Freyung-Grafenau/Regen. „Wos bleims’en ned dahoam, wenn’s eh olle so a moderns Handy ham? So schlecht kaa’s ea oh anscheinend ned geh…“ – Sätze wie diesen kann man in diesen Tagen nahezu allerorts in den sozialen Medien lesen. Wirklich? Ist das so? Haben die Asylbewerber tatsächlich „dahoam“ in Saus und Braus gelebt – und sind nun hierher nach Deutschland, in den Bayerischen Wald gekommen, weil sie noch mehr haben möchten von den „Reichtümern der westlichen Welt“? Was nun folgt, ist ein Erklärungsversuch, warum das persönliche Wohlergehen trotz Smartphone in Gefahr sein kann – und auch Menschen, die sich in Besitz von Highend-Produkten befinden, ein Recht auf Asyl haben.
Flüchtlingskatastrophe global: ein Überblick
Aktuell befinden sich laut UNO Flüchtlingshilfe (UNHCR) 59,5 Millionen Menschen (das entspricht in etwa der Gesamt-Bevölkerung Italiens) auf der Flucht. So viele, wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Täglich müssen also ungefähr 42.500 Menschen ihre Heimat verlassen. Die Ursachen hierfür sind weitereichend. Hauptgrund ist die enorme Anzahl an Krisenherden auf der Welt (Syrien und Irak als derzeit bekannteste Beispiele). Auch politische Verfolgung, Folter, Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe, wirtschaftliche Gründe und die rasche Veränderung des Klimas veranlassen Menschen weltweit zur Flucht. Die meisten Vertriebenen bewegen sich dabei innerhalb der eigenen Landesgrenzen bzw. flüchten in ein umliegendes Land, da sie auf eine baldige Rückkehr hoffen.
Aus dem „Forced Displacement in 2014“-Bericht der UNHCR geht dabei Folgendes hervor: Am „stärksten betroffen“ von der weltweiten Flüchtlingskatastrophe ist aktuell die Türkei, die bisher in etwa 1,59 Millionen Schutzsuchende im Land aufgenommen hat. Knapp dahinter rangiert Pakistan mit 1,51 Millionen. Der Libanon, ein Land mit etwa 5,8 Millionen Einwohnern, beherbergt derzeit etwa 1,15 Millionen Flüchtlinge. Die 173.100, die laut „Pro Asyl“ im Jahr 2014 in Deutschland, einem Land mit mehr als 80 Millionen Einwohnern, einen Asylantrag stellten, wirken im Vergleich dazu mickrig. Marginal. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die deutsche Wirtschaftsleistung in etwa 148 mal höher ist als die des Libanon.
Die Mär vom Wirtschaftsflüchtling
Wie eingangs bereits erwähnt, gibt es vielerlei Gründe, die einen Menschen zur Flucht veranlassen. In manchen Fällen bewegen Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit oder eine schlechte finanzielle Situation eine Person dazu, sein Heimatland in der Hoffnung auf ein „besseres“ Leben zu verlassen – in den Medien oft als „Wirtschaftsflüchtlinge“ gebrandmarkt. Nun mag man von dem Fluchtgrund „schlechte finanzielle Situation“ halten, was man will. In Zeiten des Fachkräftemangels und des demographischen Wandels kann dies durchaus kontrovers diskutiert werden, soll aber hier nichts zur Sache tun. Fakt ist, dass der tatsächliche Anteil an „Wirtschaftsflüchtlingen“ – anders als häufig propagiert – nur einem Bruchteil der Gesamtflüchtlingszahl entspricht.
Der Status „Flüchtling“ oder „Asylbewerber“ sagt also in den meisten Fällen erst einmal überhaupt nichts über die finanzielle Situation einer Person aus. Überspitzt formuliert, schafft es sowieso nur die „upper class“ der Flüchtlinge, d.h. generell wohlhabendere Menschen, nach Deutschland. Da Europas Außengrenzen mittlerweile so gut „geschützt“ sind, eine Einreise auf „legalem Weg“ also so gut wie unmöglich ist, bleibt einem Flüchtenden nur die Möglichkeit, illegal und mit Hilfe von Schlepperbanden irgendwie nach Deutschland zu gelangen. Diese Reisen ziehen sich meist über mehrere Monate oder Jahre hinweg – die Sterblichkeitsrate dabei ist enorm. Allein im Mittelmeer sind seit dem Jahr 2000 mindestens 23.000 Todesfälle bekannt geworden. Hinzu kommen die zahlreichen nicht-registrierten Todesfälle und diejenigen, die bereits auf ihrer Reise ans Mittelmeer ihr Leben gelassen haben. Die Preise für so eine solche „Flucht“ belaufen sich meist auf mehrere Tausend bis hin zu mehreren Zehntausend Euro. Schon anhand dieser Tatsache erklärt sich der niedrige Anteil an sogenannten „Wirtschaftsflüchtlingen“ eigentlich von selbst.
Die meisten der Flüchtlinge, die es also tatsächlich bis nach Deutschland schaffen, verlassen ihr Land wegen eines dort herrschenden Konfliktes, politischer Verfolgung oder anderen „nicht-wirtschaftlichen“ Gründen. Genau aus diesem Grund ist es auch völlig legitim, dass diese Personen „eh olle so a moderns Handy ham“. Auch als in Deutschland der Zweite Weltkrieg herrschte, waren Millionen Menschen zur Flucht gezwungen. Unter ihnen: Wohlhabende, der Bäcker von nebenan, Obdachlose, Studenten,… kurz: Jeder, unabhängig von seiner finanziellen Situation. Auch der reichste Mensch ist nicht kugelsicher. Genau so wenig, wie die tollste App vor einem Bombeneinschlag in Kabul hilft.
Asyl – Ein Menschenrecht
„Wenns eh olle so geijde han, warum miass’n mia dann fia dee zoin??“ Grundsätzlich schreibt unsere Verfassung (GG Art. 16a), die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention das Asylrecht für Schutzsuchende vor. Asyl ist ein Menschenrecht und sollte von daher keiner Kosten-Nutzen-Rechnung unterliegen. Geht es bei einem Verkehrsunfall darum, einen Beteiligten mit allen Mitteln am Leben zu erhalten, käme wohl nie jemand auf die Idee, erst einmal die Kosten des Verfahrens zu berechnen, um dann anhand der gewonnenen Erkenntnisse zu einer Entscheidung zu gelangen. Das Recht auf Leben ist (genau wie das Recht auf Asyl) ein Menschenrecht – und daher nicht mit einem Betrag zu beziffern bzw. in Geld aufzuwiegen.
Abgesehen von den moralischen Bedenken bei Menschenrechten eine Kosten-Nutzen-Rechnung durchzuführen, ist die Aussage „Flüchtlinge kosten den deutschen Staat zu viel Geld“ schlichtweg falsch. Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zahlen Menschen ohne Pass in Deutschland pro Jahr im Schnitt 3.300 Euro mehr an Steuern, als sie an staatlichen Leistungen erhalten. Im Jahr 2012 erwirtschaftete der deutsche Staat damit satte 22 Milliarden Euro Überschuss.
Wie entsteht Alltagsrassismus?
„Oba trotzdem han’s lauter Verbrecher…“ Menschen sind verschieden. Menschen unterscheiden sich in Sachen Aussehen, Verhalten, Herkunft, Religion, Cholesterinwerte,… Menschen unterscheiden sich in so ziemlich allem. Keiner ist gleich. Und so grundverschieden wir nunmal sind, fügen sich manche dem Gesetz etwas mehr – und andere wiederum etwas weniger. Trotzdem gibt es keinerlei Statistiken, die ansatzweise belegen könnten, dass von Asylbewerbern, Ausländern oder einer bestimmten Ethnie eine erhöhte Kriminalität ausgeht. Wer behauptet, Asylbewerber seien „krimineller“ als der Durchschnitts-Deutsche, liegt im Unrecht. Die einzige Kriminalstatistik, die mit zunehmenden Flüchtlingen steigt, ist die der „rassistisch motivierten Straftaten“ – und diese gehen bekanntlich nicht von Flüchtlingen aus.
Wie man sieht, sind Vorurteile gegenüber Asylbewerbern genauso wenig haltbar wie gegenüber anderen Minderheiten/Nationalitäten/Religionen etc. Vorurteile sind pauschalisierend – und leicht zu widerlegen. Warum also dieser Alltagsrassismus? Woher kommen diese Vorurteile? Ein grundlegendes Problem (eines von mehreren) ist mit Sicherheit die mediale Berichterstattung. Beinahe tagtäglich wird der deutsche Bürger in den großen Tageszeitungen vor angeblichen „Flüchtlingswellen“ oder einer „Asylflut“ gewarnt. Auch wenn bisher die Schlagwörter „Welle“ oder „Flut“ eigentlich nur im Zusammenhang mit Naturkatastrophen oder extremen Temperaturschwankungen in Gebrauch waren, scheinen sie in diesem Fall nach Meinung der Medien durchaus angebracht.
In Zeiten der „Angst“ oder der „Desorientierung“ (aktuelle Kriege in Ukraine und Syrien, Terrorismus, Epidemien wie Ebola, Finanzkrisen…) neigen Menschen generell dazu, nach möglichst einfachen und geradlinigen Lösungen zu suchen. Nichts bietet sich dabei besser an als das schlichte Einteilen in „Gut“ und „Böse“. Viele Medien, vor allem die Boulevard-Zeitungen, liefern genau diese einfachen, undifferenzierten und leichtverdaulichen Lösungen, die auch für Leser und Zuschauer, die mit der Thematik nicht allzu sehr vertraut sind, klar und deutlich verständlich sind. So entsteht auch das alt-bekannte „Stammtisch-G’schmatz“. Und genau so lässt sich damit der Erfolg der Bild-Zeitung, der rechtspopulistischen AfD oder Protestbewegungen wie Pegida erklären. Sie alle haben eins gemeinsam: Sie liefern schlichte Antworten für komplexe Themen, sie liefern dem Bürger in Zeiten der Desorientierung und der Verwirrung ein Gefühl der Sicherheit – und beruhigen das Gewissen. Denn, indem man die „anderen“ als „im Unrecht“ deklariert, bleibt einem selber nichts anderes übrig, als im Recht zu sein. So die Logik, die hinter diesem Verfahren steckt.
Vom „Stammtisch-Talk“ zum „Covert Racism“
Dieses Schema funktioniert nicht nur beim Thema Asyl, sondern lässt sich aufviele Bereiche ummünzen. Sei es nun die finanzgebeutelten Griechen, die doch bitte schnellstmöglich den Euro verlassen sollen. Oder der Islam, der angeblich gänzlich eine Gefahr für die globale Sicherheit darstellt. Doch leider (oder besser: zum Glück) funktioniert diese Schwarz/Weiß-Schiene nicht. Problemstellungen wie die Asylpolitik sind komplexer, sind tiefgründiger – und lassen sich nicht einfach mit „ja/nein“, „gut“ oder „schlecht“ beantworten. Um sich eine Meinung zu bilden, bleibt dem Interessenten nichts anderes übrig, als sich ausführlicher mit dem Thema zu beschäftigen und kontrovers damit auseinanderzusetzen.
Phänomene wie Rassismus, Diskriminierung und Antisemitismus entstehen nur selten bewusst. Erst durch das unterbewusste Einteilen in Gut und Böse (sprich: Vereinfachen), das Einordnen in bestimmte Kategorien („in eine Schublade stecken“) entstehen diese Unarten. Die Politik der Simplifizierung, die wir täglich von Medien, hochrangigen Politikern und anderen Autoritätspersonen zugefüttert bekommen, leistet einen erheblichen Beitrag zum Erfolg des „Gut/Böse -Schemas. Der „Stammtisch-Talk“ erledigt dann meistens den Rest. Was am Ende dabei rauskommt, wird im Englischen gerne als „Covert Racism“ bezeichnet. Soll heißen, dass Menschen bei der alltäglichen Entscheidungsfindung unterbewusst (oft auch unbewusst) beeinflusst werden. Das trifft auch auf Personen zu, die offen von sich behaupten, nicht rassistisch zu sein – und davon auch selbst zutiefst überzeugt sind.
Von echtem Männerschweiß zum Giorgio Armani
Zur Verdeutlichung folgendes Beispiel: Sie befinden sich auf dem Weg zur Arbeit, am Straßenrand steht eine Person, die gerne bei Ihnen per Anhalter mitfahren würde. Das Auto gilt als ihre eigene „Komfortzone“, als etwas Persönliches. Nun müssen Sie innerhalb von Sekunden entscheiden, ob Sie der Person erlauben in Ihre „Komfortzone“ einzudringen. In diesem Fall können Sie zum Entscheidungsprozess nur visuelle Merkmale heranziehen. „Wirkt diese Person gefährlich, sympathisch, verzweifelt…?“ Genau hier kommt der „Covert Racism“ zur Geltung. Unterbewusst assoziieren viele Menschen eine Person anhand ihres Aussehens/Auftretens mit bestimmten Eigenschaften, im positiven wie im negativen Sinne. Da sie ihre Entscheidung innerhalb nur weniger Sekunden treffen müssen, findet keine rationale Überlegung statt – und das Gut/Bös -Schema kommt zum Einsatz.
Dieses Modell lässt sich nicht nur auf Asylbewerber anwenden, sondern auf so ziemlich alles, was von einer Gesellschaft in einer bestimmten Region zu einer bestimmten Zeit als „nicht normgerecht“ oder „anders“ angesehen wird. Seien es Tätowierungen, Homosexuelle, Mini-Röcke, Hartz 4-Empfänger, sei es die Rolle der Frau usw. War es vor 50 Jahren noch „echter Männerschweiß“, der für Frauen als unfassbar attraktiv galt, muss es heutzutage „Axe“ oder „Giorgio Armani“ sein. Mit „echtem Männerschweiß“ lässt es sich im Jahre 2015 beim weiblichen Geschlecht nur schwer punkten. Dieses Phänomen ist allgemein als „Gesellschaftlicher oder Sozialer Wandel“ bekannt.
Flüchtlinge: Eine Bereicherung für Deutschland
Bei nüchterner Betrachtung, vom Standpunkt einer „tabula rasa“ aus, sprich vollkommen vorurteilsfrei, wird jeder bei genauerer Auseinandersetzung mit dem Thema Flüchtlinge (oder jedem anderen aktuellen Streitpunkt) zu dem Ergebnis kommen, dass die Mär von der Asylflut mit sämtlichen „dahergespülten“ Vorurteilen nicht haltbar ist. Mehr noch! Flüchtlinge bringen jede Menge Positives mit nach Deutschland. Angefangen damit, dass wir bei dem aktuellen Fachkräftemangel und demographischen Wandel künftig ohnehin auf Zuwanderung angewiesen sind. Außerdem können diese Menschen Eindrücke und Erzählungen aus Ländern und Kulturen liefern, die wir allerhöchstens mal im Fernsehen zu sehen bekommen – Erzählungen aus erster Hand! Wenn wir alle einen Schritt auf den anderen zugehen würden, könnt das Leben auf dieser Welt für alle Beteiligten um einiges angenehmer werden.
Johannes Gress
Persönliche Anmerkung: Ich bin mir der Brisanz der Thematik durchaus bewusst und bin auch gerne bereit über dieses Thema noch weiter in aller Ausführlichkeit zu diskutieren. Ich bitte jedoch darum, die Kommentare und Diskussionsbeiträge stets sachlich zu halten und von unqualifizierten Beiträgen abzulassen.
Mehr Infos zum Thema:
- Fakten gegen Vorurteile
- www.proasyl.de
- www.uno-fluechtlingshilfe.de
- SPON: Fakten zur Flüchtlingskrise – endlich verständlich
Sehr schöner und aufschlußreicher Artikel! Leider kann man gegen diverse Stammtischparolen und ähnliches selten mit Argumentation ankommen. Und solchen Leuten, die mit rechtem und rassistischen Aussagen rumtönen, ist es selten möglich oder zu schwierig, einer gegenteiligen Logik zu folgen! Trotzdem Danke!
Ihr Kommentar spricht denjenigen Menschen aus dem Herzen, die sich ohnehin umfassend damit befasst haben und somit meist zur selben Meinung kommen. Diejenigen, die rumschreien und die Asylanten raushaben wollen, werden leider einen solchen Artikel nicht fertig lesen. Sich von Argumenten überzeugen lassen, erfordert einen offenen Geist und ein offenes Herz. Leider gegenüber Flüchtlingen selten vorhanden!
Asylrecht ist Menschenrecht. Das wäre sicher auch für Einheimische nicht schlecht, um sich gegen staatliche Willkür helfen zu können, denn vor Gott sind alle gleich.