Freyung. Das Sterben ist in ihren Augen wie eine Geburt. Sie selbst betrachtet sich als „Hebamme“ für die Sterbenden, als Begleiterin. Sie bringt die Ruhe, die positive Grundstimmung dafür mit – „sie sieht nichts dunkel“. Ihre Philosophie: „Wenn man sich den Seelenfrieden vor dem Tod schon verschaffen kann, umso besser.“ Zum Leben von Schauspielerin Marianne Sägebrecht („Out of Rosenheim„, „Zuckerbaby„) hat immer schon auch der Tod, das Sterben und die Sterbebegleitung mit dazu gehört, wie sie im Gespräch mit dem Onlinemagazin da Hog’n verrät. Die Hospiz ist ihr eine Herzensangelegenheit, die die mittlerweile 70-Jährige gemeinsmam mit dem Musiker und Lyriker Josef Brustmann sowie dem Saxofonisten und Klarinettisten Andreas Arnold seit mehr als sechs Jahren den Menschen in Deutschland, Österreich und der Schweiz näherbringt. Titel des Programms: „Sterbelieder fürs Leben“.
„Sterbelieder fürs Leben“ – auf den ersten Blick eine ziemliche Antithese. Ein Oxymoron. Was hat es damit auf sich?
Wir präsentieren Sterbelieder und -gedichte von Rilke, Brecht, Heine, Trakl und Eichendorff, zwischendrin sind immer wieder Musikstücke zu hören. Es geht um Hoffnung, Liebe und Tod. Das Programm soll Trost spenden – und ist gleichzeitig heiter und liebevoll – ganz ohne Sarkasmus. Die meisten Menschen haben Angst vorm Tod und stürzen sich dann in humoristische Ebenen. Der Tod sitzt immer mit am Tisch und man nimmt ihn mit herein und drängt ihn nicht weg. Es geht uns vor allem um die Angehörigen, die trauern, den Schmerz des Verlustes verarbeiten müssen. Im Mittelpunkt steht die Grundphilosophie, dass es nach dem Tod nicht zu Ende ist, sondern dass die Seele noch weiterexistiert.
„Es ist wichtig, dass der Sterbende seine letzte Ehre bekommt“
Wir vertreten sehr stark die Hospiz-Idee und die palliative Medizin, dass das Sterben mit Würde vonstatten geht. Bevor man geht, hat man viel zu tun. Da muss man noch an die Vergebung, an die Versöhnung denken – damit man in Frieden Abschied nehmen kann. Es heißt ja: Man gibt der Seele Frieden. Zudem ist wichtig, dass der Sterbende seine letzte Ehre bekommt.
Das ist am Dorf noch etwas anders als in der Stadt. Das Sterben in den Krankenhäusern wird ja immer liebloser. Das ist ein Problem. Aber da kann jeder einzelne gut ändern, wenn er sich um seine Freunde und Familie kümmert – dann hat man schon viel gewonnen.
Zu uns kommen Leute, die nach unserer Veranstaltung sagen: Wir gehen heim wie auf Wolken. Getröstet. Man fühlt sich, wie gesagt, im Anschluss nicht traurig, sondern im Gegenteil: Man wird heiter und geht frohen Mutes hinaus zurück ins Leben. Nachher sind sie total gelöst und glücklich.
Unsere Botschaft lautet: Wenn man weiß, dass das Leben nicht endlich ist, dann lebt man auch verantwortlicher und ehrt den Tag. Die Qualität ist eine ganz andere. Das hat natürlich auch mit dem Glauben zu tun. Die Menschen, die an etwas glauben, haben es leichter als die, die das Sterben einfach verdrängen.
„Wusste schon immer, dass es nach dem Tod weitergeht“
Wie kommen Sie zu dieser doch recht schwerlastigen Thematik? Gibt es persönliche Gründe?
Ich bin in einem Dorf am Starnberger See aufgewachsen, dort war der Umgang mit dem Sterben und dem Tod noch sehr alltäglich. Das war selbstverständlich, ganz natürlich. Als ich 13 Jahre alt war, hat mich ein Priester aus Wolfratshausen einmal mitgenommen zu Besuchen bei Sterbenskranken – damals gab’s ja noch keine Sterbeklinik -, um dort den Leuten vorzulesen. Da bin ich von Herzen gerne mitgekommen. Das war eine tolle Erfahrung. Es waren Menschen, die selbst wenig Familie, wenig Angehörige hatten – die waren dann sehr glücklich und das war so berührend.
Ich hatte noch nie Angst vor dem Sterben. Meine Ur-Seele, mein Ur-Glaube hat mir diesbezüglich immer Sicherheit gegeben. Ich wusste schon immer, dass es nach dem Tod weitergehen wird. Und dass es wichtig ist, dass der Mensch vor dem Tod nochmal geehrt wird. Das ist ein Ur-Prinzip, um das ich mich kümmern will.
Welchen Stellenwert hat das Sterben in der heutigen Gesellschaft? Ein Tabu?
Mein Gefühl ist, dass es vom eigentlich Rituellen weggenommen wird. Fast schon industrialisiert wird. Die Seelsorge wird immer weniger, der Körper steht immer mehr im Vordergrund. Doch beides gehört zusammen. Der Körper, die Seele und der Geist sind eng miteinander verbunden, wenn man das weiß und darauf achtet, dann ist das Leben ganz anders. Lange nicht so traurig und nicht so gestresst, weil man ja viel mehr bei sich sein kann. Dann ist man lange nicht so hektisch und so nervös und will noch was haben und noch was haben.
Für mich ist das Wichtigste, dass man lernt Verantwortung zu übernehmen für seine Gedanken. Dass man nicht immer sagt: Der böse Staat, der böse dies, der böse das. Die Hospizbewegung, dass Miteinander Verantwortung übernehmen, sich um seine Freunde und seine Familie zu kümmern – wenn jeder sich darum kümmert, dass das Miteinander respektvoll und würdevoll abläuft, dann wird’s immer besser. Jeder Mensch braucht am Anfang des Lebens eine Hebamme und am Ende braucht man wieder eine Hebamme – im symbolischen Sinn.
„Der Tag und die Stunde, wo man geht, ist geschrieben“
Mussten bzw. durften Sie schon viele Menschen beim Sterben begleiten?
Ich kann’s gar nicht mehr aufzählen, so viele sind es im Freundes- und Bekanntenkreis mittelweile. Im Familienkreis war es ein besonderes Erlebnis mit meiner Mutter. Wir hatten ja eine ‚Hausgeburt‘, wie ich es nenne. Sie war 14 Tage im Krankenhaus, dann hab ich sie nach Hause holen dürfen – und sie ist dann in meinen Armen mit einem Lächeln eingeschlafen. Sie war geborgen, dann kamen noch Freunde vorbei, dann noch die Seelsorge. Bei meiner Mutter kam das Lächeln sehr schnell. Sie musste nicht durch lange Kanäle hindurch. Sie konnte das sehr gut.
Letzte Frage: Wie alt möchten Sie gerne werden?
Das lege ich mir selbst nicht auf. Ich bin mit 70 pumperlg’sund und bin viel in Bewegung. Ich habe meinen Garten, meine Kräuter. Meine Philosophie lautet: Der Tag und die Stunde, wo man geht, ist geschrieben. Über den Weg dazwischen, so sagt man ja, da kann man noch Tiefe und Breite mit hineinbringen. Der Lebensweg ist vorgeschrieben. Man kann dazu Ja und Nein sagen, wir sind da frei.
Was man sich wünscht, ist kein langes, schmerzhaftes Siechtum, sondern dass man im Kreise seiner Lieben sterben kann. Ich wünsche mir eine Hausgeburt im symbolischen Sinne. Dass ich heimgehen darf. Doch das kann man sich freilich nicht bestellen, deshalb tut man was dafür, dass man möglichst lange lebendig bleibt. Es geht um positive Gedanken – bei negativen Gedanken stirbt auch der Körper.
Liebe Frau Sägebrecht – herzlichen Dank für das Gespräch und weiterhin alles Gute.
Interview: Stephan Hörhammer