„Du musst deinen Sohn adoptieren? Aber warum denn? Ihr seid doch verheiratet!“ So haben viele reagiert, wenn Edith vom langen Verfahren der Stiefkindadoption erzählt hat. Die Adoption war nötig, weil wir als gleichgeschlechtliches Paar eben nicht verheiratet sein können, sondern in einer „eingetragenen Lebenspartnerschaft“ leben. Nach der Geburt war Edith rein rechtlich nur Stiefelternteil unseres Kindes. In diesem Punkt sind wir als eingetragene Lebenspartner gegenüber Ehepaaren definitiv benachteiligt.
Für uns hat das mehr als einen faden Beigeschmack
Im letzten Jahr hat Deutschland darüber diskutiert, ob die eingetragene Lebenspartnerschaft endlich zur ganz normalen Ehe werden soll. In den meisten Punkten ist sie sowieso schon gleichgestellt. In einem Punkt allerdings nicht: Wenn ein Kind in die Lebenspartnerschaft hinein geboren wird. Denn bis beide Lebenspartner rechtlich gemeinsam Eltern sind, müssen sie den langen Weg der Stiefkindadoption gehen: Über Notar, Jugendamt und Amtsgericht.
Wenn Politiker über die Homo-Ehe diskutieren, betonen einige immer wieder, dass die Ehe besonders geschützt werden muss. Vor allem, wenn Kinder ins Spiel kommen. Warum? Die meisten Politiker beteuern, dass sie nichts dagegen haben, wenn Kinder bei gleichgeschlechtlichen Paaren aufwachsen. Den Satz „Familie ist da, wo Kinder sind“ würden wohl viele unterschreiben. Trotzdem legt die Politik Regenbogenfamilien Steine in den Weg zur gemeinsamen Elternschaft. Es gehe um das „Kindeswohl“. Um das zu sichern, könnten wir eben nicht automatisch gemeinsam Eltern werden. Stattdessen ist ein bürokratisches Verfahren nötig, damit unser Kind – wie jedes andere Kind – zwei Elternteile haben kann. Für uns hat das mehr als einen faden Beigeschmack. Es macht uns zu einem „Sonderfall“.
Bis das Adoptionsverfahren beendet ist, ist unser Sohn benachteiligt. Denn er hat nur einen Menschen, der volle Verantwortung für ihn übernehmen muss: mich. Ich habe das alleinige Sorgerecht. In der Geburtsurkunde unseres Sohnes steht erstmal nur mein Name als leibliche Mutter. Und: „Vater unbekannt“. Rein rechtlich ist Edith als meine eingetragene Lebenspartnerin zunächst nur Stiefelternteil – und hat vorerst nur das „kleine Sorgerecht„.
Kleines Sorgerecht
- Es umfasst die „Angelegenheiten des täglichen Lebens“. Hier darf der Stiefelternteil die Erziehung des Kindes mit übernehmen: Er darf z.B. Entschuldigungen für die Schule schreiben, mit dem Kind zur Vorsorgeuntersuchung beim Arzt gehen usw.
- Aber: weitreichende Entscheidungen, wie z.B. über Operationen, Schulwahl und Ähnliches, dürfen nur leibliche Eltern treffen.
- Stößt dem leiblichen Elternteil etwas zu, entscheidet das Jugendamt darüber, ob das Kind beim Stiefelternteil bleibt. Denn nach dem Gesetz sind das Kind und der Stiefelternteil nicht verwandt.
Schon Monate vor der Geburt haben wir uns erkundigt, wie die Stiefkindadoption abläuft und was wir machen müssen, damit sie möglichst schnell über die Bühne geht und Edith auch vor dem Gesetz ein „vollwertiger“ Elternteil unseres Kindes ist.
Beantragen muss man die Adoption beim Notar. Ein paar Wochen vor der Geburt machen wir dort einen Termin. Die Angestellte, die Fälle wie unseren schon ein paarmal betreut hat, versteht nicht so ganz, warum wir es so eilig haben mit der Adoption. „Jetzt bekommen Sie das Kind erstmal in Ruhe und dann leiten wir alles in die Wege“, meint sie. Und dann erfahren wir, dass wir den Antrag beim Gericht sowieso erst acht Wochen nach der Geburt stellen können. So ist das nämlich bei Adoptionen: Ich als leibliche Mutter muss mir diese acht Wochen Bedenkzeit nehmen, bis ich meine Einwilligung zur Adoption erteilen darf. In unserem Fall ziemlich unpassend: Ich will doch mein Kind nicht weggeben, ich will, dass Edith mit mir zusammen Verantwortung übernehmen darf.
„Und was ist, wenn dir in diesen acht Wochen etwas zustößt?“ Diese Frage beschäftigt Edith sehr. Dann würde nämlich das Gericht zusammen mit dem Jugendamt entscheiden, was mit unserem Sohn passiert, ob er bei Edith bleiben darf. Für uns ist das eine extrem unangenehme Situation. Hier geht es schließlich um das Wichtigste in unserem Leben, um das Kind, das wir uns GEMEINSAM so sehr gewünscht haben.
„Antrag auf Ausspruch der Annahme als Kind“
Weil uns niemand sagen kann, wie wir am besten vorsorgen können, bis die Adoption durch ist, verfasse ich schon vor der Geburt eine sogenannte Sorgerechtsverfügung. Darin steht geschrieben, dass ich möchte, dass unser Kind bei Edith bleibt, falls mir etwas passiert. In der Regel halten sich Jugendämter und Gerichte an die Wünsche der Mutter – heißt es…
Trotzdem möchten wir so schnell wie möglich völlige rechtliche Klarheit darüber, dass wir BEIDE die Eltern unseres Kindes sind. Leider müssen wir dafür also eine aufwändige Prozedur durchlaufen. Für die Stiefkindadoption gelten auch in unserem Fall Regeln, die für jede andere (Stiefkind-)Adoption gelten. Unser Fall ist eigentlich komplett anders – aber es gibt keine speziellen Vorgaben dafür, also halten sich die Behörden an den normalen Ablauf.
Stiefkindadoptionen sind für Fälle wie diesen vorgesehen: Eine Frau bekommt ein Kind, trennt sich dann vom Vater des Kindes, lernt einen neuen Mann kennen, heiratet diesen – und der neue Mann möchte das Kind dann adoptieren. Deshalb wird bei einer Stiefkindadoption geprüft, wie die Beziehung des „Annehmenden“ (Edith) zum „Anzunehmenden“ (zu unserem Sohn) ist. Ob es eine stabile „Eltern-Kind-Beziehung“ gibt. Ob der biologische Vater (den wir nicht kennen) mit der Adoption einverstanden ist (ist er, das ist mit der Samenbank geregelt). All diese Fragen sind in unserem Fall eigentlich obsolet. Trotzdem muss das Gericht sie klären.
Acht Wochen nach der Geburt liest uns der Notar den Schriftsatz vor, den er für das Gericht vorbereitet hat: Dass Edith adoptieren möchte, dass der Vater unbekannt ist, dass ich in die Adoption einwillige. „Antrag auf Ausspruch der Annahme als Kind“ nennt sich dieser bürokratische Akt. Wir unterschreiben – und der Notar leitet alles ans Gericht weiter. Dann hören wir erstmal wochenlang nichts…
Bescheuert: Drei Gerichte beschäftigen sich mit uns
Dann endlich: Post vom Jugendamt. Es ist vom Gericht beauftragt worden, ein Gutachten zu erstellen. Um die oben genannten Fragen zu beurteilen. Und deshalb möchte das Jugendamt von Edith jetzt erstmal jede Menge Unterlagen: Eine Aufenthaltsbescheinigung des Einwohnermeldeamtes sowohl für Edith als auch für unseren Sohn. Eine beglaubigte Abschrift aus dem Geburtenbuch und aus dem Lebenspartnerbuch von Edith. Einen Nachweis über Ediths Einkommen. Letzteres bringt mich zum Nachdenken: Was hat Geld damit zu tun, ob Edith geeignet ist, unser Kind zu adoptieren?
Wir brauchen nur ein paar Tage, um alles einzureichen. Dann aber verzögert etwas anderes das Verfahren: Wir ziehen um. Raus aus München, nach Freising. Wir haben dort eine Wohnung mit Garten gefunden. Den Umzug melden wir dem Gericht und dem Jugendamt sofort. Dann hören wir lange nichts.
Als fast zwei Monate vergangen sind, frage ich bei den Gerichten in Freising und München nach. Und es stellt sich raus: München wollte das Verfahren abgeben. Freising wollte aber nicht übernehmen. Also musste ein drittes Gericht, das Oberlandesgericht, über die Zuständigkeit entscheiden. Und das hat entschieden: Das Verfahren zieht nach Freising um. Den Beschluss erhalten wir in dreifacher Ausführung: Einmal vom Amtsgericht München an Edith, einmal vom Oberlandesgericht an sie, einmal an mich.
Dass wir nun also drei Gerichte beschäftigen, finden wir ziemlich – bescheuert. Es ist keinesfalls in unserem Sinne. Ob es im Sinne des Kindeswohls ist, dass so bürokratisch überprüft werden muss, ob wir rechtlich gemeinsam Eltern sein dürfen?
Nachdem unser Sohn nun fast ein Jahr alt ist…
Vier weitere Wochen dauert es, bis das Jugendamt Freising sich meldet. Die zuständige Mitarbeiterin möchte noch weitere Unterlagen von Edith: einen ausgefüllten Fragebogen (die Fragen richten sich an Adoptionswillige, die ein Stiefkind adoptieren wollen – nicht wie in unserem Fall ein Kind, das sie sich von Anfang an gemeinsam mit dem Partner gewünscht haben. Die Fragen passen daher nicht wirklich zu unserer Situation, wir beantworten sie aber bestmöglich). Ein ärztliches Attest des Hausarztes, das nachweist, dass Edith keine schweren Krankheiten hat. Ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis. Verdienstbescheinigungen der letzten drei Monate. Eine Finanzaufstellung über Einkommen, Ausgaben, Ersparnisse, Schulden. Und schließlich einen ausführlichen Lebensbericht. Darin soll Edith über ihre Kindheit, Erziehung, ihr Verhältnis zu Eltern und Geschwistern, ihre Jugendzeit, ihre Schul- und Berufsausbildung, ihre Freizeitinteressen, ihren Kinderwunsch und unsere Paargeschichte erzählen. Außerdem soll sie schreiben, wann und wodurch der Entschluss zur Adoption entstand und eine Einschätzung über sich selbst abgeben.
Als wir alle Unterlagen abgeschickt haben, passiert etwas Unerwartetes: Edith bekommt ein Jobangebot aus der Heimat. Eine einmalige Chance, zurück in den Bayerischen Wald zu gehen. Und die ergreifen wir. Auch wenn das bedeutet, dass das Adoptionsverfahren wieder mit uns umziehen muss…
Die Dame vom Jugendamt in Freising hätte zwar bis zu unserem Umzug noch mehrere Wochen Zeit, um ihren Bericht abzuschließen. Wir hoffen darauf, dass das Verfahren vielleicht abgeschlossen werden kann, bevor wir umziehen. Aber sie teilt uns mit, dass mehrere Gespräche und Hausbesuche nötig sind, um sich ein Bild von uns zu machen – und dass sie das nicht mehr schafft, bevor wir umziehen. Wie viele Termine nötig sind, liegt im Ermessen des jeweiligen Jugendamtes. Im Internet berichten die einen davon, dass sie nie zu einem persönlichen Gespräch eingeladen wurden, andere erhielten mehrere Besuche.
Wir verlassen also Freising und ich bin noch immer allein sorgeberechtigt. Aber kaum sind wir so richtig im Bayerischen Wald angekommen, geht plötzlich alles schnell und unkompliziert. Nachdem unser Sohn nun mittlerweile fast ein Jahr alt ist…
Der erste Geburtstag – ein doppelter Grund zum Feiern
Die Mitarbeiterin des Jugendamtes Freyung lädt uns beide zusammen zu einem Gespräch ein. Wenige Tage später besucht sie uns zu Hause, wir zeigen ihr unsere Wohnung, unterhalten uns über unsere Geschichte, die sie auch schon aus Ediths „Lebensbericht“ kennt. Sie lernt unseren Sohn kennen. Und dann verabschiedet sie sich mit den Worten: „Mein Bericht wird natürlich positiv ausfallen. Sie machen das alles wunderbar.“
Am ersten Geburtstag unseres Sohnes haben wir schließlich doppelten Grund zum Feiern: Der Gerichtstermin findet an diesem Tag statt. Er dauert nicht einmal zehn Minuten. Die meiste Zeit nimmt die formelle Feststellung in Anspruch, wer anwesend ist. Dann stellt die Richterin noch zwei Fragen an Edith. Und spricht schließlich in ihr Diktiergerät, dass sie der Adoption zustimmt. So unkompliziert kann es also laufen. Sowohl die Richterin als auch die Mitarbeiterin des Jugendamtes hätten nichts dagegen, uns noch einmal wiederzusehen – wenn wir die Adoption eines zweiten Kindes beantragen. Das planen wir definitiv.
Endlich halten wir jetzt also die Geburtsurkunde unseres Sohnes in der Hand, in der wir beide als Eltern aufgeführt sind. Wir haben uns mittlerweile voll und ganz zu Hause eingelebt, sind eine glückliche Familie. Unser Sohn fühlt sich im Bayerischen Wald sichtlich wohl und liebt es, dass neben uns nun auch Opa und Oma im Haus sind und er vier Erwachsene rund um die Uhr beschäftigen kann.
Neulich meinte der Getränkelieferant übrigens zu Ediths Mama, ihr Enkel sehe dem Opa sehr ähnlich. „Wia obagfeu’n.“ Sie hat geschmunzelt. Dass Opa und Enkel nicht blutsverwandt sind, hat sie ihm nicht gesagt.
Sabine Simon
Liebe Sabine Simon,
vielen Dank für diese ausführliche Beschreibung!
Meine Frau und ich befinden uns gerade in der selben Lage.
Bzw. dauert es bei uns noch ein wenig, bis wir mit dem ganzen bürokratischen Notwendigkeiten konfrontiert werden, da unser Sohn erst im Juni 2017 das Licht der Welt erblickt :)
Es war mir dennoch eine große Hilfe einmal so ausführlich lesen zu können, wie das ganze ungefähr vonstatten geht.
Ich hoffe für uns alle, dass wir eines Tages nicht mehr so viele Steine in den Weg gelegt bekommen und unsere Politiker endlich verstehen dass das Geschlecht keine Rolle spielt. Liebe ist Liebe :)
Ich wünsche Eurer Familie weiterhin alles Gute.
Liebe Grüße aus Oberfranken.