Zwiesel. Körperverletzung, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Beleidigung, Bedrohung, Lärmbelästigung, Alkoholmissbrauch, Polizeigewahrsam. Die Liste der Vergehen und Delikte, die sich über mehrere Monate hinweg in einem Mehrfamilienhaus in Zwiesel zugetragen haben (und in unregelmäßigen Abständen immer noch ereignen), ist lang. In der regionalen Tageszeitung ist mittlerweile vom „Problemhaus“ die Rede, dessen Bewohner die Polizeikräfte beschäftigen und auf Trapp halten. „In Zwiesel weiß jeder, wo dieses Haus steht“, informiert Polizeihauptkommissar Horst Fischl auf Hog’n-Nachfrage, ohne näher ins Detail gehen zu wollen. Eine „schwierige Situation“ für die Beamten, die der Situation gegenüber ratlos scheinen.
Verschiedene Ausschnitte aus Polizeiberichten seit April 2016
„Auseinandersetzung in Mehrfamilienhaus“ lautete die Überschrift im Polizeibericht vom 4. April dieses Jahres. Unterzeile: „Erheblich Alkoholisierter wirft mit Bierflasche nach Hausmitbewohner“. Was war passiert? „Ein 28-jähriger Hausbewohner hatte den ganzen Tag über dem Alkohol zugesprochen und am späten Nachmittag im Hof des Anwesens herumgeschrien. Durch eine hinzugerufene Polizeistreife konnte die Situation zunächst beruhigt werden. Nachdem die Beamten abgezogen waren, warf der 28-Jährige eine Bierflasche nach einem Hausmitbewohner. Dieser konnte ausweichen und wurde nicht verletzt. Gegen den Flaschenwerfer, bei dem ein Wert von mehr als 1,5 Promille gemessen wurde, wird wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung ermittelt“, ist im Bericht weiter zu lesen.
Der nächste Polizeieinsatz im „Problemhaus“ vollzog sich eineinhalb Monate später: „Mitbewohner beklagt überlaute Musik in einem Anwesen in Zwiesel“ Die Folge: Anzeige wegen Ruhestörung. „In jüngster Verangenheit kam es immer wieder zu Beschwerden wegen gleichgelagerter Fälle“, heißt es in der Polizeimeldung.
Mitte Juni: „Zum wiederholten Male gegenseitig beleidigt – Vermieter und Mieter geraten immer wieder in Streit“ Der Eigentümer des Mehrfamilienhauses erstattete dabei Anzeige wegen Beleidigung gegen einen der Mieter. Weiter steht im Bericht geschrieben: „Bei der Vernehmung des Mieters in dieser Sache erstattete dieser Gegenanzeige, da er angeblich auch durch den Vermieter beleidigt wurde. Eine wohl nicht endende Geschichte – bereits seit Monaten beschäftigen Mieter und Vermieter die Polizei mit Anzeigen und Gegenanzeigen, weil es immer wieder zu gegenseitigen Beleidigungen kommt.“
Eine Woche später (24. Juni) artet ein Saufgelage im „Problemhaus“ aus: Aus bisher noch nicht geklärten Gründen kam es zu einem Streit zwischen zwei Männern. Im Verlauf der Auseinandersetzung schlug ein 29-Jähriger einem 55-Jährigen mit der Faust auf den Hinterkopf, woraufhin der Geschlagene über Notruf das BRK anforderte. Zwei Beamte der PI Zwiesel wurden bei der Anzeigenaufnahme vor Ort durch den 29-Jährigen mit unflätigen Worten betitelt, was zur Folge hat, dass er wegen Körperverletzung und auch wegen Beleidigung angezeigt wird.“
Wiederum eine Woche später heißt es: „Wiederholte Auseinandersetzung zwischen Bewohnern eines Mehrfamilienhauses – bedrohter flieht in die Arberlandklinik und verständigt von dort aus die Polizei“. Ein 55-jähriger Hausbewohner hatte dabei der Polizei telefonisch mitgeteilt, dass er bedroht worden sei und er sich im Krankenhaus in Zwiesel aufhalten würde. „Ein 29-jähriger Hausmitbewohner hatte geäußert, ihn abzustechen. Weshalb er sich daraufhin in die Arberlandklinik begab, konnte bisher noch nicht abgeklärt werden. Gegen den 29-Jährigen wird ein Strafverfahren wegen Bedrohung eingeleitet.“
Am 5. Juli melden die Polizeibeamten: „Probleme im Problemhaus: Mitbewohner mit der Faust ins Gesicht geschlagen“. Ein 22-jähriger und ein 25-jähriger Bewohner sind aneinander geraten. „Der Grund der Auseinandersetzung konnte auch wegen des alkoholisierten Zustandes der Beteiligten noch nicht geklärt werden.“
10. Juli: Körperverletzung in Mehrfamilienhaus: Hausbewohner eines bekannten Mehrfamilienhauses in Zwiesel betätigt sich als Arzt“ Im Bericht ist zu lesen: „Der 22-jährige war vor zwei Tagen in der Arberlandklinik in Zwiesel wegen einer Schnittwunde am rechten Ringfinger in Behandlung. Dort wurde die Wunde mit mehreren Stichen genäht. Am Samstagabend wollte sich der 40-jährige Mitbewohner als Arzt betätigen und zog dem 22-jährigen, gegen seinen Willen, mit einer Pinzette die Fäden. Wie erwartet war dies zu früh und die Wunde begann erneut stark zu bluten, sodass der 22-jährige erneut ‚richtige‘ ärztliche Behandlung benötigte. Gegen den 40-Jährigem wird nun wegen Körperverletzung ermittelt.“
Jüngster Eintrag vom 2. September: „Bei Polizeieinsatz Widerstand geleistet und die eingesetzten Polizeibeamten beleidigt und verletzt.“ Der 27-jährige Ex-Freund einer 35-jährigen Frau suchte den 22-jährigen neuen Freund der Frau auf, um ihn zur Rede zu stellen. „Die Polizei wurde verständigt und kam hinzu, als der Ex gerade auf den Aktuellen losging. Die Polizeibeamten wollten dies unterbinden, was dem Ex jedoch wiederum nicht gefiel. Er schlug auf die Beamten ein und beleidigte sie. Als er endlich zu Boden gebracht und fixiert war, mischte sich nun die Frau ein und wollte ihren Ex wieder befreien. Dass bei der ganzen Angelegenheit der Alkohol eine große Rolle spielte, muss auch noch erwähnt werden. Ein Wert von über zwei Promille wurde beim Ex festgestellt und der Mann daraufhin in der Zelle einigermaßen ausgenüchtert. Diverse Anzeigen wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Beleidigung, Körperverletzung und versuchter Gefangenenbefreiung sind nun die Folge.“
PHK Fischl: „Sie sind nur am Sünden machen“
Was sind das für Menschen, die in jenem „Problemhaus“ leben und sich offensichtlich gegenseitig – unter dem Einfluss von reichlich Alkohol – das Leben nicht gerade leicht machen? „Es handelt sich dabei um Leute, die den ganzen Tag Zeit haben“, schildert Polizeihauptkommissar Fischl zunächst in Anspielung auf die berufliche Situation der Bewohner – und ergänzt dann etwas lapidarer: „Sie sind nur am Sünden machen.“ Wie man das Problem mit dem „Problemhaus“ von Polizeiseite in den Griff bekommen könne? „Das ist eine gute Frage“, zeigt sich Fischl ratlos. „Wir können sonst nichts machen als die Anzeigen aufzunehmen und sie der Staatsanwaltschaft Deggendorf vorzulegen. Wir haben einen Rechtsstaat – und das ist auch gut so. Aber wir haben hier sehr wenig Möglichkeiten.“
In den größeren Städten gebe es nicht nur eines dieser „Problemhäuser“ (übrigens ein Begriff, der laut Polizist Fischl von der regionalen Presse geprägt wurde), sondern 30 bis 50 an der Zahl. „Da existieren bestimmte Wohnblöcke, in die bestimme Leute einziehen – und andere dann nach sich ziehen.“ Ob die Leute aus schwierigen Verhältnissen stammen, wisse Fischl nicht. Etwa sechs Parteien seien dort derzeit wohnhaft. „Die Bewohner sind’s mittlerweile gewohnt, dass die Polizei kommt – oder sie rufen sie selber an“, berichtet der Polizeihauptkommissar weiter. „Mehrere Personen, die in dem Haus wohnen, sind alle irgendwie mal beteiligt – mal als Beschuldigte, mal als Geschädigte. Da geht’s queerbeet.“ Manchmal würde die Situation eskalieren – und manchmal vertragen sich hinterher alle wieder. Die Situation gestalte sich nicht nur für die Polizei schwierig, sondern insbesondere auch für die Nachbarn. Ständiger Lärm, ständige Gewalt, ständiger Alkoholkonsum – und ständige Polizeieinsätze.
Bürgermeister Steininger: „Keinerlei Einflussmöglichkeiten“
„Nachbarstreitigkeiten in unterschiedlichsten Ausprägungen gibt es nicht nur an der Stelle und auch nicht nur in Zwiesel. Dies sind Einzelfälle und selbstredend für die vor Ort Betroffenen sehr unangenehm“, äußert sich Zwiesles Bürgermeister Franz Xaver Steininger auf Hog’n-Nachfrage – und fügt sogleich hinzu: „Wenn es die Zeitung nicht gäbe, wüsste ich von dem medial geschaffenen Kunstbegriff ‚Problemhaus‘ sehr wenig, da dies lediglich an den einen oder anderen Sachgebietsleiter herangetragen wird.“
Nachbarstreitigkeiten werden, so Steininger weiter, auf unterschiedlichste Art und Weise ausgetragen – „oder im optimalen Fall auch gleich vor Ort von den Eigentümern im persönlichen Gespräch gelöst“. Sei dies nicht möglich, bleibe den Betroffenen der Gang zum Rechtsanwalt, zur Polizei oder zum Gericht offen. „Die Verwaltung hat hier in der Regel keinerlei Einflussmöglichkeiten und kann in den meisten Fällen nur mögliche Herangehensweisen und Lösungswege für die Betroffenen aufzeigen. Die Umsetzung liegt dann wieder in deren Hand.“
Stephan Hörhammer