Passau/Regen/Freyung. Am 22. Juli 2016 gab das Polizeipräsidium Niederbayern unter dem Titel „Mann von drei Jugendlichen niedergeschlagen, drei Festnahmen“ folgende Meldung auf seiner Internetseite bekannt:
„(…) Am Dienstag, 21.06.2016, kurz vor 21:00 Uhr, wurden drei jugendliche Asylbewerber am Donauufer von einem Hausmeister eines Hotels angesprochen, da sie sich auf dem Privatgrund des Hotels aufhielten und Bier tranken. Nach einem Wortwechsel entstand ein Gerangel zwischen dem Mann und den drei Jugendlichen, wobei der Mann einem der Jugendlichen ins Gesicht schlug.
Die drei Asylbewerber schlugen ihrerseits den Mann nieder. Am Boden liegend traten sie noch mit den Füßen nach ihm und schlugen ihm mit einem Gegenstand auf den Kopf. Der Geschädigte konnte aber wieder aufstehen und wurde schlussendlich noch in die Donau geschubst. Die drei Tatverdächtigen flüchteten dann vom Tatort. Zwei der drei Asylbewerber, zwei 17-jährige Afghanen, konnten bei der sofort eingeleiteten Fahndung festgenommen werden. Der Dritte war zunächst flüchtig.
Die Kriminalpolizei Passau hat die Ermittlungen wegen des Verdachts eines versuchten Tötungsdeliktes übernommen. Von Seiten der Staatsanwaltschaft Passau wurde Haftbefehl beim Amtsgericht Passau beantragt. Der Ermittlungsrichter erließ Haftbefehl gegen die beiden 17-jährigen und diese wurden in Justizvollzugsanstalten gebracht. Der dritte Beschuldigte wurde mittlerweile ermittelt und wird auf Antrag der Staatsanwaltschaft Passau morgen dem Ermittlungsrichter vorgeführt.“
(Pol.-Präs. Ndby. am 22.06.2016 um 16:15 Uhr)
Zwei Tage später veröffentlichte die Polizei dazu ein Update, indem mitgeteilt wird, dass der Ermittlungsrichter gegen den dritten Tatverdächtigen, einen „ebenfalls 17-jährigen Afghanen“, Haftbefehl erlassen habe und dieser anschließend in eine Justizvollzugsanstalt eingeliefert wurde. Der verletzte Hausmeister konnte am 24.06. wieder aus dem Krankenhaus entlassen werden. Dieser habe unter anderem multiple Prellungen und eine Platzwunde erlitten. Zudem müsse der Geschädigte die psychischen Folgen noch verarbeiten, wie es heißt.
Unterschiedliche Berichtspraktiken über ein und dasselbe Ereignis
Ohne Zweifel handelt es sich hierbei um einen verabscheuungswürdigen Vorfall in der Dreiflüssestadt Passau, der nach rechtlichen Konsequenzen mit entsprechender Bestrafung verlangt. Darüber berichtet haben unter anderem das regionale Anzeigenformat „Wochenblatt“ („Mann von Jugendlichen geprügelt und in die Donau gestoßen“), der BR („Auseinandersetzung in Passau: Jugendliche sollen Mann bei Streit fast getötet haben“), die hiesige Tageszeitung PNP („Mann von drei Asylbewerbern verprügelt und in die Donau geschubst“) oder auch der regionale Fernseh-Sender TRP1 („Asylbewerber stoßen Mann in Donau“). Während PNP, TRP1 und das Wochenblatt die Herkunft sowie den sozialen Status der Täter (teilweise bereits in den recht boulevardesk-reißerisch daherkommenden Überschriften) nennen und die Polizeimeldung mehr oder weniger ungefiltert übernehmen, ist beim BR durchwegs ausschließlich von „den drei Jugendlichen“ die Rede. Der BR-Artikel ist zudem sehr konjunktivistisch gehalten, während die drei anderen Medien eine „faktischere“ Schilderung des Vorfalls bevorzugen.
Die Frage, die sich dem geneigten Journalisten (und freilich auch der geneigten Leserschaft) an dieser Stelle aufdrängt: Ist es für das Gesamtverständnis des Textes notwendig bzw. erforderlich, die Herkunft/Nationalität („Afghanen“) der drei jugendlichen Straftäter bzw. deren gesellschaftlichen Status („Asylbewerber“) zu benennen? Ist es nicht die logische Konsequenz, dadurch eine Eskalation in den Kommentarspalten seitens sich bestätigt fühlender Ausländer-Hasser, rassistischer Stimmungsmacher, „besorgter Bürger“ sowie weiterer, vorurteilsbehafteter Leser zu riskieren? Der Pressekodex bietet für die Berichterstattung über Straftaten eine eindeutig unzweideutige Anweisung: Bei der Richtlinie 12 heißt es unter 12.1:
„In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.“
Nachtrag (vom 21.07.21): Die Richtlinie 12.1 wurde zum 22.03.2017 wie folgt aktualisiert:
„In der Berichterstattung über Straftaten ist darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.“
Presseratsmitarbeiter: „Auf Nennung sollte verzichtet werden“
Die Antwort auf obige Frage lautet demnach: Nein, die Nennung der Herkunft/Nationalität sowie des gesellschaftlichen Status ist nicht erforderlich. Dies bestätigt auch eine Hog’n-Nachfrage bei einem Mitarbeiter des Presserats, nach dessen persönlicher Einschätzung in dem Passauer Fall kein Sachbezug erkennbar sei, der eine Nennung der Herkunft (Nationalität, Asylstatus) der Jugendlichen rechtfertige. „Den Lesern erklärt sich der Vorgang ebenso gut ohne die Angabe der Herkunft, deshalb sollte aufgrund der Diskriminierungsgefahr in einer solchen Meldung eher auf eine Nennung verzichtet werden.“
Des Weiteren erklärt er:
„Nach ständiger Spruchpraxis des Presserats ist die Richtlinie für den Asylbewerberstatus einschlägig, darin also eine ‚andere‘ Minderheitenzugehörigkeit zu sehen. Ein ‚Sachbezug‘ ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn die Nennung der Ethnie, Nationalität etc. eine für das Verständnis der Leser vom berichteten Vorgang notwendige Information darstellt oder wenn das Verständnis der Leser vom berichteten Sachverhalt durch eine Herkunftsnennung wesentlich erweitert wird. Ein entsprechender Sachbezug muss nicht nur grundsätzlich vorliegen, also der Redaktion bekannt sein, sondern den Lesern im Artikel auch tatsächlich begründet werden. Den Lesern muss also die Relevanz der Herkunftsnennung für den berichteten Vorgang im Artikel deutlich werden.“
Etwas anders schätzt offenbar das Facebook-Social-Media-Team des Provinzsenders „TeleRegional Passau 1“ die Situation ein. Auf die Nachfrage hin, welche konkrete Relevanz für den Gesamtbericht mit der Überschrift „Asylbewerber stoßen Mann in Donau“ denn vorliege, das Herkunftsland der Jugendlichen in diesem Fall zu benennen, antwortet ein (nicht näher benannter) TRP1-Vertreter per Facebook-Kommentar: „(…) Die Herkunft eines Täters ist immer relevant, nicht nur für die Medien, sondern auch für die Polizei. (…) Unser Bericht ist vollkommend (sic!) neutral und berichtet von dem Tathergang wie er in der Pressemitteilung der Polizei geschildert wird.“
Auf die erneute Nachfrage, wie sich TRP1 die Richtlinie 12.1 des Pressekodex erkläre, wird wie folgt geantwortet:
„Eine neutrale Berichterstattung sollte relevante Aspekte einer Thematik nicht vernachlässigen. Da es innerhalb der Gesellschaft seit längerer Zeit die Auffassung gibt, die Medien würden Straftaten von Asylbewerbern verschweigen bzw. beschönigen, ist eine gewisse Transparenz in der Berichterstattung gesellschaftspolitisch unumgänglich (…)“
Sächsische Zeitung will bewusst auch deutsche Täter nennen
Demnach, so könnte man interpretieren, beugt man sich bei TRP1 dem öffentlichen Druck – und wirft mal eben genormte journalistische Grundsätze gemäß Pressekodex über Bord. Doch damit ist der Passauer Provinzsender nicht alleine: Auch die „Sächsische Zeitung“ (SZ) habe jüngst angekündigt, „systematisch gegen den Pressekodex zu verstoßen“, wie Medienkritiker Stefan Niggemeier in seinem Blog „Übermedien“ Anfang Juli unter dem Titel „Auch Deutsche unter den Tätern“ berichtet. Jedoch gestaltet sich der (bewusste) Verstoß hier auf eine etwas andere Art und Weise:
„Sie (die Sächsische Zeitung – Anm. d. Red.) will die Nationalität von Tatverdächtigen nicht mehr nur in begründeten Ausnahmefällen nennen, wie es die Richtlinie 12.1 vorsieht, sondern in aller Regel. Sie wird das aber immer tun: nicht nur bei ausländischen, sondern auch bei deutschen Tätern. Auf diese Weise sollen die Leser des Blattes ein realistischeres Bild davon bekommen, wie oft Zuwanderer straffällig werden.„
Ziel der Richtlinie im Pressekodex sei es, Ausländer und andere Minderheiten nicht zu diskriminieren – und zu verhindern, Stereotype zu befördern. „Dieses Ziel teilen wir zu einhundert Prozent“, wird SZ-Chefredakteur Uwe Vetterick zitiert. Jedoch würde sich die SZ-Redaktion die Frage stellen, „ob der Weg in unserer gegenwärtigen Situation zum Ziel führt – oder womöglich das Gegenteil bewirkt“.
Denn es gebe die Sorge, dass die Leser, wann immer die Nationalität oder Herkunft eines Verdächtigen in der Zeitung nicht genannt werde, „automatisch annehmen, dass es sich um einen Ausländer handelt“. Die Folge: Das Weglassen der Angabe würde dazu führen, dass deren Anteil an der Kriminalität viel zu hoch eingeschätzt werde. Die Regel im Pressekodex würde somit das Gegenteil dessen bewirken, was sie beabsichtige. Die Sächsiche Zeitung, so heißt es bei Niggemeier weiter, habe die Praxis der eigenen Berichterstattung in Frage gestellt, nachdem sich Leser massiv beschwert und gefragt hatten, warum man dieses oder jendes nicht schreibe. „Dann wirst du schon mal nachdenklich“, so Vetterick. Deshalb nennt die Sächsische Zeitung seit dem 1. Juli in der Praxis jedes Ross und jeden Reiter sowie deren Herkunft.
(Um die Diskussion zu diesem Thema auf eine sachliche Ebene zu führen, hat die Sächsische Zeitung in Zusammenarbeit mit dem Institut für Kommunikationswissenschaft der TU Dresden eine Leserumfrage initiiert, deren interessante Ergebnisse hier einzusehen sind).
… und ziehen so den Zorn der FB-User erst recht auf sich
Die Reaktionen auf die Veröffentlichung des TRP1-Textes mit der Überschrift „Asylbewerber stoßen Mann in Donau“ im „sozialen“ Netzwerk Facebook gingen jedenfalls in diejenige Richtung, die in Zeiten von Flüchtlingskrise sowie zunehmender Gewalt und Ressentiments gegen Ausländer zu erwarten war. Die unsachliche Fratze der Hate-Speech-Fraktion kam (wieder einmal) zum Vorschein. Deren Groll wurde gar noch durch die Ankündigung des TRP1-Social-Media-Teams verstärkt, jegliche fremdenfeindlichen Hasskommentare „rigoros“ zu entfernen. „Die Meinungsfreiheit hat (auch vor dem Gesetz) dort ihre Grenzen wo andere beleidigt werden“, weisen die Verantwortlichen des TV-Senders eingangs hin – und ziehen so den Zorn der Facebook-User erst recht auf sich.
Doch wie ist’s nun richtig? Nennen oder nicht nennen? Woran soll man sich orientieren? Soll man sich als Medienvertreter nach dem Pressekodex richten und aufgrund der Diskriminierungsgefahr auf die Nennung verzichten? Oder soll man, wie die Sächsiche Zeitung, bewusst dagegen verstoßen und jedes Ross und jeden Reiter sowie deren Herkunft veröffentlichen, um (erst recht) die Entstehung von Gerüchten bei Nicht-Nennung zu verhindern? Feststeht: Die Polizei muss sich in ihren Pressemitteilungen freilich nicht an den Pressekodex halten. Ihre Aufgabe besteht darin, sich auf Fakten zu berufen – und dazu gehört nunmal auch die Erfassung der Herkunft und der Nationalität der Straftäter.
Die Presse-Ethik spielt mehr und mehr eine untergeordnete Rolle
Die Medien hingegen sind vom Presserat dazu angehalten, sich an dessen Richtlinien zu halten – es gilt (auch nach der Kölner Silvesternacht) der Grundsatz: Wenn die Diskriminierungsgefahr größer ist als der Informationsgehalt, muss die Nationalität verschwiegen werden. Ob und wie die Medienhäuser dies umsetzen, bleibt letzten Endes ihrem eigenen Ermessen überlassen: Strafrechtliche Konsequenzen haben sie im Falle des Verstoßes gegen den Kodex nicht (direkt) zu befürchten – der Presserat kann (etwa in Form einer Rüge) nur an die Moral der Verantwortlichen appellieren, ohne weitere juristische Schritte einzuleiten.
Deshalb gilt es hier auch, als Medium mit einer gewissen Sensibilität und einem gewissen Verantwortungsbewusstsein an die Berichterstattung heranzugehen – und nicht ungefiltert all das in bequemer „Copy-und-Paste“-Manier zu übernehmen (und womöglich noch, um die Klickzahl entsprechend zu erhöhen, mit einer ordentlichen Portion Boulevard anzureichern), was einem die Polizei bereits nach ihren Grundlagen aufbereitet auf dem Silbertablet präsentiert hat.
Doch die Presse-Ethik spielt heutzutage eine offensichtlich immer geringere Rolle, vor allem, wenn in Zeiten von Facebook und Twitter die Anzahl der Emoj-Reaktionen bzw. Gefällt-mir-Angaben von einschlägigen Medienhäusern wie etwa „BILD“, „Die Welt“ oder der „Huffington Post“ zunehmend mehr Gewicht beigemessen wird (Stichwort: Click-Baiting) als sauberer, journalistischer Arbeit mit entsprechendem Qualitätsanspruch. Es gilt immer zu beachten und zu hinterfragen, welches Medium seine Nachrichten auf welche Weise und mit welcher Absicht veröffentlicht.
Frei nach Hermann Hesse…
Die „Wahrheitsfrage“ (also die Frage, ob nun Meldungen inhaltlich falsch oder richtig sind) stellt sich hierbei dem (vorbelasteten) Leser nicht. Diejenigen, die „Lügenpresse“ schreien, tun dies so oder so. Sie haben ihr Weltbild, von dem sie insbesondere beim Thema Flüchtlinge auf Gedeih und Verderb nicht abzubringen sind – frei nach dem Hermann-Hesse-Zitat: „Wahr ist an einer Geschichte immer nur das, was der Zuhörer glaubt.“
Stephan Hörhammer
Es ist schon seltsam, dass die Presse sich selber einen Maulkorb gesetzt hat mit dem „Pressekodex 12.1“. Was steckt dahinter? Schön, dass „Da Hog’n“ hier mal eine Diskussion eröffent.
„In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht. “ steht da zu lesen. Eine seltsame Art, eine Berichterstattung einzuschränken. Kann ich dann nicht gleich jeden Pressebericht ganz vergessen?
Warum dann den Beruf nennen? Auch hier könnte eine Berufsgruppe mit Vorurteilen belastet werden! Warum dann das Alter nennen? Wird hier nicht auch eine Altergruppe unter Generalverdacht gestellt. Oder warum den Wohnort nennen. Sind vielleicht alle aus diesem oder jenen Ort Verbrecher?
„Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.“ Wie so Vorurteile? Wenn Straftaten bei dieser „Minderheit“ nicht häufiger sind, als beim Rest der Bevölkerung, kann kein Vorurteil entstehen.
Oder sind vielleicht doch gewisse Kreise bei Straftaten überproportional häufig vertreten und das paßt einflußreichen Presseleuten nicht in ihr Weltbild. Dafür setzen sie sich selber und allen Kollegen einen Maulkorb und alles ist wieder schön bunt.
Nein, die Wahrheit braucht keine Zensur!
Polizei und Presse nennen auch keine inländischen Straftäter, zumindest keine Kapitalverbrechen wie Körperverletzung,Totschlag und Motdversuch. wird auch in der Regel nicht juristisch verfolgt. Wo kein Kläger, da kein Richter. Außer es wird vielleicht einmal ein Fahrrad gestohlen.
Man sollte die Herkunft der Täter schon nennen, damit man sieht, dass unsere „Gäste“ nicht immer die traumatisierten Flüchtlinge sind. Die wissen doch ganz genau, dass Ihnen so wenig passiert, wenn ich nur an diese viele Ladendiebstähle in unserer Stadt denke.
Hallo,
es ist schon interessant wie es die Medien sich bei der Diskriminierung verhalten.
Wieso wird immer das Alter genannt wenn ein älterer Mann/Frau einen schweren Verkehrsunfall verursacht? Da gibt es vom Presserat keinen bedenken.
Da wird mal wieder mit zweierlei Maß gemessen.