Freyung. Trotz Bedenken von Richter Fruth, ob ein Strafverfahren in diesem Falle überhaupt nötig sei, ist einem 63-jährigen Neuschönauer am Donnerstagnachmittag am Amtsgericht Freyung der Prozess gemacht worden. Ihm wurde von der Staatsanwaltschaft fahrlässige Körperverletzung vorgeworfen, nachdem er beim Abbiegen in eine vorfahrtsberechtigte Straße mit einem 17-jährigen Motorradfahrer, der dabei schwere Verletzungen davontrug, zusammengestoßen war. Die Staatsanwaltschaft stellte sich gegenüber einer Einstellung des Verfahrens quer – weswegen ein Urteil gefällt werden musste. Letztlich wurde der Angeklagte zu 20 Tagessätzen in Höhe von 40 Euro verurteilt – diese Strafe wurde allerdings zur Bewährung ausgesetzt. Richter Fruth sagte in Anlehnung an die Haltung der Staatsanwaltschaft: „In 15 Jahren habe ich noch nie so eine Verbohrtheit erlebt.“
Die Staatsanwaltschaft legte dem Angeklagten folgenden Tathergang zur Last: Der Neuschönauer soll am 27. Mai 2015 in den frühen Abendstunden auf der Kaiserstraße in Neuschönau ortseinwärts mit seinem VW Passat unterwegs gewesen sein. Beim Abbiegen in eine vorfahrtsberechtigte Straße übersah er einen von links kommenden Motorradfahrer, der daraufhin in die linke Seite seines Passats prallte. Der Geschädigte, gleichzeitig auch Nebenkläger, zog sich dabei schwere Verletzungen im Fußbereich und der Schulter zu – er war für längere Zeit arbeits- bzw. schulunfähig. Die Anklage der Staatsanwaltschaft lautete deshalb: fahrlässige Körperverletzung.
Tiefe Reue und beste Genesungswünsche
Gleich zu Beginn des Verfahrens beteuerte der Beschuldigte seine Reue und sprach dem Geschädigten beste Genesungswünsche aus. Er sei mit seiner Frau auf dem Heimweg gewesen, als sie an besagte Kreuzung gelangt waren. Dort konnten beide eigenen Aussagen zufolge keine weiteren Fahrzeuge ausmachen. Daraufhin habe sich der Angeklagte langsam in die Kreuzung hineingetastet und das Leichtkraftrad des Nebenklägers erst gesehen, als er sich schon eine Fahrzeuglänge „in der Kreuzung“ befand. Ein Zusammenstoß sei – auch aufgrund der durch eine Hecke verdeckten Sicht – deshalb nicht mehr vermeidbar gewesen.
Der 17-jährige Geschädigte sagte aus, er habe noch reflexartig versucht zu bremsen bzw. auszuweichen, was jedoch wegen der geringen Distanz beim ersten Sichtkontakt der beiden Verkehrsteilnehmer unmöglich gewesen sei. Richter Fruth wollte von ihm wissen, ob er seine Geschwindigkeit angemessen fand – vor allem auch deswegen, weil er den ersten Tag mit dieser Maschine (Yamaha DT 125ccm) unterwegs war. Mit zirka 45 Stundenkilometer sei er gefahren, denn er „will ja nicht geblitzt werden“, antwortete der 17-jährige. Der zuständige Sachverständige errechnete für das Leichtkraftrad eine Geschwindigkeit zwischen 46 und 57 Stundenkilometern. Aufgrund des Grundsatzes „in dubio pro reo“ sei vom Höchstwert auszugehen, was eine leicht überhöhte Geschwindigkeit des Geschädigten bedeutet.
Beeindruckt von der Hartnäckigkeit, zog sich Fruth zurück
Es stellte sich nun die Frage, ob für den Beschuldigten der Unfall vermeidbar gewesen wäre. Ein Tourist, der zu Fuß unterwegs war, beobachtete den Zusammenstoß und bestätigte vor Gericht, dass der Passat vorsichtig in die Kreuzung eingefahren sei. Richter Fruth schlug aufgrund der sehr geringen Handlungsschuld des Angeklagten vor, das Verfahren einzustellen und sich außergerichtlich zu einigen. Obwohl selbst der Nebenkläger kein Interesse mehr an einer Bestrafung zeigte, bestand die Staatsanwaltschaft auf einer Fortführung. Beeindruckt von einer solchen Hartnäckigkeit zog sich Fruth zurück, um schließlich sein Urteil zu fällen.
Entscheidend bei der Urteilsfindung war dem Richter zufolge, dass der Angeklagte in der unübersichtlichen Situation dazu verpflichtet gewesen wäre, sich schrittweise und mit permanenter Bremsbereitschaft in die Kreuzung hineinzutasten. Mit der Anmerkung, dass dies wahrscheinlich fast keiner der hier Anwesenden getan hätte, verurteile er den Beschuldigten zu einer Geldstrafe in Höhe von 20 Tagessätzen à 40 Euro, ausgesetzt zur Bewährung. Heißt: Lässt sich der 63-jährige Geschädigte innerhalb der kommenden zwölf Monate nichts zu Schulden kommen, verfällt dieses Urteil.
Alexander Wölfl