfolgt worden war und an jener Stelle zu Tode gekommen sein musste – die Natur habe den Schreckensplatz deshalb mit Moos überdecket. Das Moos wuchs hier tatsächlich ungewöhnlich dicht über Felsen und Steine.
Meine Begleiterin ging dann alleine weiter zum Weizriegel hinauf und fing auf einem Felsvorsprung an zu trommeln. Als sie mit ihrer Zeremonie fertig war, kam sie zu mir und fragte mich, ob ich von Höhlen in dieser Gegend wüsste. Ich antwortete, dass hier sicher kleinere Höhlen oder größere Felsspalten zu finden seien. In ihrem Trancezustand habe sie gesehen, dass zum Weizriegel einstmals Kinder gebracht worden seien, die keiner haben wollte – mit geistiger oder körperlicher Behinderung. Sie habe gesehen, dass diese in eine Höhle geworfen worden sind, wo sie elendig sterben mussten. Diese Kinder, so die Frau, warten immer noch darauf, dass jemand die Höhle findet und dann ihre Seelen Frieden finden können…
Sepp Probst/da Hog’n
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Im Rahmen der Serie „Mystischer Bayerischer Wald“ stellt Heimatforscher Sepp Probst auf hogn.de in regelmäßigen Abständen verschiedene Sagen, Mythen und Brauchtümer des Bayerischen Waldes vor…
Weitere Teile der Serie:
- Mystischer Bayerischer Wald (1): von Opferschalen und Teufelstischen
- Mystischer Bayerischer Wald (2): Der Riederinfelsen bei Bodenmais
- Mystischer Bayerischer Wald (3): Die Teufelsmühle bei Rattenberg
- Mystischer Bayerischer Wald (4): Der Herrgottsritt am Hansl-Kreuz
- Mystischer Bayerischer Wald (5): Der Bornstein bei Bischofsmais