Passau/Freyung-Grafenau. Grünen-Kreisrat Toni Schuberl monierte jüngst die aus seiner Sicht überhandnehmende Flächenversiegelung im Passauer Land, sprach vom „zügellosen und naturverachtenden Flächenfraß“. Eine Meinung, die Peter Mayer vom Bund Natuschutz Freyung Grafenau sowie sein Passauer Kollege Karl Haberzettl durchaus teilen, wie im Interview mit dem Onlinemagazin da Hog’n deutlich wird. Letzterer bekommt es angesichts der fortschreitenden Entwicklung gar mit der Angst um sich und seine Mitmenschen zu tun…
„Wir müssen Gesetze erlassen, die uns vor uns selbst schützen“
In Bayern ist die Flächenversiegelung deutschlandweit am größten: Elf Hektar Natur werden laut dem BR-Magazin „quer“ hierzulande täglich bebaut oder zubetoniert – wie geht es Ihnen, wenn Sie diese Zahl hören?
Karl Haberzettl: Dann ist mir, offen gesagt, zum Kotzen zumute – und ich bekomme Angst um mich und meine Mitmenschen. (Mit ironischem Unterton:) Aber dann gründen wir halt einfach wieder einen Verein und der wird’s dann schon richten – so wie das bayernweite Bündnis zum Flächensparen… Wir müssen weg von bayern- oder deutschlandweiten Zahlen – wir müssen globaler denken, denn unser übermäßiger Flächenverbrauch wird durch unseren vermeintlichen Wohlstand verursacht, der jedoch negative Auswirkungen auf die gesamte Erde hat.

Ich sehe die Unfähigkeit der Politik. Ich sehe aber auch die Unfähigkeit der gesamten Gesellschaft, auf den Flächenverbrauch angemessen zu reagieren – somit ist das Überleben der menschlichen Spezies bedroht. Ich sage nur: Söder – und die mit diesem Namen verbundene Aufhebung des Anbindegebots sowie das zu Grabe tragen der Regionalplanung. Wir müssen Gesetze erlassen, die uns vor uns selbst schützen.
Die Menschheit verbraucht 60 Prozent mehr Fläche als die Erde bereithält. Wenn sich dieser Verbrauch künftig ungebremst fortsetzt, sind im Jahr 2030 zwei komplette Erdplaneten nötig, um den Bedarf an Nahrung, Wasser und Energie zu decken. Unser stetig wachsender Hunger nach Ressourcen frisst die Zukunft der nächsten Generation buchstäblich auf.
Die Auswirkungen dieses Raubbaus zeigen sich heute schon in dramatischer Form durch Dürren und Extremwetterlagen. Starkregen, Hungersnöte und Artensterben sind die Folge. Vier der weltweit anerkannten ökologischen Belastungsgrenzen, in deren Rahmen sich Lebensräume stabil halten, sind schon jetzt überschritten. Dies ist der Fall beim Klimawandel, bei der Biodiversität, bei der Landnutzung sowie den biochemischen Kreisläufen von Stickstoff und Phosphor.
Unser Planet steht kurz vor dem Kollaps. Die Populationen zahlreicher Wirbeltierarten haben sich zwischen 1970 und 2012 mehr als halbiert. Viele Lebensräume sind ganz verschwunden oder haben so an Qualität verloren, dass sie als Lebensraum für Tiere nicht mehr genutzt werden können. Nicht selten fallen wir Menschen der Natur- und Umweltzerstörung auch selbst zum Opfer – durch Überschwemmungen, Wirbelstürme, Dürren etc. Und trotzdem gibt es kein Einlenken. Die Dimensionen des menschlichen Handelns sprengen seit Mitte des 20. Jahrhunderts alle vorhergesehenen Grenzen.

Dieser angebliche Wohlstand hat Folgen, insbesondere für die Natur und deren Leistungen, die sie der Menschheit bereitstellt. Immer mehr Wissenschaftler sind daher der Auffassung, dass von einem neuen erdgeschichtlichen Zeitalter gesprochen werden muss: dem Menschenzeitalter, das in der Fachsprache als Anthropozän bezeichnet wird. Tatsächlich hat sich die Menschheit mit ihrem Tun und Können in bedrohlicher Weise über andere Lebewesen erhoben. Ohne Einsicht und Veränderungsbereitschaft brechen in den globalisierten Gesellschaften des Anthropozäns ungemütliche Zeiten an.
Peter Mayer: Vor mehr als drei Jahrzehnten zogen meine Familie und ich bewusst in den Bayerischen Wald – eine Entscheidung, die überwiegend mit Landschaft, Natur und den dort lebenden Menschen zu tun hatte. Jetzt zu sehen, wie Heimat durch Flächenversiegelung – erst schleichend, dann galoppierend – zerstört wird, macht traurig und wütend, weckt aber auch Widerstand.
„Dem Prinzip der Gewinnoptimierung ist alles untergeordnet“
Welche Ursachen liegen diesem enormen Flächenverbrauch zugrunde – und was muss Ihrer Meinung nach geschehen, um diese Situation langfristig zu ändern?
Peter Mayer: Es geht in unserer Gesellschaft nicht vorwiegend um ein gutes und gesichertes ‚Auskommen‘, sondern um Gewinnoptimierung. Diesem Prinzip wird alles untergeordnet. Grund und Boden sind in erster Linie Kapital, weniger Grundlage des Fortbestands von Leben und damit auch unseres Wohlbefindens und unserer Gesundheit. Das Bewusstsein dafür ist leider rückläufig – sichtbar an geschotterten, pflegeleichten Vorgärten selbst hier auf dem Land.

Langfristig geändert werden kann das nur, wenn unsere Lokalpolitiker und Entscheidungsträger ein ausgeprägtes Bewusstsein für das ‚Kapital Natur‘ und damit für die Gefahr der Überbauung unserer Landschaft entwickeln; wenn sie in einen echten Abwägungsprozess eintreten und den Mut haben, dem Kommerz den Zuschlag zu verweigern. Solange Politik, Partei und Geschäft weitgehend identisch sind, besteht wenig Hoffnung auf Änderung.
Karl Haberzettl: Eine der Ursachen ist die abnehmende wirtschaftliche Bedeutung der Agrarproduktion – wir holen uns unser Essen aus Übersee, etwa Erbeeeren, Tomaten, Gurken, Äpfel und vieles mehr, weil sie trotz langer Transportwege billiger sind als regionale Erzeugnisse. Weitere Ursachen sind der Rückgang des öffentlichen Stellenwerts der heimischen Landwirtschaft an sich sowie die Tatsache, dass immer mehr Landwirte ihren Bezug zu ihrer wichtigsten Arbeitsgrundlage – nämlich Grund und Boden – verloren haben. Der Grundverkauf, der ja größtenteils von Landwirten getätigt wird – und manchmal über Vetternwirtschaft auch von anderen -, bringt kurzfristig mehr als die Milchwirtschaft.
Wir geben immer mehr Geld für landschaftsfressende Sachen aus, etwa für Autos, die Straßen benötigen, oder Flugreisen, für die es Flughäfen braucht. Ursächlich sind auch die gestiegenen Ansprüche ans Wohnen und das Wohnumfeld, die zunehmende räumliche Mobilität der Gesellschaft sowie ein erhöhtes Verkehrsaufkommen durch die Entkopplung von Wohn- und Arbeitsplatz, den Freizeitverkehr und die räumliche Entkopplung von Rohstoff, Produktion und Verbrauch. Das Versagen der Politik nimmt in diesen Bereichen stetig zu. Eine große Schuld am Landschaftsverbrauch hat auch die idiotische Werbung, die mir in den Medien Tag und Nacht vorgaukelt, was der Mensch doch alles braucht.
„Zahlreiche Tier- und Pflanzenarten werden verschwinden“
Was ist zu befürchten, sollte sich der „Flächenfraß“ in den nächsten 40, 50 Jahren nicht wesentlich verändern?
Peter Mayer: Wenn das so weitergeht, werden die ländlichen Gebiete Bayerns industrialisiert werden. Unsere typische Bayerwald-Landschaft wird sich nicht mehr wesentlich von anderen Regionen Deutschlands unterscheiden.

Charakteristische Naturelemente wie Streuobstwiesen werden durch Einkaufszentren ersetzt. Touristen aus Nordrhein-Westfalen werden den weiten Weg nach Goggersreut, Hohenau und andere Schöne Bayerwaldorte vermeiden, wenn sie preiswertes Essen und hügelige Landschaft nebst Gewerbegebiet auch in der nahegelegenen Eifel finden. Unsere jetzt noch einigermaßen zusammenhängenden Lebensräume werden weiter zerstört werden. Zahlreiche Tier- und Pflanzenarten, die heute schon viele nicht mehr kennen, werden verschwinden. Vielleicht wird 2050 die Bayerische Umweltministerin millionenteure ökologische Korridore über achtspurige Autobahnen bauen lassen, die unsere Landschaft dann zerschnitten haben…
Karl Haberzettl: Ich denke, dass wir bei der Wasser- und Nahrungsmittelversorgung massive Probleme bekommen. Aber auch Probleme im sozialen Bereich, da immer weniger unzerstörter Raum zur Erholung zur Verfügung steht. Die viel beschriebene Biodiversität wird erlöschen. Ein jeder, der den mathematischen Grundlagen mächtig ist, kann sich selber ausrechnen, wann der letzte Quadratmeter verbraucht sein wird.

Eines der sieben prioritären Handlungsfelder in der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie ist die Minderung der Flächeninanspruchnahme für Siedlungen und Verkehr. Wenn der Umgang mit der Fläche nachhaltig organisiert werden soll – so die Zielsetzung der Bundesregierung -, muss die für Siedlung, Gewerbe und Verkehr in den vergangenen zehn Jahren in Anspruch genommene Fläche von 120 Hektar/Tag auf 30 Hektar/Tag im Jahre 2020 zurückgefahren werden. Wer glaubt, das wir das erreichen, ist ein Träumer und verkennt die Realität.
Mir tun nur meine Nachfahren leid, aber auch die Natur und deren Tierwelt, denn mit immer mehr Flächenverbrauch stirbt auch immer mehr Lebensraum für Mensch und Tier.
Düstere Aussichten, die sich hoffentlich abwenden lassen. Vielen Dank für das Gespräch.
Interview: Stephan Hörhammer
Die Leute haben recht!!! Irgendwann wird die Grenze des Wachstums erreicht. Außerdem muss unbedingt der Bevölkerungswachstum gebremst werden.
Dann wird noch wegen der Flüchtlingskrise keine Rücksicht auf die Natur genommen.