Das war der wohl seltsamste Tag in meinem Leben: Als ich mit einem großen, schweren Behälter – vergleichbar mit einer Propangasflasche für den Grill – auf dem Beifahrersitz quer durch München gefahren bin. Darin: Ein einziges kleines Röhrchen mit tiefgefrorenem Sperma. Künstliche Befruchtung ist ein Erlebnis… Und wenn man sie mit Spendersamen macht, erst recht.
Gut, dass wir nicht wieder warten müssen…
Aber von vorn. Juli 2014. Gerade hat meine Blutung eingesetzt. Auch der zwölfte und letzte Inseminationsversuch ist gescheitert. Weil wir beide, meine Partnerin Edith und ich, aber schon gar nicht mehr zu hoffen gewagt haben, dass es diesmal doch noch klappt, ist die Enttäuschung nicht so extrem wie bei manch anderem Versuch zuvor. Wir haben bereits geplant, wie es weiter gehen soll – und das lässt uns jetzt nach vorne schauen.

Im fünften Teil der Hog’n-Serie „MamaMamaKind“ berichtet unsere Autorin unter anderem über ihre Erfahrungen in einer Münchner Kinderwunschpraxis, über den Vorgang der künstlichen Befruchtung – und eingefrorene, befruchtete Eizellen.
Bereits am ersten Zyklustag rufe ich in der Kinderwunschpraxis an. Und bekomme einen Termin für den übernächsten Tag. Der Reproduktionsmediziner macht Ultraschall – alles in Ordnung.
Und dann: Peng, peng, peng! Es geht plötzlich alles ganz schnell, es kann sofort losgehen mit der Behandlung. Ab dem nächsten Tag soll ich bereits mit Hormonen stimulieren. Ich bin baff. Ich dachte, dass es erst im nächsten Monat losgehen kann. Aber da ich sowieso das Gefühl habe, dass wir das letzte Jahr mit ewiger Warterei vergeudet haben, dass wir das „Leben drumrum“ fast nicht genießen konnten, finde ich es gut, dass wir nicht wieder warten müssen.
Vom Arzt bekomme ich ein Rezept für Hormone, die ich ab morgen spritzen soll. Also ich mir tatsächlich selber! In den Bauch. Eine Arzthelferin erklärt mir, wie ich den sogenannten Pen (sieht wirklich aus wie ein Füller – nur mit Medikament statt Tinte innen drin und mit Nadel statt Feder vorne) richtig fülle, die richtige Menge einstelle und sie mir dann injiziere. Wenn ich beim Arzt eine Spritze kriege, schau ich da nicht zu. Ich kippe nämlich schnell mal um. Bei diesen Spritzen muss ich zuschauen – und selber zustechen. Irgendwie werde ich es schon hinkriegen…
Dann geht’s in die Apotheke. Ich wusste ja schon, dass jetzt hohe Kosten auf mich zukommen. Aber auf einen Schlag 1.400 Euro für Medikamente loszuwerden, das ist mal was Besonderes…
Künstliche Befruchtung
- Erster Schritt zur künstlichen Befruchtung: Die Frau stimuliert ihren Zyklus mit Hormonen. Dadurch entwickelt sich nicht nur ein Eibläschen, wie im normalen Zyklus, sondern mehrere.
- Sind die Eibläschen etwa 18 Millimeter groß, wird der Eisprung künstlich ausgelöst, um die letzte Reifung der Eizellen zu erreichen. Wenige Stunden später findet die sogenannte Punktion statt: Der Arzt entnimmt die Eizellen. Gleich im Anschluss werden sie im Labor mit Sperma befruchtet. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder wird das Sperma im Reagenzglas zur Eizelle gegeben – und sucht sich selbst seinen Weg hinein (das nennt man IVF – In-vitro-Fertilisation). Oder der Arzt spritzt ein einzelnes Spermium in die Eizelle hinein (ICSI – Intrazytoplasmatische Spermieninjektion).
- Nach der Befruchtung entwickeln sich die Eizellen mehrere Tage weiter – diejenige, die sich am besten teilt, wird dann wieder in die Gebärmutter eingesetzt (das nennt man Transfer).
Was nicht nur für uns neu, sondern auch für die Kinderwunschpraxis nicht Alltag ist: Dass wir die Kinderwunschbehandlung mit Spendersamen machen wollen. Zwei Frauen, die sich ein Kind wünschen, sind hier ein Sonderfall. Das merkt man an allen Formularen, die wir ausfüllen müssen: Edith bekommt diejenigen für den Mann in die Hand gedrückt – die sie unterschreiben muss, auch wenn sie auf unseren Fall so gar nicht passen. Aber beide müssen eben einwilligen.
Auch bei der Samenbank unterschreiben wir wieder Formulare. Und dann folgt der wohl sonderbarste Vormittag meines Lebens: Ich fahre zur Samenbank und hole dort einen großen, sehr schweren Behälter ab. Er hat in etwa die Größe der Gasflasche unseres Grills, sieht auch in etwa so aus und ist mehrere Kilo schwer. Darin befindet sich Flüssigstickstoff und ein einzelnes, kleines Röhrchen. Und darin: Das tiefgefrorene Spendersperma. Ich soll den Behälter aufrecht transportieren, bloß nicht kippen. Ok, also im Auto auf den Beifahrersitz stellen, anschnallen und ihn ganz vorsichtig durch halb München fahren… Die Kinderwunschpraxis befindet sich mitten im Zentrum, der nächste Parkplatz ist mehrere hundert Meter entfernt. Also schleppe ich den schweren Behälter durch die Innenstadt…
Als ich auf den Aufzug warte, fällt mir eine Schmiererei an der Wand auf. Irgendein Witzbold hat einen Penis hier hingemalt. Wie passend! In der Kinderwunschpraxis weiß erstmal niemand, welche Formulare ich wo abgeben muss und wer mir den Empfang des kostbaren Behälters quittieren kann. Ich kann nur hoffen, dass alles glatt läuft.
Zwei Tage später ist es so weit: Ich muss in die Praxis
Das Spritzen der Hormone klappt erstaunlich gut. Das erste Mal „piekse“ ich mich ganz in Ruhe zu Hause. Die Nadel in eine Bauchfalte zu stechen, kostet Überwindung, aber tut gar nicht weh.
Zwei Wochen lang habe ich meinen „Pen“ immer mit dabei. Alle paar Stunden suche ich mir ein ruhiges Eck und injiziere die Dosis, die der Arzt festgelegt hat. Regelmäßig bin ich auch in der Praxis – zum Ultraschall und immer wieder zum Blut abnehmen. Die Blutwerte zu kontrollieren ist wichtig, denn die Hormone müssen genau richtig dosiert sein. Wenn sich zu viele Eizellen entwickeln, wäre das gefährlich für meinen Körper – zu wenige sollen es aber auch nicht sein…
Als der Arzt per Ultraschall ziemlich viele Follikel erkennen kann, die zwischen 18 und 20 Millimeter groß sind, löse ich abends per Spritze den Eisprung aus. Schon faszinierend, dass der Mensch das komplexe System aus Hormonen, die in unserem Körper wirken, mittlerweile so gut durchschaut hat, dass man die Abläufe im Körper so bewusst lenken kann.
Zwei Tage später ist es so weit: Ich muss in die Praxis zur Punktion. Der Arzt entnimmt dabei unter leichter Narkose die Eizellen. Wenig später erfahren wir, dass er 14 Eizellen gewinnen konnte, eine sehr gute Zahl. Aber: Nur acht davon lassen sich anschließend im Labor auch tatsächlich befruchten. Klingt erst mal ernüchternd. Andererseits sind es acht Chancen. Acht Mal haben wir die Chance, dass sich eine Eizelle gesund weiter entwickelt, zurück in meinen Körper gesetzt werden kann und auch dort weiterlebt.
Bis dahin werden die befruchteten Eizellen eingefroren
Den sogenannten Transfer einer befruchteten Eizelle, also das Einsetzen in die Gebärmutter, wollen wir erst im nächsten Zyklus wagen. Denn diesen Monat ist mein Körper genug damit beschäftigt, die künstliche Hormonzufuhr zu verarbeiten. Bis dahin werden die befruchteten Eizellen eingefroren. Das ist eine viel seltsamere Vorstellung für uns, als Sperma einzufrieren. Für die Kinderwunschpraxis ist es Routine. Für mich ist es viel mehr: Es kann daraus ein Leben entstehen, das wir über alles lieben werden.
Vor dem Transfer müssen wir entscheiden: Soll der Arzt eine Eizelle in meine Gebärmutter einbringen oder sollen es zwei sein? Sogar drei sind gesetzlich möglich, aber davon rät der Arzt definitiv ab. Wir entscheiden uns für zwei. Das erhöht die Chancen, gleich beim ersten Versuch schwanger zu werden, erheblich. Allerdings erhöht es auch die Möglichkeit, mit Zwillingen schwanger zu werden. Noch bin ich ja nicht Mama – und habe daher auch keine Angst vor Zwillingen…
Ein paar Tage vor dem perfekten Tag in meinem nächsten Zyklus, an dem die Eizellen zurück in meinen Körper gesetzt werden sollen, taut sie die Kinderwunschpraxis auf. Während ich warte, informiere ich mich, was jetzt passiert und lerne all das, woran ich mich aus dem Biologieunterricht nicht mehr erinnern kann: Wie aus der befruchteten Eizelle zunächst ein Zweizeller wird, bald schon 30 Zellen vorhanden sind (Morula-Stadium) und schließlich eine so genannte Blastozyste entsteht (die Zellen am Rand sind zur Eihülle geworden, aus den Zellen in ihrem Inneren entwickelt sich ab jetzt der Embryo). Entsteht am vierten Tag nach der Befruchtung so eine Blastozyste, ist die Entwicklung bilderbuchmäßig.
Ob das auch bei meinen befruchteten Eizellen der Fall war, warum ich beim Transfer meinen Namen und mein Geburtsdatum gefühlte 100 mal sagen musste und ob sich die Embryonen in meinem Körper wohl gefühlt haben – das erfahrt ihr im nächsten Teil der Serie „MamaMamaKind“.
da Hog’n