Mario ist ein sportlicher Typ. Seine größte Leidenschaft ist der Fußball – sowohl als Aktiver auf dem Bolzplatz und dem Rasenfeld, als auch als Funktionär beim örtlichen Sportverein. Die wenige Zeit, die sich nicht um das runde Leder dreht, verbringt er auf Skiern. Spaß an der Bewegung, Spaß am sportlichen Miteinander sind Dinge, die sein Leben lebenswert machen. Vergangenheit. Ein angeborener Gendefekt und der damit verbundene langsame Abbau von Muskelmasse lässt Marios Körper regelrecht verfallen. „Ein Rollstuhl wird in naher Zukunft mein stetiger Begleiter sein“, blickt der 20-Jährige in eine ungewisse, von Selbstzweifeln geprägte Zukunft.
Bewusst hat der junge Mann den Weg an die Öffentlichkeit gesucht. Nicht, um Mitleid zu erhaschen. Das will er auf keinen Fall. Denn inzwischen hat er sein Schicksal angenommen – auch den Kampf gegen den eigenen Körper. Mario möchte hingegen auf seine Krankheit aufmerksam machen und Leidensgenossen durch den offenen Umgang damit ein Vorbild sein. „Gewissermaßen bin ich Lottosieger“, sagt Mario und lacht. „Die Wahrscheinlichkeit, diesen Gendefekt zu haben ist fast genauso hoch wie ein Sechser samt Zusatzzahl.“
Die ausbleibende Antwort auf die Frage: Warum gerade ich?
Seit seiner Geburt „beheimatet“ er einen ungebetenen Gast in seinem Körper. Ein giftiges Protein mit dem Namen DUX 4 wird durch den Defekt von Chromosom 4 aktiviert, nistet sich in der Muskulatur ein – und baut diese nach und nach ab. FSHD wird diese Krankheit genannt. Im Alter von sieben Jahren werden Mario und sein Umfeld darauf aufmerksam, dass mit ihm etwas nicht stimme. „Meinen Eltern ist aufgefallen, dass ich beim Laufen meine Arme immer hängen lasse“, erinnert er sich. „Außerdem waren meine Bewegungen im Vergleich zu denen meiner Freunde sehr langsam.“ Mehrere Untersuchungen bringen letztlich die ernüchternde Diagnose. „FSHD ist vererblich. Meine Mutter hat den gleichen Gendefekt, bei ihr ist er jedoch nicht so ausgeprägt wie bei mir.“
Mit einer erstaunlichen Nüchternheit spricht Mario über sein Schicksal. Regelmäßige Übungen, Termine beim Physiotherapeuten und Reha-Aufenthalte in einer Dresdner Spezialklinik bremsen den Muskelschwund zumindest ein bisschen. Ein Stopp des körperlichen Abbaus bzw. ein „kompletter Sieg“ gegen die heimtückische Krankheit ist momentan noch ausgeschlossen. Eine Tatsache, die Mario zunächst in ein tiefes Loch stürzen ließ. Er stellte sich immer wieder die Frage: Warum ich? Doch nach einiger Zeit hatte er sich dieser Selbstzweifel entledigt. „Ich habe gelernt, damit umzugehen“, fasst der 20-Jährige jenen langwierigen Prozess zusammen.
Vier Buchstaben, die die Welt bedeuten…
Dass Mario eine Kämpfernatur ist, bestätigt auch sein älterer Bruder Christian: „Natürlich gibt es immer wieder Auf und Abs. Doch Mario ist verdammt schlau. Er macht das Beste aus seiner Situation.“ Schafkopfen mit Freunden, gemeinsame Allianz-Arena-Besuche, Party in der Disko – berichtet er von seiner Freizeitgestaltung, scheint er kurzzeitig seinen fragilen Zustand zu vergessen. Genau diese Momente der Normalität sind aufgrund Marios positive Einstellung zum Leben überhaupt möglich. Er genießt die Augenblicke, die für gesunde Gleichaltrige nichts Besonderes bedeuten – aber für ihn. Doch: Immer wieder wird er von FSHD eingeholt. Der Treppenlift etwa, ohne den er nicht mehr in den ersten Stock kommt, erinnert ihn täglich an diese vermaledeiten vier Buchstaben…
Auch so einige unzweideutige Blicke mancher Menschen verletzten die Seele des 20-Jährigen. Ihm wird dann deutlich, dass viele ihn als Schwerbehinderten – und nicht als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft wahrnehmen. Das kam auch während seiner Ausbildung zum Bürokaufmann in einem Freyunger Betrieb zum Vorschein. „Erst wurde versucht, mich im Betrieb zu halten. Dann hieß es aber, dass als Bürokaufmann keine Planstelle existiere. Kurz vor Ende meiner Ausbildung habe ich dann erfahren, dass jemand, der gesund ist, für die Stelle übernommen werden soll.“
Seitdem jobbte Mario in verschiedenen Bereichen – das Passende war jedoch nicht dabei. Das liegt nicht daran, dass er besonders wählerisch ist. Sondern vielmehr an den örtlichen Begebenheiten. „Ich fahre ein Auto mit Automatikschaltung. Durch meinen Führerschein bin ich mobil. Größere Treppen oder Außentermine sind aber leider ein Ding der Unmöglichkeit.“
„Man muss mit solchen Themen offen umgehen“
Schwierigkeiten, die seinen Alltag bestimmen. Auch deshalb möchte er auf sich und sein Handicap aufmerksam machen. Pionierarbeit leisten, wenn man so will. „Ich bin seit Kurzem einer der Admins einer Facebook-Selbsthilfe-Gruppe. Dort können sich zirka 400 FSHD’ler austauschen und so ihr Leben gemeinsam etwas optimieren. „Man muss mit solchen Themen offen umgehen. Ganz einfach.“
Toller Beitrag
Da ich auch an FSHD-Muskeldystrophie erkrankt bin, hat mich dein Bericht sehr bewegt. Du bist sehr mutig. Ich brauchte 6 Jahre dazu über meine Erkrankung sprechen zu können. Meine Diagnose bekam ich vor 34 Jahren und jetzt mit 58 kann ich nur sagen, mein Leben ist schön. Trotz der ständigen Verschlechterung durch FSHD oder gerade deshalb genieße jeden Tag.
Ich wünsche alles erdenklich Gute und dass bald ein Wirkstoff gefunden wird der FSHD zum Stillstand oder gar die Heilung bringt.