Freyung. Laut UNO-Drogenbericht 2015 hat ein Viertel aller erwachsener Europäer bereits mit illegalen Drogen experimentiert. Am häufigsten konsumiert wird dabei Cannabis, das ca. 19,3 Millionen Menschen im Alter zwischen 15 und 64 Jahren schon mal genommen haben. Das Geschäft mit den Drogen scheint zu florieren, aus dem Jahresbericht der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht geht hervor, dass EU-Bürger jährlich 24 Milliarden Euro für Rauschgift ausgeben. Nachdem jüngst im Landkreis Regen eine „Drogen-Küche“, in der größere Mengen Crystal Meth illegalerweise hergestellt worden sind, ausgehoben wurde, stellt sich einem die Frage: Wie schaut es mit der Drogenszene im Woid, insbesondere in der Region Freyung-Grafenau aus? Haben wir ein Drogenproblem im Landkreis? Um dieser Frage nachzugehen, haben wir uns mit verschiedenen Behörden und Beratungsstellen unterhalten – und mit einem eigenen Angaben zufolge ehemaligen Drogen-Abhängigen gesprochen.
Aus dem Sicherheitsbericht des Landkreises Freyung-Grafenau geht hevor, dass die Anzahl an Rauschgiftdelikten im Jahr 2015 im Vergleich zum Vorjahr um 9,4 Prozent auf 125 Fälle gesunken ist – was aber logischerweise nur die Anzahl derjenigen Fälle repräsentiert, die auch polizeilich erfasst worden sind. Über die Dunkelziffer kann man nur mutmaßen.
„Mit 14 Jahren mit Ecstasy und Speed experimentiert“
Um zu klären, wie es in der Region FRG um die Drogenszene bestellt ist, haben wir das Gespräch mit Konsumenten gesucht. Jonathan (24, aus Freyung, tatsächlicher Name der Redaktion bekannt) lebt seit seiner Jugend im Landkreis. Auf die erste Frage hin, wann und mit was er „eingestiegen“ ist, antwortet er, dass er mit elf Jahren bereits Haschisch probiert hat und dann relativ schnell regelmäßig Drogen konsumierte. Mit 14 habe er dann mit Substanzen wie Ecstasy und Speed experimentiert.
Doch wie verläuft ein Leben, das derart früh mit Rauschgift in Kontakt tritt? Laut eigenen Angaben ist ihm vom Arzt bestätigt worden, dass er körperlich immer noch fit sei. Seine Blutwerte sind einwandfrei, sagt er. „Psychisch verändert es einen natürlich, das kann man nicht leugnen. Ich habe zum Beispiel einen schlimmen Putzfimmel entwickelt.“ Denn gerade beim Konsum von Crystal Meth neige man dazu, sich zunehmend auf „Kleinigkeiten“ zu versteifen, zwanghafte Verhaltensmuster zu entwickeln: Einen gerade abgestaubten Tisch nimmt Jonathan etwa sehr schnell als „total verdreckt“ wahr. Bei ihm komme erschwerend hinzu, dass er vor längerer Zeit im Gefängnis saß – und dort Hygiene den meisten ein Fremdwort war. Drogen hatte es im Knast zu genüge gegeben.
Beruflich hat er nicht viel vorzuweisen: weder Ausbildung noch feste Anstellung. Während des Gesprächs gewinnt man schnell den Eindruck, er wolle sich beim Thema Beruf nicht unter Wert verkaufen. Doch schnell wird er etwas zurückhaltender, leiser. Der 24-Jährige habe vor kurzem eine Therapie abgeschlossen, erzählt er dann. Eigenen Aussagen zufolge ist Jonathan momentan clean – „und das soll auch so bleiben“. Er möchte sich ein geregeltes Leben aufbauen. Doch: „Ein Hollandurlaub übers Wochenende sollte schon mal drin sein…“ Von chemischen Drogen wolle er für immer die Finger lassen. Ob gewisse Substanzen legalisiert werden sollten? „Wenn, dann nur Cannabis“, fällt seine Antwort eindeutig aus. Denn Cannabis sei die einzige Droge, bei der er sich unter Kontrolle halten konnte, wie er berichtet.
Warum eigentlich Rauschgift nehmen?
Die Palette an Gründen, warum vor allem junge Menschen zu Drogen greifen, ist vielschichtig. In den meisten Fällen spielen Depressionen und vor allem Traumata eine große Rolle. Werden etwa schlimme Erlebnisse nicht richtig verarbeitet, häufig vermengt mit komplizierten familiären bzw. sozialen Verhältnissen, finden Jugendliche gerne einen Ausweg im Drogenkonsum. Dadurch verschaffen sie sich ein Gefühl von Geborgenheit – und kriegen vermeintlich das, was sie zu Hause eben nicht bekommen.
Weitere mögliche Ursachen: Insbesondere Kinder aus der Mittelschicht suchen nach Ablenkung von ihrem eintönigen, “geregelten“ Lebenswegen – wobei Drogen und Partys eine gern gesehene Alternative darstellen. Gerade bei Substanzen wie Amphetaminen, wozu auch Crystal Meth zählt, ist die einfache Arbeiterschicht wie auch die Führungsriege gefährdet, denn: Mit ihnen ist der eintönige bzw. stressige Arbeitsalltag mit vermeintlicher Leichtigkeit zu meistern. Ebenso kommt man – zumindest scheint dies anfangs der Fall zu sein – viel eher mit dem Leistungsdruck zurecht. Allerdings kann die Frage nach dem Warum auch relativ banal beantwortet werden, wie Jonathan grinsend zum Besten gibt: „Weil es Laune macht.“
Daten und Statistiken für den Landkreis FRG
Die Polizeiinspektion Freyung bestätigte gegenüber dem Onlinemagazin da Hog’n den bundesweiten Trend, dass Jugendliche teilweise schon mit zwölf Jahren erstmals Cannabisprodukte konsumieren. In der Region „treten Jugendliche überwiegend im Alter von ca. 15 Jahren vereinzelt erstmals polizeilich in Erscheinung“. Der Drogenkonsum würde sich, wie man am Beispiel Volker Beck sehen könne, durch alle sozialen Schichten und Altersstufen ziehen. Auf die Frage hin, welche Drogen im Landkreis besonders verbreitet sind, teilt die Polizei mit, dass viele süchtige Konsumenten „politoxikoman“ seien. Das heißt: Sie sind nicht nur auf eine Droge fixiert, sondern greifen unterschiedliche Medikamente und Substanzen, um die jeweiligen Wirkungsweisen zu nutzen. Jedoch würden sich Cannabisprodukte und Methamphetamine in punkto Häufigkeit von anderen Substanzen abheben.
Größere, einzelne Drogenfunde der PI Freyung in den letzten drei Jahren:
- 153,5 Gramm Amphetamin
- 210 Gramm Marihuana
- 22 Ecstasy-Tabletten
- 10 Gramm Crystal
Die Suchtberatung des Gesundsheitsamts informiert, dass in jüngster Zeit vermehrt NPS (Neue Psychoaktive Substanzen) konsumiert werden. Diese sind auch bekannt als „Badesalze“, „Kräutermischungen“ oder „Legal Highs„, da sie aufgrund immer neuer chemischer Zusammensetzungen gewöhnlich auf legalem Weg zu erwerben sind. Da diese neueren Drogen mehrheitlich unerforscht seien, gehe von ihnen häufig ein enormes Risiko aus. Im gesamten Bundesgebiet werde immer wieder über Todesfälle im Zusammenhang mit NPS berichtet. In Freyung-Grafenau gab es vergangenes Jahr keinen Drogentoten, wie die Polzei jüngst mitteilt – 2014 waren zwei zu verzeichnen.
Insgesamt wurden in den beiden vergangenen Jahren mehr als 720 Gramm verschiedenster Drogenarten von Beamten der Polizei Freyung aus dem Verkehr gezogen. Die Drogenfunde werden dabei stets der Staatsanwaltschaft übergeben – und im Anschluss verbrannt. Vereinzelt habe die Polizei auch privat-angebaute Cannabispflanzen beschlagnahmt. Von sogenannten „Küchen“ zur Herstellung von beispielsweise Crystal Meth sei in der Region bislang nichts bekannt, wie die Polzei auf Hog’n-Nachfrage berichtet. Auch könne man beim Vergleich von Städten und Dörfern keine Unterschiede in der Häufigkeit von Drogendelikten feststellen. Aufgrund der Abhängigkeitswirkung von Drogen habe man „in dieser Deliktssparte überwiegend mit Wiederholungstätern zu tun“.
Absturz – die Folgen des Drogenkonsums
Meist lassen sich die negativen Auswirkungen des Rauschgifts nicht sofort feststellen. Jedoch machen sie sich früher oder später bemerkbar. Anfangs stellt sich meist eine gewisse Antriebslosigkeit ein, die Konsumenten leiden unter Stimmungsschwankungen, sind leicht reizbar. Nach einer gewissen Zeit werden soziale Kontakte vernachlässigt, ebenso die Familie und der Job. Mit zunehmender Abhängigkeit wird eine Toleranz gegenüber den verschiedenen Substanzen aufgebaut, was mit einer größeren finanziellen Belastung einhergeht. Jonathan berichtet, dass er bei einem Gramm-Preis von bis zu 120 Euro häufig weit mehr als 500 Euro allein für Crystal Meth im Monat ausgegeben hat. Eine weitere Folge sind die psychischen Schäden, die durch den Drogenkonsum verursacht werden. Hierbei kommt es hauptsächlich zu einer Verschlechterung des Kurzzeit- aber auch des Langzeitgedächtnisses. Ebenso könnten, wenn auch relativ selten, Psychosen („Hängen-Bleiben“) und Schizophrenie entstehen.
Drogen zeichnen auch für körperliche Schäden verantwortlich: Vor allem bei aufputschenden Substanzen wie den Amphetaminen lässt sich ein rascher Gewichts- und Kräfteverlust erkennen. Denn: Während des Rauschs können die meisten Konsumenten weder essen noch schlafen. Langfristig werden die Organe befallen, je nach Substanz und Konsumform beispielsweise die Leber, die Lunge, die Nieren oder – beim Schniefen – auch die Nasenwände. Zudem wird durch das „Strecken“ von Drogen mit teilweise hochgefährlichen Stoffen das Risikopotenzial deutlich erhöht.
Ein nicht zu vernachlässigender Aspekt ist der Führerscheinentzug, den viele Süchtige zu beklagen haben. Gerade an der Grenze zu Tschechien ist es nicht unwahrscheinlich, von Schleierfahndern angehalten und per Drogenschnelltest überprüft zu werden. Dieser ist zwar freiwillig – durch eine Verweigerung macht man sich jedoch logischerweise nur noch verdächtiger. Stellen die Beamten dann letztendlich per Bluttest den tatsächlichen Konsum von Drogen fest, folgt nach dem Führerscheinentzug eigentlich fast immer die MPU, die ein sehr kostspieliges und langwieriges Unterfangen darstellen kann. Da sehr viele Leute jedoch arbeitsbedingt auf ihren Führerschein angewiesen sind, folgt häufig ein Verlust des Arbeitsplatzes. Der Teufelskreis in den sozialen wie gesundheitlichen Absturz nimmt seinen Lauf.
Wie kann man die Situation verbessern?
Eine von mehreren Anlaufstellen für Süchtige bieten etwa anonyme Suchberatungen. Voraussetzung hierbei ist jedoch, dass der Schritt zur Suchtberatung für gewöhnlich vom Betroffenen selbst ausgeht. Ein Schritt also, der eine gewisse Erkenntnis der Notwendigkeit beinhaltet. Für Familie und Freunde ist es schlimm, dabei zuzusehen, wie ein Mensch aus dem näheren Umfeld in die Abhängigkeit rutscht bzw. nicht wieder herauskommt. Der Handlungsspielraum von Angehörigen ist jedoch sehr begrenzt, denn ohne Eigeninitiative des Konsumenten könne an der Situation meist nichts geändert werden. Häufig müsse daher erst ein absoluter Tiefpunkt beim Betroffenen erreicht werden. Ein Punkt, an dem der persönliche Leidensdruck am höchsten ist.
Prävention sei die beste Lösung. Wie sollte dabei vorgegangen werden? Beispielsweise durch Informationsveranstaltungen an Schulen etc. Das Hauptaugenmerk staatlicher Institutionen liege hingegen bei der Prohibition, also dem Verbot bzw. der strafrechtlichen Verfolgung.
Immer häufiger werden Stimmen laut, die insbesondere die Legalisierung „weicher Drogen“ wie Cannabis fordern. Gegenstimmen besagen, eine Freigabe sende ein völlig falsches Signal an Jugendliche aus. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Marlene Mortler (CDU) betont, Cannabis sei im Gegensatz zu Alkohol und Tabak traditionell verboten, weswegen es auch so bleiben solle. Zudem würde dies nur den Drogentourismus, wie es ihn etwa in Holland gibt, fördern. Die Befürworter hingegen führen gerne das Beispiel Colorado ins Feld: Der US-Bundesstaat hat den Besitz und den Anbau gewisser Mengen von Cannabis freigegeben.
Legalisierung von Cannabis verlief positiv in Colorado
Seit Anfang 2014 kann man dort völlig legal Cannabisprodukte erwerben. Entgegen aller Befürchtungen habe die Anzahl jugendlicher Konsumenten nach diesem Schritt sogar leicht abgenommen. Die Arbeitslosigkeit sei auf einem Rekordtief angelangt. Colorado habe die besten Wirtschaftsprognosen der gesamten Vereinigten Staaten. Außerdem könnten die Steuereinnahmen nun gezielt für präventative Maßnahmen genutzt werden. Langfristig gesehen gibt es jedoch noch keine aussagekräftigen Daten über die Folgen einer Legalisierung.
Alexander Wölfl
„Cannabis sei im Gegensatz zu Alkohol und Tabak traditionell verboten, weswegen es auch so bleiben solle.“
Ja, ja Frau Mortler. Irgendwann war war mal verboten, homosexuell zu sein. Oder bei Juden einzukaufen. Oder ohne erschossen zu werden, von Ost nach West über die Grenze zu laufen. Auch Alkohol war mal verboten.
Nur weil etwas verboten ist, muss es nicht verboten bleiben.
Man kann Fehler wie das Cannabis-Verbot durchaus revidieren. Dazu muss man allerdings fähig sein, sich vorurteilsfrei und ohne Ideologieschranke Argumente anzuhören und sich der Diskussion stellen. Frau Mortler ist dazu offensichtlich nicht in der Lage.
Nicht nur, dass Frau Mortler die Ergebnisse aus Colorado ignoriert… sie behauptet auch noch, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Wenn einem die Argumente ausgehen, muss man sich scheinbar welche ausdenken. Man könnte das auch Lügen nennen…