Wir sitzen auf der Couch, draußen ist es längst finster. Wir sprechen über einen Lebenswandel, der sich immer mehr in unserem Herzen verfestigt, je mehr wir darüber reden und nachdenken. Und wir wissen: Wir sind nicht die einzigen, denen es vorschwebt: das „Aussteigen“. Ein Aussteigen aus dieser Art zu leben. Ein Aussteigen aus diesem Zug, in dem wir alle sitzen. Der dahinrauscht und immer wieder anhält, nur damit wir konsumieren. Essen, Medien, Infos, Reisen, ins Restaurant gehen, Feiern gehen – und immer diese Dinge, Dinge, Dinge… Dinge, die wir nicht brauchen, für die wir aber Geld heranschaffen und Zeit mit Arbeit verbringen, die nicht selbstbestimmt ist. Ja, das ist doch normal! Normal ist es, weil wir alle in diesem Zug sitzen und in unserer Übersättigung nicht wissen wollen, wohin die Reise geht…
Dieser Schauer, der mich Scham empfinden lässt
Manchmal passiert es, dass ich unter vielen Menschen bin, in einem Café sitze oder einfach nur Essen kaufen gehe. Und dann überkommt mich dieser Schauer, der mich Scham empfinden lässt. Ich schäme mich für den Wohlstand, den wir als so selbstverständlich hinnehmen. Darf‘s noch a bissal mehr sein? Möchten Sie noch einen Cappuccino? Ja freilich, warum denn nicht? Wir haben es ja… Und dann sitzen sie da, diese Menschen, stopfen sich Sahnetorten in ihre übersäuerten Mägen, schaufeln sich im Sommer argentinische Äpfel und im Winter Erdbeeren aus Huelva in den Einkaufswagen – und packen noch fünf Zentner Schokolade, drei Hektoliter Cola und sieben Monsterpackungen Erdnussflips oben drauf. Einfach, weil’s geht. Weil’s gut und günstig ist. Und weil man sich ja sonst nichts gönnt. Draußen eilen die Leute mit sauertöpfischen Minen aneinander vorbei, in ihre Hände schneiden die Plastikhenkel der Einkaufstaschen tiefe Furchen. Daheim packen sie aus, um sich an den Dingen zu erfreuen – zumindest ein bissche. Und zumindest im Augenblick. Und dann gehen sie wieder arbeiten. Der Zug fährt weiter…
Manchmal passiert es, dass ich ganz alleine draußen bin und nichts höre, außer vielleicht den Wind in den Bäumen. Einen Vogel, der mich schimpft. Um mich herum ist die Natur, die mir so viel schenken würde, wenn ich es denn wollte. Kräuter und Zapfen und Beeren und Schwammerl und Holz und Blüten. Ich nehme nichts davon – noch nicht – außer die Liebe, die ich von der Natur geschenkt bekomme. Und die mir einen großen Frieden im Herzen beschert. Die Natur, sie ist immer da für uns. Und dann denke ich weiter. Schließe die Augen – und da tauchen sie auf, die Bilder.
Sie alle haben der Konsumgesellschaft den Rücken gekehrt
Ein Holzhaus, das ein bisschen abgelegen steht. In der Mitte des kleinen Hofs steht der Hausbaum, vielleicht eine Linde, vielleicht ein Ahorn. Hinter dem Haus breitet sich der Gemüsegarten aus. Wir ernten Kartoffeln, Gelbe Rüben, Kohlrabi, Zucchini, Kürbisse, Salat, Radieserl, Rhabarber, Erdbeeren, Zwiebeln, Lauch, Knoblauch, Sellerie, Bohnen, Pastinaken,… Hinter dem Garten erstreckt sich die Obstwiese, die uns Zwetschgen, Äpfel, Birnen, Kirschen und Quitten bringt. Eingesäumt ist all das von Hecken, deren Früchte nicht nur die Vögel erfreuen. Und gegenüber dem Wohnhaus liegt der kleine Stall, in dem Hühner wohnen und vielleicht eine Geiß und ein Schaf. Der Holzschuppen ist gut gefüllt. Drinnen knacken die Scheite im Holzofen, der nebst Wärme immer heißes Wasser bereithält. Die Speis verspricht mit ihren gefüllten Einweck- und Marmeladengläsern allerlei Köstliches – und der Keller duftet nach Äpfeln und Erde.
Was bedeutet „Aussteigen“ aus diesem Zug nun eigentlich? Da gehen die Meinungen auseinander – und schnell wird klar: Es gibt viele Wege, den Zug zu verlassen. Chris McCandless hat es getan, um als „Alexander Supertramp“ unbedarft im Land der Hoffnungen und Träume umherzuziehen – Ziel: Alaska. Wolf-Dieter Storl hat es auch irgendwie getan – und ist schließlich auf seinem Hof im Allgäu gelandet, um dort sein Gemüse selbst anzubauen, der Natur nahe zu sein und seine wunderbaren Bücher zu schreiben. Die Haidorfs haben es getan, um ihr Paradies am Lusen zu erschaffen. Und die Loibl Emma gottselig hat es auch irgendwie getan, obwohl sie wahrscheinlich nie richtig drinsaß in diesem Zug. Das Leben ist vielseitig als Aussteiger. Ob als Vagabund, im Bauwagendorf, in einem Tiny House, so wie Tammy Strobel, ob mit oder ohne Strom und Wasser, ob als Selbstversorger oder in der Kommune, ob als Abfallvermeider, Veganer – alle haben eins gemeinsam: Sie haben der Konsumgesellschaft zu einem gewissen Teil den Rücken gekehrt und dem System ein eindeutiges Nein entgegengeschleudert. Und das vor allem, weil sie ihre eigene Welt besser machen möchten. Hat man manche Gedanken einmal gedacht, lassen sie einen nie wieder los. Ein Zurück gibt es nicht – auch wenn das noch lange nicht bedeutet, dass man nun jetzt tatsächlich handelt.
Das Gift des Konsums hat uns wieder einmal betäubt
„Das möchte ich auch einmal tun“, denken so viele. Und dann kommt das Aber. Und dann kommt die Gemütlichkeit des Konsums, die uns doch wieder auf der Couch versumpfen lässt, in einer Hand die Chipstüte, in der anderen die Fernbedienung. Das Gift des Konsums hat uns wieder einmal betäubt. Und dann fallen wir in einen tiefen Schlaf. Träumen davon, wie wir mit unseren Händen in der Erde wühlen, Stangenbohnen pflücken, die Eier aus den Nestern klauben, Erdbeermarmelade auf dem Holzofen einkochen, Holzscheite spalten, im Wald Zapfen zum Anheizen sammeln und abends nach dem Tagwerk müde aber glücklich auf der Hausbank unter dem Holunder sitzen und die Zehen in die Blumenwiese bohren.
Die Kinder sind im Bett, an ihren Sohlen klebt ein Rest Erde, der Hund liegt uns zu Füßen, eine Amsel singt – und wir kauen auf einer Scheibe selbstgebackenen Brotes mit Butter. Und nichts hat uns je herrlicher geschmeckt. Darf es nicht einfach wahr sein?
Der Teufel in uns sagt nein, sagt ja, sagt nein, sagt ja…
Nein, sagt der eine Teufel in uns, Du hast sie doch nicht alle! Verlierst Dich in Deiner ländlichen Selbstversorger-Romantik und vergisst, dass Du trotzdem Geld brauchst. Geld, hörst Du? Und, wo soll das herkommen? Ah, von Deinem kleinen Hofladen mit Café? Ja, schon klar… Geld! Du brauchst Geld! Oder stellst Du Dir das Haus auch höchstselbst hin, aus selbstgefällten Bäumen? Ach so, im Lotto willst Du gewinnen? Na, dann…
Ja, sagt der andere Teufel in uns. Es ist bisher immer alles irgendwie (gut) gegangen. Und Du kannst doch so viel. Du weißt viel. Und Dein Herz, hat es Dich jemals betrogen? Ja? Na gut – aber Du hast trotzdem immer wieder dran geglaubt. Und kannst Du Dich dran erinnern, an den einen Poesiealbumspruch: „Träume nicht Dein Leben, lebe Deinen Traum!“ Was? Davon wird Dir übel? Doch nur, weil Du weißt, dass es stimmt! Weil Du weißt, dass Du aufhören musst, zu denken, um es einfach zu tun.
Eva Hörhammer
Ein sehr guter und auf den Nagel auf den Kopf geschriebener Bereicht. Wir sollten uns das alle mal vor Augen führen, wie gut es uns geht. Wir haben alle ein Dach über den Kopf, eine warme Wohnung, etwas zum Anziehen und zu Essen. Kein Krieg. Sollten wir in fianziellen Schwieriegkeiten stecken hilft uns notfalls noch der Staat / Hartz IV).
Aber nein, man muss zeigen was Mann / Frau hat. Egal ob man es sich leisten kann oder nicht. Aber mithalten mit den anderen ist die Devise. Aber genau das Gegenteil ist der Sinn des Lebens. Das Leben leben. Stattdessen hetzt man, dem Geld hinterher. Erfolg = viel Kohle. Dafür aber wenig Freizeit für Familie, Freunde, Hobbies oder einfach mal für’s nixtun.
Wer jammert ist nie allein… :-)
Danke für diesen tollen Artikel, der sehr zum Nachdenken anregt. Für alle, die vom Aussteigen träumen, aber dann doch immer wieder von der Konsumgesellschaft gefangen gehalten werden, hilft vielleicht auch erst mal ein gesunder Mittelweg. Man muss ja nicht gleich a la „Supertramp“ nach Alaska auswandern und in der Wildnis leben, sondern vielleicht erst mal anfangen sein Konsumverhalten zu überdenken. Weniger Ramsch kaufen und anstatt den Abend mit Chips vor dem Fernseher zu verbringen, vielleicht einfach mal in der Natur spazieren gehen oder ein gutes Buch lesen. Schließlich beginnt jede Veränderung mit dem ersten noch so kleinen Schritt.
Ja, ja und nochmals ja! Die Sehnsucht nach dem einfachen, guten Leben ist ja so groß. All die Zeitschriften, Bücher und Sendungen mit dem „Land“- Titel zeigen doch, wie sehr wir uns das Zurück aufs Land wünschen – daheim auf der Couch! Ich fühle mich selbst sehr betroffen, obwohl ich schon etwas Selbstversorgung betreibe. Ich denke allerdings (weil ich selbst mich dem Rentenalter nähere), dass unsere Familienstrukturen dagegen stehen. Wie soll ich mich im Alter noch alleine „selbstversorgen“, wenn viele Arbeiten beschwerlich werden? Meine Oma half dann eben nach ihren Möglichkeiten, die schweren Arbeiten wurden von der nächsten Generation erledigt. Es bedarf also eines allgemeines Wandels des Zusammenlebens – hin zu der Gemeinschaft, weg vom gedankenlosen Konsum!
Wenn nicht jetzt freiwillig – dann bald, weils sowieso sein muss.
Ja, ja, ist schon irgendwie lustig…
Natürlich kann man alles und jeden kritisieren, ich jedenfalls freue mich darüber, dass wir heute nicht mehr so rückständig sind, wie noch vor 40 Jahren.
Aber dieses ewig gestrige Gejammer geht allmählich vielen Menschen auf die Nerven.
Es ist doch nichts schlimmes wenn Leute sich einen eigenen Kräutergarten anlegen, ich würde es aber niemals von anderen verlangen, das sie sich unbedingt auch einen anlegen müssen!
Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Leute vom Land mit ihrer aufgedrängten Konservativität sich benehmen, wie einst unsere Missionare in den Entwicklungsländern, sie versuchten nämlich auch, die andersgläubigen, Christlich zu machen.
PFUI!!! PFUI!!! PFUI!!!
ich träume schon lange vom Aussteigen und Selbstversorgen, mit wenig auskommen, habe das Selbstversorgen auch bereits gelebt und bin immer mit wenig Geld ausgekommen und habe den unnützen Konsum schon lange verweigert, bis auf einige kleine Ausnahmen, wie ich zugeben muss. Wie gelingt es, frage ich mich, den Job an den Nagel zu hängen und trotzdem leben zu können, um nicht mehr fremdbestimmt zu leben? Ich benötige ja nicht viel, muss aber trotzdem ein bisschen Geld zum leben haben, ein Dach über dem Kopf, Rentenversicherung und Krankenversicherung. Das sehe ich als schwierig an und finde keine Lösung.
Auch ich stelle mir dieses Aussteigerleben sehr romantisch vor. Unabhängig und frei sein. Keine Vorgesetzten, die Dich herumnkommandieren. Überstunden und nochmals Überstunden (meist unbezahlt). Klar, wer möchte dem nicht entrinnen. Aber, aber, aber………………………………
Wir haben eben ein soziales Netz, das nur funktioniert, wenn jeder seinen Beitrag leistet. In jungen Jahren denkt man da nicht daran. Das Rentenalter ist ja noch so………….weit weg, aber wehe, wenn es dann da ist. Für mich ist es keine Selbstvertändlichkeit, dann auf Vater Staat zu vertrauen. Du hast für mich zu sorgen, du musst dafür sorgen, dass ich Hilfe bekommen. Ja aber woher das Geld nehmen? Aus dem Topf, der fleißigen Einzahler, die sich den Buckel krumm geschufftet haben, die brav in unsere Renten- oder Pflegekassen eingezahlt haben? Denen kürzen wir den Anspruch, damit es uns Selbstversorgern auch im Rentenalter gut geht.
Vergesst bitte nicht, dass ein richtiges Ausstiegen schon möglich ist, sicher schön sein kann, aber dann mit allen Konsequenzen, d. h. arbeiten und die Felder bestellen und Tiere versorgen. Ein „halbes“ Aussteigen und sich vom arbeitenden Volk versorgen lassen ist Schmarotzertum…..
„Heutzutage kaufen viele Leute mit dem Geld, das sie nicht haben, Sachen, die sie nicht brauchen, um damit Leuten zu imponieren, die sie nicht mögen.“ Ernst Bloch, Philosoph
Schöne Grüsse aus Osnabrück