Freyung-Grafenau. Ein Autounfall. Mehrere Verletzte, Tote. Erste Hilfe, Feuerwehr, Polizei, Rettungsdienst. Jeder gibt sein Bestes, um den körperlichen und materiellen Schaden so gering wie möglich zu halten. Was bei derart dramatischen Vorfällen der Öffentlichkeit meist verborgen bleibt, sind die „seelischen Schäden“ von Angehörigen und Augenzeugen nach derart belastenden und traumatischen Ereignissen.
Sigrid Schönberger (52) und Stephan Seidl (40), Einsatzdienstleistende beim Bayerischen-Roten-Kreuz Freyung und Mitglieder des Kriseninterventionsdienstes (KID), sind erfahrene Betreuer im Umgang mit diesen Menschen. Sie berichten im Gespräch mit dem Onlinemagazin „Da Hog’n“ über die „Erste Hilfe für die Seele“.
„Zusammenhalt ist wichtig, sonst schaffst Du’s nicht“
„Zusammenhalt ist wichtig, sonst schaffst Du’s nicht“, da sind sich die beiden einig. Seit der Gründung des KID im Jahr 2008 kümmern sie sich ehrenamtlich in enger Zusammenarbeit mit dem BRK um die Betreuung von Hinterbliebenen bei Ereignissen mit dramatischem Ausgang, etwa schweren Verkehrsunfällen. Das Team unter Leitung von Hermann Poxleitner, steht an allen Wochentagen rund um die Uhr zur Verfügung. Besonderer Wert wird dabei auf die sogenannte „Hilfe der ersten Stunden“ gelegt, also dem Zeitraum unmittelbar nach der Todesnachricht.
Da dieser Job wahrlich nicht für Jedermann geeignet und psychisch zumeist sehr fordernd ist, wird das Personal bereits vor dem eigentlichen Beginn der Ausbildung zum Kriseninterventionsdienstleister innerhalb des BRK bewusst behutsam ausgewählt. Für die Schulung kommen laut Seidl deshalb ausschließlich „gefestigte Personen“ mit einem Mindestalter von 25 Jahren in Frage. Nach einem Wochenendkurs müssen die Azubis zunächst fünf Einsätze des KID hospitieren, das heißt: berufspraktische Erfahrungen sammeln. „Dabei wird nicht nur auf das Verhalten während des Einsatzes, sondern vor allem auch nach dem Einsatz geachtet“, berichtet der 40-Jährige. Es sei wichtig festzustellen, wie der Auszubildende das Erlebte verarbeitet, wie er im Alltag damit umgeht. Fällt auch dieser Test positiv aus, beginnt die eigentliche 180 Stunden umfassende Ausbildung. Wird die abschließende Prüfung bestanden, steht das KID-Neumitglied für „vollwertige Einsätze“ zur Verfügung.
„Eine ausgiebige Dusche und eine Tasse Tee“
Bei sogenannten „Regeleinsätzen“ treffen zunächst einmal nur die benötigten Rettungsdienste am Einsatzort ein – und informieren im Bedarfsfall das Team des KID. Trifft dieses am Einsatzort ein, verschafft es sich mit Hilfe der anwesenden Rettungsdienste zuallererst einen Überblick über die gesamte Situation. An diesem Punkt begibt man sich dann in den Bereich der „individuellen Dynamik“, erklärt Seidl. „Meistens gibt man den Betroffenen die Möglichkeit, sich direkt von dem Verstorbenen zu verabschieden. Bei Bedarf kann auch ein Geistlicher hinzugezogen werden.“ Die Abläufe seien jedoch von Fall zu Fall sehr verschieden. Der Einsatz des Kriseninterventionsteams ende erst, nachdem der Patient wieder einem „stabilen, sozialen Netz“ übergeben werden kann. Manchmal sei dies bereits nach einer Stunde der Fall, in Extremsituationen habe man gar bis zu zehn Stunden mit einem Hinterbliebenen verbracht, wie die beiden berichten.
Natürlich seien solche Einsätze auch für die Dienstleistenden nicht immer einfach zu verarbeiten – weshalb sich die KID-Mitglieder nach getaner Arbeit meistens noch gemeinsam an einen Tisch setzen und über das Erlebte sprechen – dies helfe, das Ganze besser zu verdauen. Außerdem stehe im äußersten Fall auch immer kostenlose, professionelle psychologische Betreuung bereit.
So individuell wie die Einsätze jeweils ablaufen, so individuell gestaltet sich auch der Ablauf danach. Für Stephan Seidl etwa stellt eine ausgiebige Dusche eine Art Ritual dar, um sich buchstäblich das Erlebte „abzuwaschen“, wieder ins Reine zu kommen. Danach „vergrabe“ er sich häufig mit einem Buch und einer Tasse Tee, um zurückgezogen und ganz für sich wieder auf andere Gedanken zu kommen. Sowohl für Sigrid Schönberger als auch für Stephan Seidl spiele nach derart belastenden Vorfällen vor allem der Rückhalt der Familie sowie deren offenes Ohr eine herausragende Rolle.
Die Kunst der nonverbalen Abstimmung
Auf die Frage, ob man denn über die Jahre eine gewisse Routine im Umgang mit krisengebeutelten Menschen entwickeln würde, schütteln beide den Kopf. „Keine Routine, aber eine gewisse Handlungssicherheit“, verdeutlicht Seidl. „Es gibt dafür kein Schema, denn jeder Mensch ist anders“, ergänzt Schönberger – sie möchte lieber von „routinierter Kreativität“ sprechen.
Dass es den beiden an der nötigen Leidenschaft nicht mangelt, daran lassen sie keinen Zweifel aufkommen. Im Laufe der Zeit sei die Verständigung innerhalb des Zweier-Gespanns automatisiert worden – Worte sind kaum mehr nötig, der Blickkontakt genügt. Viele der Einsatzteams – in der Regel ein weibliches und ein männliches Mitglied – würden diese Kunst der nonverbalen Abstimmung nahezu perfekt beherrschen. Schon bei der Anfahrt konzentriere sich Sigrid Schönberger auf die menschlichen Facetten, Stephan Seidl hingegen fokussiert sich mehr aufs Taktische. Er beschäftigt sich mit der Lage des Einsatzgebietes, der Umgebung und allem, was dazugehört.
Ein großes Dankeschön an alle Einsatzkräfte
Wie all die anderen Einsatzkommandos ist auch der KID nur eines von vielen Rädchen im großen Uhrwerk der Rettungskräfte. Nur durch ein reibungsloses Zusammenspiel von verschiedenen Einsatzkräften könne eine optimale Versorgung gewährleistet werden, sind sich Schönberger und Seidl einig. Genau aus diesem Grund möchten die beiden ihren Dank gegenüber ihrem Einsatzleiter Hermann Poxleitner, allen Notfallseelsorgern und Priestern, der Feuerwehr, der Polizei sowie allen Angehörigen der Einsatzkräfte für ihre Unterstützung aussprechen. „Ein besonderer Dank geht dabei an das Bayerische Rote Kreuz, da dieses die Serviceleistung des KID finanziell überhaupt ermöglicht.“
Johannes Greß
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Das KID Freyung-Grafenau besteht derzeit aus 17 ehrenamtlichen Mitgliedern, die ihre Dienste rund um die Uhr kostenlos anbieten. Dies sei insbesondere durch die wohlwollende Unterstützung der Bevölkerung möglich.
Förderkonto:
BRK Kreisverband Freyung-Grafenau
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Kontonummer 5199
Bankleitzahl 74051230
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(Auf Wunsch kann eine Spendenquittung zur Vorlage beim Finanzamt ausgestellt werden)