Dreisessel. Mehr als neun Kilometer ist Frank Tiedtke von seinen nächsten Nachbarn entfernt. Eine Strecke, die in der heutigen Zeit dank motorisierter Untersätze kein Problem mehr darstellt. Und dennoch kann es auf dem Gipfel des Dreisessels manchmal ziemlich einsam werden. Gerade im Winter, bei starken Schneefällen begleitet vom berüchtigten Böhmwind, ist der Wirt des Berggasthofs quasi von der Außenwelt abgeschnitten. „Freilich macht man sich dann so seine Gedanken, wie man im Notfall vorgehen soll“, erklärt der 52-Jährige, der seit vergangenen Dezember Pächter des Wirtshauses auf dem Dreisesselberg ist. Dort oben, auf 1.333 Meter Höhe, gibt es weder Internet noch Fernsehen. Das Telefon nimmt sich immer wieder seine „Auszeiten“, das Handynetz ist mehr als ausbaufähig. Frank Tiedtkes Drei-Monats-Bilanz fährt trotzdem durchwegs positiv aus: „Ich fühle mich sehr wohl hier.“
Völliges Neuland stellt der Bayerwald-Berg für den Gastronomen aus Straubing nicht dar. Seine Tätigkeit als Außendienstler führte ihn bereits vor 19 Jahren zum ersten Mal auf den Dreisessel. Elf Jahre lang war er regelmäßig bei der ehemaligen Wirtsfamilie Nusser zu Gast, die zu seinen Kunden gehörte. Tiedtke war somit Zeuge der Entwicklung im deutsch-tschechisch-österreichischen Grenzgebiet – in zweierlei Hinsicht. Zum einen vollzog die Natur ihren Wandel: In Folge von Orkan Kyrill breitete sich der Borkenkäfer im vom Sturm beschädigten Baumbestand aus, der Dreisessel zeigte sich daraufhin von seiner „nackten“ Seite, die jedoch mittlerweile vom nachwachsenden Jungwald nach und nach überdeckt wird. Die Wunden der Vergangenheit heilen.
Oftmals bleibt nur „Gustl“ als Ansprechpartner
Zum anderen rückte die Zivilisation gefühlsmäßig näher an die unberührte Natur des Berges heran – mit allen Vor- und Nachteilen. Der Dreisessel ist weiterhin Besuchermagnet, es gibt regelrechte Fans. „Viele möchten allerdings am liebsten mit dem Auto direkt auf den Gipfel fahren“, berichtet Tiedtke mit deutlich hörbarem Unverständnis. Vom „künstlichen Pseudo-Tourismus“ hält er wenig – auch wenn es ihm als Wirt und Gastronom sicher zu Gute kommt, dass seine Gaststätte mit Fahrzeugen erreichbar ist. Er selbst ist begeisterter Wanderer, war Dauergast auf den Anhöhen des Bayerischen Waldes. Seitdem er seinen neuen Job als Dreisessel-Wirt angetreten hat, ist die Zeit für Ausflüge in die Natur eher knapp bemessen – „leider“.
Höchstens in den einsameren Stunden – etwa am frühen Morgen, am späten Abend sowie an Schlechtwettertagen – nutzt er seine neue Heimat für eine kleine Wanderung: Das Steinerne Meer zählt dann zu seinen Lieblingszielorten. Mit dabei ist in letzter Zeit auch häufiger mal der „Gustl“, der Hund seiner Tochter. „Meine Familie besucht mich fast jedes Wochenende. Denen gefällt es hier oben“, erzählt Frank Tiedtke,während er in der gemütlichen Gaststube sitzt. An diesem Tag – im Tal regnet es, am Gipfel fällt Schnee – hatte er nicht mit vielen Besuchern gerechnet, weshalb er seinen Mitarbeitern freigegeben hat. Doch es kommt meistens anders, als man denkt. „Mittags hätten sie mich fast überrannt“ – Zeugen dafür sind Berge von Geschirr, die noch gespült werden müssen.
24/7 – Dreisesselwirt ist ein Fulltime-Job
Selbst ist der Mann – das trifft vor allem auf über 1.300 Metern über dem Meeresspiegel zu. Kleinere Reparaturen sind kein Problem – auch, wenn sie die herkömmlichen Kompetenzen eines Gastronoms manchmal etwas übersteigen. Sind die Gäste weg, bleibt Zeit für diese Arbeiten. Apropos Zeit: Diese scheint auf dem Berg tatsächlich etwas langsamer zu verstreichen – zumal Frank Tiedtke keine Zerstreuungsmöglichkeiten à la Internet und Fernsehgerät hat. „Früher war ich einer, der ohne Fernseher nicht hätte leben können“, erinnert er sich. „Doch mittlerweile komme ich recht gut ohne aus. Das einzige, was mir fehlt, sind die Nachrichten. Irgendwie läuft das aktuelle Geschehen an mir vorbei.“ Ist es wirklich so, dass „von oben“ betrachtet die Probleme „unten“ als weniger dramatisch oder gar nichtig erscheinen? Verändert das Leben auf dem Berg, begleitet von Einsamkeit und Stress zu gewissen Stoßzeiten, den Charakter? Diese Fragen will und kann der Straubinger noch nicht beantworten. Nach gerade einmal drei Monaten ist das „vergangene, alte Leben“ noch zu nah.
In diesem war Tiedtke neben seinem Beruf als Außendienst-Mitarbeiter auch als Koch beim Gäubodenfest tätig. Zehn Tage, die es in sich haben. Zehn Tage, in denen sich alles um den Job dreht – und einem alles abverlangen, wie er sagt. Nun, in der Ruhe der Natur, auf dem Gipfel des Dreisessels, sieht der 52-Jährige allerdings keine allzu gravierenden Unterschiede zwischen Volksfest-Zeit und seinem aktuellen Engagement. Genauso wie damals hat er nun einen Fulltime-Job – 24/7, wie es auf Neudeutsch so schön heißt. Als Dreisesselwirt hat man zwar, so Tiedtke, wie jeder andere Gastronom seine Öffnungszeiten – trotzdem ist man mit seinem Beruf irgendwie verheiratet. „Ich bin ja immer da, fahre nur ab und zu nach Neureichenau oder weiter weg, um Besorgungen zu machen.“ In den Hochzeiten sind solche Ausflüge „runter ins Tal“ eher selten, dann muss das Personal einfach gewisse Botengänge erledigen. Dann ist der Wirt regelrecht an den Berg gefesselt.
Gibt es bald auch eine Dreisesselwirtin?
Das allerdings ist kein Problem für den Straubinger, der im Gäudoden ja eher flacheres Gelände gewohnt ist. Ebenso fällt es dem 52-Jährigen nicht schwer, den Großteil seiner Zeit ohne Familie verbringen zu müssen. Ein Umstand, der sich bald ändern könnte. Seine Frau muss derzeit noch klären, „wie es arbeitstechnisch weitergeht“. Klappt alles, könnte es bald auch eine Dreisesselwirtin geben. Die zwei Kinder stehen sowieso inzwischen auf eigenen Beinen, besuchen ihren Vater regelmäßig im Bayerischen Wald. „Eigentlich bin ich rundum glücklich. Mir fehlt nichts.“
Dazu trägt auch bei, dass er auf dem Bayerwald-Berg gewissermaßen eine neue „Familie“ gefunden hat. Egal, ob Winter oder Sommer, Schneeschuhe oder Mountainbike – eine gewisse Stammkundschaft kann Frank Tiedtke bereits nach drei Monaten ausmachen. Zu ihnen zählt auch Willy Gödel, der im Rahmen des Hog’n-Berichts „Berggasthof Dreisessel: Der Nachfolger der Wirtsfamilie Nusser steht fest“ den penetranten Toiletten-Geruch im Gebäude kritisiert hatte. Angesprochen auf dieses Thema erklärt Frank Tiedtke, dass er dies ebenfalls vernommen hatte, das Problem aber durch ausreichendes Lüften und eine entsprechende Menge Duftsteine nun einigermaßen in den Griff bekommen hat. Mit dem baulichen Zustand des Berggasthofes ist er generell zufrieden – wobei man „immer was machen könnte“. Sein erstes, größeres Projekt ist die Reaktivierung der Übernachtungsmöglichkeiten im Gasthaus. „Es ist geplant, einen Notausgang zu errichten. Dann könnten auch wieder Gäste über Nacht bleiben, was ich sehr begrüßen würde.“
Der Dreisessel ist alles andere als eine Zwischenstation
Von dieser Aussage sowie der generellen Einstellung Frank Tiedtkes kann man ableiten, dass der Berggasthof Dreisessel, der für rund 150 Gäste Platz bietet, keine Zwischenstation für den Straubinger darstellt. Das bestätigt auch der Dreisesselwirt selbst: „Mein Pachtvertrag läuft jetzt erst mal für zwei Jahre. Aber es spricht nichts dagegen, dass ich länger bleiben werde…“
Helmut Weigerstorfer
[…] Nachdem uns ja der Winter in diesem Jahr eher im Stich gelassen hat, war es schon früh im Jahr an der Zeit für eine Wanderung zum Dreisessel. Und da ja die Schneelage es schon zugelassen hat, konnten auch ohne Schneeschuhe die Tour über das Steinerne Meer zum Dreiländereck problemlos gelaufen werden. Vom Dreiländereck ging es dann zurück entlang des Grenzkammes, vorbei am Bayerischen Plöckenstein bis hin zum Dreisessel. […]