Spiegelau/Thurmansbang/Philippsreut. Auf den ersten Blick waren die Reaktionen durchwegs positiv. „Eine sehr gute Nachricht“, schrieb beispielsweise Hans Reichenberger, Geschäftsleiter der Gemeinde Grainet, nachdem er den Hog’n-Bericht „8,2 Millionen Euro: Diese Projekte im Landkreis FRG werden gefördert“ gelesen hatte. Ein „Daumen hoch“ gab es etwa auch von Hinterschmidings Bürgermeister Fritz Raab bei Facebook. Im Rahmen des Kommunalinvestitionsprogrammes (KIP) werden viele Kommunen in Freyung-Grafenau bezuschusst. Erst auf den zweiten Blick wird jedoch die Kehrseite der Medaille erkennbar: Die zweifelsohne „bedürftige“ Gemeinde Philippsreut ist trotz akuter Finanzprobleme nicht berücksichtig worden – auch Spiegelau und Thurmansbang kommen nicht in den Genuss der Fördergelder – obwohl diese dort dringend benötigt werden.
„(…) Wir wurden als zu finanzkräftig eingestuft und waren somit ausgeschlossen! Dagegen bekommen Gemeinden Geld, die mehrere Millionen Rücklagen haben! Diese Gemeinden sind laut Regierung sogar als besonders finanzschwach eingestuft! Das ist eine absolute Frechheit und eine Ungerechtigkeit dazu!“, kommentierte der offensichtlich weniger erfreute Thurmansbanger Bürgermeister Martin Behringer auf der Hog’n-Facebook-Seite. Auf Nachfrage erklärt der FW-Politiker, dass mit den Geldern der Kindergarten energetisch saniert und die öffentliche Toilette erneuert werden sollten. Sollten. Denn die Kommune im Grafenauer Land ist nicht berücksichtigt worden – obwohl sie am kommunalpolitischen Hungertuch nagt.
Knaus sarkastisch: „Das ist natürlich sehr schön“
Ihm und seinen Kollegen sei bereits während der Dienstversammlung des Gemeindetages Ende 2015 mitgeteilt worden, dass Spiegelau, Philippsreut und Thurmansbang nicht vom KIP profitieren werden. „Deshalb haben wir dann auch keinen Antrag mehr gestellt“, erklärt Behringer. „Das wäre vergeudete Zeit gewesen.“ Den Kindergarten wolle man nun trotzdem auf Vordermann bringen, die öffentliche Toilette müsse hintangestellt werden. Sein Spiegelauer Amtskollege Karlheinz Roth macht deutlich, warum die angesprochenen FRG-Kommunen keine finanzielle Unterstützung bekommen.
„Die Begründung seitens der Regierung von Niederbayern ist konsequent“, erklärt der CSU-Politiker. „Meine Kritik richtet sich vielmehr gegen diejenigen, die die Richtlinien zur Frage, wer im Rahmen des KIP gefördert wird, aufgestellt haben.“ Auch er hält für zweifelhaft, dass Kommunen, die Rücklagen vorweisen können, als „finanzschwach“ und somit fördertauglich eingestuft worden sind. Fernab jeglicher Emotionalität beurteilt Roth diese Vorgehensweise als „sehr schade“. Die geplanten Investitionen in die Spiegelauer Mehrzweckhalle, die rund drei Millionen Euro betragen würden, können jetzt nicht getätigt werden. Freilich ein herber Rückschlag – sowohl für Spiegelau als auch für Thurmansbang. Den weitaus sorgenvolleren Blick werfen Roth und Behringer jedoch in den Osten des Landkreises: Beide betonen, dass vor allem Philippsreut auf die staatliche Hilfe angewiesen wäre.
„Bundesrechtlichen Vorgaben entsprechend“
Dies bestätigt auch Philippsreuts Bürgermeister Helmut Knaus. Erst kürzlich berichtete das Onlinemagazin „da Hog’n“ über die angespannte Haushaltslage in der Grenzgemeinde. Nachdem die Kommune schon keine Stabilisierungshilfe bekommen hatte, greift nun auch das KIP nicht. Ein weiterer Nackenschlag für Helmut Knaus und Kämmerer Winfried Ilg. „Das ist natürlich sehr schön“, kommentiert Knaus sarkastisch. Die schon länger geplante Sanierung des Rathauses muss nun abermals verschoben werden. Gemeinsam mit seinen Kollegen Roth und Behringer hätte der Philippsreuter Gemeindevorsteher hinsichtlich der Ablehnung der Anträge bereits nochmals bei Innenminister Herrmann vorgesprochen – ohne zählbares Ergebnis.
Auf Hog’n-Nachfrage, warum die Anträge von Spiegelau, Thurmansbang und Philippsreut abgelehnt – und weshalb Kommunen mit Rücklagen als „finanzschwach“ eingestuft wurden, verweist Kathrin Fändrich, Sprecherin des Bayerischen Innenminsteriums, zunächst lediglich auf eine Pressemitteilung zu diesem Thema. Dort heißt es: „Das Programm richtet sich den bundesrechtlichen Vorgaben entsprechend speziell an finanzschwache Gemeinden und Gemeindeverbände. Dies zeigt sich auch in der unterschiedlichen Gewichtung der Regierungsbezirke.“ Außerdem wird auf eine Auflistung von Kriterien verwiesen.
Erst nach erneuter Bitte lässt Kathrin Fändrich dem Hog’n eine konkretere und weniger pauschalierende Antwort zukommen. Die Sprecherin des Innenministeriums erklärt, dass sich „die Antragsberechtigung aus Nr. 3.1 der Förderichtlinien ergibt“. Zu den Kriterien zählen die durchschnittliche Finanzkraft je Einwohner zwischen 2011 und 2013, ein negatives Ergebnis im Saldo der freien Finanzspanne sowie der eventuelle Empfang der Stabilisierungshilfe. Hinsichtlich der Fragen, die explizit Spiegelau, Thurmansbang und Philippsreut betreffen, verweist die Pressesprecherin an die Regierung von Niederbayern.
Gibis: „Persönlich finde ich es absolut bedauerlich“
Der Bezirk antwortet in Person von Katja Zukanow. Sie erklärt, dass vor allem Philippsreut und Thurmansbang „die Kriterien der Antragsberechtigung nicht erfüllt haben. Bei beiden liegt die durchschnittliche Finanzkraft je Einwohner der Jahre 2011 bis 2013 über dem Landesdurchschnitt der Gemeindegrößenklasse.“ Es hätten viele Anträge abgelehnt werden müssen, weil die Mittel für Niederbayern auf 35,5 Millionen Euro begrenzt seien. Die Auswahl erfolge durch die Regierung von Niederbayern in enger Abstimmung mit einem von ihr eingesetzten Beirat aus Vertretern der kommunalen Spitzenverbände und Behindertenverbände.
Auch MdL Max Gibis meldet sich auf abermalige Hog’n-Nachfrage erneut erklärend zu Wort. „Die Umsetzung oblag zwar dem Freistaat Bayern und die Vergabe zum Teil den Bezirksregierungen, doch war der Spielraum für den Freistaat Bayern bei den Antragskriterien stark eingeschränkt“, erklärt der Mauther und verweist auf das Kommunalinvestitionsförderungsgesetz des Bundes. „Persönlich finde ich es absolut bedauerlich, dass die drei Gemeinden Spiegelau, Thurmansbang und Philippsreut keine Fördermittel aus dem KIP erhalten. Aber bei der Vergabe der Mittel bzw. bei der Antragsberechtigung zählen einfach die nackten Zahlen nach den Antragsbedingungen.“
da Hog’n
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Kommentar zum Thema von Hog’n-Redakteur Helmut Weigerstorfer
Wieder einmal brüstet sich die Bayerische Staatsregierung in Person von Innenminister Joachim Herrmann damit, dem ländlichen Raum tatkräftig zu helfen. „Unterstützung finanzschwacher Kommunen mit 289 Millionen Euro – insgesamt 693 Projekte bayernweit dabei“, heißt es in einer Pressemitteilung des Innenministeriums, die nur so durchsetzt ist von selbstbeweihräucherndem Eigenlob. Keine Frage – das Geld wird gebraucht. Es ist gut, dass es Förderungen wie das Kommunalinvestitionsprogramm überhaupt gibt. Es sei den Bürgermeistern von Hohenau, Mauth oder Röhrnbach auch vergönnt, dass sie mit diesen Mitteln längst geplante Projekte endlich umsetzen können.
Erneut ungehörter Hilferuf der Verzweiflung
Und dennoch werden gerade die „Hilfsbedürftigen“ unter den Bayerwald-Gemeinden nicht berücksichtigt – wieder einmal. Obwohl Mitleid in der Politik wohl der falsche Begriff ist, verspürt man gerade dieses Gefühl, wenn man in diesen Tagen an die Gemeinde Philippsreut denkt. Stabilisierungshilfe – abgelehnt! KIP – gibt’s nicht! Obwohl Bürgermeister Helmut Knaus und Kämmerer Winfried Ilg jüngst einen fast schon verzweifelten Hilferuf in Sachen Finanzen abgesetzt hatten, wurde die klamme Grenzgemeinde außen vor gelassen – wieder einmal.
Während man dort im Gemeinderat darüber streitet, ob das längst marode Sportheim saniert und ob ein fast schon historisches Feuerwehr-Fahrzeug ersetzt werden soll, jubelt man in anderen Kommunen des Landkreises über den Geldsegen aus München. Kommunen, die sich beispielsweise über weit mehr Gewerbesteuereinnahmen freuen dürfen als Philippsreut – und auch noch über satte Rücklagen verfügen. In der Landeshauptstadt ist die Ursache für diese Ungerechtigkeit zu suchen.
Denjenigen unter die Arme greifen, die es auch benötigen
Im stillen Kämmerlein haben dort hochbezahlte Behörden-Mitarbeiter einen offensichtlich überholungsbedürftigen Kriterien-Katalog ausgearbeitet, nach dem das KIP vergeben wird. Dass derartige Anträge ohne Rücksicht auf das Wohlergehen einzelner Kommunen und nach streng-bürokratischer Manier bearbeitet werden, dürfte nun auch den Politik-Laien bewusst geworden sein. München liegt nicht nur geographisch sehr weit weg vom Bayerischen Wald, wie es scheint… Deshalb sind nun „unsere“ MdLs wie Rosi Steinberger (Grüne), Bernhard Roos (SPD), Alexander Muthmann (Freie Wähler) und Max Gibis (CSU), der lange als Bürgermeister von Mauth selbst Arbeit an der Basis verrichtet hat, gefordert. Fernab von irgendwelchen Parteiinteressen müssen sie dafür sorgen, dass wirklich denjenigen unter die Arme gegriffen wird, die es auch benötigen. Ansonsten werden De-facto-Insolvenz-Gemeinden wie Philippsreut über kurz oder lang endgültig von der Bildfläche verschwinden…
Helmut Weigerstorfer