Haidmühle/Bischofsreut. Zugegeben: Die Gemeinde Bischofsreut-Haidmühle fristet im Landkreis Freyung-Grafenau eher ein Schattendasein. Genau das jedoch möchten der gebürtige Münchener und mittlerweile in Bischofsreut lebende Uwe Kremmin sowie eine kleine Autorengruppe aus der Grenzgemeinde ändern. Deshalb haben sie das Onlineportal haibischl.de ins Leben gerufen. Offen, neugierig, sachlich, begeistert, analytisch, kritisch, hilfreich – so möchten die Haibisch’ler über ihre Heimat berichten. Der 56-jährige Marketingsstratege Kremmin spricht im Interview mit dem Onlinemagazin „da Hog’n“ über sein Onlineprojekt – außerdem erklärt er, welche Inhalte auf der Homepage zu finden sind und welche Stärken und Schwächen der Bayerische Wald aus seiner Sicht hat.
Herr Kremmin, wie ist es zur Idee „haibischl.de“ gekommen?
Es hat mehrere Gründe gegeben: Die Gemeinde hatte keine ‚unabhängige Presse‘, also kein Medium von Bürgern für Bürger. Außerdem waren wir der Meinung, dass es viel mehr zu berichten gibt als die offiziellen Webseiten der Gemeinde stemmen können. Zum Namen: Ich dachte erst, das Projekt könnte ‚Haidmühler Journal‘ heißen – aber dann meinte Martin Zellner, einer unserer Mitgründer, dass ‚Haibischl‘ viel besser in die Gegend passt. Ein ‚Heu-Büschel‘ bunter Themen mit ‚Hai-dmühle‘, ‚Bisch-ofsreut‘ für die beiden größten Dörfer der Gemeinde und das ‚l‘ für Ludwigsreut, Leopoldsreut und alle anderen Außenbereiche.
Wie lang gibt’s die Seite denn schon im Netz?
Seit Juli 2014 – so richtig los ging es aber erst im Februar 2015.
462 Besucher und 2.703 Aufrufe im bis dato besten Monat Juni
Von welchen Zugriffsdaten sprechen wir inzwischen?
Der beste Monat war bislang der Juni mit 462 Besuchern und 2.703 Aufrufen. Der Juli war etwas schwächer. Unsere Gemeinde hat 1.300 Einwohner, da ist das Wachstum begrenzt. Derzeit kommt das Haibischl langsam an einen Punkt, wo genügend Inhalt vorhanden ist, sodass wir ein wenig Werbung dafür machen können. Schau’n wir mal, wie es sich entwickelt. Es ist ja noch sooo jung (lacht).
Welche Inhalte veröffentlicht Ihr?
Alles, von dem wir meinen, dass es die Haidmühler und Bischofsreuter interessieren könnte. Wir planen derzeit beispielsweise einen Beitrag über die spannende Geschichte von Schwarzenthal – da, wo früher die Glashütten standen. Außerdem geben wir Tipps: Zum Beispiel über Datenschutz und Design von Webseiten, das ist wichtig für unsere Firmen; oder über den guten Vodka aus Freyung – wichtig für unsere Genießer; oder über die Gemeindepolitik – wichtig für mündige Bürger; und über die Flüchtlingssituation. Ein bunter Sack, in dem hoffentlich für jeden etwas drin ist.
Einen großen Teil der Berichte nimmt die Natur ein. Vielleicht gelingt es uns dadurch, auch überregional den einen oder anderen Leser auf unsere Gegend aufmerksam zu machen. Unsere Natur ist nämlich d e r Grund, warum sich Leute hier ansiedeln. Ich habe mittlerweile einige andere ‚Immigranten‘ kennengelernt. Manche sind gekommen, weil Immobilien bei uns noch wenig kosten, die anderen, weil sie – im Gegensatz zu beispielsweise Frankfurt – keine Asthma-Anfälle mehr haben, oder weil sie – im Gegensatz zu München – nicht mehr unter Elektrosmog oder der schlechten Luft leiden. Oder weil sie sich, so wie meine Frau und ich, in diese Landschaft verliebt haben.
Wer sind die Autoren von haibischl.de?
Wir stellen unsere Autoren auf der Seite nach und nach vor. Uns treibt wohl alle das gleiche Ziel an: Haidmühle hat, nicht nur durch seine außergewöhnliche Lage, wirklich sehr viel Berichtenswertes zu bieten. Mein persönlicher Antrieb: Von all unseren Autoren bin ich der ‚frischeste‘ Haidmühler. Als ich vor einigen Jahren, auf dem Weg nach Tschechien mit meiner Frau in Haidmühle angehalten habe, sind wir ausgestiegen, sahen die alten steinernen Häuser, denen das raue Klima geradezu auf die Blechdächer geschrieben steht – und ich wusste: Hier will ich leben!
Offen, neugierig, sachlich, begeistert, analytisch, kritisch, hilfreich
Für einen Naturbegeisterten wie mich, der die Stadt satt hat, ist die Gemeinde Haidmühle geradezu das Paradies auf Erden. Da ich aber ein wenig in der Welt herumgekommen bin, habe ich gesehen, was man wohl besser machen könnte – und was man genau so weiter machen sollte, wenn man das Überleben der Gemeinde sichern will. Der typische Zuagroaste eben.
Unabhängig, Überparteilich, Fortschrittlich – so lautet Euer Motto. Wie spiegelt sich das auf der Seite wider?
Unabhängig: Wir lassen uns nicht vor wessen Karren auch immer spannen. Wir wollen in unserem Denken offen, neugierig, sachlich, begeistert, analytisch, kritisch und hilfreich sein.
Überparteilich: Wir hängen an keiner Partei und keiner Konfession. Wir tragen keine Rivalitäten zwischen den Dörfern der Gemeinde mit. Wir sind niemandes Sprachrohr.
Fortschrittlich: Fortschritt bedeutet für uns, dass die Gemeinde überlebt. Die Zahl der Bewohner ist stark gesunken und wird wohl weiter sinken – auch der Tourismus leidet. Diesem Trend wollen wir uns entgegenstellen. Haidmühle – und das gilt auch für andere Gemeinden in der Nähe – soll leben. Fortschritt bedeutet aber auch, dass sich die Gemeinde der Zukunft stellen muss – bei den Erwartungen der Touristen ebenso wie in der Infrastruktur, dem kulturellen Angebot und den Bedürfnissen der Zuagroasten.
Gibt es Pläne, aus haibischl.de ein Vollzeit-Projekt zu machen?
Nein, die Zielgruppe ist zu klein. Wir würden keine hinreichenden Werbeeinnahmen erzielen können.
Was muss in der Gemeinde Haidmühle-Bischofsreut verbessert werden?
Vieles in unserer Gemeinde ist so schön und richtig, dass ich vor lauter Begeisterung ins Schwärmen geraten kann. Dabei halte ich mich ansonsten für sehr sachlich. Da sind nicht nur die umwerfende, reine Natur, sondern auch die Bräuche der Gemeinde und die vielen netten Leute. Nehmen Sie zum Beispiel den Tourismus. Ja, er liegt ziemlich danieder, aber er ist auf der anderen Seite auch das, was man heute als ’sanften Tourismus‘ beschreibt – naturbetont, ruhig, weitgehend nachhaltig. Wenn man vergleicht, was in anderen Orten Bayerns an Halli-Galli aufgeboten wird, können wir uns glücklich schätzen.
„Die Zahlen sind dramatisch, aber nicht hoffnungslos“
Aber in der Tat: Es gibt manches zu verbessern. Lassen Sie mich drei Punkte betrachten, die vielleicht auch für andere Gemeinden in unserer Gegend gelten.
Im Tourismus herrscht an vielen Stellen ein Innovations- und Investitionsstau. Wir haben mittlerweile mehrere Vegetarier und Veganer in der Gemeinde, aber auch Menschen, die einfach große Freude an qualitativ gutem Essen haben. Die haben ein Problem, bei uns Essen zu gehen. Das gleiche Problem haben Touristen auch. Die Ansprüche der Reisenden haben sich seit der Hochzeit des Tourismus in den 70ern bis 80ern verändert – das weiß jeder Gastronom. Jetzt heißt es, sich darauf einzustellen. Wir überlegen derzeit, ob wir eine Art von ‚Tourismus-Vermarktungs-Verein‘ gründen, der Gastronomen und Übernachtungsbetriebe dabei unterstützt, clever und ohne viel Kosten auf die veränderten Wünsche einzugehen – und der bei der Vermarktung hilft, also mehr Touristen anlockt.
Dann die Bevölkerungsentwicklung. Die Zahlen sind dramatisch, aber nicht hoffnungslos. Denn: Ich schätze, dass es in Deutschland rund 4.000 Leute gibt, die, wenn sie denn von Haidmühle und seinen Besonderheiten erfahren, sofort herziehen würden. Deshalb mache ich mich für eine Marketingkampagne stark, die genau diese Leute über Haidmühle informiert. Wenn die kommen würden, oder, noch konservativer, wenn nur ein Zehntel kommen würde, hätten wir unseren Bevölkerungsrückgang ausgeglichen. Dann würden die Handwerker weiterhin genug zu tun haben, die Lebensmittelläden würden bestehen bleiben und so weiter.
Dann die Gemeindeverwaltung. Wie Sie wissen, setzen wir uns für Offenheit und Bürgerbeteiligung ein. Die Probleme, die die Gemeinden demnächst lösen müssen, brauchen das Talent, die Phantasie und die Kraft aller Bürger. Und diese drei Zutaten bekommt man von den Bürgern, wenn man ihnen Offenheit, Transparenz und Mitbestimmung zurückgibt. Ich weiß, das ist manchmal leichter gesagt als getan…
Vielen Dank für das Interview und alles Gute für die Haibischl-Zukunft.
Interview: Helmut Weigerstorfer