Bischofsreut. Eigentlich führt Thomas Madl ein ganz normales, eher unspektakuläres Leben. Der selbstständige Geschäftsmann leitet gemeinsam mit seiner Frau im Ortszentrum von Bischofsreut einen kleinen Lebensmittel-Laden, der seit mehr als 100 Jahren im Besitz der Familie ist. Die meiste Zeit seines Lebens gestaltet sich daher also unaufgeregt im bayerisch-böhmischen Grenzgebiet. Wenn da nicht die Messstation der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) am nahegelegenen Sulzberg (1146 Meter) bei Leopoldsreut wäre. Dort befindet sich eine von zwei (deutschen) Messstationen des IMS (International Monitoring System), die den Kernwaffenteststopp-Vertrag überwachen soll. Großes weltpolitisches Thema im beschaulichen Bayerwald. Und der 51-jährige Thomas Madl ist als „Mädchen für alles“, wie er sich selbst bezeichnet, mittendrin.
Auch Bundeswehr und Bundesgrenzschutz vertreten
„Naja, ganz so interessant ist es auch wieder nicht“, gibt sich der Bischofsreuter bescheiden. Er sei lediglich dafür da, „nach dem Rechten“ zu sehen und „alles in Schuss“ zu halten. Typisch waidlerisches Understatement eben. Zugegeben: Thomas Madl ist zwar „nur“ so eine Art Hausmeister der Anlage. Dennoch ist er der einzige (neben den BGR-Mitarbeitern in Hannover), der einen Zugang zur Messstation hat. Außerdem ist er es, der nach schweren Gewittern oder anderweitigen technischen Problemen „Feuerwehrmann“ spielen darf bzw. muss. Denn längere Ausfälle könne sich die Anlage nicht leisten. Zu sensibel sind die Daten, die die Sensoren liefern. Tüftelt Nordkorea an Atombomben rum? Führt der Iran nukleare Tests durch? Durch entsprechende Erschütterungen können im ruhigen Bayerischen Wald, am idyllischen Sulzberg, genau diese Fragen überwacht werden.
Dabei wirkt das Gelände auf den ersten Moment etwas befremdlich, wie aus einer längst vergessenen Zeit. Ein hoher Zaun mit Stacheldraht umgibt die Messstation, die 1989 von den US-Amerikanern in Zusammenarbeit mit der Ruhr-Universität Bochum und später, um die Jahrtausendwende, vom BGR übernommen worden ist. Flutlichter und Straßenlaternen sorgen auch im Dunkeln für ausreichend Beleuchtung. Hinzu kommt der Respekt der Bevölkerung vor dieser Einrichtung, die oftmals einfach nur „Radaranlage“ genannt wird. Und diese hat eine bewegte Vergangenheit. Zu Zeiten des Eisernen Vorhangs überwachte die Bundeswehr tatsächlich per Radar von dort aus die Aktivitäten in der angrenzenden Tschechoslowakei. Von damals stammen auch die militärisch anmutenden Beton-Garagen und das kasernenähnliche Haupthaus. „Weiter unten, in der Wiese, sind auch noch vereinzelte Schützengräben zu finden“, berichtet Thomas Madl. „Da haben wohl öfters Übungen stattgefunden.“ Später übernahm der Bundesgrenzschutz das Anwesen, das mit einem Speisesaal, einer Toilettenanlage, einem Schlafraum sowie einem kleinen Gefängnis, von dem heute aber nicht mehr viel zu erkennen ist, ausgestattet ist.
Deshalb sind Windkraftanlagen verboten
Weitaus interessanter ist da ein mit Servern bis unter die Decke vollgepferchtes Zimmer. Hier laufen alle Strippen zusammen, hier befindet sich quasi das Nervenzentrum der Weltpolitik. Über 16 Quadratkilometer erstreckt sich das Gebiet, in dem einzelne Messpunkte, bestehend aus mehreren Sensoren und einem unterirdischen Sicherungskasten, aufgebaut sind. Die von den Sensoren empfangenen Daten landen mithilfe kilometerlanger Kabelleitungen in der Messstation, die das BGR sogleich auswertet und gegebenenfalls an andere Behörden weiterreichen kann. Selbst kleinste Detonationen können somit ohne Weiteres im Woid ausgemacht werden. „Zum Beispiel die Explosion einer Feuerwerksfabrik in Holland„, erinnert sich Thomas Madl. „Oder auch der Einschlag eines Meteoriten in Russland.“ Ein Hindernis bei den Messungen: Der Infraschall größerer Windkraftanlagen könne die Daten verfälschen, weshalb derlei Bauten in einem Radius von zehn Kilometern um den Sulzberg nicht realisierbar seien.
„Zum einen verursachen diese Kraftwerke in dem Frequenz-Bereich, der uns interessiert, starke, für das menschliche Ohr nicht hörbare Geräusche“, erklärt Erwin Hinz von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR). „Zum anderen wird bei Windkraftanlagen das durch die Rotation der Flügel entstehende rhythmische Schwingen des Mastens über das Fundament in den Boden eingeleitet, was wiederum unsere Ergebnisse beeinflusst.“ Aufgezeichnet werden am Sulzberg Luftdruckschwankungen und Bodenbewegungen, also sowohl Erdbeben als auch größere Explosionen wie sie etwa bei Atomtests entstehen. Es gibt 26 seismische Messstellen und acht, die den Infraschall dokumentieren. „Die einzelnen Sensoren kann man sich vorstellen wie ein Telefon. Nur dass wir keine Stimmen hören, sondern Frequenzen, die das menschliche Ohr nicht aufnehmen kann.“
Erwin Hinz: „Es stört jede Art von urbanem Lärm“
Doch warum wurde für solch eine sensible Angelegenheit ausgerechnet Bischofsreut ausgewählt? Die Abgeschiedenheit, oftmals eher ein Nachteil der Region am Fuße des Haidels, war in diesem Fall ein Vorteil, ein Alleinstellungsmerkmal. Fernab von Autobahnen, Schienenverkehr und großer Industrieanlagen fand das BGR hier ideale Voraussetzungen vor. „Möchten wir möglichst weit hören, stört uns jede Art von urbanem Lärm“, begründet Erwin Hinz den klaren Standortvorteil des Sulzbergs. Auch der Untergrund, genauer gesagt das Granitmassiv des Bayerischen Waldes, komme den Messungen zu Gute. „Ein Seismograph funktioniert umso genauer, desto besser es an ein zusammenhängendes Gestein angekoppelt ist.“ Selbst nur leicht spürbare Erschütterungen können so besser wahrgenommen werden.
Fast schon ein bisschen ehrfürchtig weist auch Thomas Madl immer wieder darauf hin, dass selbst kleinste Bewegungen von den Sensoren erkannt werden, dass alle sich auf den Gelände befindlichen Personen per Video aufgezeichnet werden. „Das wird alles von Hannover aus überwacht.“ Auch Madls Worte tragen dazu bei, dass das Gelände am Sulzberg von den Anwohnern mit einem wachsamen, manchmal argwöhnischem Auge beobachtet wird. Für den 51-jährigen Bischofsreuter jedoch ist das alles nur ein Nebenjob. „Demnächst muss ich wieder mal Rasen mähen. Außerdem müssen die Räume geputzt werden“, zählt er geschäftig auf.
Hausmeister für die Anlage
Auch im eigenen Lebensmittel-Laden wartet viel Arbeit auf ihn. Dort hat er übrigens auch die BGR-Mitarbeiter kennengelernt. „Sie haben sich bei mir ihre Brotzeit gekauft. So ist der Kontakt zu Stande gekommen. Und irgendwann haben sie mich gefragt, ob ich nicht eine Art Hausmeister für die Anlage werden möchte.“ Per Zufall wurde das eher unspektakuläre Leben von Thomas Madl also um eine nicht uninteressante Facette reicher. Auch, wenn es für ihn mittlerweile ganz normal zu sein scheint…
Helmut Weigerstorfer