Branntweinhäuser. An Magic gibt es kein Vorbeikommen. Nicht, weil der Rüde der stärkste, größte oder aggressivste Hund im Rudel ist. Sondern deshalb, weil sich sowohl alle Hunde immer auf ihn verlassen können, als auch sein Besitzer Kilyan Klotsch. Magic zählt neben Leithund Karhu zu den ältesten – und gleichzeitig zu den sensibelsten Tieren am Huskyhof Dreisessel in Branntweinhäuser bei Altreichenau (Gemeinde Neureichenau). Begrüßt er einen Gast und lässt sich von ihm streicheln, wissen alle: Es droht keine Gefahr. Der Beweis dafür, wie Malamuten und andere Schlittenhunderassen ticken, wie feinfühlig sie sind.
Doch ihre Sensibilität ist nicht die einzige und bekannteste Charaktereigenschaft, die diese Rasse auszeichnet. Karhu, Magic & Co. sind vor allem Sportskanonen. Zähe Ausdauerläufer. Unermüdliche Rackerer. Schlittenhunde eben. „Deshalb funktionieren sie auch nur, wenn sie genügend Bewegung haben“, erklärt Kilyan Klotsch. Er meint damit, dass sich die Hunde ohne die regelmäßigen Trainingseinheiten nicht auspowern können – und dadurch unruhig und aggressiv werden. Etwaige Kritik, die Schlittenhunde würden zu den bis zu 30 Kilometer langen Läufen gezwungen werden, wehrt Klotsch deshalb vehement ab. Viele Fehler hatte er selbst gemacht – und daraus in den vergangenen Jahren gelernt.
„Jacky hat mir das Haus zerlegt – und den Garten umgegraben“
Hunde sind seit jeher seine treuen Wegbegleiter. Der oft-zitierte Satz, sie seien „der beste Freund des Menschen“, trifft wohl auch im Falle des gebürtigen Oberbayern zu. „Ich bin mit ihnen aufgewachsen“, sagt er und lacht. Anfangs jedoch mit „Kasperlhunden“, wie er sie nennt. Also mit Vierbeinern, die zwar Befehle wie „Sitz!“, „Platz!“ und „Gib Pfote!“ beherrschen, aber ihre ursprünglichen Eigenschaften längst verlernt haben. Diese entdeckte er dann bei den Huskys wieder – die natürliche Wildnis, verbunden mit angeborenen Instinkten und unvorstellbarer Intelligenz. Vor 15 Jahren trat Husky-Dame Jacky in sein Leben. Wie er heute zugibt, war es damals ein großer Fehler, dass er sich nur einen Hund angeschafft hat. „Sie hat mir das Haus zerlegt – und den Garten umgegraben. Sie war einsam und konnte sich nicht austoben“, erinnert sich der 41-Jährige. Ein Grund übrigens, warum seiner Meinung nach auch viele „Haushunde“ verhaltensausfällig sind.
Hunde und deren „Erziehung“ – ein Thema, das man nicht mal eben „so nebenbei“ abhandeln kann, wie Musher (Führer eines Schlittenhunde-Gespannes) Klotsch betont. Typischerweise fasziniert ihn neben der Hunderasse, die aus den nördlichen Gefilden stammt, auch die Landschaft in Skandinavien – vor allem Finnland besucht der Tierliebhaber immer wieder. Allerdings nur im Winter, denn der Sommer ist ihm zu langweilig. Seine Begeisterung für dieses Land gipfelt in einem Onlineshop für typisch finnische Produkte. „Dort vertreibe ich zum Beispiel Elchsalami und skandinavische Liköre.“ Wenn er was macht, dann mit voller Leidenschaft. Halbe Sachen gibt’s bei ihm nicht.
Es zählen andere Werte als materieller Wohlstand
Auch deshalb ist der Huskyhof seit 2012 stetig gewachsen. Mittlerweile leben zwölf Malamuten in Branntweinhäuser. Hinzu gekommen ist auch eine Pension, die vor allem in der kalten Jahreszeit völlig ausgebucht ist. „Es kommen Familien, die einfach nur Ruhe wollen. Es kommen Leute, die ihren Traum, mit Hunden zu wohnen, ausleben möchten. Es kommen aber auch Menschen, die einfach nur das Verhalten der Tiere fasziniert.“ Vor allem Letzere begeistern Klotsch. Teils stundenlang sitzen diese Gäste im Zwinger, beobachten die Hunde und deren Miteinander. Sie vergessen das Drumherum, den Stress des Alltags, die Hektik der Berufswelt. Sie werden eins mit den Tieren, bei denen andere Werte zählen als materieller Wohlstand.
Die grundsätzliche Freundlichkeit, die Bewertung des Gegenübers ausschließlich nach dessen Charakter – das ist das, warum Züchter Kilyan Klotsch seine Hunde so schätzt, sie dafür beinahe beneidet. Kinder und Behinderte werden anders behandelt als Erwachsene. Sorgen und Wut nehmen sie sofort wahr. Auch deshalb hat er sich für die Rasse der Alaskan Malamuten entschieden, die für diese Attribute steht wie wohl keine andere Schlittenhunde-Rasse.
Im Laufe der Jahre hat der Altreichenauer eine weitere Eigenschaft, die seine Hunde sowohl charakterisiert als auch mit ihm eint, entdeckt: die Sturheit. Mit einem Augenzwinkern verrät er: „Wenn sie nicht wollen, wollen sie einfach nicht.“ Anfangs reagierte der 41-Jährige noch mit Unverständnis, wollte ebenfalls seinen Dickschädel durchsetzen. Mittlerweile weiß er aber, dass das nichts bringt. „Für diese Erkenntnis habe ich allerdings zehn Jahre gebraucht“, erzählt er und lacht.
Selbsterkenntnis durch die Arbeit mit den Hunden
In unzähligen Trainingseinheiten in den einsamen Wäldern rund um den Dreisessel hat er gelernt, wie seine Hunde ticken. Er hat aber auch erkennen müssen, wie grausam die Natur sein kann. „Der Schwächste wird aussortiert“, beschreibt er es kurz und prägnant. Das gilt sowohl innerhalb des Rudels als auch bei Touren durch den Wald. Mit ein Grund, warum Kilyan Klotsch selbst körperlich topfit sein muss – und auch nie besonders emotional, die die Tiere sofort als Schwäche auslegen, mit den Malamuten arbeiten darf. „Das alles hat mit dazu beigetragen, dass ich mich selbst immer besser kennengelernt habe.“
Diese Erkenntnis ist dem Musher wichtiger als irgendwelche Titel bei irgendwelchen Rennen. Zwar nimmt er an solchen Wettkämpfen teil, betont aber gleichzeitig, dass dabei für ihn eher das olympische Motto „Dabei sein ist alles“ gelte. Zumal es ohnehin schwierig sei, dass bei den Malamuten – inzwischen eine sehr seltene Rasse – überhaupt eine Wertung zustande kommt.Und außerdem: Würde sich der Gespann-Führer eine Niederlage zu Herzen nehmen, wären seine vierbeinigen Freunde, allen voran Magic, die ersten, die das erkennen – und dies auch ausnutzen würden. So ist sie, die Natur: einfach unverfälscht – „und das ist gut so“, wie Kilyan Klotsch findet.
Helmut Weigerstorfer