Schöllnach. Wer gerne schwimmt, der hat heutzutage ein Problem: Immer mehr Freibäder schließen, weil die Gemeinden sich deren Unterhalt oder gar eine Sanierung nicht mehr leisten können – oder sie wandeln ihr „altmodisches“ Nur-Schwimmbad in ein sogenanntes Spaß- und/oder Erlebnisbad um: „Den Luftbrodler genießen, auf den Whirl-Liegen faulenzen oder im Wärmebecken mit Massagedüsen so richtig entspannen … das bringt Spaß und Entspannung zu jeder Jahreszeit! Baden, entspannen, wohlfühlen …“ Liest man die enthusiastischen Werbetexte dieser Bäder, dann kommt das Wort „Schwimmen“ dort schon gar nicht mehr vor.
Ganz Schwimm-Deutschland ist also überzogen von Mega-Rutsch-Sprung-Flug-Bahnen, Dampfbädern und Sprudelliegen, „Rafting Slides“, Liegebecken, Sitzbecken, Heißbecken, Tauchbecken, Kneipp-Tretbecken, Solebecken, Bodenluftblubbern und Wasserpilzen… Ganz Schwimm-Deutschland? Nein! Ein von unbeugsamen Schwimmern und Schwimmerinnen bevölkertes Freibad hört nicht auf, der Verspaßung und Verweichlichung Widerstand zu leisten. Von diesem Ort möchte ich Euch Kunde geben!
Mein Lieblingsbad
Mein Lieblingsbad liegt in der Bayerwaldregion „Sonnenwald“ in Schöllnach im Landkreis Deggendorf und umfasst schlicht und einfach ein Sportbecken mit 50 Metern Länge, ein Nichtschwimmerbecken mit knapp 600 Quadratmetern, ein Kleinkinder- und Babybecken sowie eine Rutsche. Das nach Süden geneigte, 25 Hektar große Gelände bietet reichlich Liegeplatz für Sonnenliebhaber, aber auch viele schöne alte Bäume, die Schatten für die Gesundheitsbewussten bieten. Auf einer großen Sonnenterrasse kann man Kleinigkeiten vom Kiosk oder Mitgebrachtes verzehren und danach eine Runde Streetball oder Tischtennis spielen – vor allem aber kann man in Schöllnach in aller Ruhe schwimmen!
Schwimmen
Das gepflegte 50-Meter-Sportbecken hat – dank einer raffinierten neuen Abdeckung, die abends über die Wasserfläche gezogen wird – immer eine Temperatur zwischen 24 und 26 Grad.
Die Startblöcke sind außerhalb von Schwimmveranstaltungen gesperrt – bis auf einen an der Außenseite, was ein gedeihliches Miteinander gewährleistet von Schwimmern, die in Ruhe ihre Bahnen ziehen wollen, und Kids, die die ersten Bauchklatscher ausprobieren. Letztere halten sich aber sowieso meistens lieber im Nichtschwimmerbecken auf – das vergangenes Jahr unter der engagierten Mithilfe zahlreicher Marktgemeinderäte von einer schönen Holzterrasse umgebaut wurde. Zitat aus dem Gemeindeblatt: „Selbst ältere Mitbürger können sich nicht daran erinnern, dass ein solcher ‚Schulterschluss‘ im Schöllnacher Marktgemeinderat schon einmal vorgekommen ist.“
Ja, den Schöllnachern liegt ihr schönes Bad am Herzen – und sie pflegen es entsprechend. Dafür, dass alles immer gut in Schuss ist und Schilder wie „Hineinspringen von der Seite verboten“ nicht nur Verzierungen am Beckenrand sind, sorgen zwei nette, mit genügend Autorität ausgestattete Bademeister. Wie gesagt: Schöllnach ist ein Paradies für Schwimmer – und während der Saison immer geöffnet, außer bei Dauerregen und/oder Temperaturen unter 15 Grad. So schlecht kann der Sommer aber gar nicht sein, dass nicht wenigstens ein paar „Unentwegte“ täglich ihre Runden drehen – und selbst an sehr heißen Tagen ist das Bad nur selten überfüllt. Eine Nische für die Sportler bleibt immer: Aus wundersamen Gründen ist das Becken zwischen 12 und 14 Uhr eher leer – Bademeister Bertl nennt das „die Geisterstunde“.
11 Schwimmertypen: Von Darth Vader bis zum Haxenbader
Schwimmen ist in der Regel eine einsame Sache; während man seine Runden zieht, kann man seine Umgebung beobachten und nachdenken. Ich hab‘ mal beides kombiniert und das Ergebnis aufgeschrieben; Titel: Im Bad mit Darth Vader, oder: Auf wen man so alles im Wasser trifft…
Der Korken
Er schwimmt nicht, sondern wird geschwommen. Wie ein Korken tanzt er auf den Wellen, die die Anderen verursachen. Man sieht ihn unter der Wasseroberfläche arbeiten – es sollen wohl Schwimmbewegungen sein, weiter bringen sie ihn nicht. Ihm zu eigen ist eine bewundernswerte Leidensfähigkeit, die ihn trotz seiner Ineffektivität stundenlang im Wasser ausharren lässt. Seine Beweggründe bleiben im Dunkeln, denn: Spaß kann dieses Herumdümpeln beim besten Willen nicht machen…
Die Phalanx
Als Phalanx (gr. φἄλαγξ phálanx für „Baumstamm“, „Walze“, „Rolle“ oder „Schlachtreihe“) bezeichnete man im antiken Griechenland eine dichtgeschlossene, schwerbewaffnete Kampfreihe der Infanterie. Die Schwimmer-Phalanx besteht in der Regel aus weiblichen Kämpfern und kommt völlig ohne Waffen aus – ist aber genauso wirkungsvoll. Bei geschickter Aufteilung kann schon eine vierköpfige Phalanx ein normales Sportbecken über die gesamte Breite beherrschen. Entgegenkommende Schwimmer müssen sich unter missbilligenden Blicken durch die Schlachtenreihe quälen; überholwilligen Hinterherschwimmenden bleibt eigentlich nur: unter den Damen durchzutauchen oder sich am Beckenrand die Haut aufzuschürfen. Denn natürlich bewegt sich die Phalanx eher schwerfällig – wer kann schon unaufhörlich reden und dabei noch zügig schwimmen?
Der Schaufelraddampfer
Der Arzt hat ihm wegen seiner defekten Bandscheibe Rückenschwimmen verordnet. So peitscht er nun mit weit ausholenden Armbewegungen das Wasser. Seine Füße sind eine Schiffschraube, die schäumende Fontänen aufwirbelt und über seinen Mitschwimmern niedergehen läßt. Da er nicht sieht, wohin er schwimmt, müssen natürlich die anderen ausweichen – was nicht leicht ist, da es ihm selten gelingt, eine einigermaßen gerade Linie zu verfolgen. Mancher fängt links unten an und hört rechts oben auf. Ab und zu macht er uns die Freude und stößt mit seinesgleichen zusammen…
Der Plantscher
Der Plantscher ist eine Unterform des Schaufelraddampfers. Er versucht, zu kraulen – kann es nicht, glaubt aber, dass er es kann. Dem Plantscher ist (noch) nicht wirklich bewusst, weshalb das Schwimmen lernen so wichtig ist.
Der Schwimmbeamte
Er hat alle Kurse in „Wassergymnastik“ und „Aquajogging“ mitgemacht und setzt das Gelernte gewissenhaft Punkt für Punkt um; sei es, dass er durch Mitnahme von Kinderspielzeug wie langen Kunststoffwürsten oder Fußgewichten überrascht; sei es, dass er jede Bahn auf eine andere befremdliche Weise absolviert; einmal plätschert er sich lediglich mit den Händen vorwärts, dann wieder pritschelt er allein mit den großen Zehen – oder benutzt nur die Ohren zum Schwimmen. Am Ende einer jeden Bahn macht er einen Klimmzug am Startblock; ein Schwimmbeamter!
Das Phantom
Er kommt jeden Morgen vorm Büro, mit zwei Bewegungen hat er am Beckenrand Hose und Hemd abgeschüttelt, das Badezeug ist drunter. Er tritt unter die kalte Dusche, ohne eine Miene zu verziehen, ohne Gemütsäußerung gleitet er ins Wasser; immer wählt er die nächstliegende Bahn. Er streift die Schwimmbrille über und schwimmt los. Hinwärts: Rücken. Zurück: Kraul. Lautlos tauchen seine Arme ins Wasser, seine Füße kann man nur erahnen. Keine überflüssige Welle kräuselt sich um seinen sportgestählten Körper. Nach 2.000 Metern stemmt er sich mit perfekter Haltung am Beckenrand aus dem Wasser – niemals benutzt er die Leiter. Die Tropfen perlen wie von selbst ab von seiner Teflon-Haut. Hemd und Hose gleiten leicht auf seine Gestalt – dann weht er fort. Das Phantom des Freibads!
Darth Vader
Es scheint einen geheimnisvollen Zusammenhang zu geben zwischen den schwimmerischen Fähigkeiten einer Person und den Lauten, die sie dabei ausstößt. Je mehr sie prustet und röchelt, ächzt und stöhnt, desto zweifelhafter sind in der Regel ihre Schwimmkünste. „Darth Vader“ ist meistens weiblich und prustet auch, wenn sie wegen der Frisur mit hocherhobenem Kopf oder wegen der Bandscheibe auf dem Rücken daherschwimmt.
Die Wolkenwand
Ab und an kommt einem im Schwimmbecken jemand entgegen, der sich schon von weitem durch eine Geruchswolke ankündigt, die er wie eine Wand vor sich herschiebt. Durch irgendeinen chemischen Prozess scheint das Chlor im Wasser die von draußen mitgebrachten Körperausdünstungen um das Hundertfache zu verstärken. Die Wolkenwand bewegt sich auf Schwimmernasenhöhe, besonders schreckliche Aromen: Knoblauch, Speck und kalter Rauch. Da hilft nur Wenden oder Abtauchen.
Der gemeine Bader
Neben den Schwimmern gibt es in jedem Freibad die von mir so genannten „Bader“. Diese Spezies steigt lediglich der Abkühlung wegen oder (vorwiegend im jugendlichen Alter) zu Balzzwecken ins Wasser – und kann daher im allgemeinen als buchstäbliche Randerscheinung vernachlässigt werden, da sie mangels Bewegung bald friert und dann das Becken schnell wieder verlässt. Eine bedrohliche Variante ist der übermütige Jugendliche, der sich am Beckenrand mit seinen Kumpels kabbelt und zu einem unvorhersehbaren Zeitpunkt das Gleichgewicht verliert. Er schlägt wie eine Bombe zwischen den friedlichen Schwimmern ein, stemmt sich aber sofort wieder aus dem Wasser und nimmt dabei in seinem lang schlackernden Badebeinkleid zwei Liter vom kostbaren Schwimmbeckeninhalt mit.
Der wildgewordene Bader
Er ist der gefährlichste der Beckenbewohner, weil unberechenbar. Friedlich steht er mit dem Gesicht zum Beckenrand im Wasser, redet mit einem anderen Bader über Aktienkurse, balzt mit einer Baderin und/oder erschlägt ab und zu eine Bremse. Dann, mit plötzlichem Entschluss, stößt er sich ohne Vorwarnung geschossartig nach hinten ab. Wer gerade auf der ersten Bahn unterwegs ist, wird schmerzhaft mit einer physikalischen Wahrheit vertraut gemacht, und zwar der bedauerlichen Trägheit eines im Wasser befindlichen Körpers. Ich habe mal einen Vater erlebt, der erst seiner kleinen Tochter erklärte, wie rücksichtslos und gefährlich es sei, sich vom Beckenrand abzustoßen, ohne sich vorher umzusehen; und in der nächsten Sekunde genau dieses tat…
Der Haxenbader
Bei uns in Bayern ist der sogenannte Hax (Plural: Haxen) das ganze Bein von der Hüfte bis zum Zeh, manchmal auch nur Unterschenkel oder Fuß. Letzteres ist der einzige Körperteil, den der sogenannte Haxenbader den Fluten des Schwimmbeckens anvertrauen mag. Ich weiß nicht, was mich als Schwimmer mehr begeistert: Mich an einer Galerie weißlicher Stachelwaden in Augenhöhe entlang zu bewegen oder am Ende der Bahn mit der Nase auf zehn runzlige Zehen zu stoßen, die vom Beckenrand ins Wasser hängen. Ein einziges Mal fand ich die Situation niedlich, aber da waren die Zehen winzig klein und gehörten einem vielleicht fünfjährigen Buben; als ich direkt unter ihnen anschlug, blickte mich ihr Besitzer zutraulich an und sagte: „Griaß Di!“