Mauth. Aufbrechen. Alles hinter sich lassen – und etwas völlig Neues beginnen. Ängste, Wünsche, Hoffnungen – was machen wir, wenn etwas anders läuft als geplant? Gedanken dieser Art haben sich Daniela Kleinert und Stefan Schauberger (beide 27) aus Mauth zuhauf durch den Kopf gehen lassen. Doch am Ende war der Plan gefasst: Die beiden wollen ihr Abenteuer wagen, ihren Weg gehen – und damit auch anderen Mut machen. Bald schon brechen sie auf nach Österreich, um als Liftbedienstete am Hintertuxer Gletscher beruflich tätig zu werden – und damit in einen neuen Lebensabschnitt zu starten.

Daniela und Stefan öffnen gut gelaunt die Tür. Das Wohnzimmer ihrer (Noch-)Wohnung in Mauth ist sehr gemütlich eingerichtet und strahlt viel Wärme aus. Anfangs noch etwas unsicher, kommt Stefan (der von allen einfach nur „Schlaubi“ genannt wird) schnell zur Beantwortung der Frage, warum er vor vier Jahren beschlossen hatte, in den Bayerischen Wald umzuziehen. „Anfangs war’s deshalb, weil ich den Schnee so vermisst habe“, sagt der begeisterte Wintersportler rückblickend – und fügt dann hinzu: „Aber hier ist es auch so viel familiärer als in Passau zum Beispiel. Hier kann es halt auch mal sein, dass man zum Einkaufen etwas länger braucht, weil man sich noch mit anderen unterhält“, erklärt der gebürtige Thyrnauer (Landkreis Passau) und lacht. Mit Hilfe von Bekannten fand er damals sofort einen Job in einer Spenglerei im Gemeindeteil Zwölfhäuser – und war schon nach kurzer Zeit Mitglied beim Sportverein in Finsterau.
Nur ein Jahr später zog Daniela der Liebe wegen ihrem Stefan hinterher. Sie begann in einer Holzfabrik im Ortsteil Vierhäuser zu arbeiten. Auch bei ihr wurde der SV Finsterau schnell zu einem festen Bestandteil im Leben.
„I will ned des ganze Leben lang aufs Dach steigen“
Während des in Finsterau ausgetragenen IPC-Welt-Cups im vergangenen Winter entstand bei den beiden die Idee, beruflich mit etwas völlig Neuem anzufangen. Stefan erhielt bei der sportlichen Großveranstaltung die Möglichkeit, ehrenamtlich mit dem Pisten-Bully zur Pflege der Startbahnen im Finsterauer Skistadion beizutragen. Dabei hatte er, so seine Erkenntnis, genau das gefunden, was ihm Spaß bereitet. Und nach längerem Nachdenken und Spekulieren kam der Spenglergehilfe letztendlich zu dem Entschluss: „I will ned des ganze Leben lang aufs Dach steigen.“ Er möchte sich vielmehr einen Lebenstraum erfüllen und noch einmal etwas ganz Neues ausprobieren. Er, der früher eigentlich „ja ned weg woid vo dahoam“. Gemeinsam mit Daniela natürlich – „denn ohne sie hätt ich’s nicht g’macht“. Das Motto der beiden: Wenn nicht jetzt, wann dann? Noch sind sie jung, noch haben sie keine eigene Familie, auf die sie Rücksicht nehmen müssen.

Die „Auswanderungspläne“ nahmen sodann durch einige Urlaubsreisen ins Hintertuxer Skigebiet (Tirol) allmählich Gestalt an. Die erste E-Mail an die Gletscherbahn-Betreiber war schnell geschrieben. Es folgte reger E-Mail- und Telefonkontakt mit dem zuständigen Betriebsleiter. Im Juni dieses Jahres machten sich die beiden schließlich auf nach Österreich zum Vorstellungsgespräch. Dort angekommen, sah Daniela das Leuchten in Stefans Augen – und sie wusste: „Des is des Richtige für ihn – des is des Richtige für uns!“ Bei der anschließenden Betriebsführung konnten die anfänglichen Vorstellungen vom Arbeitsablauf dann auch schnell widerlegt werden. Sie dachten sich zunächst: „Ja, da werd ma dann den ganzen Tag eben irgendwie rumsitzen und ned so wirklich gefordert sein“, erinnert sich die gebürtige Passauerin und lacht. Aber nach den ersten Gesprächen und der Besichtigung waren sie sogleich „positiv schockiert“, denn: Die Arbeit ist sehr vielfältig und abwechslungsreich.
So gehört etwa das Befreien der Gletscherbahn-Masten von Eis und Schnee mit zu ihren Aufgaben. Des Weiteren sind sie dafür verantwortlich, die Skifahrer und Besucher sicher auf den Berg hinaufzubefördern. Aber auch eine Werkstatt und die Instandsetzung der Bahn sind Teil der täglichen Arbeit. Eine Besonderheit: Gletscherlifte müssen halbjährlich umgesetzt werden, sodass auch hier in größerem Rahmen mitangepackt werden muss.
Bei aller Vorfreude – eine Bedingung gab’s dann doch…
Sie fühlten sich sofort wohl und gut aufgehoben bei den Österreichern, da auch die Sprache keine Barriere darstellt und die Betreiber eigenen Aussagen zufolge gerne mit Leuten aus Bayern zusammenarbeiten. Jedoch hatten die beiden – bei aller Vorfreude – eine Bedingung an ihren künftigen Arbeitgeber: Zwei Wochen Urlaub im Februar nächsten Jahres, um bei der Paralympics-Weltmeisterschaft in Finsterau, die vom heimischen SV organisiert und durchgeführt wird, mit dabei sein zu können. „Wenn ma des ned bekommen hätten, hätten wir des Ganze gleich bleiben lassen“, sind sich die beiden eingefleischten SV’ler einig. Und so fangen Stefan und Daniela am 1. Oktober als Liftbedienstete am Hintertuxer Gletscher zu arbeiten an. Die 27-Jährige ist damit auch in einer besonderen Position, denn: Sie wird eine von nur zwei Frauen sein, die fest angestellt – und nicht nur als Saisonkräfte tätig sind.
Ihr Vorhaben nun auch der Familie, den Freunden und den Arbeitgebern mitzuteilen, stellte noch eine kleine Herausforderung für das „Auswanderer-Pärchen“ dar. Die Eltern waren am Anfang noch etwas skeptisch, stehen nun aber voll hinter ihren Kindern und deren Entscheidung. Mit ihren Arbeitgebern hatten die beiden Glück: Diese zeigten sich sehr kulant, als ihnen Daniela und Stefan im Juli ihre Pläne unterbreiteten. Und da Mauth ein Dorf ist, in dem die „Mund-zu-Mund-Propaganda“ noch sehr gut funktioniert, entschied sich Daniela, ihren Entschluss auch in Sozialen Netzwerken im Internet öffentlich zu machen, damit keine Halbwahrheiten getratscht werden. Auch hier stießen sie bei den meisten Leuten auf positive Resonanz.
„Wir wadn ja blöd, wenn ma des ned dadn!“
Ein großes Abenteuer also, das auf Stefan und Daniela nun wartet. Ihr künftiger Wohnort bedindet sich 2.700 Meter über dem Meeresspiegel. Im Sommer erreicht das Thermometer am Gipfel (3.300 Meter NN) nur etwa zehn bis elf Grad. Stefan hat nach einiger Zeit am Lift Chancen auf den Pisten-Bully umzusteigen, wie der 27-Jährige berichtet. Daniela, der anfangs eine Beschäftigung im Gastronomiebereich angeboten wurde, betont, dass sie nicht am gleichen Lift wie ihr Verlobter eingesetzt werden möchte,weil es ihrer Meinung nach auf Dauer nicht gut gehen kann, wenn das Paar sowohl in der Arbeit als auch in der Freizeit „ständig zamm’hängt“.

Ihre Unterkunft: eine Art Ein-Zimmer-Appartement, das neu renoviert wurde. Mitnehmen können sie daher fast nur Kleidung und wenige wichtige Habseligkeiten – Möbel und restlicher Hausrat werden bei den Eltern untergestellt. Der Transport ihrer Sachen muss schließlich über die Gondel erfolgen. Arbeitskleidung und Essen wird von den Betreibern zur Verfügung gestellt, ebenso wird die Miete vom Arbeitgeber übernommen.
Neu ist für Stefan und Daniela, dass sie aufgrund gleicher Arbeitszeiten mehr Zeit als bisher miteinander verbringen können. „Da is dann einfach so, dass Feierabend auch wirklich Ende bedeutet“, ergänzt „Schlaubi“- und man kann erkennen, dass er sich auf diese gewonnene Zeit freut. „Wir wadn ja blöd, wenn ma des ned dadn“, stimmt Daniela zu und bekräftigt nochmals die Richtigkeit ihrer Entscheidung und lacht.
„Es macht scho alles Sinn, dass wir des jetzt so durchzieh’n, weil sonst hätte des ja ned alles so reibungslos geklappt bis jetzt. Also soll’s schon so sein“, erklären die beiden einhellig. „Es ist aber noch a bisserl unwirklich, so wie a Traum“, meint die gelernte Krankenschwester, die genau wie ihr künftiger Ehemann schon mehrere Berufe ausprobiert hat (als gelernter Metalltechniker ist Stefan unter anderem auch bereits Sattelzug gefahren). Ihm macht die Arbeit draußen in der Natur am meisten Spaß – gerade im Schnee fühlt er sich besonders wohl. Daniela ist es primär nicht so wichtig, an welchem Ort und in welcher Position sie arbeitet. „Solange ich mit Stefan zusammen bin, ist das egal.“
„Wir sind das beste Beispiel für gelungene Integration“

Doch bis es endlich losgeht, steht noch einiges bevor: Am 9. September wird erst einmal geheiratet, darauf folgen zwei Wochen Urlaub. Bis 1. Oktober muss noch viel organisiert werden: Stefan braucht etwa noch die richtigen Schuhe, die seine Ausrüstung für den Job vervollständigen. Auch muss geklärt werden, ob ihre Haustiere (zwei Mäuse) mit nach Österreich kommen dürfen. Spätestens alle zwei Monate wollen sie zu Hause bei ihren Eltern nach dem Rechten sehen. Drei bis vier Stunden Fahrt von Hintertux in den Woid machen das ohne allzu große Schwierigkeiten möglich.
Und auch wenn sie den Landkreis auf unbestimmte Zeit erst einmal verlassen – in Mauth fühlen sie sich einfach zu Hause, das Dorf ist zu ihrer Heimat geworden. „Wir sind das beste Beispiel für gelungene Integration“, meint Daniela und lacht. Die beiden sind sehr bodenständig und wollen mit ihrem Experiment auch ein Vorbild für andere abgeben, die schon lange ihren Traum verwirklichen oder etwas Neues machen wollen. „Traut’s Euch einfach“, lautet der wohlgemeinte Ratschlag von Stefan und Daniela. „Solang ma’s net ausprobiert hod, woas ma’s net, wia’s is.“
Ruth Zitzl