Passau. Parallel zu der in Passau ankommenden Anzahl an Flüchtlingen ist in den vergangenen Wochen auch die Hilfsbereitschaft in der Dreiflüssestadt gestiegen. Das beste Beispiel dafür ist die Vereinigung „Passau verbindet„, die in Folge einer Bürgerversammlung ins Leben gerufen wurde – und seitdem die Flüchtlingshilfe in und um Passau koordiniert und organisiert. Im Interview mit dem Onlinemagazin „da Hog’n“ spricht Christian Reidel von „Passau verbindet“ über dieses Bündnis und über die Solidarität innerhalb der Bevölkerung. Außerdem blickt der 49-jährige Rechtsanwalt auf die rechten Strömungen in der Region.

Herr Reidel, wie ist es zur Idee gekommen, „Passau verbindet“ zu gründen?
Es hat anlässlich der sich verstärkenden Flüchtlingsströme nach Passau vor zirka zwei Monaten eine Bürgerversammlung im Großen Rathaussaal der Stadt Passau gegeben. Dort wurden spontan Arbeitsgruppen gebildet, darunter eine Gruppe, die – damals – lediglich eine Facebook-Seite erstellen und Informationen für alle Hilfswilligen bündeln sollte. Aus der ersten Gesprächsrunde noch im Passauer Rathaus entstand also „Passau verbindet“.
„Wir wollen die Integration von Flüchtlingen voranbringen“
Welche Ziele hat sich diese Organisation auf die Fahnen geschrieben?
Unser Hauptziel ist derzeit, Kräfte bei der Koordination der Flüchtlingshilfe zu bündeln und auch selbst aktiv zu helfen. Hierzu gehört die Koordination der Helfer bei der Essensversorgung von Flüchtlingen auf dem Gelände der ehemaligen Paul-Hallen, Unterstützung der Kleiderkammer in der Clearingstelle, Koordination von Sachspenden, regelmäßige Gespräche mit der Bundespolizei, Bundeswehr, BRK und dem ärztlichen Netzwerk sowie eine tägliche Inspektion der Notunterkünfte in Passau – also der Paul-Hallen, der Dreiländerhalle sowie des Zelts auf dem Messeplatz.

Dafür haben wir in Abstimmung mit der Bundespolizei und der Stadt Passau jederzeit uneingeschränkten Zugang in alle Bereiche durch unser hierfür gebildetes Scouting-Team. Gleichzeitig registrieren wir alle Helfer und übermitteln deren Namen an die Bundespolizei in regelmäßig aktualisierten Listen, da aus Sicherheitsgründen nur bei uns registrierten Helfern Zutritt auf das Gelände gewährt wird. Wir erstellen Schichtpläne, bei denen sich die Helfer eintragen können. Im Falle kurzfristigen Bedarfs alarmieren wir mittels eines SMS-Systems. Gleichzeitig sind wir bereits jetzt dabei, die Integration von Flüchtlingen in unserer Region voranzubringen und auch in diesem Bereich alle helfenden Hände und Organisationen zu vernetzen. Hierbei werden wir von der Stadt Passau unterstützt.
„Kindersachen und Herrenschuhe werden benötigt“
Wie ist „Passau verbindet“ aufgestellt?
Das Kernteam besteht aus zehn in der Gruppe gleichberechtigten Personen. Wir haben diverse Arbeitsgruppen, die weitgehend autonom arbeiten. Grundsatzentscheidungen werden von der gesamten Gruppe einvernehmlich getroffen. Alle arbeiten neben ihrem Studium oder Beruf ehrenamtlich. Wir sind rechtlich nicht verfasst, diskutieren angesichts der mittlerweile großen Dimensionen aber über die Schaffung eines rechtlichen Rahmens. Der ehrenamtliche Einsatz unserer Helfer bei der Flüchtlingsversorgung hat mittlerweile 500 Wochenstunden überschritten – und entspricht daher zirka 13 Vollzeitstellen. Insgesamt koordinieren wir derzeit über 900 Helfer.

Wie ist es um die Hilfsbereitschaft in und um Passau bestellt?
Die Hilfsbereitschaft ist ungebrochen groß, sowohl bei der Spendenbereitschaft als auch bei den Helfern selbst. Hierfür sind wir sehr dankbar. Auch die Bundespolizei bedankt sich immer wieder bei uns und unseren Helfern vor Ort.
Wird eher gespendet oder selbst angepackt?
Beides. Jeder, der in dieser Situation das Herz und den Verstand hat, helfen zu wollen, hilft im Rahmen seiner Möglichkeiten. Ich darf auf unsere Facebook-Seite verweisen, wo wir einen Aufruf posten, wenn dringender Bedarf besteht. Allgemein sind Spenden aller Art immer erwünscht. Kindersachen und Herrenschuhe werden derzeit besonders benötigt.
„Wir sind unpolitisch, stellen die Hilfe in den Vordergrund“
Wie hat sich die Flüchtlingssituation in Passau hinsichtlich der Koordination und Organisation entwickelt?
Am Anfang haben wir in Zusammenarbeit mit der Bundespolizei, der Stadt Passau und anderen Organisationen immer nur kurzfristig reagieren können. Mittlerweile ist so etwas wie routinierte Improvisation eingekehrt. Dies liegt vor allem an den gewachsenen Strukturen in Organisation und Kommunikation. Die anhaltende große Unterstützung aus der Bevölkerung macht dies erst möglich.

Immer wieder sind in Folge der Flüchtlingsthematik fremdenfeindliche Zwischentöne aus der rechten Ecke zu vernehmen. Wie bewerten Sie diese?
Wir verstehen uns prinzipiell als unpolitisch und stellen die Hilfe für Flüchtlinge als Menschen in den Vordergrund. Uns ist aber auch bewusst, dass bereits diese Hilfe in der aktuellen Zeit als politisches Statement verstanden wird. Die gesamte, sehr komplexe Thematik kann nicht mit einfachen Parolen angegangen werden – egal von welcher Seite. Wir haben deshalb auch als ‚Passau verbindet‘ die AfD-Gegendemonstration „Solidarität mit Herz statt Rechtspopulismus und Hetze“ offiziell unterstützt – und stehen hierzu. Dies ist aber kein Schwerpunkt unserer Arbeit.
Ein kleiner Blick in die Zukunft: Wie entwickelt sich die Flüchtlingssituation?
Wir gehen von einem weiteren Zugang nicht geringer Flüchtlingszahlen aus. Die Beseitigung der Primärursachen wie die Beendigung des Krieges in Syren liegt außerhalb unserer Macht. Bis dahin engagieren wir uns für eine solidarische und vielfältige Gesellschaft durch Vorleben – weniger durch Reden. Die Unruhe in unserer Gesellschaft kommt unserer Meinung nach erst in zweiter Linie durch die zweifellos vorhandenen organisatorischen und gesellschaftlichen Herausforderungen. In erster Linie gilt es die Situation mit kühlem Kopf zu betrachten, rational zu handeln und eine vernünftige Balance zwischen dem Machbaren und dem Menschlichen zu finden. Wir sind mit der Unterstützung, die wir derzeit erhalten noch lange nicht am Ende unserer Kräfte.
Vielen Dank für das Interview – wir wünschen Ihnen und „Passau verbindet“ alles Gute.
Interview: Helmut Weigerstorfer
–> Wer „Passau verbindet“ unterstützen möchte –> hier gibt’s alle Infos dazu (einfach klicken)