Perlesreut. „Wenn ich eine Sache aus Somalia hierher nach Perlesreut holen könnte, wäre das meine Familie.“ Der 20-jährige Naasir ist vor rund eineinhalb Jahren aus dem Bürgerkriegsland Somalia in die Marktgemeinde im Bayerischen Wald gekommen. Auf der Flucht vor der islamistischen Terrormiliz Al-Shabaab, die dazu beiträgt, dass das Land an der afrikanischen Ostküste seit knapp 25 Jahren im Chaos versinkt, durchquerte der Somali die Sahara und kam mit einen Kunststoffboot über das Mittelmeer nach Sizilien, bis seine Odysee schließlich in Niederbayern ein glückliches Ende fand. Mit einem positiven Asylbescheid in der Tasche hat er mittlerweile eine Ausbildung bei der Schreinerei Hafner in Perlesreut begonnen.
Die Reise des aus der westsomalischen Stadt Luuq stammenden 20-Jährigen führte zunächst nach Äthiopien, in den Südsudan – und von dort aus weiter in den angrenzenden Sudan. „Vom Sudan aus musste ich dann durch die Sahara nach Libyen“, erklärt der Somali im Gespräch mit dem Onlinemagazin „da Hog’n“. 25 Tage harrte er quasi ohne Essen in der Wüste aus. „Dort zu überleben, war sehr schwierig.“ In Libyen angekommen, wurde er in Misrata, einer Stadt im Norden des Landes, von der Polizei aufgegriffen, da er keine Papiere mit sich führte. Erst nach vier langen und entbehrungsreichen Monaten im libyschen Gefängnis konnte er seine Flucht Richtung Tunesien fortsetzen.
„In so einem kleinen Dorf ist’s ohnehin viel besser“
Doch unglücklicherweise neigten sich zu diesem Zeitpunkt seine Geldreserven dem Ende zu – eine Überfahrt übers Mittelmeer nach Europa war somit nicht mehr finanzierbar. Jedoch so kurz vor dem Ziel aufzugeben, das kam für Naasir nicht in Frage. Also arbeitete der Westsomali für einen Monat als Gehilfe auf einem libyschen Bauernhof. Danach führte ihn seine Reise zurück in das Land, in dem er zuvor bereits vier Monate im Gefängnis verbracht hatte. „Die Überfahrt von Libyen nach Sizilien ist nicht einfach zu erklären. Wir waren 120 Flüchtlinge aus Somalia und Äthiopien auf einem 14 Meter langem und sechs Meter breitem Kunststoffboot.“ Volle drei Tage dauerte die Überfahrt – ohne Essen, ohne Trinken. Zwar erreichten alle der Insassen die sizilianische Insel – für zwei schwangere Frauen waren die Strapazen allerdings zu groß – bei ihrer Ankunft konnte nur noch deren Tod festgestellt werden.
Die Ankunft in Europa hatte sich der Ostafrikaner jedoch etwas anders vorgestellt. Zwei Wochen verbrachte er auf Sizilien – ohne Schlafplatz und nahezu ohne Nahrung. Nachdem er sich allerdings erst einmal nach Rom durchgeschlagen hatte, ging’s plötzlich ganz schnell: „Von dort aus konnte ich mit dem Zug direkt weiter nach München fahren.“ Nach insgesamt sieben Monaten fanden die Beschwerlichkeiten des 20-Jährigen in der Marktgemeinde Perlesreut ein Ende. Von dort wolle er auch nie wieder weg, sagt der sympathische Afrikaner und grinst. Erstens seien große Städte viel zu teuer. Und außerdem ist’s in so einem kleinem Dorf ohnehin viel besser: Viele nette Leute habe er hier bereits kennengelernt – und viele Freundschaften geschlossen. Auch mit dem Dialekt komme er mittlerweile ganz gut klar. In den WhatsApp-Gruppen seiner Freunde und Schulkameraden werde sowieso nur auf bairisch geschrieben – irgendwann habe er sich einfach angepasst.
„Ich will unbedingt in Deutschland bleiben“
Mittlerweile befindet sich der Ostafrikaner auf dem besten Weg, ein ausgebildeter Schreiner zu werden. Über ein Schulpraktikum sei der Kontakt zur ortsansässigen Schreinerei Hafner entstanden. „Schreiner ist ein sehr guter Beruf und meine Arbeitskollegen und mein Chef sind alle sehr, sehr nett“ – deshalb war klar, dass nach dem Praktikum auch die Ausbildung in diesem Handwerksberuf folgen würde. Auf die Frage, ob der somalische Schreiner Naasir den Rest seines Lebens in Perlesreut verbringen möchte, antwortet er mit einem entschiedenen: „Ja!“
Einziger Wermutstropfen: Seine Familie wird er wohl – aufgrund der gesetzlichen Lage – nicht hierher nach Deutschland holen können. Sie war es auch, die die gut 5.000 Euro teure Flucht finanzierte. Kontakt ins Heimatland hält er ausschließlich via Facebook und WhattsApp. Trotzdem gibt sich Naasir zuversichtlich: „Ich will unbedingt in Deutschland bleiben, weil ich hierher gekommen bin, um sicher zu sein, in Ruhe schlafen zu können und um genügend Essen zu bekommen – das hatte ich in Somalia alles nicht.“
Johannes Gress