Haidmühle. „Wir haben alle einen an der Klatsche“, lacht Paul Kutzner. Der 68-jährige Luxemburger kommt seit zwölf Jahren mit seinen sechs Huskys jeden Winter nach Haidmühle. Seit sechs Jahren bleibt der Rentner den ganzen Winter über hier: von Dezember bis März arbeitet er für den SC Haidmühle als Platzwart. Der Sportplatz wird im Winter zu einer Art Campingplatz umfunktioniert – für so genannte Musher (so der Fachausdruck für Hundeschlittenfahrer) und ihre Hunde. Die meisten nehmen im Februar am jährlich stattfindenden Rennen teil.
Harte Bedingungen herrschen im Trainingscamp – nicht zu vergleichen mit einem Sommerurlaub auf dem Campingplatz. Bei oft eisigen Temperaturen leben die Husky-Fans im Wohnwagen oder Wohnmobil, stapfen durch den Schnee hinunter zum Vereinsheim, um dort Toiletten und Duschen zu benutzen. Trotzdem lieben die Gäste das Camp in Haidmühle. „Hier gibt’s keinen Stress, hier geht’s nicht ums Rennen, hier hilft man sich gegenseitig, geht jeden Abend gemeinsam Essen – die Gemütlichkeit ist einfach da.“ So beschreibt es Rolf. Er reist mit seinen sechs Huskys im Winter mehrmals aus der Nähe von Hannover an. Seine Nachbarn im Camp kommen aus Holland. „Es ist die Liebe zur Natur und zu den Hunden, deshalb machen wir das“, sagt Wil. Er hat einen vier Monate alten Malamut dabei: „Das wird der Weltmeister von 2025“, scherzt er und lacht.
…der muss nach Schweden, Norwegen – oder eben Haidmühle
Husky ist nicht gleich Husky: Es gibt Grönländer, sibirische Huskys, kanadische Eskimohunde… Wer besonders schnell unterwegs sein will, hat einen „Europäischen Schlittenhund„. Diese Rasse läuft bei Rennen in der „offenen Klasse“ und sieht in etwa aus wie ein Windhund: magerer Körper, kurzes Fell.
Doch warum kommen sie alle ausgerechnet nach Haidmühle? „In den 80er Jahren hatten wir einen Urlaubsgast aus München mit seinen Huskys hier. Ihm gefiel die Landschaft und er wollte unbedingt mit seinem Hundeschlitten fahren und Rennen veranstalten“, erzählt Jürgen Landshuter vom SC Haidmühle. Er sei dann auf den Sportverein mit der Idee zugekommen, Strecken für Hundeschlitten anzulegen. Aus der Idee wurden bald konkrete Pläne – und 1989 fand das erste Hundeschlittenrennen in Haidmühle statt.
„Seit 2002 bieten wir zusätzlich zum Rennen das Trainingscamp für die Fahrer an“, berichtet Jürgen Landshuter. Vom 22. Dezember bis zum 15. März dürfen die Strecken für die Hundeschlitten präpariert werden – diese Zeitspanne gibt das Forstamt dem Verein vor. Und genau in diesem Zeitraum hat auch das Camp geöffnet. Fast drei Monate lang – das ist einzigartig in Deutschland. „Das nächstgelegene Camp ist in Österreich, Pillersee. Aber dort kann man nur etwa drei Wochen im Jahr campen“, weiß Landshuter. Wer ein Camp sucht, das den ganzen Winter über geöffnet hat, muss bis nach Schweden oder Norwegen reisen – oder eben nach Haidmühle kommen.
Die Hundeschlittenfans sind begeistert von den Strecken
Der Sportverein kann den Mushern keinen Luxus-Campingplatz bieten. Duschen und Toiletten im Vereinsheim müssen ausreichen. „Die Hundeschlittenfahrer haben keine großen Ansprüche“, sagt Landshuter. Stromanschluss und Wasser stehen ebenfalls zur Verfügung. Alles im Tagespreis von 25 Euro für zwei Personen samt Wohnwagen und Hunden enthalten. Das Camp sauber zu halten und die Hinterlassenschaften der Hunde zu beseitigen, das müssen die Gäste selbst erledigen. Das klappt offensichtlich wunderbar – im Camp ist tatsächlich kein einziger Hundehaufen zu sehen.
Abends gibt es oft ein gemütliches Beisammensein, der Verein macht Schweinshaxe und kocht Glühwein, die Musher sitzen zusammen und essen. „Und wir lästern natürlich über alles“, lacht Paul Kutzner. Er meint es nicht ernst. Die Hundeschlittenfans seien begeistert von den Strecken, die ihnen der Sportverein bietet: Abwechslungsreich und anspruchsvoll seien sie. Jürgen Landshuter ist stolz, dass auch die großen Namen aus der Hundeschlittenszene regelmäßig im Dorf an der bayerisch-böhmischen Grenze zu Gast sind. „Sie schätzen die anspruchsvollen Strecken. In Innzell zum Beispiel sind die Strecken viel weniger abwechslungsreich als hier bei uns“, ist sich der Mann vom SC Haidmühle sicher. Außerdem seien die Strecken hier immer perfekt mit dem Pistenbully präpariert.
In diesem Jahr veranstaltet der Verein die bayerischen Meisterschaften. Aber auch Deutsche Meisterschaften und eine Europameisterschaft durfte man bereits ausrichten. Bei „der Bayerischen“ werden auch die Holländer und die Norddeutschen aus dem Camp antreten. Für sie gibt es dann eine Extra-Wertung – bayerischer Meister kann natürlich nur jemand werden, der für einen bayerischen Verein an den Start geht.
„Schwerstverletzte hat sich Bein vorm Restaurant gebrochen“
Im Camp beginnen die beiden Trainingsstrecken, jeweils neun beziehungsweise zehn Kilometer lang. Die Rennstrecke unterscheidet sich dabei gänzlich von den Trainingsrouten. Zum Trainieren ins Camp kommen aber nicht nur Profis, die sich für das Rennen vorbereiten. Viele betreiben den Hundeschlitten-Sport als Hobby – so wie Platzwart Kutzner. Seine sechs Hunde kommen alle aus dem Tierheim, sein ältester ist 14 Jahre alt. Auch Leute, die erst seit Kurzem Huskys besitzen, kommen gerne in die Dreisesselgemeinde. Weil sie hier das Hundeschlittenfahren erlernen können.
Ob sportlich ambitionierter Musher oder Hobbyfahrer: Haidmühle hat für jeden die richtige Strecke zu bieten. Alles ist genau ausgeschildert: von einfacheren Abschnitten für Anfänger bis zu den schwereren für die Profis. Und wer erstmal nur üben will, wie es sich anfühlt, auf so einem Hundeschlitten zu stehen, kann dies ohne Vierbeiner auf der Wiese neben dem Camp tun: Ein Motorschlitten zieht dort den Schlitten über einen kleinen Rundkurs. Wer das gut meistert, kann darauf die Hunde anspannen.
Schwere Unfälle sind auf den Hundeschlittenstrecken übrigens noch nie passiert. „Die Schwerstverletzte, die wir während eines Rennens je hatten, hat sich das Bein vorm Restaurant gebrochen“, lacht Paul Kutzner. Sie ist auf einer Eisplatte ausgerutscht. Die Hundeschlittenfahrer würden zwar ab und zu mal stürzen – einen Rettungswagen habe man für einen Musher noch nie gebraucht.
Appell: „Bitte lassen Sie Ihre eigenen Hunde zu Hause“
Das bleibt hoffentlich auch am 18. und 19. Februar so, wenn das diesjährige Rennen stattfindet. Dass der Schnee – wie in den vegangenen beiden Jahren – fehlt, darüber braucht sich Renn-Organisator Landshuter in diesem Jahr keine Sorgen machen: Die Schneedecke auf der Strecke ist mehr als einen halben Meter hoch. „Nur kurz hinter dem Start gibt es einen Abschnitt, wo der Wind den Schnee oft wegweht.“ Aber man sei vorbereitet: Schnee liegt neben der Strecke gelagert, um sie jederzeit wieder gut in Schuss bringen zu können.
Paul Kutzner sorgt sich nicht um den Parcours, er hat einen anderen Appell an alle, die als Zuschauer zum Rennen kommen wollen: „Bitte lassen Sie Ihre eigenen Hunde zu Hause.“ Die Huskys seien am Start und Ziel im Rennmodus und daher sehr nervös und angespannt. Wenn dann ein fremder Hund neben der Strecke kläfft, kann das die Vierbeiner extrem irritieren.
Text und Fotos: Sabine Simon