Spiegelau/Frauenau. Die beiden Gemeinden sind nicht nur unmittelbare Nachbarn. Beide hat zudem dasselbe Schicksal ereilt. Glas war lange Zeit der maßgeblich prägende Rohstoff in Spiegelau und Frauenau. Hat sich die Glas-Produktion, genauer gesagt die Nachtmann-Gruppe, von Spiegelau schon vor einigen Jahren verabschiedet, muss Frauenau wohl demnächst mit diesem Verlust fertig werden. Die Folgen: eine Industrie-Brache im jeweiligen Ortskern, weniger Arbeitsplätze, weniger Abnehmer für die örtlichen Bäcker, Metzger und Einzelhändler – kurzum: schwierige Zeiten für die Verantwortlichen der Nationalparkgemeinden. Doch nun sehen die Bürgermeister Herbert Schreiner (Frauenau) und Karlheinz Roth (Spiegelau) Licht am Ende des Glas-Tunnels. Der Grund: Beide Kommunen haben im Verbund den eDorf-Wettbewerb gewonnen – und dürfen sich somit bald als „digital-unterstütztes Modelldorf“ bezeichnen.
„Ich bin überglücklich, dass unsere Bewerbung erfolgreich war – zumal wir wahnsinnig viel Energie in unsere rund 90 Seiten umfassende Bewerbung gesteckt haben“, freut sich Spiegelaus Rathaus-Chef Karlheinz Roth gegenüber dem Onlinemagazin da Hog’n. Sein Frauenauer Amtskollege, Herbert Schreiner, stimmt mit ein: „Wir haben jetzt die große Chance, die Digitalisierung in den beiden Orten in vielen Bereichen voranzutreiben.“ eDorf statt Glasstandort – ist das die Zukunft der Gemeinden Frauenau und Spiegelau? Die Landräte Sebastian Gruber (FRG) und Michael Adam (Regen) zeigen sich zumindest zuversichtlich. „Wir freuen uns, dass die Staatsregierung Wort hält und als ersten Einzelteil der ‚Nachtmann-Entschädigung‘ das eDorf-Projekt in den Bayerischen Wald vergibt“, lässt Adam mitteilen. Gruber betont im Rahmen einer Pressemitteilung: „Mich freut es, dass der Bayerische Wald, der sich in den letzten Jahrzehnten hin zu einer Technologieregion entwickelt hat, nun auch beim eDorf seine Innovationskraft unter Beweis stellen kann.“
Vor allem im Bereich Pflege/Medizin soll einiges geschehen
Innovation? Digital-unterstütztes Modelldorf? Digitalisierung? Große Chance? Zunächst hört sich das „eDorf“-Projekt noch nach böhmischen Dörfern an – so recht kann man sich nicht vorstellen, welche Vorteile dieses Vorhaben mit sich bringt, wie genau sich die Teilnahme in den Gemeinden Spiegelau und Frauenau bemerkbar machen wird. Im Gespräch mit dem Onlinemagazin da Hog’n geht Rainer Bomeisl (49), Projektmitarbeiter der Technischen Hochschule Deggendorf, die in Form des Technologiecampus Grafenau das eDorf-Projekt begleitet, auf diese Fragen ein.
Herr Bomeisl, können Sie uns das Projekt „eDorf“ genauer erklären?
Das Projekt soll in Zukunft „digitales Dorf“ heißen. Im Grunde geht es darum, durch Digitalisierung die Attraktivität ländlicher Regionen und die Lebensqualität ihrer Einwohner erheblich zu steigern. Die Digitalisierung ist eine große Chance für den ländlichen Raum. Sie bietet enorme Möglichkeiten, Daseinsvorsorge, Mobilität und Lebensqualität nachhaltig zu sichern und zu verbessern. Daher hat die Staatsregierung unter Federführung des Wirtschaftsministeriums die Umsetzung je eines digitalen Modelldorfes in Nord- und in Südbayern in zusammenhängend ländlich geprägten Regionen beschlossen. Durchführende Partner sind die Technische Hochschule Deggendorf und die Fraunhofer Gesellschaft.
In einer Pressemitteilung heißt es, dass „mit Hilfe moderner Informations- und Kommunikationstechnologien neue Services und Anwendungen geschaffen werden, die die Lebensbedingungen im ländlichen Raum, speziell für Senioren, aber auch Familie verbessern“. Das hört sich sehr theoretisch an. Können Sie das bitte etwas praktischer darstellen?
Zielgruppe sind grundsätzlich alle Bürger. Am Beispiel Pflege/Medizin kann man verdeutlichen wie Digitalisierung und technologische Unterstützung ein selbstbestimmteres Leben für ältere Menschen oder Menschen mit Handicap ermöglichen. Die Medizin kommt dabei zum Menschen – und nicht umgekehrt. Mögliche Inhalte sind eine medizinische Koordinierungsstelle, ein Telemedizin Netzwerk Center bzw. ein Gesundheitszentrum mit den Bereichen Pflege, Wohnen und Medizin. Unterstützt und umgesetzt werden die Maßnahmen mit Hilfe eines digitalen Informationssystems, einer Gemeindeschwester und ehrenamtlichem Engagement.
„Ab März wird mit der Umsetzung der Projektidee begonnen“
Das Vorhaben des Gemeindeverbunds in Südbayern verfolgt aber einen umfassenden Ansatz aus insgesamt sieben Maßnahmenfeldern: Neben Telemedizin sind auch Maßnahmen wie das digitale Rathaus, Dorfshuttle, Nahversorgung durch ein Bestell- und Liefersystem im Lebensmitteleinzelhandel, Wohnwelten für unterschiedlich pflegebedürftige Zielgruppen, Digitale Lehr- und Bildungsangebote und ein Telearbeitszentrum geplant. Gerade in den Handlungsfeldern Bildung, Mobilität und Arbeit können auch Familien profitieren.
Der Gemeindeverbund Spiegelau-Frauenau wird dabei unter anderem im Fokus stehen. Ein Wettbewerb hat entschieden, dass diese beiden Dörfer „digital-unterstütztes Modelldorf“ werden. Warum hat man sich für Spiegelau und Frauenau entschieden?
Der hohe Detaillierungsgrad der Bewerbung sowie die sinnvolle Partnerauswahl – bereits durch Grundsatzvereinbarungen und umfangreiche Investitionszusagen ergänzt – begründen die Erstplatzierung dieser landkreisübergreifenden Verbundbewerbung. Ebenso überzeugten die aufgeführten Ideen hinsichtlich Modell-Charakter und „Leuchtturm-Wirkung“.
Was genau kommt auf diese beiden Gemeinden in der kommenden Zeit zu? Wie nehmen die Bürger wahr, dass Ihr Heimatort zum „digitalen Dorf“ wird?
Bis Ende Februar 2017 wird der Verbund Spiegelau-Frauenau gemeinsam mit der Technischen Hochschule Deggendorf die Projekt-Idee weiter ausarbeiten und die Konzeptinhalte schärfen. Ab März 2017 wird mit der Umsetzung der Projektidee begonnen, bis Mitte 2018 ist die Umsetzung wesentlicher Projektinhalte geplant. Die Bürger werden von Anfang an mitgenommen und auch bei der anstehenden Umsetzungsplanung beteiligt. Schon in der Bewerbung von Spiegelau und Frauenau wurde deutlich, dass sehr aktive Bürgerinitiativen bestehen, die sich proaktiv an der Entwicklung der Gemeinde beteiligen. Ein Beispiel dafür ist die Gruppierung „Helfer vor Ort“.
„Durchführender Partner ist der Technologiecampus Grafenau der Technischen Hochschule Deggendorf“, heißt es in der Meldung weiter. Welche Rolle wird der Technologiecampus (TC) Grafenau bei der Modellphase mit Spiegelau und Frauenau übernehmen?
Die Koordination des Projektablaufs, die Projektplanung und -leitung sowie die wissenschaftliche Begleitung werden durch die beteiligten Institute abgebildet. In Südbayern, also für Spiegelau-Frauenau, wird dies der TC Grafenau übernehmen. Unterstützend werden wir auch bei der Bildung eines Projekt-Konsortiums mitwirken. Wir werden die Kompetenzen der gesamten Hochschulfamilie der TH Deggendorf nutzen.
„Leuchtturm- bzw. Modellcharakter sind wichtige Aspekte“
Welche Erkenntnisse erhofft man sich durch die Modellphase?
Konkret wird man sich in den nächsten Wochen der ergebnisorientierten Umsetzungsplanung widmen. Dabei werden wir den Förderzeitraum bzw. die Modellphase immer im Fokus haben. Fakt ist, dass bis Mitte 2018 erste, vorzeigbare und modellhafte Ergebnisse vorliegen werden. Allerdings ist auch zu bedenken, dass infrastrukturelle Maßnahmen, wie zum Beispiel der Bau von Zentren und andere Einrichtungen ihre Zeit brauchen. Langfristige Ausrichtung, Übertragbarkeit auf andere Regionen und „Leuchtturm-“ bzw. Modell-Charakter sind bei der Umsetzung wichtige Aspekte.
Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg.
Interview/Text: Helmut Weigerstorfer
Viele, viele Worte….
Wenn da man nicht viel heiße Luft dabei ist….