Freyung. Wie jedes Jahr am Faschingsdienstag, bummelten auch heuer wieder zahlreiche Narren in bunten Kostümen und lustigen Verkleidungen durch die Freyunger Innenstadt. Eine heitere Mischung aus Clowns, Piraten, Cowboys und Fantasiegestalten erfreute sich der langlebigen Tradition des kreisstädtischen Faschingstreibens. Auf den besonderen Stellenwert der „Kultur“ im Bayerischen Wald wollten dabei die Mitglieder des Stammtisches „D’Glinsara“ hinweisen: „Heimatliebe statt Multikulti“ war auf deren Umzugswagen in schwarzer Schrift auf blau-weißem Rautengrund zu lesen. Die Meinungen, ob derartige Äußerungen auf Umzügen angebracht sind, gehen dabei weit auseinander, wie eine teils hitzig geführte Diskussion auf der Facebook-Seite „Da Woid is bunt“, (siehe Auszüge davon im Folgenden) die das Thema als erstes aufgriff, zeigt.
Nur ein schlechter Witz oder völlig neben der Spur? Blöd ausgedrückt oder definitiv nicht tolerierbar? Darf man im Fasching eigentlich alles machen? Wo liegen die Grenzen des guten Geschmacks?
In einem fiktiven Streitgespräch debattieren Hog’n Redakteur Helmut Weigerstorfer und Hog’n-Mitarbeiter Johannes Gress im Folgenden darüber, ob derartige Botschaften bei einem Faschingsumzug schlichtweg völlig fehl am Platze sind – oder ob hier aus einer Maus ein Elefant gemacht wird.
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Die Meinung von Herbert Graf, Geschäftsführer der Stadt Freyung, steht jedenfalls fest: Er teilte dem Onlinemagazin „Da Hog’n“ auf Nachfrage mit, dass derart „polarisierende Botschaften“ bei einem Faschingsumzug nichts verloren haben – und der Vorfall Konsequenzen nach sich ziehen werde. Bei künftigen Umzügen soll im Vorhinein seitens der Stadt geprüft werden, welche Wagen am Umzug teilnehmen dürfen.
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(Ein Mitglied des Stammtischs „D’Glinsara“ ließ ausrichten, dass über das Thema intern nochmals gesprochen werden soll.)
Weigerstorfer vs. Gress
Gress: Also man kann ja zu „Multikulti“ und „Heimatliebe“ stehen wie man will, aber in der aktuellen Situation halte ich so eine Äußerung für sehr unglücklich. In einem Land, das täglich Übergriffe auf Flüchtlinge zu verzeichnen hat, erwarte ich von allen Beteiligten doch bitte etwas mehr Fingerspitzengefühl. Auch wenn die Intention des Wagens vielleicht eine andere gewesen sein mag, sollte man sich darüber im Klaren sein, dass sich mit einer solchen Aktion die momentane Lage wohl kaum einfacher bzw. entspannter gestalten wird. Hinzu kommt noch, dass sich ja erst vor wenigen Tagen ein ähnlich geschmackloser Vorfall im Kreis Pfaffenhofen ereignet hat, bei dem eine Panzerattrappe mit der Aufschrift „Asylabwehr“ durch die Ortschaft gefahren ist – und aufgrund dessen die Staatsanwaltschaft nun wegen Volksverhetzung ermittelt.
Weigerstorfer: Aber ausgerechnet bei einem Faschingsumzug – was ja bei uns unbestreitbar eine lange Tradition und Kultur hat – kannst du ja keinem verbieten auf unsere Heimat stolz zu sein. Außerdem ist der Weg von der Aufschrift „Heimatliebe statt Multikulti“ bis zum „Übergriff auf Flüchtlinge“ doch ein sehr langer. Da einen unmittelbaren Zusammenhang herzustellen, find ich schon sehr weit hergeholt.
Gress: Ich behaupte ja nicht, dass man nicht auf seine Kultur und seine Heimat stolz sein darf. Nur bin ich der Meinung, dass das sehr gut mit „Multikulti“ harmonieren „könnte“. Die Aufschrift auf dem Faschingswagen ist für die Harmonie zwischen „Heimatliebe“ und „Multikulti“ jedoch alles andere als förderlich. Da geht’s um Ausgrenzung. Wird sowas weiterhin bei gesellschaftlichen Großereignissen wie Faschingsumzügen toleriert, führt das einfach nur dazu, dass solche Aussagen mit der Zeit salonfähig werden. Genau deswegen halt ich es auch für gefährlich, dergleichen einfach als „blöden Scherz“ abzutun.
Gress: „Im Endeffekt ist das ’schön verpackter‘ Rassismus“
Weigerstorfer: Trotzdem braucht man doch dieses Thema nicht so aufbauschen. Im Endeffekt waren’s doch nur eine Handvoll Jugendlicher, die gern hier im Bayerischen Wald wohnen und das auf ihrem Umzugswagen zum Ausdruck bringen wollten. Dass dadurch der gesellschaftliche Friede in Gefahr sein soll, find ich einfach übertrieben. Genau so gut ist es nicht gesund für unser Zusammenleben, wenn man immer sofort alles an den Pranger stellt und jedes Bekenntnis zu unserer Tradition als Rassismus bezeichnet. Außerdem ist die Absicht hinter der Botschaft von „Heimatliebe statt Multikulti“ doch eher als Bekenntnis zu bayerischen Bräuchen und einer Abkehr von „Jugendsprache und Hopper-Klamotten“ zu verstehen, wie es eine Facebook-Userin auf „Da Woid is bunt“ bezeichnet.
Gress: Wenn sich eine Gruppe, wie behauptet, von „Hopper-Klamotten“ distanzieren will und sich stattdessen lieber auf bayerische Bräuche beruft, bin ich der Letzte, der dem im Wege steht. Allerdings gibt es meiner Meinung nach „feinfühligere“ Varianten, dies zu tun. Für so eine Aussage ist mir das Thema „Flüchtlinge und Asyl“ aktuell einfach zu brisant. Um meine Heimat zu lieben, braucht’s auch „Multikulti“ – da führt für mich kein Weg dran vorbei. Das geht für mich Hand in Hand.
Die Aufschrift auf dem Wagen deutet aber meiner Meinung nach eher darauf hin, dass ich mich für eine der beiden Seiten entscheiden müsste. Dass sowas – nicht zuletzt dank AfD und dergleichen – aktuell leider ganz gut ankommt, liegt schlichtweg daran, dass derartige Äußerungen in letzter Zeit doch recht gesellschaftsfähig geworden sind. Natürlich ist der Wagen vom Freyunger Umzug ein „Einzelfall“ – oder etwa nicht? Und vielleicht war die Intention dahinter wirklich eine ganz andere – aber eine Vielzahl solcher Einzelfälle führt eben genau dazu, dass solche Argumente mehr und mehr alltagstauglich werden. Das ist ein schleichender Prozesse. Im Endeffekt ist das „schön verpackter“ Rassismus.
„Leider gleitet aber die Debatte immer mehr ins Extreme ab“
Weigerstorfer: Leider gleitet aber die Debatte immer mehr ins Extreme ab. Für mich wär’s wichtig, einfach einen geeigneten Mittelweg zu finden. Genau so wie von der Rechten nicht aus jedem Rempler seitens eines Ausländers eine Vergewaltigung gemacht werden soll, muss nicht von der anderen Seite jedes Wort auf die Goldwaage gelegt werden. Das ganze Thema polarisiert ohnehin schon ungemein, da wäre meiner Meinung nach etwas mehr Sensibilität angebracht, um die beiden Fronten nicht noch mehr zu verhärten. Da gibt’s letzten Endes wichtigere Probleme, die für eine wirkliche Lösung viel mehr von Bedeutung sind.
Das sagt Herbert Graf, Geschäfsführer der Stadt Freyung, die als Veranstalter für den Faschingszug verantwortlich zeichnet, zu dem betreffenden Umzugswagen:
„Die Regel war bisher: Wer beim Faschingszug mitfahren will, der kann mitfahren. Die Teilnehmer müssen durch kein Bewerbungsverfahren wie etwa beim Volksfest. Es reicht, wenn die technischen Voraussetzungen der Wagen erfüllt sind. Ansonsten gibt es keine strengen Vorlagen.
Bisher hatte es noch nie Schwierigkeiten gegeben, weshalb wir uns immer auf die Vernunft der Vereine haben verlassen können. Den Slogan ‚Heimatliebe statt Multikulti‘ kann man sehr weitläufig interpretieren, aber eine solche Parole hat bei einer Faschingsveranstaltung nichts verloren. Natürlich wird das künftig Konsequenzen haben, damit derart polarisierende Botschaften beim Faschingszug nicht mehr auftauchen.
Eine Konsequenz wird sein, dass im Vorhinein bekannt gegeben werden soll, welche Botschaften ausgesendet werden. Der Freyunger Faschingszug soll keine mediale Plattform für derartige Stimmungs- und Meinungsbilder sein. Ein Faschingsumzug soll lustig sein und die Alltagsprobleme ausklammern. Deshalb werden wir uns künftig überlegen müssen, wer beim Zug zugelassen wird. Sollte bei der Vorab-Prüfung durch die Stadt Freyung ein auffälliger Wagen dabei sein, werden wir veranlassen, dass dieser nicht mitfährt. Da gilt es ein schweres Augenmerk darauf zu legen, weil so etwas nicht mehr passen darf.
Da wird es eine ganz pragmatische und schnelle Lösung geben. Die Wagen müssen künftig – obwohl ich persönlich kein Freund davon bin – der Zensur unterzogen werden. Wir werden jetzt im Nachgang versuchen, Kontakt zu den Verantwortlichen für den Umzugswagen aufzunehmen, um das Gespräch zu suchen.“
Helmut Weigerstorfer
Stephan Hörhammer
Johannes Gress
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Wie ist Eure Meinung zum Thema? Nur ein unüberlegter Spruch, der ignoriert werden sollte – oder „schön verpackter Rassismus“, der bei einem Faschingsumzug nichts verloren hat? Wir sind gespannt und freuen uns auf Eure Meinungen in unserer Kommentarleiste.
Das war ein Spruch auf einem Faschingswagen, nicht mehr und nicht weniger. Rassistisch ist was anderes.. Die Aufregung um den Spruch wird sich bald wieder gelegt haben. Mich nervt es unendlich, dass das Thema Flüchtlinge/Asyl scheinbar immer mit Samthandschuhen angefasst werden muss.
Wie soll man so ein thema denn sonst angehn? Es handelt sich immerhin um menschen. Um schicksale, um leiden, krieg und schutzsuchende. Und da es leider wieder so viele nazis gibt, muss man das thema leider immer und immer wieder aufgreifen. Würden wir alle einfach die situation so akzeptieren wie sie nun mal ist und unseren mitmenschen den start in ein neues leben nicht auch noch unnötig schwer machen, sähe das ganze sicherlich anders aus.
Stephie: ‚Arbeit macht frei‘ war dann auch nur ein Spruch an einem Tor? Nicht mehr und nicht weniger? Oder wie?
Die Unterdrückung und –in Nazi-Deutschland- vollzogene Vernichtung anders Denkender/Glaubender/Aussehender hatte eine ihrer Grundlagen in dem „Nichtwissen wollen“, Verharmlosen, wegsehen/Trautes Heim Glück allein/was gehen mich die Nachbarn an…. Alle Deutschen als zwangsläufige Erben der Menschen des Dritten Reiches müssten sich schon klar über die Entwicklung und die Dimensionen sein, die da sehr schnell „aus dem Ruder laufen“ können – wenn’s jemand wissen müsste, wie Rassismus entsteht, dann doch wir, oder?
Klar geäußerte Sprüche wie die Schießphantasien von AfD-Politkern, die kruden Dumpfsinnergüsse im Netz, die Hunderte von aktiven Angriffen auf vermeintlich „Dümmere/Gefährlichere/Vergewaltiger, die wunderbar verallgemeinbare Presseschelte (Lügenpresse) wenn’s einem nicht passt was gesagt wird…: ich nehme das alles sehr Ernst.
Das ist für mich Rassismus Dafür gibt es keine andere Auslegung
Zustimmung. Danke für die klare Meinung.
Jeder der d Glinsara kennt der woas, dass de Buam jedes Jahr im Faschingszug d Tracht aham und an Bayrischn Wagen mochan und dass des nix mit de Asylanten zum doan hod… se hand einfach nur stolz Bayern zum sa, meng d Lederhose aleng und Zellbergbuam hern… und jeder der se do afregt is einfach nur zfleis bled
… um was gehts denn? Lieber Heimatliebe als Multikulti. Wer da an Flüchtlingsfeindlichkeit denkt, na ich weiß nicht. Ich bin direkt mit Flüchtlingsarbeit befasst. Immerhin ist die Einrichtung, die ich gegründet habe, niederbayerischer Integrationspreisträger 2015. Lassen wir bitteschön die Kirche im Dorf. Suchen wir doch bitte nicht immer das Haar in der Suppe und verbringen wir die Zeit mit etwas Nützlichem statt jeden Spruch zu filetieren. Und diesen Spruch, habe ich so verstanden, wie er tatsächlich gemeint ist: Lieber Heimatliebe als Multikulti.
Zwangsläufige Erben, naja.. salopp ausgedrückt können wir, die (viel) später geboren sind, nichts für das, was unsere Vorfahren getan haben. Ich will nichts verharmlosen, aber wie lange will man das Vergangene noch auf die spätere(n) Generationen umlegen? Deshalb wird es nicht gern gesehen, wenn „wir“ den Mund aufmachen, da wir ja „DIE“ Deutschen sind -.-
Liaba Boarisch ais ARABISCH!!!ais PFLICHTFACH in da Schui. Kints a moi driba nochdenga
Ich finde auch, dass wir nicht alles, was derzeit so in den Medien herumgeistert, gleich auf die Goldwaage legen sollten. Speziell hier im Faschingsumzug, einem „Organ“, bei dem der „Kleine Mann“ einmal im Jahr Gelegenheit hat, der sonst so weit entfernten und oft unangreifbaren Obrigkeit einen Seitenhieb zu verpassen kann, sollte mit einem Augenzwinkern und innerer Nachdenklichkeit abgehandelt werden. Dass nun ein Stammtisch ein Motto aufgreift, welches man je nach Gedankenlage der bayerischen Lebensart ebenso wie einem nationalistisch gesinnten Personenkreis zudenken könnte, liegt im Auge des Betrachters. Bin ich ein Nazi, wenn ich einen Deutschen Schäferhund halte? Wenn ich sage, ich bin stolz darauf, in Deutschland leben zu dürfen, was bin ich dann? Ich bestelle immer noch, wie von klein auf gelernt, ein Zigeunerschnitzel (54 Jahre alt…), ein „Negerkopf“ ist ein leckeres Naschwerk und war nie mit rassistischem Hintergrundgedanken gekauft von mir. Soll ich nun mein Sprachverhalten ändern, weil jemandes Befindlichkeiten dadurch verletzt werden könnten? Ich glaube kaum, dass die auch von mir akzeptierten und tolerierten Zuwanderer ihren angestammten Sprachgebrauch wegen mir und meiner Haltung grundlegend ändern wollen und werden. Wir müssen uns wohl irgendwo in der Mitte annähern auf lange Frist, das ist unvermeidlich. Toleranz auf beiden Seiten bitte! Und Toleranz für Stammtischbrüder, die ihre Idee sicher lustig fanden ohne sehr tiefgründig darüber nachzusinnen und dem Betrachter die Möglichkeit zu freiem Denken beließen. Bevor wir hier nun alles aufbauschen, was nach einer halben Stunde wieder vorbei und vergessen war, sollten wir Personen wie Frauke Petry, die gewollt öffentliche Podien für klar negative Botschaften nutzen, an die Leine legen und nicht jeden Dorffaschingszug „zensieren“. Denn dann wäre es bestimmt bald vorbei mit der bayerischen Gelassenheit und dem Lebensgefühl „Leben und Leben lassen…“, wie es im Vorspann zum „Königlich Bayerischen Amtsgericht“ so schön geheißen hat!
Wahre Worte, Herr Wagner!