Ho Chi Minh/Röhrnbach/Kirchberg im Wald. Puuh, war das ein Erlebnis! 20 Minuten auf der Straße – und das Resultat? Kohlrabenschwarze Fußsohlen, die in Flipflops stecken, eine neue Bestzeit beim „Crossy Road“ spielen (nur eben real) – und ein Rucksack, der mir schon nach zehn Minuten wieder am Rücken klebt. Doch dann öffnet sie sich: Die Tür zum klimatisierten Co-Working-Space in Vietnams Hauptstadt Ho Chi Minh. Hier werden wir den Tag verbringen und arbeiten. Online. „Digitaler Nomade“ nennt man sich dann im Fachjargon. Vietnam ist unser zweiter Stopp auf unserer Reise ohne festgelegtes Enddatum. Die gebürtige Röhrnbacherin Melanie Simeth (29) und ihr Mann Florian (30), mit dem sie inzwischen in Kirchberg im Wald lebt, haben acht Monate in Südostasien verbracht – nicht um Urlaub zu machen, sondern um ihren Jobs nachzugehen.
Aber von Anfang an. Mein Mann und ich waren von November 2015 bis Juni 2016 als digitale Nomaden in Südostasien unterwegs. Jup, richtig gelesen. Wir haben gearbeitet. An unserem eigenen Unternehmen. Von Montag bis Freitag. Von Asien aus. Wir hatten zu kämpfen mit grandiosen Sprachbarrieren, instabilen Internetverbindungen und Währungen, die uns den Nullen auf den Scheinen zufolge zu Millionären gemacht haben. Und die ganze Zeit über haben wir aus unseren acht bis zehn Kilogramm leichten Backpacks gelebt.
Frei nach dem Motto: „Rucksack rauf und weg“
Warum wollten wir diese Reise machen? Wir hatten – kurz gesagt – die Schnauze voll vom ganz normalen Alltag. Und bereits während unseres Auslandssemesters 2009 in Australien hatte uns das Reisefieber gepackt. Voll und ganz. 200 Prozent. Keine Aussicht auf Heilung. Die große weite Welt erschien uns einfach zu verlockend, um nur an einem Platz zu verharren. Außerdem liest man ja seit Längerem immer und überall von diesen „digitalen Nomaden“, die von überall aus arbeiten. Das hat auch uns gereizt. Und da Florian freiberuflicher WordPress-Entwickler und somit jobmäßig betrachtet ortsunabhängig ist, gab es für uns logischerweise nichts Naheliegenderes, als einmal tatsächlich auszuprobieren, ob man von überall auf der Welt aus seinem Job nachgehen kann.
Kündigen für die Langzeitreise. Das war für mich die schwierigste Entscheidung des gesamten Projekts: meine Kündigung. Ich war zuvor in der Unternehmenskommunikation einer großen Firma tätig. Nach vielen privaten Gesprächen über eine längere Zeit im Ausland, saß ich dann im Juni 2015 in einem englischsprachigen Vortrag auf dem WordCamp (ein Community-Treffen der WordPress-Szene) in Köln, bei dem es um das dezentrale Arbeiten bei einem großen Unternehmen ging. Der Vortrag hat mich so gepackt, dass ich noch währenddessen den Entschluss gefasst habe, zu kündigen. Es war, als würde ein Schalter umgelegt. Und eines sei rückblickend gesagt: Auf dieses Abenteuer hätte ich mich schon viel eher einlassen sollen!
Nachdem dieser Schritt getan war, ging es an die Planungen. Asien war das Hauptziel, da das Leben dort mit günstigen Lebenshaltungskosten einhergeht. Wir wussten ja auch noch gar nicht, wie viel Geld wir monatlich brauchen würden. Aus diesem Grund wollte ich auch nicht ganz ohne Aufgabe sein, weshalb ich in Florians Unternehmen bei Kundenprojekten mitgeholfen und meine Website rucksack-rauf-und-weg.de ins Leben gerufen habe.
Da wir bereits 2014 mit dem Rucksack Thailand bereist hatten und von Land und Leuten begeistert waren, sollte dies unser erstes Ziel sein. Das Visum über die thailändische Botschaft in München beantragt, die letzten drei Monate noch gearbeitet, im Oktober den Rest geplant und Mitte November dann mit dem One-Way-Ticket nach Ko Samui geflogen, eine kleine Insel im Golf von Thailand. Wir konnten es selbst kaum glauben. Ganz nach dem Motto „Rucksack rauf und weg“ kehrten wir Deutschland für unbestimmte Zeit den Rücken.
Noch einen Tempel anschauen? Muss nicht sein!
Viele haben uns für verrückt gehalten …und wir uns ehrlich gesagt auch ein bisschen. Draufgängerisch wie wir waren, hatten wir noch keine feste Bleibe gebucht. Das wollten wir alles vor Ort regeln. Roller mieten, rumfahren, suchen, mieten. In Thailand ist das wirklich so einfach. Und – wie wir während unserer Reise festgestellt haben – auch in anderen asiatischen Ländern. Nach unserer Zeit in Thailand zog es uns nach Vietnam, wo wir innerhalb von drei Monaten „nur“ das halbe Land gesehen haben. Während der Woche zu arbeiten und zu bloggen und nur am Wochenende wirklich Zeit fürs Entdecken und Reisen zu haben, forderte seinen Tribut. Luxusprobleme eben. Dennoch haben wir uns immer so viel wie nur möglich angeschaut.
Jede freie Minute haben wir genutzt, um das jeweiligen Land und dessen Kultur kennenzulernen. Auf Dauer – man mag es kaum glauben – ist Reisen und Arbeiten ganz schön anstrengend. Nach Vietnam ging es zurück nach Thailand, genauer gesagt nach Chiang Mai. Dort hatte es uns schon 2014 sehr gut gefallen, weshalb wir unbedingt noch einmal dorthin wollten.
Vier Wochen verbrachten wir gefühltermaßen dort fast ausschließlich mit Essen – und schwitzten täglich bei über 40 Grad plus. Da half selbst der Fahrtwind beim Rollerfahren nicht mehr weiter. Im Anschluss ging es für weitere vier Wochen erneut nach Ko Samui, da uns Freunde und Familie besuchen kamen.
Indonesien war für vier Wochen unser nächstes Zuhause. Auf Bali haben wir viele Gleichgesinnte kennengelernt, mit denen wir heute noch Kontakt haben. Bali ist das Mekka für digitale Nomaden. Und Surfer. Yogabegeisterte und Foodjunkies ebenso. Für Sonnenanbeter und Naturliebhaber. Kurz: Für (fast) alle. Gegen Ende unserer Tour machte sich dann allmählich doch die Reisemüdigkeit bemerkbar. Noch einen Tempel oder den bekannten Wasserfall anschauen? Nun, ääähhh… Muss nicht mehr unbedingt sein.
Der Verkehr in Vietnam – Paradies für Anhänger der Chaos-Theorie:
Es hieß: Entweder für mindestens drei Monate an einem Ort bleiben, um mal wieder eine Art Alltag einkehren zu lassen – oder langsam aber sicher die Zelte abbrechen, heimfliegen und das Erlebte sacken lassen. Wir entschieden uns tatsächlich für Letzteres – nachdem wir gefühlte 1.000 Mal unsere Meinung geändert hatten. Doch nach Hause konnten wir natürlich nicht ohne letzte Umwege!
Urlaub vom… Urlaub?! Bevor wir von Bali aus in die Heimat fliegen sollten, beschlossen wir, uns nochmal ein bisschen Urlaub zu gönnen. Schließlich haben wir viel gearbeitet, was uns gerade zum Schluss doch recht schlauchte… Also ging die Reise erstmal nach Singapur. Drei Tage lang hat uns die Stadt in ihren Bann gezogen. Hier gibt es viel zu entdecken – und ohne ein Bier auf dem Deck des bekannten Marina Bay Sands Hotels für 15 Euro zu sich genommen zu haben, darf man auf keinen Fall wieder weg. Danach ging es für weitere drei Tage nach Kuala Lumpur in Malaysia. Eine Stadt, die uns asientechnisch nochmal voll in Beschlag genommen hat – und gar kein Vergleich zum „aufgeräumten“ Singapur ist.
Passen wir überhaupt noch so rein wie vorher?
Und dann war es schließlich soweit: Wir saßen wahrhaftig im Flieger nach München – und konnten es selbst kaum glauben, dass unsere Reise nun beendet sein sollte. Ein mulmiges, fast beklemmendes Gefühl saß uns da im Nacken. Wollten wir nach fast acht Monaten mit nur wenigen Alltagsverpflichtungen wie Geburtstagsfeiern, einkaufen, Wäsche waschen, kochen etc. wirklich zurück in ein fest-strukturiertes Leben? Es drängte sich die Frage auf: Passen wir da überhaupt noch so rein wie vorher?
Und ja! Zu Beginn ist es wirklich schwierig gewesen, sich hierzulande wieder zu akklimatisieren. Allzu präsent waren immer noch das meist geniale Wetter, das Meer, die Palmen, das leckere Essen, die Bekanntschaften und neuen Freundschaften, die Erlebnisse und Eindrücke. Mittlerweile sind wir schon wieder über ein halbes Jahr im Lande. Die Wochen vergehen wie im Flug. Von unseren Erinnerungen und Erlebnissen zehren wir aber noch heute – und es vergeht wohl kaum ein Tag, an dem wir nicht irgendeine Geschichte aus unserer Südostasien-Zeit hervorkramen…
Was sich verändert hat? In erster Linie: Wir selbst. Unsere Einstellung. Knapp acht Monate in Ländern mit fremden Kulturen und Sprachen gehen nicht spurlos an einem vorbei. In unserem Freundeskreis sind wir einfach nur noch die „Ausreißer“. Diejenigen, die alles anders machen – im positiven Sinn. Mittlerweile sind wir beide hauptberuflich im Bereich WordPress-Webdesign und -Programmierung selbständig tätig – und haben dadurch jederzeit die Möglichkeit, unseren Standort zu ändern. Egal, ob innerhalb Deutschlands oder über die europäischen Grenzen hinaus. Diese Erfahrung war einfach zu genial. Eine Erfahrung, die nach einer Wiederholung schreit…
Melanie Simeth