Regen. „Achtung Leute!!!!!! Weißer T4 VW Bus mit Fenster Münchner Kennzeichen 3 Ausländer mit Turban die Kinder mit Süßigkeiten locken in Regen unterwegs . Waren gerade bei uns . Habe sie verscheucht und die Polizei angerufen. Also wenn jemand diesen Bus sieht bitte die Polizei in Regen anrufen. Danke . Und passt auf eure Kinder auf !!!!!!!“ Der Post von Facebook-Nutzer Josef Weikl aus Regen ging am vergangenen Wochenende durch die sprichwörtliche Facebook-Decke: Mehr als 1.900 mal (!) wurde seine öffentlich mitgeteilte Botschaft im Rahmen der Social-Media-Plattform weiterverbreitet. Die Aufregung innerhalb der Userschaft war (aufgrund des prekären Inhalts) demnach sehr groß. Die Polizei gibt heute, Montag, per Pressemitteilung Entwarnung: „Eine Überprüfung der Fahrzeuginsassen ergab, dass es sich dabei um syrische Staatsangehörige handelte, die in Regen eine syrische Hochzeit vorbereiten wollten.“ Entwarnung also. Doch der Schaden liegt ganz woanders…
Die Polizemitteilung zum Fall „Verdächtiges Fahrzeug“ im Wortlaut:
„Ein besorgter Familienvater teilte am Nachmittag des 10.09.2016 mit, dass seine Tochter von einem fremden Mann aus einem weißen VW Bus mit Münchner Kennzeichen heraus angesprochen wurde.
Der Mitteiler schilderte, dass der Bus wegfuhr, nachdem er den fremdländisch aussehenden Mann ansprach. Bei der sofort eingeleiteten Fahndung konnte das Fahrzeug im Stadtgebiet Regen angetroffen werden. Eine Überprüfung der Fahrzeuginsassen ergab, dass es sich dabei um syrische Staatsangehörige handelte, die in Regen eine syrische Hochzeit vorbereiten wollten. Es ergaben sich bei der Kontrolle keinerlei Anzeichen auf ein strafbares Handeln.
Da der Familienvater seine Feststellung mit dem Hinweis auf einen weissen VW-Bus in einem sozialen Netzwerk veröffentlichte, gingen das gesamte Wochenende über etliche Anrufe besorgter Bürger bei der PI Regen ein. Entsprechende Überprüfungen verliefen ebenfalls negativ.“
„Ein Ballon, der einmal ausgelassen worden ist…“
„Wir sind der Sache nachgegangen, ganz klar – aber wir konnten kein strafbares oder polizeirelevantes Verhalten feststellen“, teilt Erster Polizeihauptkommissar Manfred Buchinger von der Regener Polizei auf Hog’n-Nachfrage mit. Es seien die Ausweise der Bus-Insassen kontrolliert worden – sie wurden befragt, woher sie kommen und was das Ziel ihrer Reise sei. „Die Leute und das Fahrzeug wurden ebenfalls fahndungsmäßig überprüft“, wie Buchinger weiter erklärt. Dabei konnte nichts beanstandet werden. Vielleicht hatten sie nach dem Weg fragen wollen – und es kam zu Verständigungsproblemen.
Das Problem bei derlei Angelegenheiten liege meist in folgender Vorgehensweise begründet: Es gebe zunächst einen (Anfangs-)Verdacht, der dann sogleich bei Facebook eingestellt und veröffentlicht werde. Dieser breite sich im Anschluss ob des brisanten Inhalts mit großer Dynamik im Social Web aus. Die Teiler-Zahlen steigen rapide. Die Konsequenz daraus, die die Arbeit der Polizei nicht gerade erleichtere: „Fahrzeuge dieser Art werden dann von mehreren Personen an mehreren Stellen gleichzeitig gesehen“, weiß Buchinger. Die Polzei würde den Verdächtigungen sodann meist prüfend „hinterherhecheln“.
Derlei Phänomene sind ihm zufolge in der Vergangenheit bereits häufiger aufgetreten: Es werden teils Autos wahrgenommen, die zum Beispiel Katzen oder Hunde einsammeln. Oder von dem aus eben Kinder angesprochen werden. „Wir gehen diesen Dingen selbstverständlich nach und führen unsere Überprüfungen durch – aber es ist meist nichts Greifbares, nichts Deliktisches vorhanden, mit dem wir etwas anfangen könnten.“ Und er betont nochmals, damit keine Missverständnisse entstünden: „Wir sind immer dankbar und froh, wenn wir Hinweise aus der Bevölkerung erhalten – gerne auch aufgrund von Facebook-Posts. Allerdings ist das für uns auch oft sehr schwierig – denn“, so schildert Buchinger bildhaft, „ein Ballon, der einmal ausgelassen worden ist, ist schlecht wieder einzufangen“.
Wie kommt es zu diesem „Teilungs-Reflex“ der FB-User?
Die Frage, die sich angesichts des „Ballons“ vom Wochenende in Regen stellt: Wie kann es sein, dass sich die Nachricht eines Einzelnen, deren Wahrheitsgehalt nicht unmittelbar nachweisbar bzw. überprüfbar ist und zunächst rein auf subjektiven Wahrnehmungen basiert, mit einer derartigen Dynamik im sozialen Netzwerk Facebook ausbreitet? Wie kommt es zu diesem „Teilungs-Reflex“ von fast 2.000 Facebook-Usern binnen nicht einmal 48 Stunden? Liegt es an der in Zeiten der sogenannten Flüchtlingskrise allzu verbreiteten Angst vor fremdländisch aussehenden Menschen („Ausländer mit Turban“)? An der generellen Angst vor dem Unbekannten? Hat es was mit den Medien im Allgemeinen zu tun, die immer mehr „Wert“ auf das Negative (Stichwort: ISIS/Terror/Mord und Totschlag/Kriminalität etc.) in ihrer Berichterstattung legen? Liegt es daran, dass die besorgten Bürger immer mehr und deren Sorgen immer größer werden?
Unter dem Titel „Stille Post 2.0“ hat sich die Seite „Mimikama“, deren Motto „Zuerst denken, dann klicken“ lautet, bereits ausführlich mit dem Thema beschäfitgt. Man kennt dieses als „Hoax“ (Falschmeldung) bezeichnete Phänomen auch aus dem „realen Leben“: Ein Gerücht, das irgendwo vom Hörensagen aufgeschnappt wurde, breitet sich in Windeseile aus – und gilt dann irgendwann als wahr. Die Leute glauben es. Je prekärer der Inhalt, desto schneller die Verbreitung. Der Mimikama-Tipp dazu lautet:
„Damit diese Facebook-Meldungen nicht für unnötige Aufregungen sorgen, raten wir von mimikama davon ab, alle Meldungen zu glauben, welche ungeprüft über Facebook verbreitet werden. Solltet Ihr solche Meldungen lesen dann macht Euch einmal Gedanken darüber aber zur gleichen Zeit holt Euch weitere Informationen von seriösen Quellen ein BEVOR Ihr es dann beginnt gleich zu TEILEN!“
Irgendetwas (Negatives) bleibt (unbewusst) immer haften
Gerade im Regener Fall sind die Folgen der lauffeuerartigen Verbreitung von derartigen nicht-verifizierten Suggestiv-Meldungen von ganz besonderer Qualität: Sie sind Nährboden für Fremdenhass und für die Zunahme von Vorurteilen gegenüber Andersaussehenden, gegenüber Menschen fremdländischen Ursprungs. Sie sind Wasser auf die Mühlen derer, die im Netz und anderswo Hetze betreiben und genau jene Vorurteile gegen Ausländer bestätigt sehen wollen, die hier – wenn vielleicht auch ohne direkte Absicht – geschürt wurden. Der Image-Schaden kann, nachdem sich ein Verdacht als unberechtigt herausgestellt hatte, im Nachhinein nicht mehr rückgängig gemacht werden. Eine ganze Ethnie wird hier reflexartig unter Generalverdacht gestellt. Irgendetwas (Negatives) bleibt (unbewusst) immer haften. Eine krude Spielart, die übrigens auch eine rechtspopulistische Partei wie die AfD gerne für ihre Zwecke nutzt – und bestens beherrscht.
Stephan Hörhammer
Besser vorgebaut wie nachgeschaut hat man früher gesagt