Bad Endorf. „Wann immer ein Traum Wirklichkeit wird, wird die Welt ein Stück reicher“ – so steht es einleitend in der offiziellen Pressemitteilung, die im Vorfeld zu Martin Kälberers neuem Soloprojekt namens „SUONO“ erschienen ist. Und tatsächlich – Martin Kälberer hat sich mit seinem neuen Projekt einen lange gehegten Traum verwirklicht: eine reine Piano-CD. Aber SUONO ist weit mehr als das – und genau darin liegt die Überraschung.
Martin Kälberers Soundtrack lässt sein Innerstes „sprechen“
SUONO – dieser Titel mag vielleicht anfangs für ein Projekt eines im oberbayerischen Bad Endorf beheimateten Künstlers etwas abstrakt klingen. Der Begriff stammt aus dem Italienischen und bedeutet „Klang“ – aber auch: „Ich spiele.“ Und irgendwie scheinen diese beiden Interpretationen des Begriffes SUONO genau die Intention des Albums zu versinnbildlichen: spielerisch Klänge erforschen, sie zu verinnerlichen, die musikalischen Grenzen zu erfahren und zu erweitern.
Bei seinem letzten Projekt, „Goya„, ließ Martin Kälberer noch Bilder und Klang ineinander verschmelzen; er ließ sich inspirieren von den Kunstwerken des spanischen Malers Francisco de Goya. Bei SUONO hingegen lässt er sein Innerstes „sprechen“: Es ist sein persönlicher Soundtrack.
„Einklang“ – so lautet also nun der Titel der ausschließlich auf dem Piano eingespielten CD. Tatsächlich konzentriert sich Kälberer hier auf das Instrument, das ihn seit jeher durch sein musikalisches Leben begleitet. Mit dem er verschmilzt, das seinen Gedanken und Ideen eine Sprache verleiht. Es ist eine wunderbar auf das Wesentliche reduzierte Platte mit insgesamt acht Stücken. Nur einmal holt sich Kälberer Unterstützung: Bei der Interpretation des Joni Mitchell Songs „Both sides now“ verleiht die aus Postmünster (Lkr. Rottal-Inn) stammende Jazz- und Popsängerin Lisa Wahlandt dieser Version eine ganz besondere Note. Und es scheint, als ob die kälberer’sche Interpretation nur auf die stimmliche Ergänzung Lisa Wahlandts gewartet hätte.
„Hope“ – ein Flucht-Versuch des Sich-Freispielens
Die restlichen sieben Piano-Stücke sind allesamt Eigenkompositionen – und spiegeln die verschiedenen Welten, in denen er sich beim Einspielen befand, wider. So liegt die Inspiration von „They are all living here“ in einem Aufenthalt in der Metropole London begründet. Man fühlt sich während der knapp sechs Minuten mitgenommen auf eine Reise – quer durch die pulsierenden Straßen der Stadt, aber auch hin zu einsamen und zurückgezogenen Orten. Faszinierend, wie Kälberer diese unterschiedlichsten Facetten musikalisch, allein mit dem Flügel, wiedergibt.
„Still here“ – bei diesem Stück setzt der Ban Endorfer unterstützend auch seine Stimme ein. Jedoch nicht mit Gesang, sondern gewissermaßen als Instrument. Diese Kombination lädt geradezu ein, sich zurückzulehnen – und sich dem Phänomen Zeit zu widmen. Was war, was kommt, wo geht es hin? Und welche Rolle spiele ich als Mensch eigentlich im großen Ganzen?
„Bualintur“ – was im ersten Moment wie ein Charakter aus „Herr der Ringe“ klingt, ist tatsächlich eine Ableitung aus dem Gälischen und bezeichnet einen Wasserfall auf der schottischen Insel Skye. Kann es eine bessere Vorlage für ein Musikstück geben, als das Rauschen eines Wasserfalls?
Tagtäglich müssen wir mittlerweile eine regelrechte Flut an bestürzenden Nachrichten lesen und hören, die Katastrophen und Schicksale werden von Tag zu Tag schlimmer. Wir alle stehen vor Herausforderungen ungeahnten Ausmaßes – „Hope“ ist Martin Kälberers 5.55 Minuten dauernde Flucht aus all diesen Schlagzeilen. Ein Versuch des sich Freispielens. Wer die Musik wirken lässt, wird sich diesem Versuch zumindest für die Dauer des Stückes anschließen können.
„Drifting“ charakterisiert die Intention hinter SUONO vielleicht am besten: Musik einfach geschehen lassen – und nur den Moment und das Gefühl als Inspiration zulassen. Das gerade Gespielte als Grundlage für das Kommende. Sich treiben lassen. Einfach. Beruhigend.
Mit den beiden Stücken „Gedankentropfen“ und dem Titellied „Einklang“ wird die Solo-Piano-Platte abgerundet.
Live immer ein Genuss: Martin Kälberer im Prinzregententheater 2013:
Metallplatte „vielklang“: Auch der zweite Teil hat’s in sich
Eingangs wurde es ja bereits kurz angerissen: Bei SUONO handelt es sich um weit mehr als ein bloßes Piano-Album. Denn hinter SUONO steckt tatsächlich ein Doppelalbum: Neben „einklang“ findet sich im aufwendig gestalteten Booklet noch eine zweite CD: „vielklang“ – gewissermaßen eine reine „Metallplatte“ (Nein, das hat nichts mit Heavy-Metal-Musik à la Judas Priest oder Iron Maiden zu tun…) Hier hat sich Martin Kälberer der überraschend vielfältigen und ganz eigenen Klangwelt des Metalls gewidmet. Eine Klangwelt, die allerspätestens seit der ersten Begegnung mit dem Instrument Hang der Firma „PANart“ aus der Schweiz eine ganz neue Dimension erfahren hat – auch und besonders für Martin Kälberer.
Auf „vielklang“ sind ebenfalls acht Stücke zu finden. Sie entführen den Hörer in mystische, nachdenkliche, beruhigende, inspirierende Welten. Acht Songs, die einen ein- und abtauchen lassen. Vorausgesetzt, man lässt sich darauf ein. An dieser Stelle sei ein Tipp erlaubt: Die „vielklang“-CD sollte, wenn möglich, mit guten Kopfhörern zu Gemüte geführt werden.
Dass Martin Kälberer mit seinen Werken durchaus Zeichen setzen kann, zeigt das Stück „Samia“. Es ist der aus Somalia stammenden Sportlerin Samia Yusuf Omar gewidmet. Sie ist auf ihrer Flucht nach Europa nach dem Sturz aus einem Flüchtlingsboot ertrunken. Das Schicksal von unzähligen. Das Entsetzen darüber ist meist groß, wohingegen die Aufmerksamkeit leider oft nur kurz währt. Vielleicht ist es hilfreich, den Schicksalen einen Namen und ein Gesicht zu geben, um uns mit diesen unbeschreiblichem Leid nachhaltiger zu beschäftigen?
Bei „blech box“, dem mit knapp neun Minuten längsten Stück auf SUONO, scheint sich Kälberer alles, was sich in und um sein Studio zum Thema Blech und Metall hat finden lassen, geschnappt und instrumentalisiert zu haben. Ergebnis: Eine Klangreise vom Hang übers Gubal, von der singenden Säge über allerlei anderer Metall-Instrumente – bis hin zum guten alten Marmeladentopf.
Sich Zeit für SUONO nehmen – abschalten, zuhören, fertig
„blue planet“ – hier kommt zum Ausdruck, was sich durch das gesamte Projekt zu ziehen scheint: Der 48-Jährige schafft es, mit seiner Musik Gedankenbilder entstehen zu lassen. In diesem Fall ein Reise rund um unseren „blauen Planeten“. Wer seine Fantasie dabei schweifen lässt, wird schnell einen Blick „von außen“ auf die Erde im Kopf haben. Die gute alte „Space Night“ des Bayerischen Fernsehens lässt grüßen: „blue planet“ könnte ein Soundtrack dafür sein.
Es befinden sich auf der „vielklang“-CD noch fünf weitere Metall-Lieder. Allesamt sind diese geprägt von einer erstaunlichen Vielfalt, von faszinierendem Klang und beeindruckender Inspiration. Besonders hervorzuheben gilt jedoch das Stück „rast“. Beim ersten Hören, den ersten Klängen, „beamt“ es einen sofort an seinen Lieblingsort, wie etwa auf den Gipfel des Bayerwaldbergs Lusen. Von dort aus betrachtet man dann einen wunderbaren Sonnenaufgang. Kälberer schafft es mit „rast“ bekannte Gefühle in einem hochsteigen zu lassen – schlichtweg berührend.
Genau das ist es, was SUONO ausmacht. Oder besser, was es NICHT ausmacht: Martin Kälberers neues Werk ist keine CD fürs Einfach-mal-so-nebenbei-Hören. Zumindest nicht in erster Linie. Ihre Wirkung entfalten die 16 Titel erst, wenn man sich wirklich die Zeit dafür nimmt. Sie zu hören, sich einzulassen auf die Themen, Klänge und Arrangements.
Wer sich die Zeit dafür gönnt, wird mit SUONO die Möglichkeit haben, der Hektik des Alltags, dem Gehetzt-Sein in der Masse ein paar Momente lang aus dem Weg zu gehen. Wer sich darauf einlässt, der wird mit SUONO seinen Gedanken freien Lauf lassen können. Etwas, das im alltäglichen Trott leider mehr und mehr zu kurz kommt – oder manchmal sogar ganz verschwindet. SUONO kann dazu beitragen, sich einfach mal wieder auf das Essentielle zu konzentrieren – und sich klar darüber zu werden, dass es durchaus nichts Verwerfliches ist, anderen beim Immer-weiter-nach-vorne-Rennen einfach mal hinterher zu schauen. Und nicht hinterher zu laufen.
Wenn man sich nur die Zeit dafür nimmt. Und dazu ist mit SUONO jeder eingeladen.
Abschalten, Zuhören. Fertig.
Daniel Eder
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Martin Kälberers neues Album SUONO erscheint am 18. September 2015 bei GLM Music. GLM Music hat sich mit Musikverlag, Label und Bookingagentur der „handgemachten Musik“ verschrieben. SUONO ist erhältlich als CD und als Doppel Vinyl.
- Zur Homepage von Martin Klälberer –> www.martinkaelberer.com
- Zur Facebook-Seite von Martin Kälberer –> www.facebook.com/MartinKalbererDieOffizielleFanpage
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