Freyung-Grafenau. Wie das Landratsamt Freyung-Grafenau mitteilt, hat sich Landrat Sebastian Gruber nun mit einem Schreiben an die beiden Staatsminister Markus Söder und Helmut Brunner gewandt. Darin fordert er staatliche finanzielle Unterstützung für die Beseitigung der Hochwasser-Schäden an der kommunalen Infrastruktur ein, die in „weiten Teilen beeinträchtigt, ja zum Teil sogar zerstört“ worden sei. „Die bereits angekündigte Abwicklung der kommunalen Schäden erscheint den Vertretern der Kommunen angesichts des schwerwiegenden Ausmaßes unzureichend“, kann Gruber in seinem Brief weiter zitiert werden, der auch im Namen der betroffenen Bürgermeister verfasst wurde. Das Schreiben im Wortlaut:
„Sehr geehrter Herr Söder, sehr geehrter Herr Brunner,
der Landkreis Freyung-Grafenau war am 25./26. Juni von einem Hochwasserereignis betroffen, das auch weite Teile der kommunalen Infrastruktur beeinträchtigt, ja zum Teil sogar zerstört hat. Die Schäden umfassen auch bei uns die städtebauliche, touristische, soziale, verkehrliche und wasserwirtschaftliche Infrastruktur. Die bereits angekündigte Abwicklung der kommunalen Schäden erscheint den Vertretern der Kommunen angesichts des schwerwiegenden Ausmaßes unzureichend. Diese Rückmeldung geben mir die Bürgermeister der betroffenen Kommunen geschlossen. Deshalb wende ich mich heute mit diesem Schreiben an Sie.
„Gesamte Dramatik zeigt sich erst in der Praxis“
Im Landkreis Freyung-Grafenau sind die Städte Waldkirchen und Freyung, die Märkte Röhrnbach und Schönberg sowie die Gemeinden Eppenschlag, Grainet, Hinterschmiding, Hohenau, Jandelsbrunn, Mauth und Neureichenau vom Hochwasser vom 25./ 26.06.2016 betroffen. Alle diese Kommunen leiden wie auch der Landkreis selbst unter der traditionellen Struktur- und Finanzschwäche der Region. Die Schadensbilder beziehen sich auf kommunale Liegenschaften und Straßen ebenso wie auf touristisch bedeutsame Einrichtungen (Wege, Stadtpark), wasserwirtschaftliche Infrastruktur, Wiederherstellungsmaßnahmen im Gelände usw. Vielerorts wird sich also allein mit regulären FAG-Mitteln die kommunale Infrastruktur nicht wiederherstellen lassen. Im FAG-Bereich ist eine Förderung zu Höchstsätzen unabdingbar. Hinzukommen muss aber eine Förderung für all diejenigen Schadenslagen, die nicht vom FAG erfasst werden.
Mit unzähligen Stunden der Mitarbeiter in den Bauhöfen und auch in den Verwaltungen erbringen die betroffenen Kommunen ohnehin einen bedeutsamen Eigenanteil bei der Schadensabwicklung. Aufgrund der fehlenden Finanzausstattung sind viele Bürgermeister derzeit schlicht und ergreifend ratlos, wie die anstehenden Instandsetzungen erfolgen sollen oder eine funktionierende Infrastruktur wiederhergestellt werden kann. Als Landrat befinde ich mich in derselben Situation.
Der Landkreis Freyung-Grafenau hatte Ende 2015 einen Schuldenstand von 30.678.044 €. Dies entspricht einer Pro-Kopf-Verschuldung von 394 €, die sehr deutlich über dem Landesdurchschnitt von 229 € liegt. Die Umlagekraft beläuft sich auf 835 € pro Einwohner, der Landesdurchschnitt aber auf 1.070 €. Die Kreisumlage liegt daher – zu Lasten der finanziell ebenfalls schwachen Gemeinden – ohnehin schon bei 49,25 Prozent. Diesen Kreisumlagesatz nehmen die Städte und Gemeinden durchaus als merkliche Einschränkung ihrer Handlungs- und Entwicklungsmöglichkeiten wahr. Die Dramatik der Situation zeigt sich jedoch erst in der Praxis in ihrer gesamten Dimension. Durch die Hochwasserschäden nimmt sie an Dringlichkeit noch weiter zu.
„Schlechter Allgemeinzustand der Straßen“
Der Landkreis ist sowieso schon seit vielen Jahren nicht in der Lage, ein der Länge des Kreisstraßennetzes angepasstes Deckenbauprogramm finanziell auszustatten, die Kreisstraßen angemessen zu unterhalten und marode Brückenbauwerke zu erneuern. Das Kreisstraßennetz umfasst 338,291 Kilometer. Zu unterhalten sind jedoch auch zahlreiche Ingenieurbauwerke, von denen eine Anzahl von Brücken aufgrund des Alters sanierungsbedürftig ist:
- 83 Bauwerke (49 Brücken, 32 Durchlässe, 2 Gabionenmauern)
- 54 Bauwerke älter als 30 Jahre
- 29 Bauwerke älter als 40 Jahre
- 7 Bauwerke älter als 50 Jahre
Davon weisen 17 Bauwerke eine Zustandsnote zwischen 3,0 und 4,0 auf einer Skala von 1,0 bis 4,0 auf – bereits 20 Bauwerke sind derzeit lastbeschränkt. Der Allgemeinzustand der Straßen muss als schlecht bezeichnet werden. Das Kreisstraßennetz weist viele schadhafte Fahrbahnen mit Netzrissen, Verdrückungen und Schlaglöchern auf. Jedes Jahr fügen viele Frost-Tauwechsel dem bereits beschädigten Straßenaufbau neue, erhebliche Schäden zu. In den nächsten Jahren wäre auch ohne die Schäden aufgrund des Hochwassers vom 25./26.06. 2016 ein enormer Bedarf an Sanierungsmaßnahmen (Oberbauverstärkung und Brückenerneuerungen) fällig. Jedoch müssen Baumaßnahmen aufgrund der Finanzsituation ohnehin immer wieder verschoben werden.
Die Aufwendungen für den Unterhalt und den über viele Monate andauernden Winterdienst sind außerordentlich hoch. Ebenso ist für den Räum- und Streudienst ein entsprechender Fuhrpark vorzuhalten, dessen Unterhalt erheblich zu Buche schlägt. Es kommt erschwerend hinzu, dass Frost und Schnee alljährlich große Schäden verursachen.
„Das Deckenbaubudget stagniert seit Jahren“
Angesichts der angespannten Finanzlage konnten in den vergangenen Jahren nur in sehr geringem Umfang Deckenbauprogramme und sonstige Tiefbaumaßnahmen (geförderte Investitionen) durchgeführt werden. Erhält der Landkreis Förderung für eine Brückensanierung, führt dies meist zu einem Neubau. Für kleinere Sanierungsarbeiten (wie Sanierung Brückenkappe) ist eine Förderung zum großen Teil nicht möglich, sie erfüllen die Förderkriterien nicht.
Im Jahr 2012 wurde beispielsweise gar keine Fördermaßnahme in Auftrag gegeben, in den darauf folgenden drei Jahren beliefen sich die durchschnittlichen Investitionsausgaben auf zirka 1,5 Mio. € pro Jahr. Der Ansatz für 2016 liegt bei gerade einmal 1,2 Mio. €. Der dringend erforderliche Neubau einer Salzhalle (Kosten zirka: 450.000 €) musste aufgrund fehlender Finanzmittel bereits auf das Haushaltsjahr 2017 verschoben werden. Das Deckenbaubudget stagniert seit Jahren bei einem Betrag in Höhe von 1,0 Mio. € – trotz der erheblichen Preiserhöhungen bei Löhnen und Material. Im Haushaltsjahr 2016 können damit gerade einmal 5.770 Meter und damit weniger als zwei Prozent des Straßennetzes erneuert werden. Vor diesem Hintergrund ist der Landkreis mit der Behebung der Hochwasserschäden vom 25./ 26. Juni definitiv überfordert. Wir gehen hier momentan von einer Größenordnung von 2,5 Mio. € aus.
Hinzu kommen noch die Schäden an den Liegenschaften des Landkreises. Auch im kreiseigenen Hochbau besteht aufgrund fehlender finanzieller Mittel ein signifikanter Investitionsstau. Der Landkreis ist derzeit nicht dazu in der Lage, seine Liegenschaften hinreichend zu unterhalten. Die dringend notwendige Sanierung des Berufsschulzentrums in Waldkirchen wird schon seit längerem aufgeschoben, weil die dafür notwendigen Mittel nicht zur Verfügung stehen.
„Landkreis muss Bürgern ohnehin vieles zumuten“
Die Behebung der durch das Hochwasser vom 25./ 26. Juni 2016 verursachten Schäden überfordert den Landkreis aufgrund der dargestellten Gesamtumstände finanziell. Ein Nachtragshaushalt wäre erforderlich, mit der Genehmigung einer Netto-Neuverschuldung kann der Landkreis aber ohnehin nicht rechnen. Abgesehen davon wäre ein weiterer Anstieg der Verschuldung aber auch der falsche Weg. Wir brauchen nicht Freiräume zur Verschuldung. Wir brauchen vielmehr Unterstützung, damit wir uns Freiräume für Zukunftsinvestitionen erarbeiten können. Das wird aber nur gelingen, wenn wir bei den Infrastrukturkosten nach diesem Unwetterereignis großzügig unterstützt werden.
Der Landkreis muss seinen Bürgern ohnehin schon vieles zumuten, um die Konsolidierung des Kreishaushalts voranzubringen. Ein Standort der stationären Krankenhausversorgung wird aufgegeben, bei den freiwilligen Leistungen gibt es gravierende Einschnitte, aber auch in grundlegenden Bereichen des öffentlichen Lebens wie dem ÖPNV. Diese Anstrengungen würden ohne großzügige staatliche Hilfen letztlich ins Leere laufen, weil die dadurch erarbeiteten finanziellen Spielräume dann durch die Behebung der Schäden an der kreiseigenen Infrastruktur aufgezehrt würden.
Nicht besser stellt sich die Situation für unsere Gemeinden dar. Ich möchte das – um unnötige Längen zu vermeiden – am Beispiel der Stadt Waldkirchen, der größten Kommune im Landkreis, darstellen. Die Unwetterschäden belaufen sich hier voraussichtlich auf ca. 8.584.600,00 €. Der Schuldenstand der Stadt wird sich trotz erheblicher Konsolidierungsmaßnahmen Ende 2016 auf voraussichtlich 21,1 Mio. € belaufen. Hier sind die Hochwasserschäden natürlich noch nicht berücksichtigt. Zudem steht ein Neubau der Mittelschule dringend an. Das Volumen des Verwaltungshaushalts beträgt 15.926.900 €, das Volumen des Vermögenshaushalts 8.743.900 €. Aufgrund eines klaren Sparkurses konnte für 2016 – wiederum ohne Hochwasserschäden – eine freie Finanzspanne von 1.027.500 € erreicht werden. Die Steuerkraft liegt mit 524 €/ Einwohner bei der Hälfte des Landesdurchschnitts von 1.096 €/ Einwohner. Dabei liegen die Realsteuerhebesätze bereits über dem Landes- und über dem Landkreisdurchschnitt.
„Pauschalförderung wie 2002 wünschenswert“
Diese Rahmendaten zeigen deutlich, dass die Stadt Waldkirchen finanziell damit überfordert ist, ihre Infrastruktur wiederherzustellen – und zwar auf Jahre hinaus. Entsprechendes gilt auch für die weiteren betroffenen Gemeinden. Nicht nur die Bürger, auch die hochwasserbetroffenen Kommunen brauchen jetzt schnelle und unbürokratische Hilfe, auch zusätzlich zu den Fördermöglichkeiten nach dem FAG. Die Programme müssen mit ausreichenden Finanzmitteln ausgestattet werden und eine bedarfsgerechte, umfassende und schnelle Unterstützung der Kommunen gewährleisten.
Darüber habe ich auch mit den betroffenen Bürgermeistern gesprochen. Ein zielführender Ansatz wäre es demnach, wenn man (ergänzend zu einer FAG-Förderung mit Höchstsätzen) an die Praxis nach dem Augusthochwasser 2002 anknüpfen würde. Damals wurde über das Amt für Ländliche Entwicklung nach einem Ortstermin in der betroffenen Gemeinde schnell und unkompliziert eine Pauschalförderung gewährt.
Der Freistaat Bayern bekennt sich stets zur Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse von Stadt und Land. Tatsächlich geht sein Engagement für den ländlichen Raum weit über das hinaus, was andere Bundesländer für ländliche Regionen tun. Gerade deshalb ist es zu unserer Überzeugung konsequent, aber auch dringend notwendig, dass wir auf eine schnelle und umfassende Förderung für die Wiederherstellung der kommunalen Infrastruktur nach dem Unwetterereignis vom 25./ 26. Juni 2016 vertrauen dürfen.
Ich spreche hier nicht nur als Landrat, sondern auch für die betroffenen Bürgermeister. Abschließend bitte ich um Ihre Unterstützung für dieses wirklich dringende Anliegen und verbleibemit freundlichen Grüßen
Sebastian Gruber
Landrat“