Seltsame Dinge spielen sich am Pfingstsonntag zu Beginn der Dämmerung im Bayerischen Wald ab: Eine Gruppe junger Männer zieht durch den Ort, in Regenmäntel oder wasserdichte Overalls gewandet, schwere Gummistiefel an den Füßen, auf dem Kopf einen Hut oder eine Kapuze. Eine der exotisch anmutenden Gestalten trägt einen Korb.
Die Gruppe läutet an der Tür eines Hauses. Es wird geöffnet – und dann passiert Rätselhaftes: Ein Regenmantelbewehrter stimmt eine Art Lied an und die Gruppe fällt in den Singsang ein. Das „G’sangl“ klingt leiernd und zwischendrin ertönen befremdliche Laute, wie von einer Katze oder einem Gockel. Der Urheber dieser Geräusche ist der Korbträger, der seltsam herumschleicht, besagte komische Geräusche absondert und der schließlich von den Bewohnern des Hauses an eine bestimmte Stelle gelockt wird. Kaum hat er die Stelle erreicht, ergießt sich auf einmal ein Schwall Wasser, meist vom Balkon oder aus einem Fenster, über ihn. Auch die Mitstreiter werden dabei nicht verschont – und kriegen eine tüchtige Dosis Wasser ab.
Kuriose Gestalten wie der „Oakoda“
Die Männer sind wegen des Wasserschwalls aber keinesfalls beleidigt, sondern scheinen mit der Dusche gerechnet zu haben. Schließlich kassieren die kuriosen Gestalten von den Hausbewohnern noch eine Belohnung. Eier, die im Korb gesammelt werden, oder auch Geld.
Was für ein seltsamer Brauch! Und ein unbedarfter Beobachter sieht sich noch mehr verunsichert, wenn er erfährt, dass es sich bei der Gestalt mit dem Korb um den „Oakoda“ handelt („Eierkater“). Vielleicht erklärt sich das Mysteriöse ja näher, wenn man die Texte unter die Lupe nimmt, die die Männer da im Singsang leiern.
Die Liedtexte
Gleich vorweg: Die „gesungenen“ Texte variieren. Der Kreativität der Singenden sind dabei keine Grenzen gesetzt. Manchmal dichtet man speziell auf die Hausbesitzer zugeschnittene Texte und „singt“ die Hausbewohner „aus“. Ein bisschen fühlt man sich dabei an die „Gstanzl-Strophen“ erinnert. Andererseits verstehen die Hausbewohner die Texte manchmal gar nicht, weil sie so undeutlich artikuliert werden. Dafür prägen sich die eigentümlichen Betonungen und die ungewöhnliche, irgendwie monoton wie eine Litanei wirkende Melodie umso nachhaltiger ein. Und dann noch die verstörenden Laute des „Oakodas“!
Dennoch finden sich in unserer Region einige Konstanten in den Liedtexten. Zum Teil beziehen sich Teile des Liedes auf christliche Inhalte, z.B.
Vorsänger: „Wir reisen daher am Abend spat, wohl in der Heiligen Pfingstnacht.“
Gruppe stimmt ein: „Abends schlaft´s net, abends schlaft´s net, abends da reisen wir daher.“
Noch deutlicher wird der Bezug zum Pfingstfest in folgender Strophe:
„Heut is de heilige Pfingstnacht,
der Heilige Geist hat´s aufbracht.
Mia geh’n ma über de greane Au,
begegnet uns unser liabe Frau.
Mia geh’n ma über de greane Wies,
begegnet uns Herr Jesu Christ.“
Andererseits beziehen sich viele Inhalte auch auf profanere Dinge, z.T. allerdings kombiniert mit christlichen Inhalten:
„Wenn Bäurin in da Friah afsteht,
dann verricht‘ sie ihr Gebet.
Wenn’s ihr Gebet verrichtet hot,
dann woaß sie, wos sie s‘ schaffa hot.
Sie geht de Kuchl af und o,
i glaub, des gibt an guatn Gschmo.“
Dem dichterischen Einfallsreichtum sind hier keine Grenzen gesetzt. Da kommen dann schon mal solche Perlen von Gebrauchslyrik dabei heraus, wenn man z.B. eine junge Frau besingt:
„d’Renate hot an seidan Rock,
der steh’d ihr wia a Nagalstock“
(„Die Renate trägt einen seidenen Rock,
der steht ihr wie ein Nelkenstock.“)
Konstanten im Text gibt es dann wieder, wenn man den Wasserguss provoziert:
„D’Wasservögl muass ma giaß’n,
sonst duad’s se’s no vadriaßn.“
Oder:
„Mia san so bresldrucka,
als wia a Ofaglucka*.“
(„Wir sind so extrem trocken
wie eine Ofenhenne.“)
* Anmerkung von Freyungs Heimatforscher Max Raab: Bei der Übertragung des Waidladialekts ins Schriftdeutsche kommt es manchmal zu Fehlinterpretationen, so auch hier: „I woidt eigenddle song, oa Gsetztl haud ned hi. Do hams ned gsunga: Mia san na bresldrucka als wia a Ofaglucka sondern: Mia han na bresldrugga ois wia a Ofagrugga. De Ofagrugga, des war der Schiahagl, der Schürhaken, gebogen wie eine Krücke, wia a Grugga. Und die war gezwungenermaßen „bresldrugga“. A Glugga hods im unddan Woiddialekt ned gem, des woa a Bruadhän.“
Diese Verse sind quasi die Aufforderung, dass man die „Wasservogelsänger“ mit Wasser übergießt. Natürlich will man dann die Hausbewohner anschließend dazu animieren, etwas zu schenken. Und großzügig soll die Gabe dann tunlichst auch sein:
„Mia hean den Beidl klinga,
er wiad uns scho wos bringa.“
(„Wir hören den Geldbeutel klingen,
er wird uns schon was bringen.“)
Oder:
„Da Bauer hot a groß‘ Vermögen,
Er kunt uns leicht an Taler geb’n.“
Heutzutage handelt es sich beim „Wasservogelsingen“ primär um einen „Heische-Brauch“, d.h. man erbittet eine Gabe. Häufig wird das Singen von Vereinen organisiert, um die Vereinskasse aufzubessern. Neben Geld und Eiern belohnt man die Sänger manchmal mit einer Brotzeit. Und Bier und Schnaps fehlen häufig auch nicht. Da kann es dann schon sein, dass die wackeren Wasservogelsänger außen und innen tüchtig nass werden.
Woher kommt der Brauch? – Der „Pfingstl“
Unstrittig scheint Folgendes: Das „Wasservögelsingen“ hat sich aus dem „Pfingstl“-Brauch entwickelt. Grundsätzlich handelt es sich beim „Pfingstl“ um einen Mann, der von einer Strohverkleidung verdeckt wird oder den man mit Birkenlaub oder Tannengrün verkleidet.
Im Bereich Cham entwickelte sich folgende Ausprägung des „Pfingstl“-Spiels: Der Pfingstl schlüpfte in ein Gestell mit Strohverkleidung, sodass von der eigentlichen Person nichts mehr zu sehen war. Manchmal wurde der Pfingstl auch mit bunten Bändern behängt. Der Hauptfigur assistierten zwei Personen, die den Pfingstl führten. Sie bekamen „Pfingstgartn“ aus geschälten Birkenzweigen, die ebenfalls geschmückt waren. Dieser Kerntrupp wurde begleitet von den „Tucherern“, die Lärm machten. Mit langen Peitschen kündigten sie den Pfingstl an.
Es gibt mehrere gegensätzliche Erklärungsansätze
Die Gruppe zog von Haus zu Haus, sagte ihre Verse und Sprüche auf und erheischte Gaben. Der Pfingstl führte dabei einen seltsamen Tanz mit diversen Verrenkungen auf und zeigte durch Verneigen an, ob er mit der Gabe zufrieden war. Einer der Führer des Pfingstls überreichte zum Abschluss den Hausbewohnern eine „Pfingstgartn“, einen mit Bändern geschmückten Zweig. Dieser wurde von den Empfängern als Glücksbringer betrachtet.
Der „Wasservogel“ sah ursprünglich, was die Verkleidung betraf, ähnlich aus wie der „Pfingstl“, nur steckte sein Kopf in einer Vogelmaske mit langem Schnabel. Das heutige „Wasservögelsingen“ hat sich vom Ablauf her allerdings sehr deutlich vom „Pfingstl“-Spiel oder auch vom ursprünglichen „Wasservogel“-Ritual entfernt.
Was steckt hinter dem Brauch? – Uneinigkeit bei den Volkskundlern!
Die Volkskundler sind sich nicht einig, was denn nun die Wurzeln und Hintergründe des „Wasservogelsingens“ sind. Es werden zum Beispiel sehr gegensätzliche Erklärungsansätze vertreten.
Erklärungsansatz 1: Der „Wasservogel“ und der „Pfingstl“ symbolisieren alte heidnische Fruchtbarkeitsriten
Die Protagonisten dieses Ansatzes sehen beim Wasservogelsingen und beim Pfingstl keinen unmittelbaren inhaltlichen Zusammenhang zum Pfingstfest. Das Ritual stehe lediglich in einem zeitlichen Zusammenhang zum Pfingstfest. Demnach fungieren Wasservogel und Pfingstl als Personifikation des Wachstumsvorganges. Die Vertreter dieser Theorie sehen in dem Brauch ein Kampfspiel zwischen Sommer und Winter: Der Winter, in Stroh gekleidet, wird vom Sommer, bedeckt mit Tannengrün, besiegt.
Frühling und Sommer stehen für Wachsen, Grünen, Fruchtbarkeit. Und hier kommt auch das Wasser ins Spiel. Wasser verkörperte in alten Zeiten das Fruchtbarkeitssymbol schlechthin. Mit dem Übergießen mit Wasser beschwört man nun einen fruchtbaren Sommer. Und man will mit diesem Ritual einem zu trockenen Sommer vorbeugen. Der Wasserguss als Regenzauber!
Erklärungsansatz 2: Christliche Wurzeln des Brauches
Die Vertreter dieser Theorie verweisen zum einen auf die zuweilen christlichen Inhalte der gesungenen Texte. Zum anderen sehen sie in dem symbolischen Akt des Überschüttens mit Wasser eine Parallele zum „Ausgießen“ des Heiligen Geistes. Ein direkter Bezug zum Pfingstfest also! Der renommierte Volkskundler Walter Hartinger weist darauf hin, dass Pfingsten über lange Zeit ein ganz wichtiger Tauftermin war. Die Assoziation zum Wasserguss beim Wasservogelsingen liege deshalb nahe.
Eher katholisch-kirchliches Ritual als exotischer Regenzauber
In der katholischen Kirche war es zudem bis weit in die Zeit der Aufklärung hinein Brauch, dass man in den Kirchenräumen vom Schalldeckel herab Wasser auf die Kinder und die Erwachsenen herabgoss. Ein Zusammenhang zum Übergießen mit Wasser beim Wasservogelsingen dränge sich hiermit geradezu auf. Ein katholisch-kirchliches Ritual also als Hintergrund und kein exotischer Regenzauber.
Und meine Meinung hierzu?
Das Wasservogelsingen, wie es heute bei uns praktiziert wird, hat sich von den historischen Wurzeln gelöst. Die „Sänger“ wollen Geld und Naturalien erbitten, der Spaßfaktor spielt auch eine Rolle. Dennoch: Es geht den Initiatoren und Akteuren des „Wasservogelsingens“ schon auch darum, einen alten Brauch am Leben zu erhalten. Und das ist gut so.
Zu den Erklärungstheorien: Aus meiner Sicht spricht einiges dafür, dass es bei der Entstehung des Brauches „Wasservogelsingen“ durchaus Bezüge zum christlichen Glauben und zum Pfingstfest gibt. Vielleicht wurde ja der ursprüngliche „Fruchtbarkeitsritus“ mit dem „Regenzauber“ ins Christliche hin uminterpretiert – und mit neuem Inhalt gefüllt.
Ungeachtet dessen sollten wir über die ungewöhnlichen Rituale beim „Wasservogelsingen“ weiterhin staunen dürfen. Und wenn die Wasservögel zu uns kommen, dann bekommen sie auch was: Wasser von oben, eine großzügige Gabe – und vielleicht auch was Nasses für das Innere…