Neureichenau. Die Liebe zu Flora und Fauna ist ihm praktisch in die Wiege gelegt worden. Aufgewachsen in einem kleinen Bauerndorf bei Bad Schwalbach im Taunus lernte er schnell die Zusammenhänge innerhalb der Natur kennen, wollte sie weiter vertiefen. Deshalb war für Thomas Zipp schon von Kindesbeinen an klar, dass er sich mit seiner größten Leidenschaft auch irgendwann einmal beruflich beschäftigen möchte. Zuerst als Landvermesser, später als Fachmann für Landschaftsökologie, erfüllte sich der heute 62-Jährige diesen Traum schon sehr bald. Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich der Neureichenauer ebenfalls mit Geomantie – „die Kunst, Lebensräume nach den Bedürfnissen der menschlichen Seele im Einklang mit der Ortskraft zu gestalten“, wie im Internet darüber zu lesen ist. Die Geomantie orientiert sich an den Leitlinien des anthroposophischen Wissenschaftsverständnisses.
„Wir müssen mit dem kompletten Organismus empfinden“
Wie bitte? An was orientiert sie sich? „Im Endeffekt ist Geomantie das gleiche wie die Ökologie, nur mit einem weit umfassenderen Ansatz“, erklärt Thomas Zipp. „Wir sind auf der Gefühlsebene vielfach zu Analphabeten geworden. Meist liegt der Schwerpunkt unserer Wahrnehmung im Kopf. Doch das ist zu einseitig. Wir müssen die Dinge mit dem kompletten Organismus empfinden.“ Aspekte der Yoga-Lehre, der Aikido-Schulung, Erkenntnisse der biologisch-dynamischen Landwirtschaft, der schamanisch-indianischen Spiritualität und Wissenschaft sowie der Landschaftsökologie finden sich in der Geomantie wieder. „In der japanischen Kultur ist Geomantie zum Beispiel eine feste Größe.“
Über vier Jahrzehnte setzt sich Thomas Zipp nun schon mit dieser – zugegebenermaßen nicht unmittelbar fassbaren – Thematik auseinander. „Anfangs habe ich eine sehr lange Leitung gehabt“, erzählt er. „Doch nach und nach habe ich kapiert, um was es wirklich geht.“ Und dies sei schwierig in Worte zu fassen, weil sich eben vieles auf der Gefühlsebene abspielt. Doch genau diese Einbeziehung weiterer Erlebenssphären werde heute, in einer immer schnelllebigeren Zeit, umso wichtiger, wie der Neureichenauer betont. „Die überall erkennbaren sozialen und ökologischen Brandherde verlangen nach einer neuen und im besten Sinne erweiterten Erd- und Menschenkunde“, sagt Zipp. Während er spricht, ziehen Hühner, Enten und Hasen im Garten ihre Runden. Und je länger man ihm zuhört, desto bewusster nimmt man deren Laute und Bewegungen wahr. Irgendwie spürt man, dass der 62-Jährige ein anderes Verhältnis zu seinen Tieren hat – ein weitaus intensiveres.
Der Bayerische Wald ist seine berufliche Erfüllung
Wahrnehmung – das ist auch in seinem Beruf als Landschaftsökologe wichtig. Wieder ein Begriff, den man als Laie nicht unbedingt auf Anhieb versteht. Allerdings ist dieser leichter erklärt, als zunächst angenommen. Thomas Zipp ist unter anderem für Naturschutz-Programme im ländlichen Raum zuständig – und dadurch auch vielen Landwirten in der Region bekannt. Eigentümer von Wiesen oder Weiden mit selten gewordenen Tier- und Pflanzenarten wie Arnika und Silberdistel können eine staatliche Förderung erhalten, wenn sie diese Grundstücke weiterhin pfleglich bewirtschaften. Diese Flächen werden dann gegebenenfalls von Thomas Zipp begutachtet. So haben teils vom Aussterben bedrohten Tier- und Pflanzenarten eine Chance, weiterhin zu überleben.
In dieser Hinsicht ist für den gebürtigen Hessen der Bayerische Wald die berufliche Erfüllung schlechtin, denn: Hier gibt es noch von der allgemeinen landwirtschaftlichen Intensivierung verschont gebliebene Flächen sowie eine sehr selten gewordene Vielfalt an Pflanzen und Tieren. Auch erkennt er in vielen landwirtschaftlichen Traditionen, die meist nur noch den älteren Bauern bekannt sind, ökologisch höchst wichtige Zusammenhänge, die früher ganz selbstverständlich berücksichtigt worden sind.
„Ich wundere mich über die Feinsinnigkeit der Waidler“
Generell habe sich das Bewusstsein für Ökologie (Erklärung laut Wikipedia: „das System der ungestörten, wechselseitigen Beziehungen der Lebewesen zueinander und zu ihrer Umwelt“) in den vergangenen Jahrzehnten zum Positiven gewandelt. „Freilich gibt es nach wie vor kritische Themen wie zum Beispiel die unschönen Biber-Diskussionen“, erzählt Zipp. „Dennoch hat sich insgesamt das Bild dieser Sparte sehr verbessert.“ Bei Exkursionen an seinem Wohnort rund ums „Wosdei-Häusl“ in der Nähe von Neureichenau, auf dem Dreisessel oder anderen schönen Landstrichen in der Region, versucht er, seine Gedanken und seine Einstellung an Interessierte weiterzugeben. Heinrich Vierlinger, eine Waldführer-Legende im Bayerischen Wald, meint dazu: „Für mich ist Thomas Zipp einer unserer fähigsten Waldführer. Was er darüber hinaus am Dreisessel bei seinen Wanderungen anbietet, ist bewundernswert.“
Die den Waidlern häufig nachgesagte Verbohrtheit im Umgang mit verschiedenen Themen kann Thomas Zipp nicht bestätigen. Im Gegenteil. „Ich wundere mich oft über die Feinsinnigkeit der Einheimischen.“ Zu denen zählt er auch sich mittlerweile – nach mehr als 30 Jahren im Woid. Auch wenn er mit seiner Einstellung ganz eigene, unkonventionelle Wege geht…
Helmut Weigerstorfer