Wien. In Österreich will man Flagge zeigen. Nicht nur aufgrund der Europameisterschaft, die vor unserer Tür steht und zum Anlass für viele Schönwetterpatrioten genutzt wird, um mit rot-weiß-roter Fahne durch die Straßen zu grölen. Hierzulande veräußert sich – man will sagen „schon wieder“ – der Drang, die emotionale Bindung ans Vaterland nach außen zu tragen. Patriotismus ist hier – nicht wie in Deutschland – noch eine Frage des „Darf man das?“, sondern bereits tief in einigen Köpfen verankert. Manifestiert wird dies durch die konstant steigenden Wahlerfolge der sogenannten „Heimatpartei“ FPÖ. Die Nationalisten dürfen sich mittlerweile stärkste politische Kraft in Österreich nennen – mit Umfragewerten jenseits der 30 Prozent. (Dass man zum jetzigen Zeitpunkt keinen deutschnationalen Burschenschaftler als Präsidenten hat, liegt wohl einzig bei den Wienern und Exil-Österreichern…)
All das sind Symptome einer Krankheit, die man fälschlicherweise schon abgeschrieben hat – geheilt geglaubt durch die Idee eines geeinten Europas. Doch wie labil dieses Konstrukt Europa ist, zeigt die Gegenwart: Die Wirtschaftskrise 2008 und der Flüchtlingsstrom im Spätsommer 2015 haben ihre Spuren hinterlassen. Die großen Volksparteien stecken europaweit in der Krise. Nutznießer sind vor allem Rechtspopulisten, die nicht nur in Österreich, sondern auch in großen europäischen Staaten wie Frankreich, England und mittlerweile auch Deutschland, das man lange Zeit für immun hielt.
Doch woher kommt der Drang, sich über das Vaterland zu definieren? Und ist ein solches Modell (abgesehen von jedweder ideologischen Präferenzen) überhaupt noch zeitgemäß? Simon Garschhammer, Wiener Student der Publizistik und Kommunikationswissenschaften, hat sich darüber so seine Gedanken gemacht.
Vom Progressiven hin zum Gefühl der nationalen Überlegenheit
Unser heutiges, mitteleuropäisches Verständnis von Patriotismus wurzelt im Aufkommen des Nationalismus und Liberalismus im Zuge der Französischen Revolution. Weg von den alten, eingerosteten Herrschaftsstrukturen, hin zum Nationalstaat – so lautete die Devise. Getragen wurde diese Entwicklung durch das erstarkte Bürgertum, das nun endlich einen echten Gegenentwurf zum veralteten Feudalismus bot. Diese Bewegung war durchaus progressiv: So blieb es nicht nur bei der Forderung eines einheitliches Territorialstaats, demokratische Werte sollten in Form einer Verfassung verankert werden – der „Spirit“ der Revolution war noch allgegenwärtig.
War der Patriotismus während der Märzrevolution 1848 noch geprägt von dem Wunsch einer nationalen Einheit und dem Überwinden von Grenzen, zeigt sich dessen hässliche Fratze schon wenige Jahre später während des Deutsch-Französischen Kriegs. Der Mythos der sogenannten „Deutsch-Französischen Erbfeindschaft“ entstand im Zuge dieser Entwicklung und sollte seine grausamen Folgen noch tief bis ins 20. Jahrhundert offenbaren. Bereits Heinrich Heine, dem die Vaterlandsliebe schon damals suspekt war, musste sich einiges anhören, wie er in seinem 1844 erschienen Roman „Deutschland ein Wintermärchen“ kundtat:
„Du lästerst sogar unsere Farben, Verächter des Vaterlands, Freund der Franzosen, denen du den freien Rhein abtreten willst!“
Das Gefühl einer nationalen Überlegenheit brannte sich tief in die Gesellschaft ein; Walter Rathenau, liberaler Politiker und scharfsinniger Beobachter seiner Zeit, fasste diese Tendenz treffend mit seiner Aussage „Die Liebe zum Heimischen kleidete sich in dem Hass gegen Fremdes“ zusammen. Geschürt wurde die flammende Vaterlandsliebe durch die jeweilige Machtelite, die darin eine geeignete Gelegenheit sah, eigene Interessen durchzusetzen – meist in Form von Kriegen. Militärische Auseinandersetzungen konnten nun so als Verteidigungskrieg des eigenen Volks ausgelegt werden, mit der Absicht die Bevölkerung zu schützen. Kurz gesagt: Die Besinnung auf die eigene Volksgemeinschaft als Legitimation für Krieg.
Erschreckenderweise gibt es viele Parallelen zur Jetzt-Zeit. Die Situation ist heute zwar eine andere, die Argumentationsstruktur jedoch dieselbe: Die Rückbesinnung auf die eigene Volksgemeinschaft als Legitimation für Abschottung.
Patriotismus – eine Tugend, die heute niemand mehr braucht
Aus machtpolitischer Sicht war der Patriotismus damals also durchaus sinnvoll: Neben der Rechtfertigung von Auseinandersetzungen konnten sich Herrscher als Repräsentant einer Volksgemeinschaft inszenieren und so ihre Stellung sichern. In Zeiten, in denen Konflikte mit anderen Nationen ständig in der Luft lagen, war dies also durchaus hilfreich. Doch wie sieht es heute, in einer globalisierten Welt, aus?
Globalisierung ist Fakt. Egal wie man dazu stehen mag, es ist ein Prozess, der nicht aufzuhalten ist. Anfangs beschrieb der Begriff die Verflechtung internationaler Beziehung vor allem in Bezug auf wirtschaftliche Vorgänge, als Folge der Marktliberalisierung. Doch darauf beschränkt sie sich schon längst nicht mehr: Politik, Kultur, Umwelt und Kommunikation, sämtliche Bereiche des gesellschaftlichen und individuellen Lebens sind elementar damit verbunden. Die Ursachen sind vielfältig und sollen hier nicht Gegenstand des Artikels sein. Es geht vielmehr um die Erkenntnis, dass der Prozess der globalen Verflechtung patriotische Regungen nichtig und rudimentär erscheinen lässt.
Nationalstolz stützt sich auf die Annahme einer Leitkultur und Volksgemeinschaft. Aber gibt es die eine Leitkultur in Europa überhaupt noch? Egal, ob Esskultur, Sprache, Ethnizität, Religion – all das, was eine Kultur ausmacht, ist in unserer heutigen Gesellschaft voll von äußeren Einflüssen: Der morgendliche Kaffee kommt aus Brasilien; man geht aus dem Haus und sieht japanische Autos; an Essensständen werden türkische und italienische Gerichte verkauft; abends in der Bar wird russischer Wodka getrunken; im Kino laufen amerikanische Blockbuster. Allein die Normalität der Verwendung letzteren Begriffs belegt wie etabliert Anglizismen in unserem Sprachgebrauch sind. Und man stelle sich vor: Selbst unsere Verwendung von Zahlen geht auf das Arabische zurück. Gibt es überhaupt noch so etwas wie eine österreichische Kultur? Hat der Prozess der Globalisierung nicht kulturelle Grenzen verschwimmen lassen, ja sogar gesprengt?
Das Propagieren von einer österreichischen (wie auch deutschen, französischen…) Leitkultur ist eine reine Illusion. Patriotismus ist an sich etwas sehr abstraktes, deswegen auch schwer zu bekämpfen und aus den Köpfen zu kriegen; eine Verführung, der manch einer immer wieder verfällt – und ein Versprechen, welches sich nicht einlöst: die Solidarität einer unwirklichen Gemeinschaft. Die emotionale Erhöhung einer Idee, dessen Essenz die Einbildung eines abstrakten Zugehörigkeitsgefühls verkörpert. Wozu gehört man denn?
Zu einer Kultur, die sich auf die Geschichte und die Traditionen eines Landes beruft? Auf Mentalität und Identität? Der Ich-Identität, die sich durch Charakter, Erziehung, Umfeld und Erlebnisse definiert, wird nun ein weiterer Faktor zugesprochen, nämlich die Existenz einer nationalen Identität, die, wie gesagt, eben reine Illusion ist.
Vaterlandsstolz als letzte Sinnstiftung seiner sozialen Existenz
Was bedeutet überhaupt „Stolz“? Der Stolz ist die Freude, die der Gewissheit entspringt, etwas Besonderes, Anerkennenswertes oder Zukunftsträchtiges geleistet zu haben. Beispielsweise ist ein Vater stolz auf seinen Sohn, der in einer Situation selbstlos gehandelt hat. Das gibt dem Vater das Gefühl, er habe dem Sohn in dessen Erziehung wertvolle Werte mit auf den Weg gegeben. Oder ein Mädchen ist stolz auf sich selbst, nachdem es trotz mangelnder Mathematik-Begabung durch hartes Arbeiten die Matura geschafft hat. All das sind plumpe Beispiele – sie zeigen jedoch den Kern von Stolz, nämlich die Zufriedenheit über eine eigens produzierte Leistung.
Worin aber die Leistung beim Nationalstolz liegen soll, erschließt sich nicht so recht. Man wird wohl kaum bezweifeln können, dass der Ort seiner Geburt reiner Zufall ist. Man wird in Wien geboren und ist nun aufgrund willkürlich gezogener Grenzen österreichischer Staatsbürger. Dass ein Staat bzw. ein Land nichts anderes als eine künstliche Institution, ein geschaffenes Konstrukt ist (mag es auch noch so sinnvoll sein), wird oft übersehen. Vor allem all die Straches, LePens, Orbans und wie sie alle heißen, sollten sich das einmal zu Gemüte führen. Schon Arthur Schopenhauer schreibt: „… jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er stolz sein könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er gerade angehört, stolz zu sein. Hieran erholt er sich und ist nun dankbarlich bereit, alle Fehler und Torheiten, die ihr eigen sind, mit Händen und Füßen zu verteidigen.“ Überspitzt gesagt soll das heißen: Wer selber nichts erreicht hat, worauf er stolz sein könnte, wer nichts kann oder in keiner Weise individuelle Eigenschaften besitzt, dem bleibt immer noch der Nationalstolz.
Natürlich sei festzuhalten, dass Patriotismus nicht sofort gleichzusetzen ist mit Nationalismus und Chauvinismus – jedoch stellt er definitiv eine Vorstufe davon dar und ist nicht unabhängig davon zu betrachten, wie es viele tun, wenn sie behaupten, Patrioten identifizieren sich lediglich mit ihrer Nation, ohne sie über andere zu heben. Das alleinige Hervorheben seiner Nation impliziert schon eine Herabwürdigung anderer. Man erachtet ein bestimmtes Land als kulturell wertvoller. Patriotismus geht immer mit Abgrenzung gegenüber anderen Nationen einher. Insofern stellt der Begriff der Vaterlandsliebe einen Euphemismus dar und muss sofort als Gefahrenhinweis identifiziert werden.
Man will kein Spielverderber sein und den Spaß an einem großartigen, internationalen Sportereignis wie der Fußball-Europameisterschaft absprechen – aber sehr wohl soll es als Appell verstanden werden, das eigene Verhältnis zu seiner Nation zu überdenken und sich die Frage zu stellen, inwiefern man mit dem österreichischen Nachbarn von nebenan mehr gemein habe als mit dem lybischen Flüchtling, der gerade die Grenze passiert hat? Frei nach dem Motto (um Heinrich Heines Antwort auf den Vorwurf seines mangelnden Patriotismus zu zitieren): „Ich bin der Freund der Franzosen, wie ich der Freund aller Menschen bin, wenn sie vernünftig und gut sind.“
Text: Simon Garschhammer
Fotos: Johannes Gress
Patriotismus – eine Tugend, die heute niemand mehr braucht!? Welch seltsames Tun, seine Heimat zu verleugnen! Hier sind sich offensichtlich viele Journalisten im Geiste einig, trotzdem wird auch Vielzitiertes nicht wahrer.
Auch das aneinanderreihen von Leistungen anderer Länder ändert doch nichts an der Einzigartigkeit unserer eigenen Heimat. Einzigartig, nicht besser, das ist ein vielen verborgenes Geheimnis!
Ich habe über 80 Länder dieser Welt bereist. Viele als Rucksacktourist, mit dem Motorrad, auf Schiffen angeheuert oder einfach Monate in einfachen Verhältnissen in der Fremde gewohnt. Meine Erkenntnis daraus: wer die Fremde kennt, weiß seine Heimat und seine eigene Kultur zu schätzen. Ich schreibe hier ausschließlich über die bayerische Kultur, da ich glaube, dass unsere Nordlichter ihre eigene Kultur haben. Nicht besser, nicht schlechter, aber anders.
Unsere bayerische (Leit-)Kultur geht weit über „Lederhosen-tragen“ und „Maßkrug-stemmen“ hinaus. Denn beides macht noch lange keinen echten Bayern, auch wenn viele sich das einbilden. Zur bayerischen Kultur gehören viele Eigenheiten: beim arbeiten „mit dem Hirn anschieben“, nicht jedem gleich „Freund“ sein, trotzdem „leben und leben lassen“, gradlinig und griabig sein, seine Heimat lieben, auch wenn nicht immer alles golden glänzt.
Aber all das wird so mancher Schreiberling nicht verstehen, weil er die Tiefe Bayerns als „Zuazonger“ nicht begriffen hat.
„Patriotismus ist an sich etwas sehr abstraktes, deswegen auch schwer zu bekämpfen und aus den Köpfen zu kriegen“
Hmmmmmm…… welch seltsam geistigen Ergüsse des Protagonist dieser Zeilen???
Bezogen auf den gesamten Beitrag, stellt sich weiterhin dringend die Frage, ob hier sogar bewusstseinserweiternde Berauschungsmittelchen eingeworfen wurden???
Anders kann ich mir sonst diesen gequirlten Unsinn nicht erklären.
Gut das die meisten Bürger über ihr eigenes Land nicht so denken!!!
Nun was den Patriotismus betrifft, so ist seine Berechtigung vielleicht nie so wichtig gewesen wie in der heutigen Zeit.
Wer damit seine Probleme hat, der sollte vielleicht mal darüber nachdenken, für sich selbst ein besseres Land auszusuchen, ob er dann dort wohl glücklicher wird…..???
Übrigens…
!!!!!!!!!!!!!!!! ICH BIN PATRIOTIN !!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Es mag sein, daß die beiden Kommentare vor mir evtl. richtig liegen. Das man als „Zuazonger“ nichts begriffen hat oder das der Verdacht formuliert wird, daß der Verfasser unter dem Einfluß bewußtseinserweiternder Berauschungsmittel stand.
Es sollte aber nach meiner Ansicht ein zusätzlicher wichtiger Aspekt nicht zu kurz kommen, der gut erklärt, warum immer wieder solche abenteuerlichen Thesen in den Medien auftauchen, die sehr oft wenig: oder garnichts mit der Lebenswirklichkeit zu tun haben.
Bei „Spiegel-online“ konnte man am 18.04.2013 von der Studie des „Hamburger Instituts für Journalistik“ lesen, wonach zweidrittel aller Journalisten angeben, linke, rotgrüne Sympathien zu hegen.
Damit wird erkennbar, daß es politisch eine krasse Diskrepanz gibt zwischen Journalistenkaste (Kulturschaffenden/Film und TV) und den normalen Wahlberechtigten. Zudem kann sich unser Verfasser als Student der Publizistik an allen Fingern ausrechnen,
daß es ratsam ist, diese linken bis linksextremen Leit-Ideologien der Medien zu bedienen, wenn man Karriere machen will. Bücher über „Nachrichtenfaktoren“ etc. sind nach meiner Ansicht das Geld des Papiers nicht wert, auf dem sowas gedruckt steht.
Treue zur vorherrschenden Leit-Ideologie ist der Gradmesser, wann Nachrichten und Beiträge erscheinen, oder nicht. Zu oft wurden Journalisten entfernt, wenn sie wirklich alternative Meinungen
vertraten, die den gängigen Leit-Ideologien widersprachen. Man kann daher diesen Artikel hier auch als Ergebenheitsadresse gegenüber den Leit-Ideologien/ den Leit-Medien verstehen. Als Publizistik-Student signalisiert man so, daß man
„auf Linie“ ist. So absurd die jeweiligen Theorien auch sein mögen…
Der Autor wirft die einzelnen Begriffe: Nationalismus-Patriotismus-Chauvinismus-ziemlich durcheinander. Statt vieler Worte wäre eine eindeutige Definition angebracht. Der Besitz eines guten Wörterbuches oder Lexikons wäre dabei sehr hilfreich. So aber besteht der Verdacht einer beabsichtigten Meinungsmache.