Perlesreut/Neureichenau. Das große „Stühlerücken“ hat begonnen. Asylbewerber, die nach strapaziöser Flucht im Bayerischen Wald (und anderswo) untergekommen sind, um hier eine sicherere Heimat zu finden, werden nun nach und nach von der einen Asyl-Unterkunft in die nächste Einrichtung umquartiert – und zwar „Knall auf Fall“, wie Claudia Würzinger aus Perlesreut kritisiert. „Fix und fertig“ sei sie deshalb – und teilt mit bebender Stimme mit: „Unsere neun Asylbewerber wurden umverteilt. Kann man denn so mit Menschen umgehen?“ Ja, das kann man. Dafür verantwortlich zeichnet die aktuelle Weisungslage, wie das Landratsamt Freyung-Grafenau auf Hog’n-Nachfrage informiert: „Danach sollen unter anderem Umschichtungen von kostenintensiven in kostengünstigere Unterbringungsformen vorangetrieben werden“, teilt Behördensprecherin Judith Wunder mit.
Auch in Traunstein: Geflüchtete wurden umquartiert
Gefühle bleiben häufig auf der Strecke – gerade dann, wenn’s bürokratisch wird. „Der Sozialstaat ist kein Wunschkonzert“ – zumindest, wenn man den Worten des Traunsteiner Landrats Siegfried Walch (CSU) Glauben schenken darf. In seinem Landkreis gab es jüngst Proteste von 21 Geflüchteten, die nicht von der Ortschaft Bergen nach Petting umquartiert werden wollten, da sie den Gang in die „soziale Isolation“ fürchteten, wie es die Mitglieder des örtlichen Helferkreises bezeichneten. Die Flüchtlinge nach drei Jahren in Bergen aus ihrem gewohnten Umfeld herauszureißen, sei „unmenschlich“.
Doch der Schritt ist den oberbayerischen Behörden zufolge aus ökonomischen Gründen erforderlich. Stichwort: Einsparungen bei Flüchtlingsunterkünften. Da es momentan zu viele davon im Landkreis Traunstein gebe und gewisse Einrichtungen weniger kostenintensiv seien als andere, habe man sich dazu entschieden, teurere Unterkünfte (wie die in Bergen) aufzulösen und die 21 Männer nach Petting zu verlegen – in ein Haus, das der Gemeinde gehört. 17.500 Euro monatlich spare sich der Landkreis durch diese Maßnahme, wie Landrat Walch informiert. Eine Zahl, deren Richtigkeit u.a. von den Betreibern der dezentralen Unterkünfte angezweifelt wird. Die Geflüchteten haben nach neun Tagen nun ihren Protest aufgebeben – und sich vergangene Woche ihrem Schicksal gefügt.
„Wie wenn Ware oder ein Stück Vieh transportiert wird“
„Man kann das alles sicher einfühlsamer, humaner machen“, zeigt sich auch Claudia Würzinger von derartigen „Tabula-Rasa-Maßnahmen“ durch die Behörden alles andere als begeistert. Am Dienstag vor zwei Wochen seien sie und die neun Asylbewerber vom Landratsamt darüber informiert worden, dass die Geflüchteten nur einen Tag später, am Mittwochnachmittag, „mit einem Bus abgeholt und umverteilt werden“, erinnert sich die Perlesreuterin. Sie gehört dem örtlichen Helferkreis an und betreibt die dezentrale Unterkunft der Marktgemeinde, in der die neun überwiegend jungen Männer – darunter auch der 20-jährige Naasir aus Somalia – bis dato untergekommen sind. „Wir waren sprachlos und wütend“, sagt Würzinger, die sich privat seit mehr als einem Jahr zusätzlich um drei sogenannte unbegleitete minderjährige Flüchtlinge im Rahmen einer Pflegschaft kümmert. „Wie kann man nur so mit Menschen, die teils schwer traumatisiert sind, umgehen? Wie wenn Ware oder ein Stück Vieh transportiert wird…“, kommentiert sie mit einem Kopfschütteln. Auch die engagierte Frau benutzt – wie die Bergener Helferkreis-Mitglieder – Worte wie „unmenschlich“ und „gefühlskalt“, wenn sie jenen bürokratischen Vorgang beschreibt.
Ins benachbarte, knapp sechs Kilometer entfernte Ringelai sind die Geflüchteten, die seit rund zwei Jahren in der Perlesreuter Unterkunft von Claudia Würzinger wohnhaft waren, nun auf Weisung des Landratsamts umquartiert worden. Die Schmalzdobl-Gemeinde Ringelai hatte jüngst zwei Häuser mit acht Wohnungen am Ortsausgang renovieren lassen, die seit kurzem im Rahmen der Flüchtlingsunterbringung zur Verfügung stehen. „Alle waren sie fix und fertig, als sie ohne große Vorwarnung von der Nachricht erfahren haben“, berichtet Würzinger, der es, wie sie gegenüber dem Hog’n betont, bei der Angelegenheit keinesfalls ums Finanzielle, sondern vielmehr um den menschlichen Aspekt gehe. Zu eng seien die Bindungen, die Freundschaften zwischen ihr, ihren Helfern und den Bewohnern in den vergangenen Monaten geworden. Zu intensiv die Anteilnahme am Schicksal der Flüchtlinge.
„Dort hat man sie nun zu mehreren in einem Zimmer zusammengepfercht“, sagt Claudia Würzinger, um Fassung ringend. Sie wisse zudem von einem 18-jährigen aus Afghanistan, der aus der Waldkirchener Einrichtung für unbegleitete Minderjährige „herausgerissen“ und im Anschluss zu drei erwachsenen Syrern nach Ringelai „gesteckt“ worden sei. „Er war total fix und fertig. Dabei ist doch bekannt, dass sich Syrer und Afghanen nicht gut verstehen.“
„Dies wäre verwaltungstechnisch auch gar nicht umsetzbar“
Konfrontiert mit den Vorkommnissen in Perlesreut, erwidert Judith Wunder, Leiterin der Abteilung „Kommunale und Soziale Angelegenheiten“ am Landratsamt Freyung-Grafenau: „Das Landratsamt handelt hier als staatliche Behörde und geht dabei mit Geldern des Freistaates Bayern um.“ Der Grund für die Umstrukturierung der dezentralen Unterbringung von Flüchtlingen ist Wunder zufolge die seit April 2016 bestehende Weisungslage. „Danach sollen unter anderem Umschichtungen von kostenintensiven in kostengünstigere Unterbringungsformen vorangetrieben werden.“ Es sei daher mit den bisherigen Vermietern dezentraler Unterkünfte hinsichtlich einer Umstellung der Verträge verhandelt worden. „Bei den Verhandlungspartnern, die kein Entgegenkommen zeigten, erfolgte daher die Umquartierung in eine andere Unterkunft“, teilt die Oberregierungsrätin weiter mit. Die betroffenen Unterkünfte sollen gegebenenfalls in nächster Zeit ganz geschlossen werden.
Warum zwischen der Ankündigung zur Umquartierung und dem tatsächlichen Umzugstermin mit nur einem Tag derart wenig Zeit seitens der Behörde anberaumt wurde? Wunder dazu: „Die Verhandlungen waren zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen. Es wäre für das staatliche Landratsamt nicht möglich gewesen, die Ergebnisse nicht umzusetzen. Es musste eine entsprechende Entscheidung getroffen und umgesetzt werden.“ Und weiter: „Für die betroffenen Asylbewerber spielt es auch keine Rolle, ob noch ein oder zwei Wochen bis zu einer Umverteilung gewartet würde. Auch an den Zielorten gibt es Helferkreise etc.“ Und: Für die einzelnen Asylbewerber selbst bestehe ohnehin kein Anspruch in einer bestimmten Unterkunft zu verbleiben, wie die Behördensprecherin hinzufügt. „Dies wäre verwaltungstechnisch auch gar nicht umsetzbar.“
„Nicht zuständig – kein Anspruch – nicht möglich – keine…“
Ob es gerechtfertig sei, mit teils schwer traumatisierten Menschen auf diese Weise zu verfahren? „Es liegen uns keine Anhaltspunkte vor, dass es diesbezüglich zu Problemen gekommen wäre. Immerhin waren in diesem Zusammenhang durch das Landratsamt auch Sozialdaten erhoben und ggfs. in die Entscheidung mit einbezogen worden. Die Umverteilungen wurden zudem vom Landratsamt begleitet.“
Zum Fall des 18-jährigen Flüchtlings aus Afghanistan, der, wie von Claudia Würzinger beschrieben, von Waldkirchen nach Ringelai umquartiert worden sei, informiert Judith Wunder: „Dieser Fall lag nicht in der Zuständigkeit des Kreisjugendamts Freyung-Grafenau. Allerdings leben Jugendliche ab dem 18. Lebensjahr in aller Regel in Gemeinschafts- und dezentralen Unterkünften. Insoweit war es ein ganz gewöhnlicher Vorgang, wenn der 18-Jährige auch in eine solche Einrichtung zugewiesen wurde, wenn auch nicht durch das insoweit unzuständige Landratsamt Freyung-Grafenau.“
Abschließend betont die Oberregierungsrätin nochmals, dass es keinen Anspruch auf Zuweisung in eine bestimmte Unterkunft gebe. „Es ist aus Gründen der Verwaltungsabläufe leider nicht möglich, die Verteilung an Nationalitäten, Religionszugehörigkeit etc. auszurichten.“ Und fügt hinzu: „Konflikte zwischen Nationalitäten sind in den überschaubaren dezentralen Unterkünften des Landratsamtes Freyung-Grafenau aber auch nicht entstanden – im Übrigen auch nicht im Rahmen der Notfallunterbringung in Hallen.“
Mehrere „Umschichtungen“ auch in Neureichenau
Auch in der Gemeinde Neureichenau ist es vor Kurzem zu derartigen „Umschichtungen“ gekommen, wie Integrationsbeauftragter Hans-Peter Dorn auf Hog’n-Nachfrage bestätigt. Auch hier seien die Betroffenen und deren Unterstützer aus dem Helferkreis äußerst kurzfristig darüber informiert – und vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Sechs Geflüchtete wurden hierbei von der dezentralen Unterkunft in Lackerau (seit Ende 2014 bestehend) nach Ringelai gebracht – drei in eine Einrichtung nach St. Oswald. „Nach Neureichenau ist für relativ wenige Asylbewerber ein weiter Weg zur monatlichen Taschengeldauszahlung und gegebenenfalls für andere Vorgänge zurückzulegen. In diesem Fall zwingen angesichts des Rückgangs der Asylbewerberzahlen verwaltungsökonomische Gründe zur Aufgabe der dezentralen Unterkunft“, gibt Behördensprecherin Judith Wunder dazu Auskunft.
Stephan Hörhammer
21 Männer aus ihrem sozialen Umfeld zu reissen, das was bisher an Integration geleistet wurde bei Seite zu legen und die werten Herren wieder bei 0 beginnen zu lassen – für Sage und Schreibe 17.500 Euro im Monat – Respekt, Hut ab und Chapeau. Das ist nicht nur ein Schlag ins Gesicht eines jeden der 21 Flüchtlinge, das ist ein Schlag ins Gesicht eines jeden Freiweilligen der sich in dieser Gemeinde engagiert hat. Das ist von der viel propagierten „Integration“ mittlerweile genau so weit entfernt wie die Christlich Soziale Union von christlich sozialen Werten.
Mit freundlichen Grüßen
Johannes Gress
Aufregung ist hier nicht sonderlich hilfreich.
Die Umquartierung von Flüchtlingen & Spätaussiedlern ist etwas völlig normales und auch nichts ungewöhnliches.
Bereits in den 70/80 und 90ern hat man das mit Spätaussiedlern aus Polen(Schlesien & Ostpreußen), Russland(Wolgadeutschen), Rumänen(Siebenbürgen) und auch mit Flüchtlingen die aus EX-Jugoslavien, ebenfalls gemacht.
Die Sache mit der „Integration“ wird zwar gerne als Argument vorgeschoben, doch sehe ich es nicht als Hemmnis oder gar Problem an, denn Integration ist vielfältig und geht weit über den Umzug hinaus.
Übrigens, bei den Unterkünften haben viele mal schnell und gierig die Hand ausgestreckt, es wird deshalb höchste Zeit das wieder etwas Normalität einkehrt und die Kosten, die die Allgemeinheit trägt, endlich sinken!
Finde sehr schön, dass sich Da Hog`n mit so viel Herz für diese Thematik interessiert, aber es ist nicht alles nur schwarz oder weiß…
Ich kenne Flüchtlinge die mit dem Umzug zurechtgekommen sind. Sie werden auch in den neuen Unterkünften und Orten neue nette Menschen kennenlernen und somit der bayerischen Kultur und Tradition noch ein Stück näher kommen. Es ist nicht so, dass alle von ihnen ganz feste Beziehungen hatten und sich jetzt nicht auf die neuen einlassen können. Das sind meistens sehr junge Menschen, die ziemlich flexibel sind und man kann weiterhin mit ihnen im Kontakt bleiben, sie ziehen doch nicht auf den Mond um.
Man kann nicht pauschal sagen, dass sich Afghanen und Syrern nicht vertragen. Das sind reine Vorurteile. Wenn etwas nicht passt, dann ist es meistens auf der persönlichen Ebene. Es wäre schön, wenn Leute erleben könnten, wie es ausschaut, wenn junge Eritreer, Nigerianer, Somalier, Afghanen und Syrer in einer Klasse zusammensitzen, schwitzen und lachen während sie die deutsche Sprache lernen. Durch intensives Zusammenleben entstehen neue Freundschaften und Beziehungen. Sie nehmen außerdem viele Dinge mit Humor und sind nicht so empfindlich…
Es ist echt toll zu sehen, was in Deutschland/Bayern alles gemacht wird (auf vielen Ebenen), um den Flüchtlingen zu ermöglichen ein nahezu normales Leben zu führen. Würde mich wünschen, dass wir alle auf einem Strang ziehen und versuchen, uns allgemein für Andersartigkeit zu sensibilisieren und zu öffnen. Wir sollten die Flüchtlinge nicht kleiner und hilfloser machen als sie sind, sondern sie so weit unterstützen, damit sie eines Tages selber fliegen können.
Mit freundlichen Grüßen,
Martina Stadlmeyer
Umquartierungen sind kein Einzelfall. Auch im Landkreis Kelheim will man die kleinen (kostenaufwendigeren) Unterkünfte möglichst auflösen, um die Flüchtlinge in zentralen Unterkünften unterzubringen.
Warum? Weil inzwischen die Komunen realisieren, dass die Kosten nicht tragbar sind. Ein Beispiel: unser Landrat hat im Dezember 2016 in der Kreistagssitzung die durchschnittlichen monatlichen Kosten von unbegleiteten jugendlichen Asylbewerbern auf Euro 4.500 benannt.
Als Kreisrat der Bayernpartei habe ich bereits früher betont, dass die zentralen Massenunterkünfte nicht die richtigen Wege sind. Hier entstehen, durch das enge miteinander von verschiedenen Kulturen und Religionen, neue Problemgebiete.
Viel besser wäre es, man würde Flüchtlinge in den kleineren Unterkünften belassen, dafür diese schnell in Arbeit bringen. Eingliederung in die Arbeitswelt ist die beste und schnellste Art von guter Integration, sowohl was den sprachlichen Fortschritt betrifft, als auch was die Anerkennung in unserer Bevölkerung angeht. Hierzu bedarf es den Abbau bürokratischer Hemmnisse, aber auch Druck auf Arbeitsverweigerer. Auf meinen Vorschlag antwortete Landrat Dr. Faltermeier in der Kreisausschuss-Sitzung in diesem Monat: „Ich kenne keine Arbeitsverweigerer!“ Im Dezember 2015 hat er mir (auf meine Anfrage) gesagt, dass im Landkreis Kelheim 266 Flüchtlinge sind, welche eine Arbeitserlaubnis besitzen, aber nur 8 einer Beschäftigung nachgehen. 97% sind somit nicht in Arbeit, aber keiner ist, nach unserem Landrat, ein „Arbeitsverweigerer“.
Mit Verlaub, Her Landrat, sie sind ein Realitätsverweigerer!
Was für eine Aufregung, wenn ein paar Asylanten eine kostenlose Unterkunft
wechseln müssen! Denkt mal 70 Jahre zurück, da bekamen wir im Sudetenland
und Böhmerwald eines Abends eine kleine Benachrichtigung, dass wir uns
am nächsten Tag um 5 Uhr an einem Sammelplatz in der Gemeinde mit 50 kg
Hausrat und Wäsche, sowie 1000 RM einzufinden haben. Es waren damals
hauptsächlich alte Leute und Kinder die wir dann mit Lkw abtransportiert wurden.
An der nächsten Bahnstation wurde wir in einem Viehwaggon gesteckt und ab
ging die Post in eine ungewisse Zukunft. Wir mussten alles zurücklassen.
In der „Neuen Heimat“ haben wir dann unter viel schlechteren Unterkünften
leben müssen, wie heute unsere Wirtschaftsflüchtlinge, die nun alles umsonst
bekommen.